Bemerkungen zu Anwar Shaikh`s „Capitalism: Competition, Conflict, Crises“ (5)

Eine Erhöhung der Nachfrage wird sich in erweiterter Produktion und/oder höheren Preisen ausdrücken, i.e. in einem nominal höheren Bruttobetrag. Die Wachstumsrate des BIP ist dann eine Funktion der neuen Kaufkraft in Relation zum BIP. Bei der Angebotsseite gilt es dann anzumerken, dass das reale Wachstum immer weiter abgedämpft wird, da die aktuelle Wachstumsrate nach und nach die maximale Wachstumsrate erreicht. Das deckt sich mit Keynes Aussage, dass bei Vollbeschäftigung die neue Nachfrage weniger durch den neuen Output absorbiert wird, sondern dass es zu Preiserhöhungen kommt. Diese Aussagen werden von Shaikh für seine Theorie der Inflation verwendet. Wenn das reale Wachstum positiv mit der Nettokaufkraft und Nettoprofitabilität (marginale Nettoprofitrate, Gewinn auf neues Investment) und negativ mit dem Grad der Ausnutzung des Wachstums korreliert und irgendwann einen kritischen Punkt erreicht, dann haben wir es bei der Relation zwischen beiden Momenten immer mit einer nicht linearen Funktion zu tun. Wenn die Inflationsrate gleich der Differenz zwischen der Wachstumsrate des nominalen und des realen Outputs ist, und die erstere eine Funktion der neuen relativen Kaufkraft ist, dann korreliert die Inflation positiv mit der neuen Kaufkraft und der Nettoprofitabilität und negativ mit dem ungenutzten Wachstum-Potenzial. Ein möglicher Fall der Nettoprofitabilität kann bis zu einem gewissen Grad durch einen Anstieg der Nachfrage kompensiert werden, sodass die Wachstumsrate weniger stark als die Profitrate fällt. Ein Fall der Wachstumsrate führt zur Arbeitslosigkeit, während der Anstieg der Wachstums-Kapazitätsrate die Ökonomie inflationsanfälliger macht. Das ist das Geheimnis der Stagflation. Dabei können die Raten nur innerhalb bestimmter Grenzen variieren, aber in einem System mit Fiatgeld gibt es anscheinend keinerlei Grenzen für das Wachstum der Kaufkraft. Wenn die Rate des Anstiegs der Kaufkraft relativ niedrig ist, dann ist der Einfluss auf die Inflation noch gering, bei hohen Raten wird das anders. Somit lässt sich die Inflation als eine Funktion der neuen Kreditaufnahmen (Nachfrage durch Konsumentenkredite), der Nettoprofitabilität und dem Grad der ungenutzten Kapazitätsauslastung definieren. Empirisch kann man heute eine starke Relation zwischen dem Kreditwachstum und dem Wachstum des nominalen BIP registrieren, wobei an den Peak Points das Wachstum de BIP geringer als das der Kredite ist, was ein Zeichen dafür ist, dass die gestiegene Nachfrage zu einer Inflation der Wertpapier- und Anleihepreise und zu Währungsspekulationen führt.

Shaikh begreift die Krise von 2007 als die erste große Rezession im 21.Jahrhundert, die sich wie alle großen Krisen durch einen finanziellen Kollaps und im Fall der USA durch die Subprime-Krise angezeigt hat. Aber das war für Shaikh nicht der eigentliche Grund der Krise. Shaikh untersucht zur Krisenbestimmung zunächst die langen Wellen; dabei geht er von drei bis fünfjährigen Zyklen aus, die auf das Inventar abgestimmt sind, von sieben bis zehnjährigen Zyklen, die auf das fixe Kapital bezogen sind, und von längeren strukturellen Zyklen. Alle diese Zyklen sind von beschleunigter und entschleunigter Kapitalakkumulation durchzogen. Die große Depression der 1930er Jahre zeichnete sich durch hohe Arbeitslosigkeit und Preise aus, bei der Stagflationskrise in den 1970 Jahren gab es als Resultat der keynesianischen Politik eine gegenüber der großen Depression halbierte Arbeitslosigkeit und hohe Inflationsraten zu vermelden. Ab den 1980er Jahren haben wir es mit einem neuen Boom zu tun; eine permanent niedrige Zinsrate erhöhte die Nettogewinnrate auf das Kapital (die Netto-Differenz zwischen Zinsrate und Profitrate). Fallende Zinsraten führten zu einer weit gestreuten Verteilung des Kapitals auf dem Globus und zu einem Anstieg der Konsumentenkredite und schließlich zu sich verstärkenden Finanzkrisen und Bubbles. Gleichzeitig gab es die neoliberalen Attacken auf die Reallöhne, die im Verhältnis zur Produktivität sanken. Der Fall der Zinsraten und der Reallöhne führte zu einem Anstieg der Nettoprofitraten. Normalerweise hätte dies zu einer Stagnation der Konsumnachfrage führen müssen, aber durch den Fall der Zinsrate konnten in enormen Ausmaß Konsumentenkredite vergeben werden, und so stieg die Konsumnachfrage aufgrund der Verschuldung bis zur großen Krise weiter an. Die Antwort des Kapital auf die Stagflation der 1970er Jahre war also ein Angriff auf die Reallöhne und die drastische Absenkung der Zinsraten, was eine positive Auswirkung auf die Nettoprofitraten hatte. Hier liegt für Shaikh das Geheimnis des Booms seit den 1980er Jahren. Aber dieser Boom war inhärent inkonsistent. Die Ausweitung einer billigen Finance führte zu hohen Verschuldungen in allen Sektoren der Wirtschaft, insbesondere kompensierten die Haushalte das Sinken der Reallöhne mit der Aufnahme von Konsumentenkrediten.

Empirisch untersucht Shaikh dann die großen Kondratieff-Wellen von 1790 bis 2010 in den USA und Großbritannien (der Preislevel wird auf Gold bezogen). Fast immer beginnt eine Krise in der Mitte der Abwärtsbewegung und für Shaikh macht die Rezession von 2007 hier keine Ausnahme. Generell hat die technologische Innovation einen negativen Einfluss auf die normale Profitrate, was aber in der neoliberalen Periode durch fallende Reallöhne so weit kompensiert wird, dass zumindest der Fall der maximalen normalen Profitrate aufgehalten werden kann. Die durchschnittlichen Nettoprofitraten und die marginalen Profitraten sind strukturell auf die Kombinationen der Pfade der Profitraten und der Zinsraten bezogen.

Die wenigen Bemerkungen Shaikhs zu Pikettys einflussreichem Bestseller „Das Kapital im 21.Jahrhundert“ führen hin zur Debatte über das Problem des Falls der allgemeinen Profitrate. Eine der zentralen Thesen in Pikettys Buch ist die, dass im Kapitalismus eine Tendenz zu einer Steigerung der Vermögens- und Einkommensungleichheit stattfindet (die nur durch die beiden Weltkriege, Revolutionen und Depressionen unterbrochen wurde), sodass diejenigen, die vom Einkommen aus Vermögen und Renditen leben, schneller als die Lohnabhängigen akkumulieren. Zudem tendiert die Kapitalrendite/Profitrate (r) dazu, die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate (g) zu übersteigen, wobei Piketty betont, dass r > g eine empirische Tendenz sei, aber eben keinesfalls determiniere.

Pikettys Untersuchungen basieren weitgehend auf den Ergebnissen der neoklassischen Ökonomie, das heißt der Existenz aggregierter Produktionsfunktionen und der Aussage, dass die Profitrate durch das marginale Produkt des Kapitals determiniert wird, und das letztere fällt, wenn der Kapitalstock ansteigt. Allerdings ist die Annahme einer aggregierten bzw. gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion sowie die Existenz einer definierten Menge an Kapital unabhängig von der Bestimmung der Preise der heteorgenen Kapitalgüter und der Profitrate nicht denkbar. Dabei müssen die Preise der heterogenen Kapitalgüter bekannt sein, um einen gesamtwirtschaftlichen Kapitalstock zusammenzufassen zu können. Wie Sraffa nachgewiesen hat, sind die Preise der heterogenen Kapitalgüter ohne die Kenntnis der Profitrate nicht bestimmbar, ergo müssen hier die Preise der Kapitalgüter und die Profitrate simultan bestimmt werden.

Piketty berechnet den Profitanteil als Produkt der Profitrate und der Kapital-Einkommensrate. Über die Zeit fällt die Profitrate, weil das marginale Produkt des Kapitals aufgrund des Anstiegs des Kapitalstocks fällt, sodass es eines Anstiegs der Kapital-Einkommensrate bedarf, um den Fall der Profitrate zu bremsen. Eine fallende Profitrate kann also durch eine steigende Kapital-Einkommensrate ausgeglichen werden, sodass es hier tatsächlich auf den Einsatz von Technologien ankommt. Piketty beobachtet empirisch einen Anstieg der Profitquote und des Kapital-Einkommens-Verhältnisses, wobei er eine CES-Produktionsfunktion mit einer Substitutionselastizität größer als eins annimmt; wird eine CES-Produktionsfunktion mit einer Produktionselastizität ungleich eins verwendet, dann übt die Kapitalintensität einen Einfluss auf die Höhe der Einkommensquoten aus.

Für Shaikh lässt sich von empirischer Seite die Einkommensungleichheit mit dem Verhältnis der Rate der Einkommen aus Renditen zu den Lohneinkommen erklären, das er klassischerweise auf die Teilung des Werts in Löhne und Profite und auf den Grad der daraus resultierenden Finanzialisierung der Einkommensströme zurückführt. Auf der theoretischen Seite wird der Lohnanteil durch die Arbeitslosenquote und dem Verhältnis zwischen dem Machtanteil „Kapital versus Arbeit“ und dem Profitanteil definiert; die Rate der Kapitalauslastung wird durch die Wahl der Techniken determiniert, die wiederum auf den Imperativ der Kostensenkung bezogen bleibt, dem die Unternehmen qua Konkurrenz unterworfen sind. Die Profitrate wird durch beide Aspekte bestimmt. Dabei ist die normale Profitrate immer höher als die normale Wachstumsrate, da die erstere die Rate des Surplus zum Kapitalstock beinhaltet, während die letztere die Reinvestition des Anteils des Surplus zum Kapitalstock umfasst. In Shaiks Position ist die Profitrate das Vrhältnis der Rate des Profitanteils zur Kapitalintensität, wobei ein Anstieg der letzteren ein wichtiger Grund für den Fall der Profitrate ist. Die Profitrate bestimmt die Zinsrate und die Differenz der beiden Raten bestimmt die Wachstumsrate.

Piketty subsumiert unter die Lohneinkommen Gehälter und Löhne, aber auch Transferleistungen, Arbeitslosengeld sowie Einkommen aus Aktien, Wertpapieren etc., während die Einkommen aus Vermögen Profite, Zinszahlungen, Renten, Royalties, Immobilien und finanzielle Instrumente umfassen. Shaikh hält insbesondere Pikettys Messung der Profitrate für inkonsistent, weil dieser im Nenner den Kapitalstock anführt, der aber nicht nur Equipment, Maschinen und Fabriken, sondern auch Land, Immobilien und finanzielle Assets (Netto) umfasst, während im Zähler Renten, Zinszahlungen, Gewinne auf finanzielle Assets und Liquidationsgewinne ausgeschlossen werden. Deshalb fällt bei Piketty die Profitrate im Boom nach den 1980er Jahren. Für Shaikh handelt es sich, wenn die finaziellen Assets im Nenner der Profitrate aufgeführt werden, um Doppelzählungen. Dies halten wir weniger aufgrund der Aussagen Pikettys, sondern der Erläuterungen von Alan Freeman für unkorrekt.

(Das Problem mit Piketty ist noch ein anderes, denn seine Definition des Kapitals behandelt dieses wie ein Ding und nicht als einen Prozess, in dem aus Geld Mehrgeld wird. Piketty definiert das Kapital als den Stock aller Assets, die von Unternehmen, dem Staat und Haushalten gehalten werden und am Markt gehandelt werden können, egal ob sie eingesetzt werden oder nicht. Dies inkludiert Immobilienbesitz, Eigentumsrechte und bspw. Kunstbesitz. Um hier eine Gewinnrate r anzunehmen, muss man das Ausgangskapital irgendwie bewerten. Es kann nur im Kontext der Produktion, der Profitrate und der Marktpreise bewertet werden. Für die Neoklassik, auf die sich Piketty hier bezieht, beruht die Rate des Gewinns auf Kapital auf der Wachstumsrate, weil das Kapital durch das definiert wird, was es produziert und nicht durch das, was in seine Produktion eingeht. Geld, Boden, Immobilien und Equipment sind, wenn sie nicht produktiv eingesetzt werden kein Kapital. Entscheidend bleibt hier die Profitabilität bzw. die Profitrate.)

Fast alle Marxisten benutzen im Zähler und Nenner der (allgemeinen) Profitrate den Unternehmensgewinn und den fixen Kapitalstock als Annäherung an den Surplus und das eingesetzte Kapital. Fred Moseley bspw. behauptet, dass der Unternehmensgewinn im nicht-finanziellen Sektor die entscheidende Kennziffer sei, wobei er von den Unternehmensgewinnen die Gewinne aus dem sog. unproduktiven finanziellen Sektor und dem des Handelskapitals abzieht. Shaikh argumentiert, dass der Unternehmensprofit (die Gewinnrate des industriellen Investments nach Abzug aller anderen Forderungen auf Profit) diejenige Größe sei, die für die Investmententscheidungen relevant sei. Es gibt Auseinandersetzungen darüber, ob die Netto- oder Bruttoprofitrate für die Messungen der Profitrate bzw. die Profite vor oder nach Abzug der Steuern relevat ist. Kliman fordert die Messung der fixierten Assets nach historischen und nicht nach aktuellen Kosten.

Alan Freeman fordert (insoweit also finanzielle Instrumente berücksichtigt werden, hier mit Piketty konform), das nur sog. fixed Assets im Nenner der allgemeinen Profitrate berücksichtigt werden sollten. Der Wert des verausgabten Kapitals ist aber in den Phasen des Kapitalkreislaufs nicht nur in Maschinen, Rohstoffen, Energien und Anlagen gebunden, sondern auch in Geldbeständen und Vorräten sowie in finanziellen Investitionen. Geld unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von unverkauften Waren, dem Inventar und dem Kapitalstock. Was passiert nun mit der Profitrate, wenn die handelbaren finanziellen Instrumente im vorgeschossenen Kapital bzw. im Nenner der Profitrate enthalten sind? (Natürlich sind auch die Gewinne auf finanzielle Assets im Zähler der Profitrate anzuführen.) In den USA und UK haben wir es dann laut Freemans eigenen empirischen Analysen – entgegen der Annahmen Shaikhs – auch seit den 1980er Jahren mit einem Fall der Durchschnittsprofitrate zu tun.

Finanzielle Firmen funktionieren nicht ohne Kapital, und dies ist Geldkapital. Sie benötigen Kapital im „physikalischen“ Sinn (Maschinen, Computer, Gebäude, Software etc.) und Arbeitskräfte, aber ihre wichtigsten Assets sind Geldsummen oder handelbare finanzielle Instrumente, die gegen Geld getauscht werden können: Dies können Reserven sein, Währungsbestände, Bonds oder Derivate – die Bank benutzt sie, um Profit zu erzeugen, sie sind ihr Kapital. Sie sollten deshalb im Nenner der (allgemeinen) Profitratte enthalten sein.

Generell gehen wir in Absetzung von Shaikh davon aus, dass sich Kapital und Finance in verschiedenen Art und Weisen überlappen bzw. superponieren. Finance ist heute die maßgebende Form des Kapitals. Veränderungen im Verlauf der Profitraten haben Konsequenzen für die Entwicklung der Finance, aber diese sind nicht unidirektional und sie transformieren auch nicht die Funktionsweisen der Finance. Finance ist heute mehr als die Akkumulation von Verbindlichkeiten und ansteigende Verschuldung. Sie beinhaltet ein steigendes Investment in Forschung und finanzielle Innovation und basiert auf institutionellen Entwicklungen, ökonomischen Strategien und staatlichen Regulationen, die alle ihre eigene Geschichte und Temporalität besitzen. In diesem Sinne kann die Geschichte und Struktur der Finance nicht auf eine Spiegelung der historischen Patterns der Profitrate reduziert werden. Die Entwicklungen der Finance vollziehen sich nicht zeitgleich und/oder symmetrisch mit den Verläufen der Profitraten.

Foto: Bernhard Weber

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