Das finanzielle Kapital

Dieser Beitrag wurde von Achim Szepanski am 20.10. auf der Veranstaltung “Die Bedeutung des finanziellen Kapitals für die kapitalistische Ökonomie” in Frankfurt gehalten, die vom Laika Verlag, Harp und NON organisiert wurde. Der Beitrag fasst Teile des neu erscheinen Buches “Non-Marxismus. Finance. Maschinen, Dividuuum” zusammen. Der Beitrag von Frank Engster erscheint in den nächsten Tagen auf NON.

Engsters Beitrag hier

Kapital ist ein sozio-ökonomisches Verhältnis, das durch das Profitmotiv angetrieben wird. Eine große Bandbreite von ökonomischen Phänomenen wird durch ein kleines Set von operativen Prinzipien bestimmt, wobei aktuelle Ereignisse um die je sich schon bewegenden Zentren der Gravitation kreisen. Man könnte dies den systemischen Modus einer turbulenten Regulation nennen.

Zur Erklärung des Kapitals ziehen wir den französischen Philosophen Francois Laruelle heran. Er geht, wenn er von unilateraler Dualität spricht, davon aus, dass zwei oder mehrere Terme immer durch den ersten Term determiniert werden. Das ist das Prinzip der Idempotenz: 1+1=1. Der zweite Term und die Relation zwischen dem ersten und dem zweiten Term sind dem ersten Term immanent. Der zweite Term ist der Klon des ersten Terms. Für eine begriffliche Bestimmung des Kapitals könnte dies heißen, es selbst als eine unilaterale „Logik” zu begreifen, bei der die Terme Kapital und Arbeit nicht durch einen dritten Term (abstrakte Arbeit) vereinheitlicht, sondern durch den ersten Term (Gesamtkapital) determiniert werden (außer die Klassenkämpfe übernehmen die Determination). Jegliche Terme (der zweite Term steht für Ware, Geld, Produktion, Arbeitskraft etc.) und der Kapitalkreislauf (Geld-Ware-Produktion-Ware-Geld`), der das Einzelkapital betrifft, sind dem ersten Term (dem Kapital als Gesamtkapital) immanent. Das Kapital ist nicht als ein positiver Wert zu verstehen, sondern als ein Prozess, wobei das Negative – Schulden – als positive Bedingung für die kapitalistische Produktion aufzufassen sind; Kapital bzw. Kapitalisierung sind Schuldenproduktion sui generis. Man müsste das erste G des Kreislaufs G-W-G` noch weiter differenzieren. Der Ort des Kapitals, mit dem jeder Kreislauf beginnt, ist doppelt besetzt. Und zwar von einem Geldkapitalisten und einem industriellen Kapitalisten, wobei heute bei großen Aktiengesellschaften die industriellen Kapitalisten zugleich Halter des fiktiven Kapitals und damit finanzielle Kapitalisten sind.

Weil dem Kapital die Kapazität eigen ist, sich im Prozess als Selbstzweck zu setzen, ist es maßlos. Die berühmte Formel G-W-G` bedeutet, dass der Surplus als Quantität in die tautologische Kette G-G injiziert wird. Auf dem Bindestrich zwischen G und G’ muss eine Vermittlung stattfinden, dies sich für Marx als die Differenz zwischen dem Tauschwert und dem Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft erweist, womit am Ende der Vermittlung dann tatsächlich, wie in der Formel G-G’ angeschrieben, mehr Geld als am Anfang steht. Mit dem Begriff des Gesamtkapitals ist die Maßlosigkeit des Kapitals aber an die Leine gelegt. Quasi-Transzendentalität des Kapitals (Kapital als Gesamtkomplexion) bedeutet, dass die Unternehmen je schon der Vermehrungslogik des Kapitals, die über die Konkurrenz unerbittliche Bedingungen setzt, unterworfen sind. Als Gesamtzusammenhang setzt das Gesamtkapital diese Wirkung und ist zugleich das Resultat von Wirkungen (der Beziehungen der Einzelkapitale aufeinander, die alle einer monokausalen Profitlogik folgen), und deshalb sprechen wir hier nur von Quasi-Transzendentalität.

Der Begriff des Kapitals beinhaltet Setzung (Determination und Superposition/Überlagerung von Kapital, Geldkapital und Geld) Wiederholung (Idempotenz und Virtualisierung-Aktualisierung) und quantitative Differenz (Mehr). Diese Begriffe sind wiederum überlagert. Die Setzung impliziert die Zerstörung jedes fixen Resultats qua potenziell zirkulierender Struktur (Virtualisierung) und Wiederholung qua potenziell fixierbarer Zirkulation (Aktualisierung). Setzung und Virtualisierung-Aktualisierung-Verschaltungen sind per se an das Ziel der Erzielung des Mehr gebunden. Eine seltsame Art der Un-Gleichung, die hier jenseits einer bloß bürgerlichen Verteilung des Mehrprodukts stattfindet. Entgegen der Äquivalenz des Tauschs ist das abstrakte Mehr als jene entscheidende Instanz des Kapitals zu verstehen, als jenes verschobene Signifikat, das sich in den repräsentierenden Signifikanten des Geldes anzeigt. Der Begriff »Geldmehrwert« bedingt hier sui generis den (bürgerlichen) Mehrwertbegriff, insofern jener sich komplett vom Inhalt emanzipiert hat, und dieser Sachverhalt impliziert als rein formeller Gleitprozess den systemischen »Mangel«, den »Mangel« an Mehr oder die berühmte Maßlosigkeit des Kapitals, wobei diese als Vorgriff auf das Mehr den Mangel dominiert und nicht umgekehrt, sodass jede lacanistische Position des Mangels hier ausgeschlossen bleibt. Entgegen der ausschließlichen Fundierung des Mehrwerts in der lebendigen Arbeitskraft gehen wir zudem von der Möglichkeit eines maschinellen, eines algorithmischen und generell eines Mehrwerts aus, der durch die Exploitation von Differenzen entsteht.

Marx geht im Kapital Bd. 2 von drei Kreisläufen des industriellen Kapitals aus: Geldkapital, produktives Kapital und Warenkapital, wobei der Kreislauf des Geldkapitals GW … P … W’ – Gdie Kreislaufbewegung des Kapitals umfassend repräsentiert. Die Formel der Geldkapitalzirkulation ist hier der primäre Mechanismus der Kapitalökonomie, der die Warenproduktion als Produktion-für-den-Profit und als Produktion-für-die-Zirkulation konstant begleitet. Geldkapital ist der Motor für industrielle/kommerzielle Unternehmen, die Waren (Produktionsmittel, Gebäude, Energie, Rohstoffe, Software etc.) kaufen und Arbeitskräfte mieten, um Produkte, die mit Mehrwert angereichert sind, zu produzieren und zu realisieren. Maschinerie, Energie, Produkt oder Produktionsprozess sind eben kein Kapital.

Es ist von einer virtuellen Gleichzeitigkeit oder Überlagerung/Superposition von Geld, Kapital und Geldkapital auszugehen, und dies bezogen auf das Apriori des Gesamtkapitals. Auch bei den Geldfunktionen ist die Überlagerung/Superposition schon vorzufinden, sie überlagern sich und sind mit der Vermehrung des Kapitals verschränkt. Frank Engster schreibt: „Geldfunktionen werden im Kapital zwar linear entwickelt, aber die erste Geldfunktion (Maß) tritt durch seine zweite als Tauschmittel ein, und beide werden gleichsam übergriffen von der Kapitalbewegung G-W-G’ und sind in ihr inbegriffen.” Die Einschränkung, die Marx machen muss, wenn er linear schreibt, zu bedenken, heißt dann, Gleichzeitigkeit immer mit zu denken oder die drei Bände des Kapital quasi von hinten her zu lesen und eben nicht ausgehend von der Warenform oder dem Geld, sondern vom Gesamtkapital, dem Gesamtprozess der Reproduktion des Kapitals. Die Einzelkapitale müssen nachvollziehen, was objektiv von vornherein gegeben ist, ihre allseitige Vernetztheit, gegenseitige Abhängigkeit und damit den umfassenden Verkettungszusammenhang.

Es besteht eine grundsätzliche Identität zwischen finanziellem Kapital und “Realkapital”, die in der Vergrößerung des Geldkapitals und der Kapitalmacht besteht, und dies führt zur Subsumtion aller Prozesse unter die Kapitalisierung des Geldkapitals. Damit ist die Konkurrenz zwischen den beiden Bereichen aber längst nicht verschwunden: Während der “Realsektor” den Kapitalmarkt für seine Konkurrenzfähigkeit nutzt, “reguliert” das finanzielle Kapital (non-lineare Systeme, die kriseananfällig, aber zugleich robust sind) die Konkurrenzstrategien der “Realökonomie”. So wird die gegenseitige Abhängigkeit und Konkurrenz in die Bewertung und den Vergleich alternativer Geldanlagen und den daraus folgenden Käufen und Verkäufen überführt.

Nächster Schritt. Auch das Geldkapital, der Kredit und das finanzielle System (Banken, Geld- und Kapitalmärkte) überlagern sich. Das finanzielle Kapital ist sui generis Geldkapital und es verkörpert eine Fraktion des gesamten Kapitals. Innerhalb des Kapitals als Gesamtkomplexion ist das finanzielle Kapital dominierend gegenüber der „Realökonomie“. Dies heißt aber auch, dass der von ganzen Reihe von marxistischen Theoretikern vorgebrachte Vorwurf, man würde hier von einer Verselbständigung des finanziellen Kapitals ausgehen, nicht trifft, vielmehr beschreiben wir eine spezifische Weise der Verschränkung (und Entkopplung) von sog. Realökonomie und finanziellem Kapital. Die Untersuchung solcher Faktoren wie Wirkungsgrad, Profitabilität, Kapitalgröße, Produktivität, Globalisierung, Geldschöpfung durch private Banken, Handel von Staatsanleihen und Vernetzungsgrad ist entscheidend, um die Determinationskraft des finanziellen Kapitals genauer bestimmen zu können (empirische Analysen sind erst noch zu leisten).

Dabei ist die Analyse des finanziellen Systems nicht die eines verselbständigten finanziellen Sektors oder eines spezifischen Typus von Institution, sondern sie hat davon auszugehen, dass ausnahmslos alle kapitalistischen Unternehmen wichtige finanzielle Operationen durchführen. Die Metapher „zentrales Nervensystem des Kapitals“, die Tony Norfield in seinem Buch „The City“ verwendet, trifft es gut. Wenn das Kapital der Motor des atmenden Monsters namens Gesamtkapital ist, dann ist das finanzielle System dessen Zentralnervensystem. Das finanzielle System exekutiert die “Koordination” und “Regulation” der Einzelkapitale, denen das Apriori des Gesamtkapitals vorausgesetzt ist, das sich über die reale Konkurrenz der Einzelkapitale, die für Marx kein Ballett, sondern ein Krieg ist, aktualisiert. Es korrigiert (qua permanenter abduktiver Anpassung an ökonomische Un-Ordnung) die Konkurrenz und entfacht sie neu. Das finanzielle System ist ein integraler Teil der Kapital-Ökonomie, kein Krebsgeschwür, das ein Arzt entfernt, um dem Kapitalkörper wieder zu Gesundheit zu verhelfen. Moderne Finance ist ein dem Kapital immanenter Prozess, der die kapitalistischen Machtbeziehungen sichert. Die Wertermittlung, die über die Finanzmärkte verläuft, besitzt wichtige Konsequenzen für die Organisation der kapitalistischen Machtbeziehungen und stärkt die Implementation der dominanten Tendenzen des Kapitals innerhalb einer historischen Konjunktur. Dieser marxistischen Position steht eine bis auf Ricardo zurückreichende Interpretation entgegen, die sich über Veblen, Hilferding und Keynes bis hin zu den heute heterodox genannten Positionen des Postkeynesianismus, des Akzelerationismus, des Postmarxismus (Negri/Hardt, Zizek, Lapavitsas etc.) und solchen Positionen wie der von Bichler/Nitzan fortsetzt: Die Macht des Kapitals wird aus den Eigentumsbeziehungen abgeleitet, der Profit des Kapitals erscheint als eine absolute Rente (der Speech vom Finanzfeudalismus), die Finance erscheint als eine Sabotage der industriellen Produktion, die hauptsächlich von Technikern und Arbeitern gestaltet wird, und basiert auf einem System der Beobachtung zweiter Ordnung (Luhmann, Esposito). Der Aufstieg der Finance wird hauptsächlich als unrealistisch, hypertroph und dysfunktional begriffen, als das wahre Zerrbild von einem idealen Kapitalismus.

Ohne das finanzielle Kapital ist der moderne Kapitalismus tot (Allerdings sollt man Organismus und Ökonomie nicht gleichsetzen, vielmehr ist von hier einem vollen, nichtorganischen Kapitalkörper auszugehen.) Für Norfield sind die Operationen des Finanzsystems nicht auf die Banken und andere Finanzinstitutionen begrenzt, sie betreffen das gesamte kapitalistische System. Die industriellen und kommerziellen Unternehmen führen selbst eine Vielzahl von finanziellen Transaktionen durch. Die Finanzierung der kapitalistischen Produktion und Zirkulation ist sui generis die der Reproduktion des Kapitals auf erweiterter Stufenleiter. Unternehmen benutzen die Banken, um an die Währung zu gelangen, die sie benötigen, um Importe zu kaufen, oder um die Gewinne, die aus Exportgeschäften stammen, in die einheimische Währung zu tauschen. Sie leihen sich kurzfristig von den Banken Kredite, um ihren Cashflow zu sichern, oder sie leihen längerfristige Kredite, um ihre Investments zu finanzieren. Sie geben Anleihen oder Aktien an den Finanzmärkten aus, um sich Geld von Investoren zu verschaffen. Sie benutzen Derivate, um sich gegen ungünstige Bewegungen der Zinsraten, die ihre Profitabilität einschränken, abzusichern.

Zum Kredit. Das zinstragende Kapital ist Teil des modernen Kreditsystems, sein Kreislauf lässt sich als G-G` anschreiben. Hier wird das Geld nicht gegen andere Formen des Geldes oder Waren getauscht, sondern es wird etwa Geldkapital (sieht man bspw. von Konsumentenkrediten ab), indem vom Gläubiger eine Geldsumme gegen Sicherheiten an einen Schuldner verliehen und dann von diesem zuzüglich der Zahlung von Zinsen getilgt wird, zum möglichen Kapital. Die Voraussetzung des Kredits ist die Existenz von Eigentum, bezogen auf das Geld des Gläubigers und auf die Sicherheiten, die der Schuldner hinterlegen muss. Eigentum kann verliehen, verpfändet und belastet werden. Es gilt allerdings sofort anzumerken, dass heute die großen institutionellen Kreditgeber, die Banken, eher fremdes als eigenes Geld verleihen, aber in erster Linie wird hier Geld durch den Kredit selbst geschaffen (Giralgeld).

Eine wichtige Anwendung des modernen Kredits ist ein Vorschuss eines Eigentümers an Geldkapital (oder im Fall der Banken der Nicht-Eigentümer von Geldkapital) an einen fungierenden/industriellen Kapitalisten, der das Geldkapital verwendet, um einen profitbringenden Produktionsprozess zu finanzieren. (Der Kredit kann auch für den Kauf von Aktien, den Ankauf von Staats- oder Unternehmensanleihen oder für den Konsum benutzt werden.) Wird Geldkapital an ein industrielles Unternehmen verliehen, so verdoppelt sich das Kapital einerseits in einen Eigentumstitel und andererseits in investives Kapital, wobei diese Verdopplung auf ein singuläres Kapital bezogen bleibt. Durch das Ereignis der Kreditrelation hat sich also eine Geldsumme (mit dem Potenzial zum Mehr) für ein gegebenes zeitliches Intervall verdoppelt, denn einerseits kann die geliehene Geldsumme, wenn sie vom Kreditnehmer zur Erweiterung von Produktionsprozessen eingesetzt wird, neue Kapitalmetamorphosen in Gang setzen, andererseits kann auch der Kreditgeber sein Geldkapital als kommenden Surplus betrachten, da er, wie schließlich im Kreditvertrag fixiert, auf das verliehene Geldkapital die Rückzahlung der vereinbarten Kreditsumme plus deren Verzinsung erhält. Die Funktionen des Kredits: Umlaufgeschwindigkeit des Kapitals zu erhöhen, Herstellung der Durchschnittsprofitraten, Geldkapital in ausreichender Höhe bereitstellen etc.

Zum fiktiven Kapital: Für Marx handelt es sich beim fiktiven Kapital um Aktien und Unternehmens- und Staatsanleihen, deren Kauf den Rechtsanspruch auf Teilhabe an zukünftigen Einkommensströmen in Form von Zinsen (Anleihen) oder Dividenden (Aktien) inkludiert. Das fiktive Kapital stellt somit einen Anspruch auf eine Geldsumme dar, die als zukünftige Vermehrung realisiert werden soll. Niedrige Marktzinsen werden die Preise der Wertpapiere ansteigen lassen, und umgekehrt. Zinsrate und Preis der Wertpapiere verhalten sich invers zueinander. Interessant ist in diesem Zusammenhang der gegenwärtige Trend zu Negativzinsen, die die Kurse und Preise von Aktien, Anleihen und Immobilien erhöhen. Während einkommensschwache Bevölkerungsteile ihre Ersparnisse als Bankguthaben halten und von Negativzinsen nachteilig betroffen sind, profitieren diejenigen, die ihre Vermögen in Aktien, Immobilien und Anleihen halten, von ihnen. Mit der Existenz von fiktivem Kapital wird zwar im Marx’schen Sinne in actu kein Wert generiert, dennoch handelt es sich um real existierendes Geldkapital, und dies im Vorgriff auf einen in der Zukunft noch zu generierenden Wert. Es findet durchaus auch eine Aktualisierung des virtuellen Werts statt, insofern fiktives Kapital reale Ansprüche auf zukünftiges Vermögen jetzt schon darstellt.

Der Preis des Wertpapiers ist nicht ausschließlich vom Einverständnis des Käufers und Verkäufers abhängig, sondern es gehen eine ganze Reihe weiterer ökonomischer Faktoren wie Konjunkturzyklen, Zinsraten und Bewegungsformen der differenziellen Kapitalakkumulation in seine Bestimmung ein. David Harvey verwendet an dieser Stelle den Begriff der Kapitalisierung, der für ihn den formellen Prozess der Bildung von fiktivem Kapital bezeichnet, bei dem bestimmten Einkommensströmen, die aus den Vermögen an Boden, Immobilien, Anleihen oder Aktien stammen, »fiktive« Kapitalwerte zugeordnet werden, deren Festsetzung neben den Erwartungen der Käufer und Verkäufer auf zukünftige Renditen von den marktüblichen Diskont- und Zinssätzen abhängig ist, die gewöhnlich aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage an Geld- und Kapitalmärkten entstehen (und natürlich wieder auf die Erwartungen einwirken). Das Wertpapier ist also ein Eigentumstitel, der eine Summe Geldkapital repräsentiert, das getrennt von der Vermehrung des industriellen Kapitals existiert. Das Risiko, ob Geld sich zukünftig als Geldkapital bewährt, ist, anders als beim Kredit, in das Wertpapier diirekt hinein verlagert. Wie der Kredit impliziert das Wertpapier für einen befristetem Zeitraum eine doppelte Vermehrung. Dies geschieht konkret, wenn ein Geldeigentümer Aktien oder Anleihen kauft, und dies mit dem Ziel, aus seinem Geld ein Mehr zu machen. Ganz entgegen dem Kauf von Waren der industriellen Produktion, die entweder der Konsumtion oder der industriellen Vernutzung dienen, impliziert der Kauf eines Wertpapiers die spezifische Nutzung des Gebrauchswerts des fiktiven Kapitals, um damit in Zukunft Renditen zu generieren, während der Verkäufer der Aktie, Anleihe etc. von der Kapitalisierung des Geldkapitals keinesfalls ausgeschlossen bleibt, denn die Emittenten von Aktien oder Anleihen verfügen real über das Geld, das ihnen der Verkauf des Eigentumstitels einbringt und das sie daraufhin für profitbringende Produktionsprozesse einsetzen können.

Kommen wir zu den Derivaten. Die Standardauffassung der Finanzökonomie definiert den Derivatvertrag als ein Asset (Vermögenswert oder spekulatives »Investment«), dessen Wert von etwas anderem, das als Basiswert oder Underlying bezeichnet wird, abhängig ist, wobei mit dem möglichen zukünftigen Wert des Underlyings spekuliert wird. (Vgl. Esposito 2010: 152f.) Das ist aber nur insoweit wahr, als auch die Prinzipien der euklidischen Geometrie nicht immer falsch, aber eben nur manchmal wahr sind. Es wird nämlich auch mit dem zukünftigen Wert des Assets selbst spekuliert.

Der Future-Kontrakt ist eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien, die darin besteht, eine bestimmte Menge eines Gegenstandes/Ware/Index zu einem zukünftigen Zeitpunkt und zu einem im Vertrag bestimmten Preis, der sowohl vom aktuellen als auch vom zukünftigen Marktpreis des entsprechenden Gegenstandes differiert, zu kaufen oder verkaufen. Steigt der Marktpreis des Gegenstandes über den im Vertrag vereinbarten Preis, so erzielt der Käufer einen Gewinn, umgekehrt umgekehrt. Optionen sind Derivatverträge, die das Recht beinhalten, Underlyings bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (Fälligkeit) zu einem festgelegten Preis zu kaufen (call) oder zu verkaufen (put), ohne dass man die Option auszuführen braucht. Was mit solch einfachen Derivaten gehandelt wird, das ist nicht nur eine zu kalkulierende Zukunft, sondern ein Risiko, das in der Spanne oder der Differenz zwischen dem strike price (im Vertrag festgelegten Preis) und dem spot price (Marktpreis) insistiert.

Der CDS ist eine Versicherung, die sich in folgenden Punkten von einer gewöhnlichen Versicherung unterscheidet: 1) Der Verkäufer des CDS hält die Risiken eines Kreditausfalls, ohne den Kredit selbst zu halten. 2) Er kann die Versicherung weiterverkaufen und muss deshalb diejenigen Kapitalreserven, die den Ausfall des Käufers kompensieren, nicht besitzen. 3) Der Käufer des CDS muss nicht der Eigentümer des unterliegenden Kredits sein oder auch nur ein Interesse an ihm haben. Hier handelt es sich um den »Naked CDS«, wobei Käufer und Verkäufer den Swap um einen Referenzbond herum konstruieren, der von keiner der beiden Parteien gehalten wird, um gerade auf dessen Verlauf und Funktionsfähigkeit zu spekulieren. Mit den CDS-Versicherungen werden einerseits die Preise der Referenzkredite manipuliert (steigende Nachfrage nach CDS führt zu höheren Gebühren und damit zu höheren Zinsen der Referenzkredite (Staatsanleihen), mit denen auch die CDS-Kosten gedeckt werden müssen), andererseits werden die Ereignisse, die monetäre Katastrophen wie Insolvenzen zunächst nur bedeuten, aufgeschoben. Es fragt sich, wer bei einer Insolvenz dann die Verluste trägt – es sind meist diejenigen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine hohe Nachfrage nach Wertpapieren sorgen und am Ende des sich immer schneller beschleunigenden Booms den Absprung verpassen und auf ihren im Preis dramatisch gefallenen Wertpapieren sitzen bleiben, während die dominanten Investoren, die mit ihren Anleihekäufen den Boom erst initiiert haben, zum »richtigen« Zeitpunkt vor der sich abzeichnenden Katastrophe schon ausgestiegen sind.

Es gibt bei Derivaten eine dreifache Kontingenz zu vermelden: Derivatvertrag (Kontingenz, die schon mit dem Schreibakt entstheht und die Variation des Underlyings), Variabilität der derivativen Preisgestaltung (Kontingenz der Revision, die Preisbewegung unterliegt einer ständigen Neubewertung, die von den Bewegungen der Preise der Derivate und der Basiswerte abhängig ist) und zukünftige absolute Volatilität der Preisbildung (thetische Kontingenz). Letzeres bedeutet, das die Bewertung je schon anders sein könnte. Wenn gegenwärtige Zukunft, die dasjenige ausdrückt, was man von der Zukunft erwartet, und künftige Gegenwart, die jene Zukunft bezeichnet, die tatsächlich eintritt, eben nicht deckungsgleich sind, dann wird im Zuge des Einsatzes von mathematischen Kalkulationsverfahren immer eine künftige Gegenwart realisiert, mit der sich der Unterschied zu jener Zukunft aktualisiert, die man erwartet und hat und deren Potenziale man unter Umständen auch genutzt hat. Allerdings sollte diese Erkenntnis nicht zu einer Feier der Kontingenz führen, denn als eine höhere Form der Komplexität erhöht sie die Anpassungsfähigkeit des Systems,  um unvorhergesehene Ereignisse zu verarbeiten und Krisen zu vermeiden. Dies im Sinn einer Resilienz, einer Absorption von Störungen (durch den Einsatz der Stochastik und Algorithmen), ohne diese Störungen und Krisen aber je verhindern zu können.

Das synthetische CDO (Verbriefung von Krediten, Wertpapieren, Darlehen) besitzt das Potenzial zur Aggregation eines heterogenen Sets von Papieren, das aus verschiedenen Geldströmen und Risiken besteht, in einen homogenen Pool, der als ein einziger Geldstrom und als ein singuläres Risiko fungiert. Daraufhin lässt sich der homogene Pool wiederum in verschiedene Klassen von Risiken und Geldströmen aufteilen. Im Prozess der Verbriefung von Krediten und Wertpapieren findet also eine radikale Transformation statt, insoweit ein Wertpapier aus verschiedenen Risiken zusammengesetzt wird (Kredite, Optionen, Futures) und dann wieder geteilt werden kann und im Prozess der Teilung seine ökonomische Qualität verändert.

Wir können dieses in den Derivaten verkörperte abstrakte Risiko als ein singuläres Risiko auffassen, insofern man es unter dem Gesichtspunkt des objektiven Vergleichs von konkreten Risiken (Zinsraten-, Ausfall-, Kreditrisiken), die eben alle subjektiven Bewertungen unterliegen, betrachtet, wobei das Derivat je schon in Geld realisiert wird. Das Derivat besitzt eine wichtige Funktion innerhalb der erweiterten Reproduktion des Kapitals; sichert diese als Machttechnologie, indem man an den Finanzmärkten Unternehmen, Staaten und Privatpersonen permanent bewertet und evaluiert. CDS dienen nicht nicht der Absicherung gegen Ungewissheit, sondern eben auch der Bewertung.

Die Doppeldeutigkeit der Derivate besteht genau darin, Prozesse der Normalisierung und Maßregelung der Unternehmen zu organisieren und zugleich als spekulatives Geldkapital zu fungieren. Dabei gilt es stets zu berücksichtigen, dass der „Wert“ einer finanziellen Anlage (Wert des Geldkapitals) dem kapitalistischen Produktionsprozess nicht nachgeordnet ist, sondern ihm vorausgeht (logisch), i.e. er existiert nicht, weil entweder Mehrwert produziert oder eine andere Art des Einkommens oder des Vermögen an den Märkten realisiert wurde, sondern weil das finanzielle Kapital bis zu einem gewissem Grad zuversichtlich ist, dass die Realisierung von Renditen im Rahmen der Produktion/Zirkulation von Kapital in der Zukunft stattfinden und sich nach den Maßstäben der erweiterten Reproduktion des Kapitals auch wiederholen wird.

Nun zur Frage der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken: Für ihre Kreditvergabe benötigen die Banken Ersparnisse der Kunden nicht unbedingt. Die „Produktivität“ der Banken besteht vielmehr in der Bewirtschaftung von Zahlungsversprechen, u.a. dem Schöpfen von Krediten.

Wenn eine Geschäftsbank entscheidet, dass ein Kunde kreditwürdig ist (Sicherheiten), gibt sie ihm einen Kredit, dessen Betrag auf dessen Konto gutgeschrieben wird. Wenn die Gutschrift auf dem Konto erfolgt, erhöht sich die Geldmenge, die heute zu einem hohen Anteil aus Einlagen auf Bankkonten besteht. Diese Einlagen nennt man Giralgeld, das als Zahl auf einem Konto geschrieben steht und mit dem zumeist elektronische Zahlungen abgewickelt werden. Auf der Passivseite der Bankenbilanz erscheint die Verbindlichkeit als Einlage aus Kreditvergabe, während auf der Aktivseite die Bilanzsumme um einen Betrag gestiegen ist, der in etwa dem Kredit entspricht (minus Reserven). Im Fachjargon heißt dies „Bilanzverlängerung“. Dabei wird die Verbindlichkeit der Bank durch keine Zahlung ausgeglichen und es wird damit auch keines ihrer Konten um einen Geldbetrag verringert. Die Verbindlichkeit taucht in der Bilanz der Bank schlichtweg als „Kundenguthaben“ auf. Giralgeldschöpfung bedeutet auch, dass die Grenzen der Kreditvergabe zunächst im Risikomanagement der Bank liegen.

Durch geldschöpfende Schreibvorgänge entsteht das Giralgeld auf der Ebene der Kunden, aber es kommt dabei immer zu Zahlungsströmen zwischen den Banken, die auf Interbankkonten gemessen werden. Wenn die Praxis der Kreditvergaben zwischen den Banken stark abweicht, bspw. bei einer Bank mehr Forderungen gegenüber Kunden entstehen als bei einer anderen Bank, dann kommt es zwischen den Banken zu ungleichen Zahlungsströmen, die die Interbank-Kreditkonten beeinflussen und damit auch die jeweiligen Gewinne der Banken. Jede Bank hat pro Tag eine Vielzahl von Zahlungseingängen und Zahlungsausgängen zu verzeichnen, die auf Interbank-Kreditkonten verrechnet werden, wobei sich die Differenzen in der Regel innerhalb weniger Tage wieder ausgleichen. Bei andauernden Zahlungsdifferenzen sind die Banken selbst dazu verpflichtet, die unterschiedlichen Beträge auszugleichen. Damit kommt ein neuer Kontentyp ins Spiel, das Zentralbankkonto. Jede Geschäftsbank ist verpflichtet, ein solches Konto bei der Zentralbank des jeweiligen Landes zu halten und dieses muss Gutschriften (Zentralbankgeld/Geldmenge M0) in bestimmter Höhe aufweisen. Gutschriften erhalten die Geschäftsbanken von der Zentralbank über die Einreichung von Wertpapieren und Krediten.

Wo liegen bei der Schöpfung von Giralgeld (und der Realisierung von Gewinnen) die Grenzen? Die erste Grenze besteht darin, dass die Gewinne, die aus der Giralgeldschöpfung entstehen, nicht direkt bei der Ausgabe des Kredits realisiert werden; sie werden vielmehr über die Laufzeit des Kredits realisiert, wenn die Kreditnehmer regelmäßig Zinsen zahlen und schließlich den Kredit auch noch getilgt haben. Kann ein Kreditnehmer nicht mehr zahlen, kommt es zu Verlusten bei der kreditgebenden Bank. Weitere Grenzen: 1) Die je nach konjunkturellen Zyklen vorhandenen Mengen von potenziellen Kreditnehmern sowie das Volumen der verfügbaren Wertpapiere und Sachanlagen. 2) Zu hohe Differenzen in den Zahlungsströmen zwischen den Geschäftsbanken. Vergib eine Geschäftsbanken im Vergleich zu anderen Geschäftsbanken zu viele Kredite und/oder kauft Sachanlagen und Wertpapiere in zu hohen Summen, dann muss sie mit Schulden auf den Interbank-Kreditkonten rechnen, da es nun zu stärkeren Abflüssen von Zahlungen gegenüber den eingehenden Zahlungen kommt. 3) Die Größe einer Geschäftsbank und der entsprechende Grad ihrer nationalen und internationalen Vernetzung.

Man sieht hier schon, dass die Herstellung und die Realisierung von Profi bei den Banken ein gänzlich anderer als beim industriellen Kapital ist. (Kreation von Kredit, Wertpapier und Derivat im Vorgriff auf zukünftige Verwertung). Da die Banken zudem hauptsächlich mit Fremdkapital arbeiten, ist ihr Leverage wesentlich höher als bei den Unternehmen der anderen Sektoren. Leverage ist der Hebeleffekt, der anzeigt, in welcher Höhe das geliehene Geld das ursprüngliche Eigenkapital/Vermögen übersteigt (Verhältnis von aufgenommenen Kreditvolumen und Eigenkapital der Bank). Während er bei industriellen Unternehmen bei 1 liegt, liegt er bei Banken bei 20, kann aber bis zu 70 ansteigen. Die Bankenprofite gehen nicht in der Herstellung der industriellen Durchschnittsprofitrate ein, unterliegen aber dennoch Ausgleichsmechanismen, die durch die Konkurrenz vermittelt sind.

Es lässt sich nun folgende Frage stellen: Wenn die Produktion/Zirkulation eines physikalischen ökonomischen Objekts (klassische Waren wie Kleidung, Nahrungsmittel, Computer etc.) direkt durch einen Kredit affiziert wird und dieser sich wiederum durch den Preis eines Derivats massiv beeinflussen lässt, kann man dann wirklich die bisherige hierarchische Ordnung der Klassen von drei ökonomischen Objekten beibehalten, wobei man von den synthetischen Wertpapieren immer noch als rein abgeleiteten Papieren spricht, von Derivaten? Ein Tisch mag ja ein Ding zur Bereitstellung einer Mahlzeit sein, aber wenn Faktoren wie die Zinsraten auf Kredite des Tische produzierenden Unternehmens, Optionen und Versicherungen auf den Holzpreis und schließlich Währungsschwankungen mit den entsprechenden Faktoren in der Produktion übereinander geblendet sind, und dies im Kontext der Produktion weiterer Güter und Dienstleistungen, so wird doch über den äußerst bescheidenen Tisch (als physikalisches Objekt) ein globales Festgelage des monetären Kapitals platziert. Drei Objekte: Wir sollten davon ausgehen, dass die synthetischen finanziellen Assets eine höhere Wirkungsmächtigkeit gegenüber den klassischen Finanzinstrumenten (Kredit) sowie den klassischen Waren besitzen, weil die Größe (von ökonomischen Objekten) und die damit zusammenhängende Wirkungskraft je schon in Verbindung zum Vernetzungsgrad der ökonomischen Objekte steht.

Die globalen Finanzmärkte leisten heute einen sehr speziellen Beitrag zur Intensivierung der Konkurrenz und zur Mobilität der Einzelkapitale; sie beschleunigen damit die Tendenz zur Herstellung von Durchschnittsprofitraten. Diese Prozesse beinhalten die ständige Evaluation, Bewertung und Kalkulation der Einzelkapitale, während gleichzeitig immer mehr private Ersparnisse in Investitionen umgeleitet werden sollen. Die Finanzmärkte generieren eine instabile, eine multiple Struktur zur Kontrolle der Effektivität von Unternehmen, sie sind als eine Art flexibilisierende, kontrollierende, dezentralisierte Aufsicht über die Kapitalbewegungen zu verstehen wobei fast alle Unternehmen sich den Erfordernissen der Bewertung des finanziellen Kapitals anzupassen haben, von dem sie auf Dauer evaluiert und getestet werden. Gleichzeitig verbessert die Governance des finanziellen Kapitals die Verwertungsmöglichkeiten für die Unternehmen, was diese aktiv nutzen. Die Governance ist allerdings nicht im Sinne einer zentralen Planung zu verstehen, da einerseits das finanzielle Kapital selbst in verschiedene Fraktionen gesplittet ist und es anderseits in die zyklischen, konjunkturellen und krisenhaften Bewegungen der Kapitalakkumulation auf der Gesamtebene voll eingebunden bleibt. Im Gegensatz zu den Annahmen von Keynes ist es gerade der illiquide oder hochregulierte Markt, i. e. das Kapital, das an Fabriken und Maschinen gebunden bleibt, das der Effektivität des postmodernen fluiden Kapitals nicht nachkommen kann; das Kapital muss nicht notwendigerweise für einen längeren Zeitraum an einen partikularen Einsatz gebunden sein, es kann ständig seine Geldform zurückgewinnen und nach besseren Verwertungsmöglichkeiten Ausschau halten. Gleichzeitig steht die molekulare Bewertung der Unternehmen während eines Zyklus nun im Vordergrund (im Vergleich zur Vergabe von Krediten), es werden nun Teile und Attribute der Unternehmen skizziert, bewertet und schließlich ausgepreist. Innerbetriebliche Parameter wie die Individualisierung der Vergütungs- und Verteilungssysteme, Flexibilisierung der Arbeit, atypische Arbeitsverhältnisse, Effektivierung des in Maschinen und Arbeitskraft kondensierten Wissens, Outsourcing von Produktionsbereichen werden permanent neu justiert. So interessieren sich Hedgefonds weniger für den Kursverlauf einer Aktie, sondern sie zerlegen die Unternehmen in verschiedene Teile und untersuchen dann ganz spezifische Aspekte, z. B., in welchem Land das Unternehmen angesiedelt ist, ob es ein Technologieunternehmen ist, ob die Aktie des Unternehmens als Teil eines bestimmten Index gehandelt wird, etc.

Mit der Finanzialisierung findet heute eine Umkehrung der Zeitverhältnisse insofern statt, als die Zugriffe des fiktiven und spekulativen Kapitals auf die Zukunft der klassischen Verwertung des fungierenden Kapitals längst nicht mehr nachgelagert sind, vielmehr nimmt das fiktive und spekulative Kapital eine permanente Steuerung und Kontrolle der Verwertung des fungierenden Kapitals und der daraus resultierenden Forderungen vor, und dies mit Hilfe der Zirkulation des Geldkapitals an den Finanzmärkten selbst, wobei heute das ungedeckte finanzielle Kapital, das aus dem beständigen Zufluss weiteren fiktiven Kapitals an die Finanzmärkte resultiert, gegenüber dem gedeckten Geldkapital eindeutig die Vorherrschaft besitzt. Zwar findet weiterhin die Verwertung von toter und lebendiger Arbeitszeit in der »Realwirtschaft« statt, gleichzeitig erfolgt die Erweiterung der Kapitalakkumulation jedoch weniger durch die Verwertung des industriellen Kapitals, sondern persistiert durch den Vorgriff des Geldkapitals auf die Zukunft. Dabei absorbiert das Geldkapital durch die Antizipation und den Zugriff auf zukünftige Gewinne bestimmte Potenziale, die nach der Meinung der arbeitswertorientierten Marxisten erst noch durch (industrielle) Verwertung in Wert gesetzt oder zumindest durch Krisenprozesse reguliert werden müssten. Die durch das fiktive Kapital schon vorweggenommene, aber gewissermaßen noch unrealisierte Verwertung wirkt auf die Gegenwart zurück, während die Zukunft auszuweisen hat, was durch klassische Verwertungsprozess eingeholt werden muss: Lebendige wie tote Arbeitszeit bleiben gerade aufgrund der Kalkulation und Antizipation zukünftiger Gewinne durch das Geldkapital der Notwendigkeit ausgesetzt, die Verschuldung einholen zu müssen, um schließlich auch weiterhin fiktives Kapital in Wert setzen zu können. Beide Seiten der klassischen Verwertung, das fungierende Kapital als konstantes Kapital und als variables Kapital, mutieren damit zur abhängigen Variablen einer im fiktiven Kapital vorweggenommenen Zukunft. Die Antizipation bzw. der erwartete Gewinn (der diskontiert wird) erzeugen die finanziellen Mittel, mit denen man wiederum den Gewinn real erzeugt. So interagieren das fiktive und das industrielle Kapital, wobei beide Kapitalformen auf eine Verwertung drängen, die in Zukunft erst noch qua lebendiger Arbeitskraft in Wert zu setzen ist, womit genau derjenige Verwertungszwang wiederkehrt, der durch das fiktive Kapital beständig an- und aufgeschoben wird. Dabei gilt es erneut zu berücksichtigen, dass die Produktion des fiktiven Kapitals über die Ansprüche auf zukünftige Verwertung quasi schon vorentschieden hat, und dies durch die Aneignung einer Zukunft, die in all den Gestalten des fiktiven Kapitals und seinen Forderungen als Verschuldung gegenüber zukünftiger Verwertung gegenwärtig ist und gerade durch diese Unabgegoltenheit die Gegenwart kontrolliert.

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