David Foster Wallaces Unendlicher Spaß. Die berauschende Schönheit der Leere.

Wer in einer Verschließung bzw. Einschließung lebt, verzehrt den Vorrat und schmarotzt an dem, was die Schließung des Systems rechtfertigt. Es ist der fröhliche Parasit, der das System schließt und für den es geschlossen wird. Nun ist für Erdedy das Anlegen sowie der Verzehr der Vorräte längst kein Spaß mehr, deshalb muss er die letzte, genauer die vorletzte Erfahrung so unangenehm wie möglich machen, d.h., er muss sich durch Maßlosigkeit kurieren, ja von was kurieren?, von der Sucht muss er sich durch Maßlosigkeit kurieren, durch eine letzte strapaziöse Orgie, die die Verknotung von Wunschproduktion, die keinen Ausdruck findet, und die »Entfremdung« – zusammengehalten durch die Sucht – endgültig trennt. Durch die Supplementarität bzw. zwischen Impulsen und Sich-Gehen-Lassen angespannt, befindet sich Erdedy wie ein ausgeliefertes Insekt in einem Loch, und genau das ist sein Problem, von dem er eine dunkle Ahnung hat. In seinem Mehr-Genießen ist Erdedy in der Tat der Abhängige bzw. das Projekt des Konsums, ein wahrlich suizidärer Akt, in dem er als verantwortliches Subjekt verschwindet, wobei er wiederum dunkel ahnt, dass er nicht alleine ist, denn er sehnt ja z.B. die Frau herbei, die er nicht sehen will. Diese Möglichkeit, Dinge nach eigener Geschwindigkkeit zu verrichten bzw. Vorräte zu verzehren, wobei man weiß, dass die Autarkie nicht durchgehalten werden kann, trägt die ideologische Figur der Abhängigkeit, die doch scheinbar negiert wird. Es geht zudem um ständige Verschmutzungen, oder wie Serres sagt, wer den öffentlichen Raum mit Plakaten verschmutzt, storniert die Wahrnehmung der umliegenden Landschaft.

Die Zerstreuung ist eine Form der Langeweile, die sich, wird sie nicht ausgehalten, gegen sich selbst richtet, siehe wiederum Erdedy, dem die Ablenkung durch die Patrone nicht gelingt, weil er fürchtet, dass eine andere Patrone ein unterhaltsamerer Film sein könnte. Haben wir hier nicht erneut das Phänomen eines bestimmten Mehr-Genießens vor uns, und ist es nicht ein wenig wie beim Pornofilm: Denn keiner schaut sich ja mehrere Male den gleichen Porno an, wenn er das Eine sehen will, um das es geht, von dem er ausgeht, dass es das Eine ist, von dem er erregt werden will. Nie und nimmer kann man das Eine auf dieselbe Weise immer und immer wieder erleben, egal, welche Vorlieben man für das Eine hegt, welche Vorlieben es in einem erzeugt, nein, will man einen Porno sehen, muss man alle sehen, um die erste und eine Erregung zu wiederholen. Und ist Erdedy nicht in jenem Labyrinth gefangen, von dem Luhmann sagt, dass wir keine Theorie haben, um es zu erforschen, wie darin die Ratte läuft? Wir selbst sind die Ratten und können bestenfalls versuchen, im Labyrinth eine Position zu finden, die vergleichsweise gute Beobachtermöglichkeiten bietet. Ob wir mit Serres aus dieser Parasitenrolle jemals werden schlüpfen können?

Man exportiert/importiert weder den Furor noch die Depression, man ist immer mittendrin, auch, wenn man es sich nicht zugestehen mag. oderman betreibt schließlich eine Art Wellnessphilosophie, die weder gut- noch wehtut, und die keine Konzeptionen mehr kennt als die Ironie, von der Wallace einmal gesagt hat, dass sie das Lied eines Vogels sei, der seinen Käfig liebt. An Wallace zeigt sich auch, dass ein schöpferischer Prozess an einem bestimmten Punkt abbrechen, dass man von einer Fluchtlinie ins Abseits abdriften kann. Niemand hat das exakter beschrieben als Gilles Deleuze, dessen Studien zur melancholischen Kunst/Literatur eines Beckett, Kafka, Artaud, Bacon etc. eine genaue Kenntnis ihrer psychomotorischen bzw. psychosomatischen Entstehungsbedingungen zeigen. Bei Wallace ist das Phänomen des Autismus als Mediales genau in diesen Kontext eingebunden. Auch wenn alles mit allem kommuniziert, bleibt stets ein Grundrauschen präsent (als dessen Ausschluß sich jede gelungene Kommunikation konstituiert), das von den Kommunikationen überschwemmt werden soll und zu jenen Verkapselungen führt (jedem seine Kapsel, Baudrillard), die die Figuren in Prothesen von Bildschirmen und Spielen verwandeln. Im Gegensatz zur bloßen Unfähigkeit zu fühlen, wird das Gefühl bei bestimmten Protagonisten in US nicht sekundär, sondern hyperpräsent; für Kate Gompert ist die klinische Depression selbst ein Gefühl, das sie als »Es« kennt, dass es ihr »erlaubt«, eine mythische Einheit mit der Welt einzugehen. »Es« ist die Ein-Mann-Hölle. Nicht unwesentlich an solchen Fällen ist, dass das »Es« mit dem »Über-Ich» durch einen geheimen Kanal verbunden ist, wobei in exzesstoleranten Gesellschaften das »Über-Ich« dem Einzelnen die Pflicht auferlegt, als ein am Genuss partizipierendes Individuum eben das zu sein, das man ist. Die Aufforderung »sei, der du bist« erzeugt letztlich Einsamkeit in einem Ausmaß, das sich nicht mehr vermitteln lässt (US S.999). Ultimative Selbstransparenz kann weder die Neurobiologie noch die Genforschung herstellen, denn wie Lacan sagt, klebt das Reale immer an uns. Das Reale hat für Kate Gompert eine ganze andere Dimension als für unsere heutigen Lifestyle-Enjoyer. Für sie heißt Welt, nicht unähnlich der Hysterie, dass der eigene Körper mit Bildern überflutet wird, dass jedes Weltelement einem Zahn gleichkommt, der permanent zubeißt. Kate Gompert ist damit tatsächlich zum Realen durchgestoßen, und das ist die Hölle. Dagegen klingen heute die An- und Aufforderungen zur Herstellung von neobuddhistisch inspirierten transgressiven Erfahrungen wie die allerlächerlichsten und naivsten Appelle bloß nicht  zum Realen, sondern zur Wirklichkeit vorzustoßen. Das Dschungelcamp ist heute der Wellnesscenter par excellence, indem es dem modernen Leben, das zwischen aktiver Sterbehilfe und finalem Rettungsschuß, der paranoid lustvoll hinausgezögert will, oszilliert, den Exzess gibt, den es verdient. Wenn Freiheit heute im Dschungelcamp ihren gerechten Ausdruck findet, dann ist die menschliche Existenz nicht nur zur Nichtigkeit des Hobbys verurteilt, sondern sie hat  die Nichtigkeit noch auzustellen und zu verwerten. Der Mensch, das ist der allerletzte Reklameknüller.

Es bieten sich weitere Anschlüsse an die durchaus spannenden Seiten 1292- 1295 in US an. Die Horizontalität, in der sich Hal plötzlich befindet, ist das Resultat einer Panikattacke, bei der ihm offensichtlich die Deiche brechen und in der Konfusion eine potentiell positive Ladung (nichts konnte mich mehr umhauen) wohl die Intuition erzeugt, dass Hal so etwas wie das lebendige Fundament seiner eigenen Krise ist. Die panische Erfahrung der Welt ist bisweilen eine Technik, um das Risiko der Desintegration einzugehen, unter Berücksichtigung, dass nichts mehr zu erwarten, nichts mehr zu verlieren ist. Die besondere Sensibilität für Möglichkeiten des Zusammenbruchs und für die extreme Fragilität des Stehens und des Rennens, der Vertikalität selbst, impliziert in dieser Situation die Umkehrung der Flucht nach vorn oder des Fliehens in den Aktionismus,  nicht ganz wi sie die kybernetische Hypothese pflegt, die die Panik als Zustandsveränderung eines selbstregulierenden Systems versteht; hier wird vielmehr die Abweichung zu einer Verweigerung auf die maschinellen und menschlichen Feedbackschleifen zu reagieren: Ich lasse mich fallen, ich möchte lieber nicht, ich genieße meine Passivität/ Horizontalität gegen die Dispositive des Bildschirmraums. Ich verweigere mich jenem Aktivismus, der den lächerlichen mit Exkrementen und Fleisch gefüllten Dispositiven nicht entkommt, der Technologie des Wahrsagen-Müssens (Hamlet) und der selbstprüfenden Kontrollarbeit. Der letzte Spasmus der prophylaktischen Fokussierung will heißen, dass die vorgetragenen Phantasmen als Abwehrfunktionen in einer Art Kurzschluss zur Abklemmung führen, deren Resultat Hal auf perverse Weise genießt. Weder 0 noch 1 liegt Hal zwischen dem absoluten Dritten und dem absoluten Nichts. Der Titel der Parodie der Alma Mater (hier durchaus im doppelten Sinn zu verstehen) verweist auf den normalen Irrsinn eines x-beliebigen Satzes eines systemischen Kybernetikers, in dem es heißt, dass es die Struktur selbst sei, die fortwährend neue Steuerungsprobleme aufwerfe und daher keineswegs primär Effizienzsicherung hervorbringe, wie eben umgekehrt die Effizienz das Sicherheitsbedürfnis erst erzeuge, welches die Kontinuität der Leistungsfähigkeit durch die Einrichtung bestimmter Denk- und Handlungsstrukturen zu garantieren versuche. Der natürliche Feind der Sensibilität ist die Effizienz, insbesondere die Effizienz, die sich mit einem Bedürfnis nach Sicherheit konstituiert. Hals Sensibilität stellt sich in ganz pragmatische Relationen, sein Sensibilitätsgrad ist abhängig davon, wie sehr er in einen Problemzusammenhang verstrickt ist oder sich verstricken lässt, wie sehr er in einem bloßen Funktionieren eines Handlungsablaufs absorbiert wird.

Die horizontale Begegnung Hals mit dem Bildschirmraum ist also ein dauerhafter Augenblick, in dem sich bestimmte Intensitäten zeigen (intensive Horizontalität), wobei der Raum ein Territorium ist, das sowohl die Macht als auch die Ohnmacht des Körpers aktualisiert und  sich in Intensitätsdifferenzen aktualisiert. Das Axiom, das hier aufscheint, ist, dass das Sichtbare als Sichtbares einem Horizont nur entspringen kann, wenn sich Nicht-Sichtbare zurückgezogen hat, damit Sichtbares überhaupt gegeben werden kann, oder, um es mit anderen Worten zu sagen, diese Begegnung verweist auf das Gebiet des Nicht-Gesagten, auf das Singuläre des Augenblicks, der als Element der Zeit zugleich aus ihrem Fluss herauspringt, und genau dies qualifiziert ihn als Singularität. Das Herausspringen und das nuncstans korrelieren natürlich miteinander, ansonsten könnte Hal als Effekt einer Panikattacke nicht in seinem kleinen Sarkophag liegen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Wallace durchaus weiß, dass die Neutralisierung jeder Intensität selber eine Intensivierung ist (intensive Horizontalität), was nichts anderes heißt, dass sich Hal im Moment einer anderen Pulsation als bisher überlässt, die als die Jahre der Vertikalität jegliches Atemholen verhindert haben. Für die anthropologische Genese der Vertikalität ist der Rhythmus, wie Canetti das vorschlägt, wahrscheinlich wichtiger als die Handlung des Stehens. »Der Rhythmus ist ursprünglich ein Rhythmus der Füße. Jeder Mensch geht, und da er auf zwei Beinen geht und mit seinen Füßen abwechselnd am Boden aufschlägt, ensteht, ob er es beabsichtigt oder nicht, ein rhythmisches Geräusch.« Jeder Körper nimmt, insofern er hinkt oder springt, unhaltbare Positionen ein bzw. bringt Rhythmen mit sich, die als Spuren nach Canetti angeblich den Ursprung der Schrift bilden. »Die Gleichwertigkeit der Teilnehmer verzweigt sich in der Gleichwertigkeit ihrer Glieder. Was immer an einem Menschen beweglich ist, gewinnt ein Eigenleben, jedes Bein, jeder Arm lebt wie für sich allein.« (Canetti) Inwiefern die Eroberung eines dissonanten Tempos im Tennisspiel bei Wallace über die Mathematik und/oder ein Sicheinlassen auf die Improvisation verläuft, wäre zu untersuchen. (US. S.1292)

Die Kehrseite des Phänomens der bedingungslosen Hingabe zeigt sich darin, dass die Menschen vor dem Sog einer gänzlichen Abwesenheit von Eigenschaften (bei einem gleichzeitigen Zuviel an Eigenschaften) bzw. einer grundlegenden Unbestimmtheit zurücksckrecken oder die Leere ihrer Umgebung und deren Lücken entweder in sich hineinziehen oder mit bestimmten Signifikanten besetzen: Gott, Staat, Topologie etc. Hal hat dafür schließlich nur die Bemerkung übrig: »Irgendwie war das nett.« Der Witz liegt hier tatsächlich darin, dass nicht nur der Verrückte verrückt ist, der glaubt, er sei ein König, sondern auch der König, der sich wirklich für einen König verhält, da er das kontingent-fiktive Spiel von Kennen und Verkennen nicht durchschaut, das ihm den Thron zuspricht ( vgl. Zizek). Ergo sind in diesem Panoptikum, in dem sich Hal befindet, so ziemlich alle verrückt, na ja, und nachdem Hal einige Szenarios durchgespielt hat und von einer zugleich Klarheit und Schatten erzeugenden Panikattacke durchgeschüttelt wurde, kann ihn zumindest beim Liegen nichts mehr umhauen. Der Bildschirmraum wie Hals innerer Wohnraum birgt gerade in diesem Moment das Gefühl, gefaltet zu sein, bevor er vielleicht von einem Fall in einen darunterliegenden dunklen Raum mitgerissen wird, als ob er fortwährend in sich selbst hineinstürzt und dabei nicht dichter zusammengesetzt wird, sondern nur noch zerbröckelt. Letztendlich ist seine »Innerlichkeit» allenfalls noch ein Schwellenraum, eine Schwelle und deren je möglichen Überschreitungen. (Hal ist irgendwo auch ein freier Geist, weil er ein leerer Geist ist). Das mit einem deutlichen Hang oder gar Drang zum Zaudern, wobei seine Gleichgültigkeit einer Gelöstheit entspricht, die den Geist trotz aller Wechselfälle und Widrigkeiten reglos bis zur Lähmung werden lässt. Diese Lähmung ist durchaus ein Leiden, das sich widersetzt, die Äußerung des Leidens zu unterlassen, was wiederum eine immer uneingeschränktere Kontrolle der Situation voraussetzt, die hier gelingt (die Klarheit der Aufmerksamkeit, die Essbarkeit der Welt) und zugleich misslingt (der Ekel vor der Essbarkeit).

Und zuletzt zum schwarzen Wunder des Interesses bzw. der Sucht (im Deutschen geht im übrigen Sucht zurück auf das althochdeutsche Wort Sud und später Seuche). Den Imperativ des Handels und des Überlassens oder Hingebens begleitet quasi wie ein Schatten das Zaudern als Schatten oder Anathema. Vielleicht ist die Gegenfigur zu jenen Personen, die ums Verrecken ihr Leben für etwas hingeben wollen, die Figur Ulrich aus Musils Mann ohne Eigenschaften, der nach Joseph Vogl im Widerstand gegen einen eindeutigen Willen, an eine Schwelle gerät, an der das Handeln wie das Unterlassen gleichermaßen schwierig wird, und vor die Wahl gestellt, exakt, vor die Wahl zwischen Wählen und Nicht-Wählen gestellt, bleibt Ulrich unklar und unentschieden. Die Aktionsallergie des Hal ist verbunden mit einer Art von literarischer Problematisierung, die ein Feld eröffnet, auf dem die phantastische Genauigkeit ( alles hatte zuviel Einzelbilder in der Sekunde) eine spezifische Wahrnehmung erzeugt, die unabgeschlossen und abschliessbar beibt, etwas, das in all seine Teile und Komponenten, in seine Umstände etc. auseinander gefaltet wird, flankiert von einem dunstigen Sehen, das Schwarz ergibt, wenn der Schatten gwinnt oder das Licht vergeht. Zumindest verliert sich das frei flottierende Trübsalblasen, nicht unverwandt zur acaedia, dem fieberhaften Müßiggang, bei dem sich eine innere Unruhe mit der Verfolgung bzw. Wahrnehmung verschiedenster Dinge ohne ernsthaften Sinn und Zweck verbindet und vielleicht sogar zu einer Hamletisierung der Welt führt, hier zu einer Krise, einem Sturz von Urteilsystemen, die sich, wie Vogl Musil resümiert hat, vielleicht folgendermaßen deuten lässt: »Mit ihr (der phantastischen Arbeit) betrachtet ist die Welt das, was eben nicht der Fall ist, sie offenbart ein Prinzip des fehlenden Grundes»

Die Textmaske Wallace zu seiner Lesbarkeit zu entstellen, d.h. zu zeigen, wie sie defiguriert werden kann, ist mühsam. Außer dem emotionalen Widerwillen, Wallace zu lesen, entspringt die enttäuschte Sehnsucht, dass es hier nicht zu lesen gibt, was man gerade lesen will, genau dem Nicht-Ertragen-Können, dass es auf dem Grund jedes Buches nichts zu lesen gibt. Die Frage jeder Lektüre ist auch hier, welche Wahlmöglichkeiten mir mit welcher Fähigkeit zur Selektivität der Lektüre zur Verfügung steht. Die Interpretation des Textes stellt im Blog Text gegen Text oder Buch gegen Buch und eben Glauben gegen Glauben, wo es doch so wenig um ein Mysterium oder um eine Verücktheit bei Wallace geht, indeed, will das Buch nicht gedeutet, nacherzählt und vielleicht sogar der Text nicht verschoben, sondern experimentell erprobt werden (Deleuze als Antwort auf den deutschen Schriftsteller).

Zugleich plädiere ich u.a. für eine »strukturale« Analyse:

a) Der Immanenzgrad der zwei Maschinen bei Wallace, b) die Segmentarität der Blöcke (die Raum- und Intensitätsmodelle von AA und Eschaton (Karte und real), c) die Deterritorialisierungsfähigkeit eines Agencements oder eben die Todeslinie dieses Agencements (Fernsehen, Patronen, etc ) – bei Wallace, zeitbedingt eine unfertige Medienanalyse, Medien, als das Dazwischen nur angedacht. Die disponiblen Mittel sind stets medial verwendbar, als machtwirksame und machtverteilende Gebrauchsvorschriften, als pragmatische, künstlerische und kommunikative Zugänge (siehe seine Beschreibung des Verhältnisses von Telefon und Videofon), d) die Selbstorganisationsfähigkeit des Textes, das spezifische eines Wallace, e) das leere Zentrum und die Frage der Peripherie… die Spinner am Rand der Wüste.

Ich habe bei den ersten Einlassungen auf dfw auf Michel Serres verwiesen, wobei Wallace in US in der Form der Fraktale denkt. Was passiert da, z.B. im Eschaton Spiel, an der Grenze zwischen Kartographie und den subjektiven Erfahrungswelten der Datierungen? Und was passiert, wenn man immer wieder festsitzt? Serres beschreibt das in Bezug auf die Nordwestpassage, wenn man dort gefangen sein kann. »Sie sitzen fest, zehn Minuten, zehn Stunden, vier Tage oder neun Monate. Die Zeit beginnt den Raum nachzuahmen, wie das Eis eben noch die Karte nachahmte. Karten übereinander getürmter, der Größenordnung verlustig gegangener Räume, auf denen die Komplikation als Zufallsvariation festgehalten ist.« Merkwürdig gefangen in etwas, was vom Verlauf her auch dem (fraktalen) Flug der Fliege ähnelt. Wo die Fachsprache der Philosophie an ihre Grenzen gerät, die Philosophie unter ihrer eigenen Überwachung nur noch weiß, dass die Literatur immer schon weiter ist, gilt es in der Tat eine Literatur zu schreiben, die unter einem anderen Typus von Überwachung bzw. der Entunterwerfung steht, und zugleich die Rolle der Übersetzungen und Transporte zwischen Philosophie und Literatur neu zu denken, die von seiten der Philosophie zweifelsohne dort liegen, wo sie Begriffspersonen schöpft. Auf Wallace bezogen heißt m.E. die Form des Fraktalen zu denken, wobei wie in den Kafka Schriften von Deleuze/Guattari die Unterscheidung von Form und Materie an die Stelle von Struktur und Sinn tritt, so dass Wallace Fraktale unendlich langer Wege erfindet, die allerdings hier zu keinem Ziel führen, Koch Kurven, Welten aus Lücken, voll von Leere und erfüllt von Lücken als den Bildern der reinen Differenzen, die seltsame Netze bahnen, in denen man festsitzt, Verzweigungen, die immer wieder gefrieren. Die Trassen, die Wallace schlägt, sind Präpositionen, die jeder Position, also auch der philosophischen vorgängig sind. Sie sind aleatorisch, unendlich in ihren Variationen, und Wallace versucht diesseits von Verrätselungen und Manierismen gleichzeitig etwas zu erschaffen, was der noveau roman in Ansätzen geschaffen hat, nämlich, eine Art kristalline Beschreibung, die den paradoxen Effekt zeitigt, die Kluft zwischen Sprachlichem und Nichtsprachlichem immer neu auszuloten, indem eine Sache möglichst detailliert, in all ihren Aspekten beschrieben wird, womit sowohl die Konturen des sprachlichen Verweisungszusammenhangs als auch die gegenständlichen Konturen ins Schlingern geraten. Wallace schreibt eben z.B. nicht Dreieck, sondern Sierpinski Dreieck, Schminkspiegel anstatt Spiegel etc. Er präzisiert ständig, und in Anlehnung an Michel Serres könnte man sagen, dass der durchschnittliche Leser sich nun darüber beklagt, dass er im Wörterbuch nachschlagen muss, doch der Mathematiker oder der Marketingexperte freut sich, dass man ihn respektiert (und nicht respektiert, da beginnt eben dann der Einsatz des Humors oder der Ironie). Wallace huldigt hier einer Vorliebe, die schon eine von Victor Hugo war: dem alten Wörterbuch eine Jakobinermütze aufsetzen.

Das sind eben nicht nur Verrätselungsverfahren, die der permanenten Variation dienen, sondern auch Enträtselungsverfahren; hier wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, ein lokales Vokabular zu entwickeln, um »möglichst nahe an das Biest heranzukommen.« Das mag beim Lesen wehtun, aber gleichzeitig entbergen sich hier doch Lernprozesse, wenn man sie denn beim Lesen mitmachen will, und ganz große Aha-Effekte. Der paradoxe Effekt einer solchen Beschreibung mag auch darin bestehen, den Gegenstand als dinglichen und sprachlichen zu erschaffen wie zu tilgen, das heißt, die unendliche Singularität der Dinge kann durch ein endliches sprachliches System, hier der Roman, nie materialiter abgebildet oder verdoppelt werden, ohne dass die gesamte Sprache als Bezugssystem herangezogen werden müsste und als Differenzsystem seine Funktion verlieren würde. In diesem Paradox hängt der Unendliche Spass, und was hier wie bei Kafka zählt, ist, dass der Roman der Wiederkehr des Realen und der Materie Rechnung trägt, indem er maschinelle Agencements fabriziert. Bei Wallace wie bei Kafka gibt es keine bloße Evidenz, sondern a) die Verrätselung der Verkehrs- und Staatssprachen (Wallace muss im Zuge der Komplexität der gegenwärtigen Diskurs- und Blickregime und der Figuren des leeren Sprechens einen entscheidenden Schritt weitergehen), b) die Konnektion individueller mit politischen Ereignissen, c) die Integration der individuellen Äußerungen in kollektive, technische Strategeme, psychatrische, athletische sowie Diskurse jeder Art. Das Ereignis in der Literatur hat immer im Zwischenraum von Transkription und den verschiedensten Verfahren der Demontage (das Groteske, Ironische, Humoreske etc) statt. Die Diagnostik all der diabolischen Mächte, die uns erwarten, die Deleuze/Guatarri Kafka zuschreiben, wäre an einer Wallace-Analyse neu zu explizieren. Auf eine reine Lehre kann dabei ohne weiteres geschissen werden.

»Am Anfang war das Tohawabu. Wir sagen heute: das Rauschen, das Hintergrundrauschen. Woher sollte denn auch das Wort kommen, wenn nicht vom Rauschen? Unsere Ahnen sagten: das Chaos. Sie waren in eine Welt hineingestellt – uns umgeben Ströme von Signalen. Jedem seine Unordnung, an den Grenzen jeglicher Ordnung. Aber der Unterschied ist nicht so groß, wie man meinen mag. Pantagruel hatte, wie wir und viele andere Seefahrer, die Inseln Tohu und Bowu passiert, bevor er sich in das wütende Treiben des Orkans stürzte. Man erleidet nicht alle Tage Schiffbruch. Und es kommt der Tag, da fährt das Schiff durch ein Meer unsinniger Stimmen.« (Michel Serres)) Das ist der Anfang bzw. die Ausgangsbedingung, an der die fließenden Ränder der Ordnung und der Unordnung entstehen, Grenzen, wo die Grenzen von Subjekt und Objekt an Bedeutung verlieren bzw. wo die Ordnung das Seltene und die Unordnung die Regel ist. Offensichtlich konnte Wallace diese Grenze nicht mehr aushalten. Vielleicht ist das Meer falscher Stimmen nicht das eines Sturmes oder eines Wolke, sondern das der Gesetze, der Regeln, der Ordnungen. Das eine kann in das andere wechseln, ohne Vermittlungen, und entsteht durch Übertragungen, Verteilungen und Simultaneität, wobei die Gleichzeitigkeit bzw. die reversible Zeit nicht reduzierbar auf den Raum ist, was weniger als eine Annäherung wäre. So wenig es leicht zu verstehen ist, dass wir in verschiedenen Zeiten leben – die reversible Zeit ist die Zeit der Ordnung, die irreversible die Zeit der Unordnung – so wenig ist es leicht zu verstehen, dass Wallace, ohne ein Abbildungsverhältnis bzw. eine Karte herzustellen, im Text mehrere Zeiten verknotet, inklusive der dritten Zeit, der negentropischen Zeit, der irreversiblen Erfindung einer neuen Zeit. Dichtung und Wissenschaft, eine exakte Rhapsodie, schreibt Serres. Das ist der Ausgangspunkt, auch von US.

Da ich nun recht willkürlich Michel Serres zitiert habe, um mit seiner Philosophie Querverbindungen zu Wallace herzustellen, liegt hier auch eine implizite Annäherung zu Deleuze vor (auf S.1156 von US hat dies Wallace mittels einer ironisierenden Anspielung auf Deleuze nuanciert). Sicherlich fließt die Zeit (auch die des Romans) nicht entlang einer Linie, sondern eher mit komplexen Mannigfaltigkeiten, Risse, Perlokationen, Durchbrüche, Beschleunigungen und Verlangsamungen; die Zeit ist aleatorisch verstreut, sie versickert, sie verläuft und sie verläuft nicht. Serres vergleicht diese Mannigfaltigkeiten mit dem in einem Feuer tanzenden Flammen, Mannigfaltigkeiten, entgegen der reversiblen Zeit (Uhrzeit, Zeit der maximalen Nische, jenes Gleichgewichts, in dem Kultur, Geschichte und Arbeit erstarrt und in der die menschliche Ratte ihren Käfig in Drehung versetzt und an den Fortschritt glaubt, während sie sich in den Tertmühlen des Alltags im Kreis bewegt etc.). Nun ist auch dieses Gleichgewicht ein Interval, eine Ordnung, die unausweichlich in Richtung Unordnung verläuft. Carnots Revolution und die industrielle Revolution bringen uns die irreversible Zeit; wir ähneln einer Maschine, bei der eine in regelmäßiger Umdrehung befindliche Trommel uns bis zu völliger Undifferenziertheit desorganisiert. Wir werden in zwei verschiedenen und sogar gegensätzlichen Zeiten und wir befinden uns in einer dritten Zeit, der Zeit der Negentropie, die dem entropischen Vektor entgegengerichtet ist. Unterschiede treten hervor, Erfindungen, Entdeckungen, das Neue etc. Während sich die klassische Zeit auf die Geometrie und Metrik bezieht, keineswegs auf den Raum, ist die Theorie der Zeit von Serres, unsere Zeit, ein zerknitterte Zeit; zerknitterte Mannigfaltigkeiten, die sich unmittelbar durch die Topologie, die Wissenschaft der Risse und Nachbarschaften darstellen lassen. Alle Zeiten sind relativ zu einem System bzw. zu Systemen sehen, die offen oder geschlossen sein können, und mit ihnen verknoten und verteilen sich die Zeiten; es sind Komplexionen, ähnlich, wie entfernte Punkte in einem Taschenbuch, das gefaltet bzw. zerknittert wird, plötzlich sehr nahe sind oder zwei sehr nahe Punkte, wenn man das Taschentuch auseinanderreisst, sich sehr weit voneinander entfernen können. Ich denke, dass man diese Zeitproblematik bzw. Topologie bei US im Detail nachvollziehen kann, wenn man will. Auf formaler Ebene entwickelt Wallace eine Art Karte der Relationen und Verteilungen, ein Netz von Verzweigungen, indem er Wege erfindet, d.h., mittels der Anwendung einer Vielzahl von Präpositionen werden Netze gebahnt. Die Sache wird immer paradox, siehe Eschaton Spiel, wenn es um die »Abbildung« eines fragmentierten Chaos (Familie, AA, Weltpolitik etc.) auf Karten geht. Und Wallace macht hier nichts anderes, was schon Zenon (mit Serres) gemacht hat: Er reist aus der Zweideimensionalität der Ebenen/Karten in die dreidimensionale Mannigfaltigkeit, er beginnt zu schneiden und zu variieren, stellt wieder Ordnungen her, wobei die Verteilung der Figuren auf der Karte sogar eine gewisse Stabilität besitzt. Die Karten bilden jedoch nicht ab und sind zugleich instabil. Der Roman gibt uns eine Erfahrung/Ahnung davon, dass das Reale paradox, stochastisch regelmäßig ist. Ordnung, Regel und Vernunft befinden sich in allernächster Nähe zum Unwahrscheinlichen, das Rationale ist ein Wunder. Ich referiere hier auch wieder Michel Serres. Die Konstanz und die dialektische Synthese, die nichts weiter als Konstanz ist, ist ein außergewöhnliches Gebilde, die Serres durch eine Philosophie bzw. Wallace durch eine Literatur der Umstände ersetzt, wobei die Umstände die Gesamtheit der Adjektive und Präpositionen einfängt. Damit lässt sich eine Literatur bzw. Theorie der Nuancen und Nuancierungen in Gang setzen. Nuancierungen sind diffuse Räume, die Serres mit Wolke bzw. Strom beschreibt. Das Konfuse oder Diffuse ist das Chaos Wolke oder das Chaos Strom. Interessant wird nun, dass die Strategien der Ironie bzw. des Humors auf der Konfusion bzw. Diffusion des Textes und seiner Elemente beruhen. Während der Humor eine Bewegung beschreibt, die etwas von ihr selbst Verschiedenes lächerlich macht, nämlich das System selbst, innerhalb dessen sich der Humor artikuliert, weil das System die Voraussetzung der Lächerlichkeit in sich enthält, operiert die Ironie durch Strategien der Überdrehung und der Übertreibung der gegnerischen Position, um implizit die eigene Position zu stützen. Während der Humor also mittendrin, pervers und immer auf dem Weg bzw. an der Oberfläche ist, bleibt die Ironie der Bedeutung und dem Sinnsystem verhaftet, allerdings kann die Ironie durch Konfusion, die Verschmelzung differenzieller Postionen, ähnliche Effekte wie der Humor erreichen. Wallace bedient sich ausgiebig der Stilmittel bzw. der Strategeme von Konfusion und Diffusion, um die Ernsthaftigkeit des Megakapitalismus oder whatever und seiner Diskurse zu durchkreuzen.

Heute schließt sich der Kreis, den Deleuze und Serres den Übergang vom Gerichtlichen zum Objektiven nennen. Wir sind alle sowohl Ursache des US als auch sein Gegenstand, ein Spaß, der bei Wallace implizit Sache aller ist, wo Verantwortlichkeiten schwer zuzurechnen sind, die Tugend der Zurückhaltung gegenüber dem Anwachsen der Neurosen, Narzissmen, Spaßvöllereien, Geiz und Trägheiten jedoch eher bei den Kaputten und den Ein/Ausgeschlossenen nachzuspüren ist als sonstwo. Wer könnte Gately nicht als eine Art Begriffsperson begreifen, dem Wallace so etwas wie Scham zugesteht. Nun hat Wallace allerdings weder eine Satire noch eine Humoreske geschrieben, weil er weiß, dass sich die Ironie in Gestalt der Satire gerne institutionalisiert, der Humor sich in Gestalt der Institution gerne karnevalisiert. Mit diesen Institutionalisierungen werden sowohl die Konfusions- als auch die Diffusionsenergien geblockt und den Kontexten der Ernsthaftigkeit angeflockt. Zugleich werden Ironie und Humor quasi isoliert bzw. in die Räume der Kunst, Literatur etc. verwiesen. Die Isolation des sog. Lächerlichen von der Welt der ernsthaften Sachlagen verdeckt, dass das Gesellschaftliche von der Objektivität her längst ins Stadium des Lächerlichen übergegangen ist. Humor und Ironie können die ernsthaften Diskurse der Wissenschaft un der Technologien etc. nur gefährden, weil die Konfusion den Debatten (es hängt nicht mehr von uns ab, dass alles von uns abhängt, aber keiner versteht das) vorausgeht. Regierung und Opposition befinden sich in einem hoffnungslosen Zustand der Konfusion, den man nur anzuklicken braucht, um alle Seriösität at once wegzusprengen. Einzige Möglichkeiten dazu sind eben, wie schon Nietzsche wusste, Steigerungen oder Hemmungen (die Übetreibungsspiele der Ironie), man kann mit den Deterritorialisierungen nie weit genug gehen, sagt Deleuze, und meint damit natürlich das Strategem des Humors. Die Explikation des deleuzianischen Humors und der spezifischen Ironie von Wallace stilisiert mittels Diffusion und Konfusion die Modalitäten der Oberflächlichkeit, indem sie eine Darstellung der Systems der Oberflächen (des Oberflächlichen) durch Auflösungs- und Vermischungsprozesse hindurch betreibt, dem allerdings die Ensembles von produzierten Dingen und konditionalen Umständen, die parasitäre Schieflagen vorauseilen. Überflüssig zu sagen, dass der unendliche Spaß längst vorbei ist, wenn die neuen Narzissmen sich um Steigerung der Modalitäten des »Selbst« drehen bzw. um die biochemische, schönheitschirugische und technologische Effektivierung individuellen Human Capitals, dass man durch den Kauf von Doping-, Wellness-, Fitness- und Psychoprodukten levelt. Das wiederum wußte Wallace ganz genau.

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