Deleuze und das synthetische Wertpapier

Unter Assets verstehen wir hier nicht – wie üblicherweise angenommen – Vermögen oder verwertbare Einkommen, auch nicht Anlagen in Form von Waren oder Geld, sondern ganz spezifische Formen des spekulativen Kapitals. Wir gehen in diesem Abschnitt von einer progressiven Differentation von drei verschiedenen Klassen von finanziellen Assets aus: a) das sog. generische Asset (Kredit, Anleihe etc.), b) das sog. synthetische Asset (CDS), das eine ganz neue Klasse von Assets innerhalb des finanziellen Tauschs aktualisiert, bekannt auch als »synthetische Finance«, und c) das verbriefte synthetische Asset (CDO), ein Produkt der Prozesse der sog. Securitization, welche die Transmutation der synthetischen Assets in verbriefte Sicherheiten implizieren. Unter die Kategorie »generic finance« fallen also Kreditformen (Anleihen, Darlehen, Hypotheken etc.), Aktien und sog. Vanilla-Derivate (Optionen, Futures), während man unter der Kategorie »synthetic finance« Kreditderivate (CDS, TRS etc.) und verschiedene synthetisch strukturierte Produkte wie bspw. synthetische CDOs, die nur CDS enthalten, subsumiert. (Vgl. Lozano 2013) Die beiden synthetischen Klassen von Assets analysiert man hinsichtlich ihrer Struktur meistens nur als unwesentlich veränderte Kopien der vor ihnen existierenden generischen Assets, ohne jedoch zu erkennen, dass die Wiederholung der synthetischen Assets durch sie selbst eine vollkommen neue ökonomische Qualität generiert, wie wir das auch schon bei unserer Beschreibung der Theorie der kontingenten Forderungen bei Ayache nachverfolgen konnten. So besitzt das synthetische CDO als Teil von Prozess, Struktur und Methode des synthetischen Tauschs das Potenzial zur Aggregation eines heterogenen Sets von Papieren, das zunächst aus verschiedenen Geldströmen und Risiken besteht, in einen einzigen homogenen Pool, der dann als ein einziger Geldstrom und als ein singuläres Risiko fungiert. Daraufhin lässt sich der homogene Pool wiederum in verschiedene Klassen von Risiken und Geldströmen aufteilen, wodurch beide Komponenten sich in ihrer Qualität radikal verändern. Die dabei neu entstehenden Risiko-Klassen bezeichnet man als Tranchen, die man wiederum in verschiedenen Weisen neu zu arrangieren vermag, um eine Vielzahl von spezifizierten Risiken und den mit ihnen assoziierten Geldströmungen herzustellen. (So werden Risiken, die man mit Luhmann generell als Adaption an die Chance definieren kann, identifiziert und gestreut, wobei gleichzeitig die Diversifizierung der Zugänge zu den Risiken zu beachten ist, die nicht jedem Akteur in gleicher Weise offen stehen, sodass es zu einer differenziellen und zugleich normalisierenden Regulation der individuellen Risikostrategien kommt.) Mit jeder neu hinzugefügten Tranche innerhalb eines CDOs entstehen auch neue Levels der Abhängigkeit von anderen Tranchen, die wiederum Serien von Anfügungen, Abstufungen und Abtrennungen beinhalten; es entstehen damit neue Differenzierungsprozesse und gleichzeitig Punktierungen, die die jeweiligen Verluste und Gewinne der verschiedenen Tranchen aufzeichnen, registrieren und verteilen. Und immer wenn Tranchen zur Re-Differenzierung der Risiken benutzt werden, kommt es zu neuen Levels der Differenzierung, mit denen sich Serien von sog. »attachment points« und »detachment points« konstituieren. Bei einem »attachment point« handelt es sich um einen Punkt, der anzeigt, dass Risiken einer partikularen Tranche angehören, während mit dem Erreichen eines »detachment points« Risiken freigesetzt werden, die von nun an eine differente Tranche tangieren, die u. U. einem höheren Level in der Rangordnung der Risiken angehört. »Strukturierte Finance« heißt der Term, der die Prozesse der Differentation und der Redifferentation als Methode der Tranchierung von Risiken bezeichnet – Prozesse des Bündelns und des Verteilens von Risiken, die die Geldströmungen nicht nur fungibel, plastisch, mobil und austauschbar halten, sondern mit denen potenziell unendliche Kapazitäten frei werden, um dynamische Systeme der Ordnung und Unordnung an den Finanzmärkten zu erzeugen.

Securitization, manchmal auch »structured finance« genannt, beinhaltet den Prozess der Kreation einer Sicherheit für ein finanzielles Asset. Hier lassen sich zwei Arten von Sicherheiten unterscheiden: 1) Sicherheiten ausgehend von prä-existierenden generischen finanziellen Assets (»cash securities«), 2) Sicherheiten, die durch neue synthetische Replikation qua Kreditderivat entstehen (»synthetic securities«). Demzufolge findet hinsichtlich der synthetischen Finance im Prozess der Securitization eine radikale Transformation von Assets insofern statt, als das schon bestehende generische Asset, z. B. ein Kredit, ständig geteilt wird und im Prozess der Teilung selbst seine ökonomische Qualität verändert. Und die darauf folgende Bündelung einer beliebigen Anzahl von generischen Assets in einem einzigen Portfolio, womit man versucht verschiedene Risiken und Geldströme in einem einzigen Asset, das nur ein einziges Risiko und einen einzigen Geldstrom enthält, zu homogenisieren, erlaubt gleichzeitig eine Redifferenzierung bzw. Streuung von neuen Risiken und neuen Geldströmen, und dies so different und flexibel, wie man es sich als Händler eben wünscht. Somit lässt sich tatsächlich von einer neuen Hyper-Fungibilität des synthetischen Assets sprechen, die das generische finanzielle Asset definitiv nicht besitzt.

»Synthetische Finance« wird in den Wirtschaftswissenschaften unter der Rubrik der Derivate verhandelt. Das ist aber, wie wir schon gesehen haben, durchaus mit Vorsicht zu genießen. Bei den sog. Kreditderivaten, eine Art synthetischer finanzieller Assets, zeigt sich schnell die Differenz zu traditionellen Derivaten wie z. B. Optionen oder Futures, die im Übrigen schon seit zwei Jahrtausenden existieren (z. B. schrieb Aristoteles an Thales er solle doch bitte Optionen auf Olivenölpressen kaufen). Seit circa dem Jahr 1995 begannen synthetische Assets als hyper-fungible und zugleich hochskalierte symmetrische Klassen ökonomischer Objekte ihren Siegeszug an den globalisierten finanziellen Märkten, wobei diese Assets zwar einige ökonomische Gemeinsamkeiten mit den generischen finanziellen Assets besitzen, aber diesen eben auch ganz neue ökonomische Eigenschaften hinzufügen, die schließlich das Konzept des Derivats als solches durchkreuzen, indem sie es nicht nur erweitern, sondern ganz neue Qualitäten erfinden. Bei den synthetischen Wertpapieren handelt es sich nämlich nicht um geschlossene Entitäten, die etwa exakte Koordinaten in einem euklidischen Raum besitzen, sondern um die Topologien gekrümmter Oberflächen, die durch ihre Vektoren und deren Transformation definiert sind, d. h., diese virtuellen ökonomischen Objekte sind zugleich als raumzeitliche Ereignisse zu verstehen, mit denen eine aktuelle Entität einen unendlichen Datenstrom berührt, und dies durch eine physikalische und/oder konzeptuelle Selektion, Evaluation, Inklusion, Exklusion der Daten und deren Transformation, um damit in ein aktuelles Feld der Potenzialitäten ökonomischer Objekte eingreifen und investieren zu können.

Gingen wir in diesem Abschnitt zunächst von Derivaten aus, deren Wert sich auf zugrunde liegende Basiswerte bezieht, so gilt dies rein gar nicht, wie wir ja in der Diskussion mit Ayaches Theorie der kontingenten Forderung schon gesehen haben, für die synthetischen finanziellen Assets, die ganz ursächlich dem Wert der generischen Assets neue Eigenschaften hinzufügen und damit allenfalls als Quasi-Referent der generischen Assets zu begreifen sind, aber noch nicht einmal das, denn umgekehrt werden gerade die generischen Assets in der letzten Instanz von den Bewegungen der synthetischen Assets determiniert. (Ebd.) In der Subprime-Krise von 2007f führten u. a. die Preisbewegungen der CDS-Versicherungen, die sich auf Hypothekenkredite bezogen, gewaltige Wertminderungen dieser Kredite nach sich, was sich schließlich in höheren Zinsraten auf Hypothekenkredite mit variabler Verzinsung, in sinkenden Preisen für Häuser und anschließend in massenhaften Ausfällen der Kredite selbst artikulierte. Demzufolge stiegen gerade aufgrund der Verteuerung der CDS-Versicherungen die Preise für Hypothekenkredite an (ein generisches Asset). Wenn der Marktwert eines physikalischen ökonomischen Objekts (klassische Waren wie Kleidung, Nahrungsmittel, Computer etc.) direkt durch einen Kredit affiziert wird, und dieser sich wiederum durch den Wert seines synthetischen »Replikanten« massiv beeinflussen lässt, kann man dann wirklich die bisherige hierarchische Ordnung der Klassen von exakt drei ökonomischen Objekten beibehalten, wobei man von den synthetischen Wertpapieren immer noch als rein abgeleiteten Papieren spricht, von Derivaten? Nehmen wir z. B. den Fall, dass ein mit verschiedenen Vermögenswerten bestücktes Portfolio synthetisch strukturiert ist, die Vermögenswerte also nach einer ganz bestimmten Replikationstechnologie selbst gebildet werden und damit letztendlich vom sich stets wandelnden Wert des synthetischen Portfolios abgeleitet sind. Wie ist hier die Rangordnung zwischen den ökonomischen Objekten zu verstehen? Auch wenn das synthetische Asset sich selbst als ein bloßer Replikant des generischen Assets ankündigt, so darf jedoch nicht vergessen werden, dass seine ökonomischen Eigenschaften von denen des generischen Assets erheblich differieren: Das synthetische Asset ist nämlich die Produktion der reinen Differenz, die sich als Simulation artikuliert. Es geht hier um ein reales Trugbild, das keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem klassischen ökonomischen Objekt besitzt, sodass die immanente »Kopie« des synthetischen Modells in sich selbst jede symmetrische und rein abbildende Beziehung zwischen physikalischen Objekt und wertbildendem Imago schnell zerstört. (Ebd.) An dieser Stelle lässt sich das synthetische Diagramm, das als ein Keim der Ordnung und des Rhythmus der synthetischen Assets zu gelten hat, allenfalls als eine trugbildhafte, aber eben nicht als eine abbildhafte Konstruktion verstehen, schließlich als eine topologische Relation zwischen den ökonomischen Eigenschaften der synthetischen Assets selbst, ihren nomadischen Verteilungen, und dies im Gegensatz zur Konzeption von rein logistischen Aufteilungen. Im Diagramm eines synthetischen Assets werden die diskreten Elemente, die ja nichts weiter als die ökonomischen Eigenschaften des Assets (cashflow, Fristigkeit, Preis, Risiko, Volatilität etc.) sind, zueinander in Beziehung gesetzt. (Das Diagramm schließt generell Elemente wie Graphematisierung, Text, Symbole und mathematische Formeln, aber u. U. auch mimetische Bilder mit ein.) Dabei bedarf die als zumindest potenziell als unendlich zu verstehende Produktion der synthetischen Derivate rein theoretisch keines Transfers von privatem Eigentum mehr, sie bedarf keiner nennenswerten Produktion mittels einer ausbeutbaren menschlichen Arbeit, sie bedarf nicht der klassisch physikalische Objekte, in denen etwa Wert vergegenständlicht ist, obgleich doch die potenziell unendliche Proliferation des synthetischen Assets und seiner ökonomischen Eigenschaften durchaus profunde materielle Konsequenzen in der gesamten Ökonomie insgesamt nach sich zieht. Weiterhin ist davon auszugehen, dass beim Handel von synthetischen Derivaten die Händler weder als Schuldner noch als Gläubiger von Kreditgeschäften auftreten, sie müssen in keinerlei Beziehung zum prä-existierenden generischen Tausch als dem sog. Referenten ihrer eigenen Tauschgeschäfte stehen.

Auch für Deleuze wäre die Bezeichnung »Derivat« als begriffliches Äquivalent für das synthetische Wertpapier wahrscheinlich nur z. T. richtig gewesen. Ähnlich wie bei Ayache ist mit Bezug auf Deleuzes Denkweise des nicht-quantitativen Differenzialkalküls viel eher von einem radikalen Bruch im Verhältnis zwischen synthetischen Wertpapieren und traditionellen Derivaten auszugehen, sodass Struktur, Wert und Preis der synthetischen Assets zu denen der generischen Assets kausal hinzukommen, ja die synthetischen Assets als Quasi-Kausalität bezüglich der generischen Assets und ihrer zugrunde liegenden Basiswerte zu verstehen sind. Wenn die ökonomische Daseinsweise eines klassischen Objekts (Kleidung, Computer, Nahrungsmittel etc.) direkt durch das generische Asset (Aktie, Kredit etc.) und dessen Wert wiederum durch seinen synthetischen Replikanten (CDO, CDS) affiziert wird, dann erscheint es in der Tat schwierig, bei Letzterem überhaupt noch von Derivat zu sprechen. Vielmehr verläuft die Wirkungskette gerade umgekehrt, weil schon ganz allgemein dasjenige Objekt die höchste Wirkungsmächtigkeit, i. e. Realität, besitzt, das in seiner Pluralität die meisten, die variabelsten und damit die effektivsten Eigenschaften und Komponenten innerhalb einer spezifischen Konstellation umfasst. Gerade dem real-virtuellen Objekt dritter Ordnung ist es möglich eine differenzielle Selbstreferenzialität mit hoher Geschwindigkeit herzustellen, wobei es keinerlei Externalität bedarf, um seine eigene selbstbezügliche Bewegung zu vermitteln. So handelt es sich beim CDS um ein (kommodifiziertes) Asset, das eine ökonomisch eigenständig und zugleich vielfältige Struktur besitzt, um gleichzeitig als Technologie einen Prozess einzuleiten, der wiederum die synthetische Replikation eines generischen finanziellen Assets betrifft; schließlich ist es der konstitutive Prozess des synthetischen Tauschs selbst, der das synthetische Asset als solches aktualisiert, ohne an diesem Punkt des Tauschs von prä-existierenden ökonomischen Entitäten noch zu bedürfen. Dabei ist von verschiedenen Quanten der Symmetrie innerhalb jeder der drei verschiedenen Klassen des Tauschs – klassisch, generisch und synthetisch – auszugehen: Symmetrie definieren wir als die Invarianz des Tauschs selbst, die gemessen an der Anzahl der Transaktionen das Objekt oder den Prozess nicht wesentlich verändern, was wiederum heißt, dass verschiedene Quanten der Symmetrie verschiedene Tauschakte markieren, die sich dann in verschiedene Klassen des Tauschs einordnen lassen. Und insofern die synthetischen Assets, die eine eigene Klasse des Tauschs bilden, die am wenigsten restriktiven invarianten Anforderungen an ein Objekt stellen, können sie eine höher skalierte Symmetrie als die beiden anderen Klassen des Tauschs an- und aufbieten, von denen sie sich historisch und logisch differenziert haben. Es darf zunächst von einer ökonomischen Symmetrie oder Äquivalenz zwischen Waren (und Geld) ausgegangen werden, ohne die kein Tausch stattfindet. Allerdings aktualisiert der ökonomische Raum des Marktes verschiedene Mengen und Beschaffenheiten von Symmetrien, weil der Markt offen für Kontingenzen ist, die jedoch für die verschiedenen ökonomischen Objekte ganz unterschiedlich ausfallen. So verlangt das klassische Tauschgeschäft nach einer kongruenten und sofortigen Übergabe des physischen Objekts gegen Geld, und dies hat als eine invariante Anforderung an die ökonomische Eigenschaft der Dauer von Objekten zu gelten, während beim generischen Asset wie dem Kredit diese invariante Anforderung an eine sofortige Übergabe des Objekts wegfällt – das monetäre Imago des physikalischen Objekts (Geld) besitzt nun das Potenzial im Rahmen eines spezifischen Zeithorizonts des neuen Tauschgeschäfts zu wachsen; mit dem synthetischen Asset lösen sich die invarianten Anforderungen, denen das generische Asset unterworfen ist, noch weiter auf, womit die ökonomischen Eigenschaften des Objekts oder des Ereignisses schließlich die Freiheit annehmen, sich zu falten, zu verdrehen und zu biegen oder zu verschlingen. d. h., die synthetischen Assets verfügen über eine außerordentliche, über eine wesentlich wirkungsmächtigere Realität als die anderen ökonomischen Objekte oder Ereignisse und dies hinsichtlich ihrer Wirklichkeitsregister, Potenzialität, Aktualität und Virtualität. Man sollte die virtuelle Kausalität der synthetischen Assets als performativ und materiell verstehen, d. h., die Assets drängen mit ihrer Wirkung geradezu auf reale materielle Konsequenzen, u. a. in Bezug auf die vergangene und auf die zukünftige Entwicklung der generischen Assets: Der performative Impetus des synthetischen Tauschs redefiniert selbst noch die materiellen Terme der dem generischen Asset zugrunde liegenden Basiswerte.

Und es gilt zu bedenken, dass selbst, wenn man die CDS-Versicherungen als bloße Kopie eines generischen Assets bezeichnen würde, es sich bei jenen eben nicht um dieselbe Kopie handelt, sondern um ein radikal exzessives und varables Wiederholungsgeschehen des »Kopierens«, das dauerhaft Differenz in sich selbst erzeugt, sodass auch die ökonomischen Eigenschaften des synthetischen Assets wie cashflow, Fälligkeit, Volatilität, Preis und Wert von denen seines sog. generischen Referenten permanent differieren. Wenn das Simulakrum die »wahre« Form des Seins ist, dann besteht die hyper-fungible Kraft der synthetischen Assets genau darin, eine im Sinne von Deleuze bekleidete Wiederholung in Gang zu setzen, die zu keiner Identität führt, noch eine solche voraussetzt, stattdessen im Zuge der Wiederholung der Variation die Bedingungen ihrer eigenen Wiederholung interiorisiert, um eine höchst fragile Identität zu erlangen, i. e. bekleidete Wiederholung ist die Interiorität des Werts als Differenz in sich selbst. Und gerade deswegen können die Eigenschaften der synthetischen Assets keine rein intrinsischen Eigenschaften sein, sondern es handelt sich um die Eigenschaften der Tauschprozesse selbst, die die Transformation der Assets in Trugbilder des Werts einleiten, was in Simulations-Räumen geschieht, die man gemeinhin Markt nennt. Faktoren wie Geldlichkeit, Teilbarkeit, Laufzeit, Risiko und cashflow lassen sich beim synthetischen Asset als Eigenschaften isolieren. Jedoch stellt nicht die extensive Aktualität des Assets seine entscheidende Komponente dar, vielmehr ist es das fungible Virtualisierungspotenzial des Assets selbst, das uns hier veranlasst, von einer fast grenzenlosen, einer Ad-infinitum-Kreation zu sprechen, die bspw. Risiko und Geldstrom in ein potenziell synchrones Verhältnis setzt, ohne dass allerdings die Momente der Desynchronisation je ausgeschaltet werden können. Der Simulationsraum, in dem man heute die synthetischen Wertpapiere wie CDS oder CDO handelt, ist weder als fixiert noch als flach, weder als uniform noch als homogen zu verstehen, sondern er hat als nicht-euklidisch bzw. als topologisch zu gelten und wird von keinerlei Referenzklassen begrenzt. Während die Architektur des stratifizierten Raumes diskrete Einheiten im Zentrum ihres Designs mobilisiert, das Punkte durch Linien verbindet, mobilisieren die topologischen Kurven des glatten Raumes, die durch algorithmische oder parametrische Architekturen erzeugt werden, die generative Macht des Punktes, seine Vermaschung und Faltung hin zur Emergenz einer neuen Form. Dieser Simulationsraum lässt sich ökonomisch definieren, er ist fähig zur Beugung, Drehung, Krümmung und Faltung der ökonomischen Ereignisse, er ist extrem formbar und geschmeidig. Allerdings greifen gerade in diesem Kontext die neoliberalen Kontrolltechniken an und ein, i. e. ist und bleibt die Realität des synthetischen Tauschs Teil des spekulativen Kapitals, dessen Materialität durch einen cashflow definiert wird, wenn er sich im Prozess des Tauschs denn auch aktualisiert.

Das synthetische Wertpapier darf man also durchaus als eine Produktion reiner Differenz verstehen, die in einem topologischen Raum der Simulation stattfindet, das synthetische Wertpapier sozusagen als das differenzielle Kapital-Ereignis, das meistens keinerlei Ähnlichkeit zum jeweiligen Referenten besitzt, als eine immanente »Kopie« eines Modells, das ständig Diffusionen, Replikationen und Neuheiten hervorbringt. Wie bei einer Simulation üblich, sind hier weder das Regelgerüst noch die Regelhaftigkeit des synthetischen Prozesses von vornherein bekannt, womit wir es mit der Konstruktion einer neuen ökonomischen, nicht-repräsentativen Realität zu tun haben, und gerade die Negation dieser Problematik durch das Finanzkapital selbst treibt sog. Finanzkrisen erst richtig voran. Die Bedeutung der Simulation liegt mit ihrer monströsen Performativität in einer radikal durch Kontingenz affizierten ökonomischen Realität, ohne dass man jedoch jemals dem in letzter Instanz determinierenden Regulativ des Kapitals entkommt. Und diese virtuelle Performativität kann sich ganz verschieden äußern, bspw. als prognostische Kraft für neu geplante oder zu planende Kapitalprozesse oder alternativ als die Instanz oder als das Bild eines anderen Denkens. Unter Bild des Denkens versteht Deleuze weniger eine Methode als ein Koordinatensystem, ein System von Bewegungen, Dynamismen und Orientierungen. (Vgl. Deleuze 1993b: 215f.)

Wir hatten ja schon gesehen, dass die Käufer und Verkäufer von synthetischen Wertpapieren keineswegs mit den sog. Referenzgeschäften etwas zu zu tun haben müssen, sodass man bezüglich der synthetisch-finanziellen Transaktion in gewisser Weise von einer Kreation ex nihilo sprechen kann. Und mit jeder weiteren finanziellen Transaktion wird ein neues Asset kreiert, das durchaus reale Eigenschaften besitzt (cashflow, Preis, Risiko, Zeit etc.), die bisher eben so noch nicht existierten. Und diese Eigenschäften realisieren sich erst in Relation zu ihrer Transformation im Simulationsraum des Tauschs, den wir an dieser Stelle mit Ayache Markt nennen. (Vgl. Ayache 2005) Dabei erscheint die Identität jedes einzelnen synthetischen ökonomischen Objekts auflösbar, und zwar in diverse Fetzen und Fragmente, die wiederum differente Eigenschaften besitzen; es regieren hier fulminant die Differenzen, die die gegenwärtige Identität eines Assets sozusagen schlucken, um ganz rigide Unordnungen der neuen Klassen von Assets herzustellen. Und somit führt die Verkettung der synthetischen Tauschgeschäfte zumindest potenziell zu einer Ad-infinitum-Proliferation von differenziellen Geldströmen und Risiken. Im Zuge des synthetischen Handels mit synthetischen Assets werden neue ökonomische Eigenschaften der synthetischen Objekte generiert, die scheinbar jeden strukturellen Bezug zu den jeweiligen Referenzprodukten verloren haben. Dabei bringt der strukturierende und strukturierte Prozess selbst auch neue ökonomische Eigenschaften hervor, sodass wir schließlich davon sprechen, dass das synthetische Asset als ein Avatar des generischen Assets auftritt, indem es durch die sog. verkleidete oder virtuelle Wiederholung (Deleuze) wirkt, die im Unterschied zur nackten oder aktuellen Wiederholung reine Differenzen produziert, welche ja gerade nicht auf zugrunde liegende oder »wahre« Sachverhalte bezogen sind, sondern ausgehend von virtuellen Strukturen, die sie implizieren, permanent neue Verkettungen und Konstellationen von Synthesen hervorbringen. Solcherlei strukturelle Prozesse führen z. B. zu neuen ökonomischen Eigenschaften wie dem »Credit-Enhancement«, der Ermittlung des Ratings eines forderungsbesicherten Wertpapiers durch eine Rating-Agentur, oder dem »Leverage«, der Hebelwirkung des Fremdkapitals auf die Verzinsung des Eigenkapitals. Permanent kommt es zur Erzeugung neuer Differenzen und zugleich neuer ökonomischer Eigenschaften, die mit dem referenzierten Asset und dessen Handel so noch nicht vorhanden waren, und dies durch ein bekleidetes Wiederholungsgeschehen. (Vgl. Deleuze 1992a: 355ff.) In der Tat darf man nun von einer neuartigen differenziellen Qualität der synthetischen Assets ausgehen, womit wir es schließlich mit der Kartographie eines rein funktionsanalytischen Mappings zu tun bekommen, dessen Darstellung allerdings nie als unabhängig von Zwecksetzungen, denen eine Auswahl an Instrumenten zur Durchsetzung von Zielen inhäriert, zu begreifen ist, ob diese nun individuell gewusst werden oder nicht. Als Instrumente der Finanzialisierung bewirtschaften synthetische Derivate u. a. die variablen Attribute von Werten wie Zinsraten auf Kredite, erwartete Raten auf Ausfälle von Hypothekenkrediten oder Raten auf Wechselkurse zwischen zwei Währungen. Sie vermögen die variablen Merkmale von differenten Quellen mit differenten erwarteten Einnahmen zu bündeln, z. B. Kredite mit Erwartungen auf hohe und geringe Ausfallquoten und den daraus gezogenen Erwartungen. Das synthetische Derivat gilt als ein Vertrag zum Kauf oder Verkauf eines bestimmten Anteils dieser variablen Merkmale zu einem bestimmten Zeitpunkt. Da Warenpreise und Dienstleistungen kontinuierlich schwanken und selbst lokale Märkte ihre volatilen Eigenarten besitzen, benutzt man die synthetischen Assets als Versicherung, um gleichzeitig gegen zukünftige Transaktionen zu hedgen, mit denen Währungs- und Zinsraten, Hypothekenkredite etc. zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der Fälligkeit schwanken können. Verschiedene Gewinne oder Verluste können also gegeneinander balanciert oder gehedged werden, bspw. mit CDOs, die sichere Hypothekenkredite mit zweitklassigen Krediten mischen, welche in den USA schließlich scheiterten, als die Zinsraten für Hypothekenkredite anstiegen und die Fähigkeit der Kreditnehmer die Kredite zu bedienen sank. In diesem Sinne bringen synthetische Assets ganz unterschiedliche Dinge zusammen und machen die Zukunft jetzt schon belangbar. Und ihr Verkehrsform findet auf globalen Märkten statt, wenn auch die gebündelten Dinge, Häuser, Autos, Studentendarlehen etc. jeweils lokale Anlagen sein mögen. Und dies alles steht stets in Relation zu den Veränderungen der Modi und Operationen der Kapitalisierung an den internationalen Kapitalmärkten, der Governance des finanziellen Kapitals, dem Wachstum des sog. Schattenbanksystems, den andauernden Experimenten der Notenbanken mit der Lockerung ihrer Geldpolitiken, der Vermischung von Geld- und Kapitalmärkten und den staatlichen Schuldenkrisen, der Unabwägbarkeit von neuen Solvenz- und/oder Liquiditätskrisen.

Wir greifen, wie schon mehrfach angedeutet, in diesem Kapitel auf Deleuzes Schrift Differenz und Wiederholung zurück, in der er eine rigorose Methode der analytischen differenziellen Problematisierung vorführt, mit der man auch Struktur und Prozess der synthetischen Wertpapiere als topologisch fundierte Mannigfaltigkeit zu denken vermag. Generell bezieht sich der Begriff der Mannigfaltigkeit auf immaterielle Entitäten, die den materiellen Prozessen immanent sind. Qualitative Mannigfaltigkeit ist für Deleuze ein Term, um den konstitutiven Prozess eines virtuellen Objekts anzuzeigen. (Vgl. Deleuze 1992a: 233ff.) Sie basiert gegenüber der numerischen, diskontinuierlichen Mannigfaltigkeit und deren extensiven und quantifizierenden Eigenschaften, die stets im aktuellen und potenziellen Bereich (in einer homogenen Zeit) angesiedelt sind, auf intensiven, kontinuierlichen Eigenschaften und ist eher dem Virtuellen zugeneigt – sie zeigt sich für Deleuze in seinen Bergson-Studien in der reinen Dauer und lässt sich nur um den Preis einer Wesensveränderung teilen. Während die numerische Mannigfaltigkeit in vollem Sinne aktuell ist und wenig Virtualisierungskraft besitzt, nur graduell teilbar ist und sich mit der Teilung qualitativ bzw. als Einheit nicht verändert, im weitesten Sinne also ein euklidisches Objekt bleibt, handelt es sich bei der qualitativen synthetischen Mannigfaltigkeit um eine a-numerische, kontinuierliche Mannigfaltigkeit, die sich nicht teilen lässt, ohne ihre wesentliche Qualität selbst zu verändern. Anknüpfungspunkte für diese Art der Mannigfaltigkeit finden Deleuze/Guattari in den unscharfen Mengen (fuzzy logic), der Fraktalität bei Mandelbrot und dem glatten Raum Riemanns.

In den Tausend Plateaus haben Deleuze/Guattari an der Unterscheidung zwischen zwei Typen der Vielheiten festgehalten, sie allerdings in die Kategorie des Raums selbst integriert. Dem (virtuellen) glatten Raum, der analog dem Modell des Riemann’schen allgemeinen Raumes bzw. der qualitativen Mannigfaltigkeit strukturiert ist, stellen sie den gekerbten Raum gegenüber, der sich durch eine aktuelle, extensive und metrische Mannigfaltigkeit auszeichnet. Der virtuellen Hyperkomplexität des glatten Raumes entspricht eine Nicht-Ordnung, die sich durch die Heterogenität der Elemente und die Variabilität der Relationen charakterisieren lässt, und dies unter der Dominanz der Relationen, die den Raum und die Zahl determinieren: dissipative Strukturen von Differenzen, die in ihrem operativen Modus permanent Medialität erzeugen (Medien existieren nur im Gebrauch, als unbenutzte gibt es sie nicht). Ökonomische Medien (Zahl, Volatilität etc.) zeichnet im Rahmen der synthetischen Finance vor allem Unschärfe aus, eine schier unendliche Plastizität und Kontingenz. Eine unscharfe Menge A lässt sich durch folgende Funktion darstellen: Ma: X – (0,1) (der Bereich X wird von Fall zu Fall festgelegt). Offensichtlich erweist sich die scharfe Menge, die durch die binären Zugehörigkeitswerte 0 und 1 definiert ist, nur als ein spezieller Typ der unscharfen Menge und besitzt daher eine geringere Wirkungsmächtigkeit als die unscharfe Menge. Wir gehen nun davon aus, dass uns Deleuzes Konzept der Mannigfaltigkeit zu methodischen und technischen Termen führt, mit denen sich die konstitutiven Prozesse eines ökonomischen Verhältnisses wie das der synthetischen Finance besser verstehen lassen. So besitzt die synthetische Mannigfaltigkeit n-dimensionale Aspekte der Kreation und Montage eines ökonomischen Ereignisses, das sich immer im Zustand des Werdens befindet, weil es eine Überfülle an Realität besitzt, deren Teile nicht immer oder nur aktuell, nicht immer oder nur virtuell, nicht immer oder nur potenziell sind, sondern eine Mischung oder Konfluxion aus den drei Komponenten oder Register der Realität anbieten: Potenzielles, Aktuelles und Virtuelles. Es geht somit um ein Konzept, das Realität anzeigt, die Fülle einer Realität, deren Teile sich weder ganz im Virtuellen noch ganz im Aktuellen befinden. Während Deleuze mit dem Begriff der Dimensionalität auf die diversen Variablen eines Koordinatensystems abzielt, auf denen das aktualisierte Asset basiert, bezieht er sich hinsichtlich der Kontinuität auf die Sets der Relationen, die den Veränderungen der Variablen entsprechen; Definition meint in diesem Kontext, dass die Elemente durch diese Relationen definiert sind, wobei die Elemente sich niemals verändern, ohne dass die Vielheiten ihre Ordnung und Metrik wechseln.

In diesem Zusammenhang beschreiben wir synthetische Assets als dynamisch komponierte, formlose Un-Ordnungen, die verschiedene ökonomische Eigenschaften wie Fristigkeit, abstrakter Wert, Preis, Risiko, cashflow etc. inhärieren. Jedenfalls lassen diese Eigenschaften sich ständig plastisch enthüllen und anderswo injizieren, sie werden exogen kreiert und können plötzlich wieder zerstört werden, sie zirkulieren ad infinitum und nicht-linear – Schwärme, Wirbel und Frakturen der differenziellen Wiederholung, tausend Plateaus ihrer Konzentration, Verdichtung und Auflösung. Und synthetischer Tausch signalisiert die Geburt von hyper-fungiblen Kräften, die die Kapazität besitzen die jeweilige Identität der Assets auch aufzulösen. So interiorisieren die Assets je schon ihre eigene Wiederholung als Wert, i. e. sie sind der Wert der (bekleideten) Wiederholung: Wiederholung als die Interiorität des Werts in sich selbst. Die synthetischen Assets besitzen die Fähigkeit, die Variablen ihrer Koordinaten, mit denen sie aktualisiert werden, ständig zu verändern, d. h., sie sind eben nicht als invariant zu verstehen. Und wenn die Variablen der Koordinaten, über die die Struktur im Raum der Möglichkeiten der ökonomischen Eigenschaften verteilt wird, sich krümmen, drehen oder sich anderweitig verändern, dann muss dies mit den Relationen zwischen diesen Variablen auch möglich sein. (Vgl. Lozano 2013) Dabei sind die Elemente der Assets stets als deren Eigenschaften zu begreifen. Und wenn man dann sagt, dass diese Eigenschaften sich nicht verändern, wenn das jeweilige Asset nicht gleichzeitig auch seine relationale Struktur und zugleich seine Rhythmik wechselt, dann heißt das auch, dass Struktur, Rhythmik und materielle Eigenschaften des Assets sich nur durch eine strukturelle Wiederholung verändern können, nämlich im synthetischen Tausch selbst. Damit wird das generische Asset in differenzieller Weise durch das synthetische Asset wiederholt und beide erfahren in und mit dieser Wiederholung eine qualitative Veränderung, und dies als Prozess der Differenzierung durchaus verschiedener Eigenschaften der beiden Assets. Zuerst hat das generische Asset das physikalische Objekt wiederholt und mit der Wiederholung diesem und sich selbst neue Eigenschaften (Fristigkeit, Gewinn, Ausfallrisiko etc.) hinzugefügt. Allerdings vollzieht sich in der Relation zwischen generischem und synthetischem Asset ein radikal neues Wiederholungsgeschehen. Dennoch erscheinen uns die klassischen ökonomischen Objekte (Kaffee, Kleidung, Tisch etc.) und die generischen finanziellen Assets (Kredit etc.) gegenüber den synthetischen Assets als »objektiver«, und die Unterscheidungen von Deleuze, die er in Wiederholung und Differenz trifft, helfen uns dabei, zu verstehen, warum: Das klassische, das flache Objekt ist gefüllt mit extensiven ökonomischen Eigenschaften, die man bis zu einem gewissen Grad auch teilen kann, aber im Zuge dieser Teilungen verändert sich die Qualität der Objekte nicht. Die Eigenschaften können als Punkte auf einer Linie angeschrieben werden und diese Punkte sind als uniform zu verstehen, d. h., Teilungen produzieren nur graduelle Veränderungen. Wenn es einen flachen, einen atmosphärischen Raum gibt, so ist die Struktur dieses ökonomischen Raumes gleich einer null-kurvig-dimensionierten Oberfläche, auf der diverse Sets von Waren mit all ihren variablen und invariablen Eigenschaften umher wandeln, um sich schlussendlich im Tausch zu begegnen. Schon die komplexen Zahlen sind aber als mehrdimensional zu verstehen und die imaginären Zahlen lassen sich innerhalb der euklidischen Axiomatik weder als repräsentierende Zahlen darstellen noch aus diesen ableiten. An dieser Stelle behandeln wir die Übertragung von Operationen auf die Relation von Strukturen, die im klassischen Sinne geometrisch inexistent sind, d. h., wir konstruieren eine deterritorialisierte Analytik, die von der Repräsentationslogik des geometrischen Rasters vollkommen abstrahiert. Es gibt also durchaus qualitativ andere, ja virtuelle Räume des Tauschs, die mit einer oder mehreren kurvigen Ebenen ausgestattet sind, i. e. Märkte spannen simulative Räume von Potenzialen für ökonomische Eigenschaften von synthetischen Objekten auf, die solche Räume bevölkern. Es handelt sich um Vielheiten, die einen vollkommen anderen Raum als den Raum eines Descartes bevölkern, nämlich einen Riemann’schen Raum – eine mathematische Konstruktion, die von Henri Bergson aufgegriffen wurde, um die kontinuierlichen Vielheiten vom Räumlichen wiederum auf das Zeitliche zu verschieben. (Vgl. Deleuze 2007) Für Bergson sind die kontinuierlichen Vielheiten schlichtweg nicht messbar, sondern sie dauern an, d. h., sie teilen sich nur, wenn sie ihre Qualität wesentlich verändern, womit man sie nur unter der Bedingung messen kann, dass auch das Prinzip des Maßes sich mit jeder weiteren Untergliederung wandelt.

So enthält die Eigenschaft der Teilung stets auch das Ungleiche, sodass die Aktualisierung der Eigenschaften im synthetischen Tausch zumindest zur zeitweiligen Auflösung des Identischen führt und gänzlich befreit von jenen invarianten Anweisungen zur Kollinearität ist, mit der sowohl das klassische Objekt als auch das generische Asset noch integriert wird. Solche Indetermination bedeutet, dass die synthetischen Assets keine prä-determinierte Form besitzen, sie sind sozusagen frei von vordefinierten Variablen ihrer Koordinaten wie auch von vordefinierten Relationen, abgesehen von denen, die jetzt im Augenblick zwischen ihren Variablen existieren. Wir haben es hier mit multiplen, nicht-lokalisierbaren Relationen zwischen differenziellen Elementen zu tun, die im Handel ständig in reale Relationen und aktuelle Terme übersetzt werden. Schließlich kommt es zu wesentlich differenten Beziehungen zwischen den materiellen Eigenschaften und den verschiedenen Registern der Realität der synthetischen Assets selbst: ihren aktuellen, potenziellen und virtuellen Anteilen an Realität. Grob gesprochen definiert Deleuze das Aktuelle als das, was ist, er definiert das Potenzielle als das, was alles Mögliche ist und sein kann und das Virtuelle als das, was weder potenziell noch aktuell ist, i. e. was an einem gegebenen Ort und zu einer gegebenen Zeit in der Vergangenheit möglich war, im Jetzt möglich ist oder in Zukunft möglich sein wird und damit per definitionem umfassenden Realitätsstatus besitzt. (Zechner 2003: 103) Das Virtuelle besitzt in erster Linie ein Register, das Intensitäten aufzeichnet und verteilt, die den topologischen Raum dessen strukturieren, was dann in Zukunft sich zu aktualisieren möglich erscheint. Und die Intensität umfasst als intensive Quantität das Ungleiche an sich, sie zeigt die Differenz in der Quantität an, sie zeigt, was es an Unauslöschbarem in der sog. Quantitätsdifferenz, i. e. an Unausgleichbarem in der Quantität selbst gibt. (Vgl. Deleuze 1992a: 308ff.) Dementsprechend gilt sie als die wesentliche Qualität der Quantität. Wenn Deleuze zufolge die virtuelle Mannigfaltigkeit weder Form noch Signifikation besitzt, keine vorgängige Identität und keine Eins herausfordert, sondern in ihrer Indetermination reine Differenz bezeugt, dann ist auch im Ökonomischen jedwede Aktualisierung der synthetischen Wertpapiere infolge ihres Handels nicht als die Aktualisierung einer vorgängigen Form zu verstehen, vielmehr impliziert die Aktualisierung stets Differenzierungsprozesse der Struktur, ohne dass eben eine Prä-Definition für das synthetische Asset benötigt wird, d. h., die Struktur besteht nur in und aus ihren Effekten. Das synthetische Wertpapier hat also einen Teil im Virtuellen und einen Teil im Aktuellen, es handelt sich im Sinne von Deleuze um ein hybrides virtuelles Objekt: Das virtuelle Objekt ist in die Realität doppelt eingeschrieben, zum einen als Parzialobjekt, das von einem generischen Objekt abgeleitet ist, indem dieses jenes aktualisiert; zum anderen besteht es in seinem eigenen Prozess des Werdens, der sich vor allem vom Virtuellen zum Aktuellen hin bewegt – und damit ist es in die Realität inklusive seines virtuellen Aspekts inkorporiert, insofern der unilaterale Prozess vom Virtuellen zum Aktuellen über das Virtuelle hinausweist, und zwar in Richtung einer globalen Integration in ein offenes Ganzes (Aktualisierung) und insofern es dies tut, wird es zu einem Parzialobjekt. Dieses hybridisierte, partiell aktuelle und zugleich virtuelle Objekt gibt dem Synthetischen eine monströse materielle Gewalt. Deleuze sagt, dass das aktuelle Objekt dem Gesetz unterworfen ist irgendwo zu sein oder nicht zu sein, während das virtuelle Objekt die Eigenschaft besitzt zu sein oder nicht zu sein, wo es gerade ist. Für das hybride Objekt kommt es schließlich darauf an, bis zu welchem Grad es zugleich virtuelles und aktuelles Objekt ist, insofern es partiell in alle möglichen Objekte inkorporiert sein kann, um auf diese auch einzuwirken. Demzufolge wird das synthetische Asset im Zugleich erzeugt, dessen, was es ist, und dessen, was es nicht ist. Als spekulatives Kapital ist es, was es ist, eine replizierte Verkörperung des generischen Assets (z. B. Kredit oder Staatsanleihe), aber zugleich ist es mehr als es ist, denn es funktioniert wesentlich fungibler als das generische Asset und besitzt eine wesentlich höhere Symmetrie als das generische Asset, es kann dessen Handel radikal affizieren, ja sogar determinieren, und es besitzt eine Reihe von eigenständigen, sich ständig wandelnden differenten ökonomischen Eigenschaften. (Vgl. Lozano 2013) Es ist aber auch weniger als es ist, d. h., ein Fragment des generischen Referenten (z. B. repliziert der CDS nicht das gesamte Risiko des Referenzkredits). Man sollte also keineswegs von einem Eins-zu-Eins-Mapping der gesamten Palette der ökonomischen Eigenschaften bezüglich der Wiederholung des jeweiligen Referenzereignisses durch das synthetische Wertpapier ausgehen. (Ebd.) Was das Mapping hier generell von der Spurensuche unterscheidet, beinhaltet eine nicht-repräsentative Orientierung hin zu einem synthetischen Experiment, das sich seine eigene Realität erfindet und damit zugleich andere Realitäten infiltriert, obgleich es in letzter Instanz von der Realität des Kapitals determiniert bleibt. Wenn Deleuze sagt, dass das Mapping kein Unbewusstes in sich selbst reproduziert, sondern das Unbewusste konstruiert, dann sollte man finanzielle Instrumente wie CDS oder CDOs durchaus als Teil des Unbewussten der kapitalistischen Realität verstehen.

Synthetische Wertpapiere besitzen also stets einen virtuellen Bereich, oder sie sind zumindest an einen Bereich nahe des Virtuellen angesiedelt, eine zugegebenermaßen etwas unglückliche Schreibweise, weil das Virtuelle, wie wir oben gesehen haben als Sphäre nicht gelten darf. Vielmehr geht es um Virtualisierungskapazitäten im und des Aktuellen (materielle Eigenschaften der synthetischen finanziellen Assets sind von einem Wachstum an Fungibilität oder Virtualisierung markiert). Und wenn synthetische Assets nicht nur teilbar sind, sondern auch Reversibilität einschließen, dann sollten wir dies als einen Zug zu einer noch leichteren Fungibilität und zu einer noch höheren Symmetrie im Rahmen ihrer Virtualisierungskapazität begreifen. Es lässt sich hier keinerlei physikalische Identität mehr finden, keine Repräsentation in einem präexistenten Raum anzeigen, vielmehr fließen die synthetischen Assets, die mit ihrer Virtualisierungs/Akutalisierungs-Kapazität als Teil eines sich beschleunigenden Dynamismus des spekulativen Kapitals zu begreifen sind, in nicht-euklidischen Räumen, den synthetischen Märkten. Die nicht-euklidische Präsenz der synthetischen Assets zeigt sich als progressive Differentation des finanziellen Systems selbst an, das ganz der Herrschaft der inklusiv disjunktiven Synthese gehorcht, in und mit der es keine bedeutende Unterscheidung mehr zwischen Original und Kopie geben kann, keine Dominanz des Referenten über das Derivative, des Konkreten über das Simulakrum, stattdessen haben wir es immer schon mit virtuellen, nicht-postalischen Verkettungen von infiniten »Kopien« zu tun, die nirgends ankommen und die es keinem Original mehr erlauben zu überleben. Das Synthetische überspannt mit seiner intensiven Virtualisierungskapazität all seine vorgängigen Register als auch seine eigene Aktualität, um uns das Universelle eines Nicht-Fundaments erkennen zu lassen. Wenn die synthetischen Wertpapiere als Attraktoren für das Verhalten der generischen Objekte (Kredite) gelten können und inzwischen selbst die klassischen Tauschformen wie die zwischen den Waren operationalisieren und eben nicht umgekehrt, dann definieren sie mit ihrer eigentümlichen Wirkungskraft zunehmend den ökonomischen Spielraum der generischen Assets und der klassischen Tauschformen. Wir wir sehen, gibt es hier eine Inversion, insofern z. B. der Preis, Zins und Wert eines Kredits oder einer Staatsanleihe nun von einem synthetischen »Derivat« gesetzt und damit als abgeleitet zu gelten hat. Und wir beobachten, dass die zunehmende Differentation der »synthetischen Finance« eine wirklich paradoxale quantitative Metrik von ökonomischen Eigenschaften in Gang setzt, während die synthetischen Austauschprozesse gleichzeitig eine höhere quantitative Symmetrie vorführen, die u. a. durch das Bündeln und die Tranchierung der Risiken entsteht. (Ebd.) Wenn man leicht feststellen kann, dass die projektive Metrik allgemeiner als die euklidische Metrik ist, so gelten auch die synthetischen Eigenschaften der synthetischen Assets als allgemeiner als die der klassischen Tauschformen und des fiktiven Kapitals. Die synthetische Finance beinhaltet somit eine höhere, eine wirkungsmächtigere Klasse des Tauschs, indem sie die generische Finance und den klassischen Tausch und schließlich jede Form der Kapitalisierung integriert, aber niemals läuft es heute mehr umgekehrt. Und dies geschieht wiederum als Integration in die kapitalistische Ökonomie als Determination-in-der-letzten-Instanz. Im Zuge der progressiven Differentation des finanziellen Kapitalismus, seiner scheinbar unendlichen Bewegung hin zu einer ständig herabgesetzten Ähnlichkeit seiner vielfältigen ökonomischen Objekte untereinander, insofern sie proliferieren und unaufhörlich sich als neue Objekte kreieren, um von Kopien zu anderen Kopien voranzuschreiten, bis sie schließlich zu reinen Simulakren mutieren und einen betäubenden und inkrementalen Wandel der Kapitalisierung selbst herbeiführen – im Zuge dessen haben wir es eben mit einem neuen abstrakten, hegemonialen Modell des Kapitalismus selbst zu tun. Es geht dabei um die virtuelle und dynamische Konsistenz des sog. neoliberalen Modells selbst, vielleicht an dieser Stelle auch um die berühmte abstrakte Maschine von Deleuze/Guattari, die sich u. a. durch die immanente Dynamik eines Ensembles auszeichnet, in dem die Konsistenz eines jeden Objekts immer von einem bestimmtem Level der Abstraktion abhängt und weniger von der Homogenität seiner konkreten Umschreibungen, sodass Konsistenz sich selbst als Teil eines produktiven und dynamischen Prozesses ausbildet. Die abstrakte Maschine wird durch eine Set von Vektoren konstituiert, emergenten Tendenzen und Potenzen, die eine mehr oder weniger große Chance zur Aktualisierung besitzen. Bezüglich des neoliberalen Modells heißt dies, dass es zu einer kapitalimmanenten Potenzialisierung des Individuellen/Differenten qua Differenzen kommt, während gleichzeitig die Emergenz aller Formen potenzieller Kollektivität und Autonomie des Sozialen blockiert wird.

Dabei können wir nach wie vor von temporalen Beschleunigungsprozessen sprechen, wobei wir es gleichzeitig mit einer Mengenzunahme von finanziellen Transaktionen pro Zeiteinheit zu tun haben, d. h., mit Prozessen stetiger Produktionen, mit denen die technologisch-ökonomisch fundierte Beschleunigung ein noch schnelleres Wachstum der Menge an finanziellen Transaktionen nach sich zieht, das sich durchaus zu einem metastatischen Wachstum ausweiten kann. Dem computerisierten Realtime-Handel von synthetischen Derivaten – technologisch kaum noch zu überbietende Prozesse der Beschleunigung – korrespondieren also Mengensteigerungen von finanziellen Transaktionen pro Zeiteinheit, wobei deren Wachstumsraten in der Tendenz die technologisch bedingten Beschleunigungsraten übersteigen, sodass wir es mit weiteren Verknappungen und Verdichtungen der Zeit in der Ökonomie selbst und zuletzt (u. a. aufgrund von physikalischen Grenzen) mit der Tendenz zu einer instantanen Zeit zu tun bekommen, die den ökonomischen Simulationsraum charakterisiert. Schließlich bietet Deleuze in diesem Zusammenhang nicht einfach nur ein weiteres Konzept des Werts an, sondern eben eine Theorie des Konzepts des Werts, das ein sich selbst beschleunigendes-dynamisches System der Kapitalisierung und seinen Strategemen, Institutionen und Politiken anzeigt. Ganz im Gegensatz dazu haben wir es in der traditionellen marxistischen Theorie immer noch mit Konzepten der Aufteilung und der Füllung von Wert zu tun, in denen der (endliche) Raum als ein Container gefasst wird, der wiederum mit essenzialistisch gedachten Objekten aufgefüllt ist, in denen Wert (als soziale Beziehung) sich vergegenständlicht. Und Geld repräsentiert dann die verschiedenen Objekte, wobei Differenzen stets im Namen der Identität des Gleichen getilgt werden. Dagegen liefert die synthetische Finance einen neuen Modus der Aufteilung und Verteilung des ökonomischen Raumes, der die simulative, abstrakte Produktion dieses Raumes selbst ist und inzwischen prägnante Effekte auf den Modus jeglicher Produktionen in der kapitalistischen Ökonomie besitzt. Es handelt sich bei den synthetischen Wertpapieren, die übrigens durchaus eine Materialität besitzen, um eine unter-determinierte Struktur ohne Inhalt, deren radikale Determination jedoch die Realität des Kapitals selbst übernimmt. Und die Morphogenesis der synthetischen Wertpapiere, die ihrer Geldströme und ihrer Risikoproduktionen, ihrer Zeiten und ihrer Preise, all dies erscheint in der Oszillation zwischen Virtualisierung und Aktualisierung, die im Kontext von Deleuze sich vor allem von der Struktur des Virtuellen zur Aktualisierung hin bewegt, von den Bedingungen und Konstellationen eines Problems zu den Fällen seiner Lösung. Wir verschieben in dieser Schrift das Problem und schreiben die Nicht-Struktur des synthetische Assets in die uns schon bekannten Virtualisierungs-Aktualisierungs-Verschaltungen der Kapitalisierung ein.

Literatur

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(1996): Was ist Philosophie. Frankfurt/M.

Deleuze, Gilles/Parnet, Claire (1977): Dialoge. Frankfurt/M.

Lozano, Benjamin (2013): Of synthetic finance: 3 Essays of speculative materialism. In: http://speculativematerialism.files.wordpress.com/2012/12/of-synthetic-finance-complete-text.pdf

Zechner, Ingo (2003): Deleuze. Der Gesang des Werdens. München.

Foto: Bernhard Weber

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