Der Riot als Teil der globalen Zirkulationskämpfe (1)

“Sich den Gewalttätigen gegenüber der Gewalt zu enthalten heißt sich zu ihrem Komplizen zu machen. Wir haben nicht die Wahl zwischen Unschuld und Gewalt, sondern nur zwischen verschiedenen Formen der Gewalt … Die Gewalt ist die allen Regimen gemeinsame Ausgangssituation. Wenn man jegliche Gewalt verdammt, stellt man sich außerhalb des Bereichs von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, man verflucht die Welt und die Menschheit – ein heuchlerischer Fluch, denn der ihn ausspricht, hat, da er schon gelebt hat, auch schon die Spielregel akzeptiert.” Merleau-Ponty. Humanismus und Terror.

Oft genug assoziiert man mit dem Aufstand lediglich Gewalt, man bezeichnet ihn lediglich als den bewaffneten Arm des Streiks oder schlichtweg als illegitim. Entsprechend gilt dann der Streik als pazifistisch und seine Operationen bleiben stets im gesetzlichen Rahmen verankert. Die Gleichsetzung des Riots mit der Gewalt ist ein wichtiges diskursives Instrument, um dem Aufstand seine politische Sprengkraft zu entziehen und ihn als amoralisch und unsauber diffamieren. Diese Gleichsetzung, wie sie sowohl von der alten Linken als auch den Konservativen betrieben wird, ignoriert die alltägliche und systemische Gewalt, die für einen Großteil der Weltbevölkerung eine Bedingung ihres Lebens ist. Die Vision eines befriedeten Systems, in das nur in Ausnahmefällen die Gewalt einbricht, ist eine Imagination von denen, die sie sich leisten können, das heißt der Eliten des Kapitals und der Mittelklassen. Für die anderen ist die Gewalt die Norm. Die Rhetorik von rein gewaltsamen Aufständen ist ein Mittel der Exklusion, das sich nicht so sehr gegen die Gewalt, sondern gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen richtet.

Gewöhnlich wird der Aufstand im Kontext von Deprivation, Gewalt, Mangel und Defizit begriffen, während er ganz real in sich selbst jedoch die Erfahrung des Surplus anzeigt – Surplus-Gefahr, Surplus-Instrumente und Surplus-Affekte. Der wichtigste Surplus ist die Bevölkerung selbst: Der Moment, an dem der Riot das polizeiliche Management der Situation sprengt und er sich selbst von der Regelhaftigkeit des alltäglichen Lebens entkoppelt. Diese Art der aufständischen Surplusproduktion bleibt immer auf sozio-ökonomische Transformationen des Kapitals bezogen, die auf Krisen antworten oder diese konstituieren. All dies zeigt den Riot – amoralisch, überschreitend und übertretend – als eine notwendige Form des Widerstands und eines Kampfes an, der die Kommunikation verweigert und sich in einer Zone der Unsichtbarkeit aufhält.

Der Riot steht in einem bestimmten Verhältnis zum Streik: Der Streik ist eine kollektive Aktion, die sich um a) den Preis der Arbeitskraft und bessere Arbeitsbedingungen dreht, b) in der sich die Arbeiter rein in der Position des Arbeiters befinden, und der c) im Kontext der kapitalistischen Produktion stattfindet, während der Riot a) den Kampf um die Preise und die Erhältlichkeit oder den Diebstahl von Waren inkludiert, b) seine Teilnehmer enteignet sind, und er c) im Kontext der Zirkulation stattfindet. Die kollektiven Widerstände bleiben an die Transformationen der Ökonomie des Kapitals gekoppelt; so bezieht sich die kollektive Aktion seit den 1960er Jahren auf den Rückgang der industriellen Produktion in den USA und im globalen Rahmen auf den Shift des Kapitals in die Zirkulationssphäre. Clover resümiert: Aufstand und Streik sind kollektive Verkörperungen der Zirkulation und der Produktion an der Grenze.

Für den modernen Riot, der circa 1960 begann und der vom Niedergang der großen Streiks begleitet war, kommen weitere Bedingungen und Strukturen hinzu, die mit den technischen und sozialen Transformationen des Kapitals am Ende des Fordismus zusammenhängen. Der Riot ist Teil der globalen Zirkulationskämpfe, das heißt, er findet in der Zirkulationssphäre statt, die als eine soziale Organisation sui generis begriffen werden muss. Er umfasst eine ganze Reihe von Aktivitäten wie Sabotage (Schuldenstreiks), Unterbrechungen, Diebstahl, Störungen und Haus- und Platzbesetzungen. Die Pathologisierung der Riots, wie sie insbesondere von der alten Linken betrieben wird, reduziert den Riot hingegen ganz auf Gewaltanwendung. Dagegen gilt es unbedingt festzuhalten, dass heute große Teile des globalen Proletariats, welches das Prekariat, die Surplusbevölkerung und Teile des Lumpenproletariats umfasst, schlichtweg gezwungen sind, in der Zirkulation zu kämpfen.

Joshua Clover sieht ab 1973 den entscheidend neuen Modus des Kapitals in der Zirkulation, der Finanzialisierung und der sie begleitenden Deindustrialisierung. In diesem Kontext gilt es dann auch die Relationen zwischen der historischen Neuformierung des Kapitals und den gelebten kollektiven Kämpfen herzustellen, um daraufhin die synchrone Bindung des Streiks an die Produktion und der Riots an die Zirkulation zu beachten, wobei die Diachronie zwischen den jeweiligen Phasen zu berücksichtigen ist.

Die Zirkulation darf dabei nicht auf die Realisierung von Waren und die Konsumtion reduziert werden. Wenn das Kapital die Kapazität besitzt, sich in einer exzessiven, wachstumsorientierten und spiralförmigen Bewegung (der Kreis ist ein Sonderfall der logarithmischen Spirale, nämlich einer Spirale, deren Wachstum gleich null ist) als Selbstzweck zu setzen – der Ausgangspunkt ist hier der Endpunkt und umgekehrt –, dann beherrscht es als ein sui generis monetärer Prozess umfassend die Produktionssphäre, um diese eben in die primäre »monetäre Zirkulation und Distribution« G-W-G’ zu integrieren. Die Produktion, die Distribution (die Verteilung der Profite) und die Zirkulation sind demnach hinsichtlich ihrer Integration (sowohl strukturell als auch temporär) unbedingt als Teile der monetären Ökonomie des Kapitals und seiner Metamorphosen zu betrachten, als dessen Phasen, Aspekte und Momente.

Marx geht im Kapital Bd. 2 von drei Kreisläufen des industriellen Kapitals aus: Geldkapital, produktives Kapital und Warenkapital, wobei der Kreislauf des Geldkapitals GW … P … W’ – Gdie drei Kreislaufbewegungen, exakter die drei Spiralbewegungen des Kapitals umfassend strukturiert, repräsentiert und integriert, wie er auch Störungen innerhalb der Kreisläufe impliziert, insofern er selbst als ein je sich verschiebendes Zentrum fungiert. (MEW 24: 31ff.) Diese Formel der Kapitalzirkulation ist der primäre Mechanismus der Kapitalökonomie, der die Warenproduktion als Produktion-für-den-Profit und als Produktion-für-die-Zirkulation konstant begleitet und einschließt. Zwar ist auch das Geldkapital hier lediglich ein Durchgangsmoment des Reproduktionsprozesses des Kapitals, wie Marx anmerkt (MEW 25: 406), aber ist erst einmal die Kapitalisierung als Bildung des fiktiven Kapitals, i. e. für Marx die entwickeltste Form des Kapitals, gesetzt, dann sind im Verhältnis zu ihm jegliche qualitativen Unterschiede der industriellen und kommerziellen Einzelkapitale, ihrer Produktionsprozesse und ihrer Waren gelöscht. Marx schreibt: »…Und alles Kapital ist seinem Wertausdruck nach Geldkapital.« (Ebd.: 406) Fremdes oder eigenes Geldkapital ist dabei der Motor für industrielle Unternehmen, die Waren (Produktionsmittel, Gebäude, Energie, Rohstoffe, Software etc.) kaufen und Arbeitskräfte mieten, damit Produkte, die mit Mehrwert angereichert sind, produziert und auch realisiert werden können. Maschinerie, Energie, Produkte oder Produktionsprozesse sind eben an sich kein Kapital. Marx hat gezeigt, dass die Formel G-W-G’ der entscheidende Ausdruck aller dem Kapital gemäßen ökonomischen Relationen ist und darin ist selbstverständlich die Warenproduktion mit eingeschlossen, die nun als ein rein funktionaler Prozess, ein Prozess zur Herstellung des Profits fungiert. Das Kapital bindet den Produktionsprozess je schon an seine monetären Metamorphosen und die (monetäre) Zirkulation, i. e. die Produktion ist eine Phase oder ein Moment der Zirkulation des Kapitals zu verstehen, dessen allgemeine Form sich in folgender Formel anschreiben lässt: G-W-P-W’-G’.

Wenn das Kapitalprinzip der Motor des atmenden Monsters namens Gesamtkapital ist, dann ist das finanzielle System dessen Zentralnervensystem. Das Finanzsystem exekutiert die Konkurrenz, die Koordination und die Regulation der Einzelkapitale, denen wiederum das Apriori des Gesamtkapitals vorausgesetzt ist, das sich über die reale Konkurrenz der Einzelkapitale, die für Marx allemal kein Ballett, sondern ein Krieg ist, aktualisiert. Das finanzielle Kapital moduliert andauernd die Konkurrenz aller Unternehmen und entfacht sie neu – es ist also ein integraler Teil der Kapital-Ökonomie, kein Krebsgeschwür, das ein Arzt entfernt, um dem Kapitalkörper wieder zur Gesundheit zu verhelfen.Unter diesen Voraussetzungen dominiert die monetäre Zirkulation die Produktion, bleibt aber stes auf diese bezogen.1

Die Globalisierung bzw. die Finanzialisierung ist in räumliche und zeitliche Strategien des Kapitals eingebunden, wobei der Shift des Geldkapitals hin zur Zirkulation tendenziell die Wertproduktion kollabieren lässt. Der Siegeszug der Logistik und der Containerisierung – Teil sowohl der Valorisierung als auch der Realisierung von Wert- und die Beschleunigung der Umschlagszeiten des Kapitals seit den 1970er Jahren gingen mit dem Niedergang der industriellen Produktion in den entwickelten Ländern einher – Finance und neue Technologien konnten aber die Stagnation der Profitraten im industriellen Sektor nicht aufhalten, obgleich sie immer wieder zu Kostenreduktionen einzelner Unternehmen beitrugen. Die entsprechende Überproduktion von Waren, Kapital und Arbeitskräften ist eine Produktion der Nichtproduktion, die mit der Produktion einer neuen Surplusbevölkerung einhergeht. An dieser Stelle sollte man sich wieder auf das Marx`sche Gesetz der kapitalistischen Akkumulation beziehen, nach dem die industrielle Reservearmee und die Surplusbevölkerung sich an den Rändern des offiziellen Arbeitsmarktes bewegen, wo sie zu Niedriglöhnen, mit Sklavenarbeiten, Teilzeitjobs und illegalen Tätigkeiten irgendwie ihre Reproduktion zu sichern. Die Surplusbevölkerung ist unentwegt rassistischen Attacken ausgesetzt, was die Lohndifferenzen zwischen Weißen und Schwarzen, die Segregation des Arbeitsmarktes und den Ausschluss der Bevölkerung in den Slums der Metropolen betrifft. Die Surplusbevölkerung ist ein Teil der gegenwärtigen Riots, einer Surplusrebellion, die durch den Widerstand gegen den Rassismus gekennzeichnet ist. Die Illegalität des Riots ist die Illegalität des rassifizierten Körpers.

Die globale Bevölkerung, deren Reproduktionsbedingungendurch den Shift des Kapitals von der Produktion hin zur Zirkulation gekennzeichnet sind, bleibt in den Metropolen zwar Teil einer Konsumgesellschaft (im Sinne des Baudrillards), aber die Exklusion aus dem Lohnarbeitsverhöltnis und die damit einhergehende Produktion einer Surplusbevölkerung setzen heute den Riot jederzeit auf die Tagesordnung, einen Aufstand, der in der letzten Instanz als ein Kampf in der Zirkulationssphäre verstanden werden muss.

Dieses neue Proletariat, das die Surplusbevölkerung und Teile umfasst, die Ähnlichkeiten mit Guy Standings Prekariat (als Klasse) besitzen, wird  heute in ihren Kämpfen direkt mit dem Staat und der Polizei konfrontiert (in den frühen Aufständen des 17. Jahrhunderts war die Ökonomie nahe und der Staat weit weg). Während heute die Produktion areosoliert und global zergliedert abläuft, das Geldkapital unsichtbar in Realtime über den Globus zirkuliert und Waren durch globale Logistikketten geschleust werden, ist die stehende Armee des Staates, die Polizei (inzwischen im Kontext des „Kampfes gegen Drogen und den Terror“ hoch militarisiert), immer vor Ort. Der lokale Aufstand, muss sich daher, auch wenn er ökonomische gründe haben mag, zwangsläufig gegen die Polizei richten. Dennoch bleibt der Bezug der Riots zu den sozio-ökonomischen Bedingungen erhalten, Plünderungen und andere Formen der Aktion sind als eine Antwort, ja als eine Außerkrafstetzung der Logiken des Marktes zu verstehen. Wenn der Aufstand die Frage der ökonomischen Reproduktion ins Spiel bringt, dann als ihre Negation, als Inversion einer Arbeitermacht, die auf die Teilnahme am ökonomischen Surplus abzielt, aber heute vollkommen in die Defensive geraten ist, insofern die Erhaltung der Reproduktion der Arbeiter mit der Stabilisierung des Erfolgs der eigenen Unternehmen einhergeht.

Der Riot ist die Negation dieser Falle, in die die Arbeiter geraten sind. Der Riot, so resümiert Clove, sei eine privilegierte Taktik, die für die Kämpfe in der Zirkulationssphäre stehe, der Aufstand, die Blockade, die Besetzung und schließlich am Horizont die Commune.

Wenn sich das alltägliche Leben eines Teils der Weltbevölkerung immer stärker in der Zirkulation bzw. in den informellen Ökonomien abspielt, dann gerät dieser Teil selbst zum Surplus und wird mit den Bedingungen seiner Reproduktion  unmittelbar am Markt jenseits des Lohnarbeitsverhältnisses konfrontiert, und in dieser Situation kann jede unerlaubte Ansammlung einer Gruppe an der Ecke, aauf einem öffentlichen Platz und in der Straße als ein potenzieller Riot verstanden werden. Ganz im Gegensatz zum Streik ist es schwer herauszufinden, wann der Riot startet oder wann er endet. Einerseits ist er ein partikulares Ereignis, anderseits die holographische Miniatur einer kompletten Situation, ein Welt-Bild. Während der frühe Riot sich noch kaum mit der Polizei und dem bewaffneten Staat konfrontiert sah (er fand im ökonomischen Raum statt), hat sich dies beim postindustriellen Riot geändert. Einerseits findet er sich mit dem Ensemble der Waren in den lokalen Supermärkten konfrontiert, andererseits entdeckt er, wenn es um die Preissetzung der Waren geht, dass die Kapital-Ökonomie heute über eine weitegehnd unsichtbare planetarisches Logistik und eine kaum zu greifende Finanzindustrie verfügt. Nur die Polizei kann an jeder Ecke gesichtet werden. Der Unterschied zwischen dem frühen und dem postindustriellen Aufstand, die sich beide in der Sphäre der Zirkulation abspielen, scheint im ersten Moment den Kampf am Marktplatz undden Kampf gegen den Staat zu betreffen. Allerdings zeigten gerade die Riots in Harlem und Watts in den 1960er Jahren, dass die Schwarzen von der ökonomischen Rezession besonders betroffen waren und sich der doppelten Konfrontation mit Staat und Kapital ausgesetzt sahen. In diesem Kontext sieht Guy Debord in den Plünderungen keine hyperbolische Realisierung der Konsumideologie, sondern die Unterwanderung der Ware als solche, die unmittelbar mit dm Staat, der Polizei und der bewaffneten Einheiten konfrontiert ist. Die Polizei steht nun ganz augenscheinlich für die Ökonomie, die Gewalt der Ware wird Fleisch.

Riots sind immer auch Kämpfe um die Kontrolle des Raumes und die Durchgänge durch den Raum; sie werden um die Gebäude, Passagen und Plätze organisiert, sie verdichten die Ansammlungen der Massen auf den Straßen. Es gibt etwas Urbanes in den Aufständen, etwas Architektonisches, um nicht zu sagen etwas Räumliches. Die Barrikade, eines der wichtigen Instrumente des Aufstands, hatte ihren Ursprung in der Abschottung der Nachbarschaften gegen feindliche Angriffe, bis die breiten Boulevards und das industrielle Wachstum diesem Instrument eine Ende bereiteten.

Für Joshua Clover prozessiert die Logik der Produktion zeitlich, während die Logik der Zirkulation räumlich verankert ist. Er spricht hinsichtlich der Produktion von der Valorisierung des Werts qua sozial notwendiger abstrakter Arbeitszeit, vom Streik als einem temporalen Kampf um die Länge der Arbeitszeit und um ihren Preis. Die Zirkulation zeichnet sich die Realisierung des Mehrwerts als Profit aus. Die Verräumlichung betrifft den Transport, die Kommunikation und die Logistik. Wenn Marx von der Vernichtung des Raumes durch die Zeit spricht, dann wurde das oft als eine steigende Irrelevanz der Relation des Kapitals zum Räumlichen interpretiert. MIt David Harvey ist hingegen von einer wachsenden Bedeutung des Raumes für das Kapital und seine Kreisläufe auszugehen. Zugleich wird die Zirkulation zu einer Bedingung der Produktion, wobei keineswegs eine Dominanz der Kämpfe in der Zirkulation gegenüber denen in der Produktion eingefordert wird. Wenn aber das Kapital sich zunehmend in den finanziellen Kreisläufen und der verräumlichten Zirkulation befindet, in der die Transportkosten gesenkt und die Umschlagszeiten für immer mehr Waren beschleunigt werden müssen, dann werden die Kämpfe in dieser Sphäre auch für das Kapital zentral. Die Gegenwart des Kapitals ist heute auch eine Zeit des logistischen Raumes als eine Serie von innerkapitalistischen und zwischenstaatlichen Wettbewerben. Das finanzialisierte globale Shippment und die Containerisierung signalisieren diesen Wandel, wobei die just-in–time Produktion, die seit den 1970er Jahren stattfindet, den methodischen Aspekt desselben Wandels anzeigt. Damit hat sich gleichzeitig in den entwickelten Ländern das Verhältnis der Arbeit zur Kapitalakkumulation verändert, und deswegen können kollektive Aktionen wie der Streik allein keine gegnmacht mehr entfalten. Eine neue Klassenpolitik sieht sich mit den sozio-ökonomischen Transformationen des Kapitals konfrontiert. Gleichzeitig kann sie nur ein Kampf gegen die Existenz des Kapitals selbst sein, und eben nicht die einer neuen Ermächtigung für die Arbeit. Kapital und Arbeit befinden sich heute in den entwickelten imperialistischen Ländern in einer engen Kollaboration, um die Selbstreproduktion des Kapitals zu erhalten und um die Arbeitsziehungen entlang der Verbindlichkeiten der Unternehmen zu sichern. Die Arbeiter müssen heute ihre eigenen Exploitation affirmieren, um ihre  Reproduktion zu gewährleisten. Die Arbeit hat aufgehört die Antithese zum Kapital zu sein. Der traditionelle Marxismus, der die produktive Arbeit als transhistorische Kraft der sozialen Konstitution anpresit, hat endgültig sein Pulver verschossen. Der Kampf um die Löhne behält zwar seine Berechtigung, aber er legitimiert nun immer auch das Kapital.

Der Riot scheint nichts zu erhalten oder nichts zu affirmieren, vielleicht einen geteilten Antagonismus, eine geteiltes Elend und eine geteilte Negation. Oft besitzt er nicht einmal die positive Sprache eines Programms oder einer Forderung, sondern nur die negative Sprache des Vandalismus, der Zerstörung und des Planlosen. Aber dennoch mangelt es ihm nicht an Determination. Clover spricht von der Überdeterminierung des Riots durch historische Transformationen, die den Antagonismus, im speziellen die Kämpfe in der Zirkulation notwendig machen. Der soziale Surplus, der die Akkumulation des Kapitals im Fordismus noch begleitet hat, ist verschwunden, und mit ihm die Möglichkeiten des Kapitals und des Staates soziale und ökonomische Verbesserungen für Lohnabhängigen zu gewährleisten. Kapital und Arbeit wandern immer stärker in die Zirkulation ab,während sich die Surplusbevölkerung  in der informellen Ökonomie befindet. Die neuen Aufstände in der Zirkulation müssen nicht unbedingt von Arbeitern getragen werden, denn im Prinzip kann jeder einen Marktplatz befreien, eine Straße schließen oder einen Hafen besetzen. Die Aufständischen mögen Arbeiter sein, aber sie fungieren im Riot nicht als Arbeiter, denn die Beteiligten  werden hier nicht durch ihre Jobs, sondern in ihrer Funktion als Enteignete unifiziert.

Im Kontext des Riots wird oft der Begriff der Ansteckung gebraucht; das Unsichtbare Komitee spricht hingegen etwas zu idealistisch von der Resonanz der revolutionären Bewegungen. Auf jeden Fall leben die Riots von der Surplusbevölkerung als der Basis ihrer eigenen Expansion. Aus der Sicht des Riots selbst geht es aber nicht nur um die Beteiligten, um ihre kollektiven Aktionen und Visionen, sondern um die Synthetisierung der Krise, der Surplusbevölkerung und der Rasse. Es sind die brachliegenden Kapazitäten als Begleiterscheinungen der Krisen, sozusagen der Surplus der Produktion der Nichtproduktion, der im Aufstand ins Visier genommen wird. Die relative Surplusbevölkerung ist hier ein integraler Teil des Aufstands (als Resultat der wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals und der Fortsetzung der primitiven Akkumulation in der immanenten Bewegung des Kapitals). Die wichtigste Membran mag zwischen der industriellen Reservearmee (Teil des Arbeitsmarktes) und der Surplusbevölkerung, die sich außerhalb des offiziellen Arbeitsmarktes befindet, liegen. Die Surplusbevölkerung wird heute in informationelle, halblegale oder illegale Ökonomien abgedrängt. In diesem Kontext kann die Informationalisierung als eine Art der Strukturierung der ökonomischen Aktivitäten begriffen werden.

Deleuze hat in diesem Zusammenhang vom verschuldeten Menschen gesprochen, aber gegen die Ontologie der Verschuldung gleich hinzugefügt, dass für die Kontrollmächte immer wieder die Gefahr der Aufstände erwachse – die Verschuldeten und die Ausgeschlossenen seien eins. Sie sind derselbe globale Surplus. Das Kapital muss heute immer neue Agenten finden, die der Verschuldung fähig sind, Studenten, Hausbesitzer und Teilzeitarbeiter. Selbst Marx sprach von der Kapitalakkumulation als einer Bedingung, die das Proletariat multipliziert. Wenn der Aufstand nicht nur eine kollektive Aktion, sondern eine Art des Klassenkampfes darstellt, und die Rassifiizierungsprozesse wichtiger Teil der neuen Aufstände sind, dann muss die Surplusbevölkerung eine vermittelnde und explanatorische Kraft besitzen; sie ist als Teil des Proletariats zu verstehen, dessen konstitutive Funktion in der Negation des Kapitals besteht. Je mehr die Arbeiterklasse das Kapital affirmieren muss, um selbst zu überleben, desto stärker sind wir mit der politischen Signifikanz eines expandierenden Proletariats konfrontiert, das keinen Zugang zu den traditionellen Formen der Reproduktion besitzt.

Das Problem der proletarischen Reproduktion liegt nun jenseits des Lohnes, aber auch der Marktplatz, der die frühen Aufstände gekennzeichnet hat, kann die Reproduktion nicht mehr gewährleisten. Die relative Trennung der Produktion von der Zirkulation und die permanente Präsenz der Polizei im Raum demonstrieren die Abwesenheit vorheriger Möglichkeiten. Die Rekomposition der Klasse und die Abstraktionen der Ökonomie sind hier dasselbe. Zirkulation ist der Wert in der Bewegung zu seiner Realisierung; Zirkulation ist zugleich ein Regime der sozialen Organisation innerhalb des Kapitals. In diesem Sinn ist der Aufstand das Zeichen einer Situation, die sich absolut setzt. Und dies nicht aufgrund der wilden Natur des Aufstands, sondern aufgrund der sich entfaltenden deterritorialisierenden Situation, in der er sich befindet. Der Aufstand ist keine Forderung, sondern ein Bürgerkrieg, schlussfolgert Clover im Gleichklang mit Tiqqun.

Einerseits muss sich der Riot absolut setzen, um die Reproduktion jenseits des Lohns und des Marktplatzes zu erlangen und um einene Zugang hin zur Commune, die vom Bürgerkrieg nicht zu trennen ist, zu finden; andererseits ist er ständig mit der Polizeigewalt konfrontiert, die solch eine Absolutsetzung zu blockieren versucht. Wie der Hafen und die Fabrik Orte des frühen Aufstands und des Streiks waren, so sind die Plätze und die Straßen heute  Orte des  Aufstands.

Clover schreibt: “Der Aufstand, die Blockade, die Barrikade, die Besetzung. Dies ist es, was wir in den nächsten fünf, fünfzehn, vierzig Jahren sehen werden.“ Einerseits beziehen sich die Platzbesetzungen  auf die Kämpfe an den Marktplätzen des frühen Aufstands (und ihren ökonomischen Forderungen), andererseits demonstrieren sie die Unmöglichkeit einer Rückkehr zu diesen frühen Kämpfen. Der heute umkämpfte Platz ist direkt auf die Politik bezogen, und dies erscheint für Clover als das transzendentale Problem des Jahres 2011. Die Population der gegenwärtigen Aufstände erhält ihre historische Funktion nicht durch ein Idee (Badiou) oder durch die todbringenden Fluktuationen der Lebensmittelpreise, sondern aufgrund einer unterliegenden sozio-ökonomischen Struktur, einer materiellen Reorganisation des globalen Kapitals.

Das Reservoir der Aufstände erwächst seit dem Jahr 2006 einerseits aus Jugendlichen, denen der Weg in die Ökonomie versperrt wird, andererseits aus einer Surplusbevölkerung und dem ihr entgegenstehenden staatlichen Krisenmanagement. Die Organisation des Camps, wie man sie im Rahmen der Occupy-Bewegung in Oakland sah, macht die Stärke und Schwäche der Bewegung zugleich aus, was ihre Militanz und die Klassenkomposition der Ausgeschlossen und Abgeschlossen betrifft. Hier spielt auch das Problems in der Beziehung zwischen der Abjektion der Flüchtlingscamps und dem Aktivismus in den politischen Camps eine gewisse Rolle, wobei der Kontext zwischen dem politischem Camp und seinen sozio-ökonomischen Bedingungen nicht übersehen werden darf. Der dominante Diskurs von Occupy – wir sind die 99%- und uns steht damit ein entsprechender Anteil am sozialen Reichtum und Klassenmacht zu, war nicht in der Lage diejenigen zu repräsentieren, die schon lange jenseits der Versprechungen der Institutionen und einer redistributiven Politik leben. Es muss hingegen eine Verbindung zwischen den Lagern der Surplusbevölkerung und den politischen Gruppierungen, die antistaatlich agieren, hergestellt werden, gerade weil die Produktion der Nichtproduktion und die weltweite politische Volatilität fortbestehen.

In diesem Zusammenhang drückt die Blockade des Verkehrs und die Unterbrechung der Zirkulation den Wunsch aus, Alles zum erliegen zu bringen. Dabei gibt es weitere Signale der neuen Riots zu vermelden: einen Hang zum Populismus, der nach Sympathien in den Medien und in der Bevölkerung sucht, einen Pazifismus, der für eine respektable Politik plädiert. Der forderungslose Aufstand wird so codiert, als sei er die Forderung selbst, wobei die bestehende Ordnung ihn doch anerkennen könnte, wenn sie ihn nur verstehen würde. Der andere Impuls findet im Aufstand etwas, das vor oder nach der Kommunikation kommt, eine Praxis, die in der Plünderung, der Kontrolle des Raumes oder der Erosion der Polizeigewalt bestehen mag, um die Exklusion der Aufständischen zu demonstrieren. Der Erfolg der ersteren, der diskursiven Strategie, die immer auch der Bürgerrechtsbewegung nahe steht, scheint heute angesichts der sozio-ökonomischen Bedingungen des Kapitals mehr als zweifelhaft. Die ihr entgegenstehende Raserei des Aufstands ist zweifelsohne ein Gradmesser für den sozialen Druck, der im Kontext der wachsenden Polizeigewalt auf die Surplusbevölkerung ausgeübt wird. Schließlich ist in den Kämpfen ein Blick auf die Commune zu werfen, die als Horizont aufscheint, als eine soziale Relation, eine politische Form und als ein Ereignis, oder besser gesagt, als eine Taktik der sozialen Reproduktion bzw. als eine Praxis, für die es einer entsprechenden Theorie bedarf.

  1. Die frühe kapitalistische Produktion – sowohl in ihrer abstrakten Form als auch als eine historische Formation – impliziert Aktivitäten, die zunächst von Produzenten getätigt werden, die keine Eigentümerschaft über die Produktionsmittel und auch keine Kontrolle über ihre Arbeitskraft besitzen. Ein Bauer konnte in der derselben historischen Epoche sich beispielsweise noch Land vom Feudaladel mieten und Geld leihen, um damit Samen zu kaufen, wobei er nur Kredit aufnahm, wenn er annahm, dass die zukünftige Ernte als Sicherheit für die gemachten Schulden dienen konnte. Die zukünftige Ernte war somit ein potenzielles Pfand, noch bevor sie überhaupt auf dem Markt zu einer Ware transformierte. Es wurden also mit der Herstellung eines Konsumprodukts zugleich zwei finanzielle Produkte – die Schulden und die Sicherheit – kreiert. Wenn in Kapitalist in späteren historischen Phasen die Produktionsmittel sich schließlich aneignete, so fungirten diese als Mittel, um den von den Arbeitern erzeugten Mehrwert, der in vorherigen Zeitperioden geschaffen wurde, zu bewahren und zu akkumulieren. Die Funktionsweise der Produktionsgüter bestand jedoch nicht nur darin, als Mittel zur Produktion des Mehrwerts zu fungieren, sondern sie verkörperten gleichzeitig finanzielle Assets, die als Sicherheit für die Aufnahme von zukünftigen Schulden und damit als Material für die Kreation von neuen finanziellen Produkten dienten.

    Der Fakt, dass finanzielle Produkte nicht nur Instrumente der Zirkulation sind, sondern auch Mittel für die Akkumulation realen Reichtums bereitstellen, ist das Problem, das Marx an dieser Stelle zumindest anreißt. Es muss heute weitergehend gezeigt werden, welche Rolle das finanzielle Kapital und die Finanzmärkte für die kapitalistische Reproduktion spielen und zwar zunächst für die laufende Reproduktion der Warenmärkte. Heute ist das Kapital ein System, dessen akkumulierter realer Reichtum ganz von der Bereitstellung und Organisation der Liquidität durch das Finanzsystem und seinen Finanzmärkten abhängig ist, an denen die Preissummen der finanziellen Assets in gewisser Unabhängigkeit vom Output der Gebrauchsgüter und weit über deren Wachstumsraten hinaus steigen können. Die kapitalistische Produktion muss je schon finanziert werden und die Tatsache, dass die Asset-Märkte schneller wachsen als der materielle Output der Industrieproduktion ist eine logische Konsequenz der Kapitalisierung, zugleich aber auch immer an bestimmte historische Bedingungen gebunden.

    Marx hat die finanziellen Instrumente meistens ausschließlich der Zirkulationssphäre zugeordnet und ihre Funktion abgetrennt von der Funktionsweise der Technologien bzw. physikalischen Produktionsmittel analysiert, die den vergangenen Reichtum aufbewahren und zugleich eine zukünftige Nachfrage nach produzierten Gütern ermöglichen. Bei Marx scheint es, wenn es um den Wert geht (analog zur Energie und Materie), eine Art Erhaltungsprinzip zu geben, wobei das Wachstum des real akkumulierten Reichtums nie größer sein kann als die Profite, die in der Industrieproduktion in einer gegebenen Periode produziert werden (multipliziert mit der Mehrwertrate, die durch die Investmentrate diskontiert wird), sodass jede Vergrößerung des Werts des physischen Kapitals bzw. des konstanten Kapitals in Form der finanziellen Instrumente ihm gar nicht erst in den Blick gerät oder als rein fiktiver Reichtum gilt. Für Marx kann das reale Wachstum einer Ökonomie demnach niemals größer als der industriell produzierte Profit sein. Dies alles kann aber heute nicht mehr nicht für das Finanzsystem und seine Finanzinstrumente gelten, deren Liquidität, ohne dass die Assets selbst Geld sind, die jederzeitige Konvertibilität in Geld impliziert, wobei die Assets selbst Finanzierungsmittel sind, um die Investitionen in der sog. Realindustrie in Gang zu setzen und zu erweitern.

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