Deutschland und der kommende Staatsfaschismus

In einem FB Beitrag von gestern heißt es: “Das Problem mit dem Faschismus besteht nicht einfach nur im “völkischen Nationalismus” (das natürlich auch, es ist die ideologische Rahmung), sondern in der Anhimmelung einer “effektiven Staatsgewalt”, einem endlich durchgreifenden Staatsapparat. Und: dieser allmächtige und zum barbarischen Zentrum kulminierende Staatsapparat ist die Wiederkehr des Verdrängten in der Moderne; das Phantasma der Ordnung und Sicherheit. Dieser Punkt ist in der Forschung etwas unterbelichtet. In diesem spezifischen Sinne sind alle politischen Bewegungen und Parteien unserer Tage faschistoid, die genau auf diese etatistisch garantierte Sicherheits- und Ordnungsfunktion setzen.”

Es muss hier hinzugefügt werden, dass es längst schon um die materielle Durchsetzung dieses “Phantasmas” geht. Hamburg war ein Symptom. Hamburg war das Labor, in dem der panisch gewordene Staat für ein paar Tage den Bürgerkrieg geübt hat. Dabei mutierte der Staatsapparat selbst zur Kriegsmaschine, für Deleuze/Guattari ein deutliches Anzeichen seiner Faschisierung. Die Polizei versuchte in Hamburg einen Staat im Staat zu bilden, indem sie selbst kurzfristig außerordentliche Exekutivfunktionen übernahm, die über die Kontrolle und Besetzung des öffentlichen Raumes weit hinausgingen. Der Polizeiapparat ist inzwischen technologisch hochgerüstet und verschmilzt nach und nach mit militärischen Einheiten; mittels zum Teil militärischer Technologien wurde in Hamburg nicht nur versucht, die Kontrolle über die Plätze und Straßen zu sichern und Demonstrationen einzuhegen oder zu verhindern, sondern der Polizeiapparat war mit seinen Einsätzen wie bei der “Welcome to Hell” Demonstration direkt auf die physische Verletzung der Demonstranten aus oder nahm diese zumindest in Kauf. Die Polizei setzte auf die Durchsetzung einer Friedhofsruhe in der Stadt, was ihr aber gründlich misslang. Dennoch muss man die umfassende Militarisierung der Polizei im Rahmen eines sich immer weiter entfaltenden Sicherheitsstaates, der die Demokratie nicht abschafft, sondern sie lediglich transformiert, als ein Anzeichen der Faschisierung der Staatsapparate bewerten.

Einige kurze Notizen zur Frage des Staatsfaschismus: Borudieu schreibt: “Die Konstruktion des Staates als relativ autonomes Feld, das eine Macht ausübt, die die Zentralisation der physischen Gewalt und der symbolischen Gewalt bewirkt, und somit einen Einsatz von Kämpfen bildet, geht untrennbar einher mit der Konstruktion eines vereinheitlichten sozialen Raumes, der sein Gebiet ist.”1 Auf diese Ebene ist die Differenz zwischen der demokratischen und faschistischen Version der Staates gering. Die Unterschiede sind eher im phänomenologischen Bereich zu suchen.

Im Faschismus gewinnt eine streng hierarchisch gegliederte paramilitärische Organisation die Dominanz in den Staatsapparaten, wobei das ökonomische System beibehalten und auf einer neuen Ebene gesichert wird. Gegen den Liberalismus und Neoliberalismus als tragende Ideologien wird die Konzeption der Volksgemeinschaft, des Rassismus und des Nationalismus ins Spiel gebracht und die Kriegsmaschine wird in den Staat als ein performatives Organisationsprinzip eingepflanzt, das heißt der Faschismus inszeniert den Terror gegen die Bevölkerung  auf materieller und symbolischer Ebene als ein handelndes System.

Im Normalfall, in dem die Bevölkerung in das kapitalistische System voll integriert ist, reagiert der nicht-faschistische Staat bei kurzfristigen Krisenprozessen mit Reformen und Reformrhetorik, mit dem Aufbau von Krisenreserven in allen Bereichen und mit militärischen und politischen Maßnahmen überall dort auf dem Globus, wo der freie Fluss der Waren und des Kapitals innerhalb der globalen Wertschöpfungsketten gestört wird. Damit schafft sich der Staat ein mobilisierbares und koordinierbares Potenzial, das in krisenhaften Eruptionen der Bevölkerung sofort zum Einsatz kommen kann.

Die mögliche Transformation des Kapital-Staates zu einem faschistischen Staat ergibt sich heute nicht durch einen spektakulären Bruch, sondern durch die Akkumulation, Verdichtung und Verschärfung faschistoider Maßnahmen, man denke an den Aufbau einer Kriegsmaschine im Staat, an die potenzielle Verschmelzung von Polizei und Militär, an die vollständige Integration der Massenmedien in die ideologischen Staatsapparate, an die Festsetzung der Subalternen in virtuellen Lagern, an eine gante Reihe von Rechtsverschärfungen und die Schaffung rechtsfreier Räume  etc. Einiges war in Hamburg schon im Ansatz zu beobachten.

Die Faschisierung vollzieht sich also heute nicht mehr in einem Komplott zwischen faschistischen Organisationen und dem Staat, sondern es handelt sich um eine strukturelle, vom Staat selbst angetriebene Transformation des politischen Systems. Der strukturelle Staatsfaschismus entsteht nicht als Reaktion auf ökonomische und soziale Krisenprozesse, sondern er antizipiert die kommenden ökonomischen und politischen Krisen und entwickelt dabei eine Reihe von Techniken, seien es militärische Techniken, neue Überwachtungsinstrumente und Techniken zur Metrisierung und Quantifizierung der Bevölkerung. Er kooperiert intensiv mit der privaten Lobby großer Konzerne, der Finanzindustrie, informellen Organisation des Kapitals und supranationalen Institutionen, was unter dem Begriff “Deep State” gefasst wird. Gleichzeitig mutiert er selbst zu einer Art paramilitärischem Unternehmen.

Darüber hinaus erhält der strukturelle Staatsfaschismus auch eine Massenbewegung und soziale Basis ungeahnten Ausmaßes: Seine neue Massenbewegung ist die sich permanent selbst bewertende und bewertete Bevölkerung. Die strukturellen Prozesse der Quantifizierung und Überwachung (Ranking, Scoring, Rating etc.) treffen heute auf Dividuen, die durch die Zahlen selbst geteilt werden, aber nach wie vor Individualität simulieren und in exakt in diesem Kontext Tag für Tag ihre aktive Bereitschaft zur freiwilligen Vergabe von Daten, zur Teilnahme an Rating- und Rankingverfahren und zur Partizipation demonstrieren. Derartige Teilnahmeprozeduren sind dem Quantifizierungsdispositiv nicht nur förderlich, sondern sie intensivieren andauernd dessen Wirkungen, die nicht nur in der Quantifizierung und im numerischen Vergleich bestehen, sondern zugleich die Konkurrenz zwischen den Bewerteten und zugleich Wertenden verstärken.

Und eines ist in Deutschland gewiss: Ein größerer Teil der Bevölkerung wird zukünftige Repressions- und Überwachungsmaßnahmen, die auf jegliche Auslöschung eines Widerstands gegen das Kapital und seinen Staat zielen, nicht nur passiv, sondern auch aktiv unterstützen. Rosige Zeiten stehen uns also bevor. Wie hat schon Max Weber zu den Dispositiven des Kapitals geschrieben: »Rosige Stimmung der lachenden Aufklärung«, wobei unbedingt hinzugefügt werden muss, dass die lachende Aufklärung in bestimmten historischen Situationen in Faschisierungsprozesse jedweder Art umschlagen kann.

1) Als wichtige Bestandteile des modernen souveränen Nationalstaates betrachtet man gewöhnlich das Territorium, die Staatsgewalt, die Öffentlichkeit und die Bevölkerung. Zudem verfügt der Staat über eine neutrale Gesetzgebung, die aber in letzter Instanz durch sein Gewaltmonopol, das er als kapitalistischer Staat ausübt, garantiert wird. Im Anschluss an Althusser hat Nicos Poulantzas den Staat als die spezifisch materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses von Klassen bezeichnet, als ein komplexes öffentliches und auch privates Feld, in dem verschiedene Organisationen, Apparate und Institutionen, insbesondere die der herrschenden Klassen, auf nationalen und regionalen Ebenen agieren. So gesehen ist der Staat weder als ein autonomes Subjekt noch bloß als ein Instrument der herrschenden Klasse zu fassen, allerdings auch nicht als eine rein neutrale Instanz, sondern, und dies heute mehr denn je, in spezifischer Weise als ein verlässlicher Garant der Reproduktionsbedingungen des Kapitals, indem er mittels der Austeritätspolitik aggressiv den Klassenkampf zugunsten des Kapitals betreibt und zugleich bestimmte funktionale Bedingungen für die Kapitalakkumulation (und die Bevölkerung) herstellt, das öffentliche Geldsystem reguliert und schließlich unbedingt das private Kapitaleigentum garantiert. Obgleich der Staat in erster Linie die Interessen der herrschenden Klassen zur Geltung bringt, indem er einen kompatiblen Block an der Macht installiert, der für Poulantzas aber kein monolithischer Block, sondern eher ein strategisches Feld ist, ist er kein bloßes Ausführungsorgan des Kapitals. In den letzten Jahren hat sich das strategische Netzwerk des Staates, dessen Teil der Block an der Macht ist, weiter transformiert und wird unter den Stichworten “Deep State” und “permanente Regierung” diskutiert, das heißt, es wird als ein verdichtetes Netzwerk aus Regierungspersonal, Bürokratien, Geheimdiensten, Militär und Finanzindustrie unter der Dominanz der letzteren diskutiert. Damit wird das politische Potenzial des Staates, das darin besteht, als eine dritte Kraft sowohl dem Kapital als auch den Lohnabhängigen gegenüber zu treten, weiter eingeschränkt, aber dennoch nicht ganz aufgehoben. Für die Funktionsweise der Unternehmen, die an einem national Standort angesiedelt sind, ist ein bis zu einem gewissen Maß unabhängiger (als ein informelles Funktionssystem) staatlich organisierter Sektor, der eine ganze Reihe infrastruktureller Leistungen wie Forschung, Gesundheit und den Aufbau und die Erhaltung des Verkehrsnetzes als eine öffentliche Instanz bereitstellt und damit die Reproduktionsbedingungen für eine gesamte nationale Ökonomie unterhält, unbedingt notwendig.

Dem staatlichen Sektor gehören zudem Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, Medien, Apparate und Instanzen an, die objektivierende und quantifizierende Mechanismen der Zählung, der Statistik und des Klassifizierens in Gang setzen, die in den verschiedenen gesellschaftlichen Feldern eine hegemoniale Geltung beanspruchen und für die Bevölkerung tatsächlich auch als Common Sense gelten, indem sie den Alltag, ja die Welt als Normalzustand konstruieren, einen Alltag, der in der Regel ohne Gewalt auskommt und auf den man scheinbar ohne Weiteres vertrauen kann. Dafür setzt der Staat seine Benennungsmacht ein, um seine Gouvernance in eine spezifische konzeptionelle Struktur zu bringen und für permanente Interventionen zu öffnen, indem er heute immer intensiver die zuerst von Guattari breit diskutierten a-signifikanten Semiotiken (Zahlen, Algorithmen, mathematische Gleichungen, Tabellen, Grafiken, Diagramme, Indizes, Pläne, Notationen, Affekte etc.;vgl.), die insbesondere in den Informationstechnologien, der Ökonomie, der Wissenschaft und der Kunst eine gewichtige Rolle spielen, in das sozio-ökonomische Feld inskribiert. Damit wird stets auch eine naturalisierende Konstruktion der sozialen Prozesse in Gang gesetzt, die die soziale Realität extrem verdichtet, insofern sie in mathematische Relationen, Geometrien und eben a-signifikante Semiotiken übersetzt wird, deren performatives Potenzial darin besteht, standardisierte Perspektiven und Sichtweisen, die eine spezifische Rationalität und Klassifizierung repräsentieren, anzubieten, zu verteilen und wenn notwendig auch mit Gewalt durchzusetzen. Die Akteure werden heute in einen sozialen Raum versetzt, in dem Daten, Information und Indikatoren in einem bestimmten Set so angeordnet werden, dass die Messungen, sei es die Erfassung der Armut, des BIP und des Wohlstands, nicht nur die Repräsentation der sozio-ökonomischen Felder erfassen, sondern darüber hinaus auch performative Wirkungen erzeugen, die die Habiti, Vorstellung und Erfahrungen der Bevölkerung festzuschreiben versuchen. Die soziale Metrik, die unter anderem der Staat inszeniert und die heute in einer nihilistischen Omnimetrie (die Obsession alles zu zählen) mündet, ist schließlich immer auch an die Konstellation, Periodik und Intensität der Klassenkämpfe gebunden. Der Staat umfasst natürlich auch staatliche Apparate, zu denen das Polizei-, das Rechts- und das Verwaltungswesen gehören, die in ihren Operationen, Strategien und Praxen allesamt das Privateigentum garantieren und die Einhaltung von Verträgen, die auf dem Privateigentum basieren, wenn nötig mit Gewalt erzwingen.

Foto: Bernhard Weber

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