Die Gentrifizierung des Volkstümlichen

In den Blödmaschinen schreiben Metz/Seeßlen: „Mercedes-Sterne und Modelabels sind die neuen Leitbilder, weil Heimat, Familie, Beruf, weil soziale Schicht und Religion an Bedeutung verloren haben.“ Man könnte den Satz auch umkehren. „Heimat, Kultur und Familie sind alte/neue Leitbilder, weil Mercedes-Sterne und Modelabels an Bedeutung verloren haben.“ In Bezug auf den neuen Rechtspopulismus mag das in gewisser Weise stimmen. Da wird der Islam zur Gefahr für die deutsche Kultur heraufbeschworen, für eine nationalistisch-rassistisch-patriarchale Kultur, welche zudem die Heimat betont, die angeblich von außen bedroht wird. Die Familie erscheint plötzlich wieder als Keimzelle, starker weißer Mann und sorgende weiße Frau. Und um dem drohenden Untergang Deutschlands, der durch die entfesselte Globalisierung, das parasitäre Finanzkapital, die korrupten Parteien und insbesondere die Flüchtlingsströme vorangetrieben wird, zuvorzukommen, bedarf es einer Alternative und sie heißt natürlich AFD.

In einer Zeit, in der die Informationsdichte steigt, die Intervalle von Moden, Trends und Umfragen immer kürzer werden, in der das sich optimierende Selbst mit dem erschöpften Selbst konkurriert, entwickeln sich gleichzeitig Industrien und politische Organisationen, die Schutz vor der rasanten Globalisierung, vor Konkurrenz sowie Selbstoptimierung und die Erholung von krankmachenden Verflüssigungen, Vermischungen und anderen Zumutungen versprechen.

Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Wo die Leute glauben, authentisch und ungekünstelt, ja der Natur besonders nahe zu sein, sind sie erst recht synthetische und geteilte Produkte, Fabrikate der Kulturindustrie. Sie pflegen eine durchaus zwiespältiges Verhältnis zur Ware. Der Konsum bleibt zwar ein Prozess der sozialen Differenzierung und Klassifizierung (die Zeichen und Produkte zeigen nicht nur signifikante Differenzen im Code an, sondern sie manifestieren eben auch Statuswerte einer sozialen Hierarchie der Klassen), aber es gibt durchaus Dinge, die eher die Innenräume des sozialen Rückzugs möbilieren als auch das Aufploppen von rechtspopulistischen Bewegungen orchestrieren.

Der Rechtspopulismus bearbeitet nicht nur den ausgelutschten und recycelten Kulturmüll, dessen lebende Pendants Wolfgang Pohrt als Zusammensetzungen von Sonntagsblättern und Bildungsromanen aus dritter Hand, Amateurpsychologie und Kleingruppenforschung, Stelleninseraten und Familienanzeigen, Innerlichkeit und Erbaulichkeit, beschrieben hat, nein, ihm geht es heute um die Gentrifizierung des Volkstümlichen – und nichts anderes heißt hier völkisch –, das als bloß stupide Massenveranstaltung in Bierzelten seine beste Zeit längst hinter sich hat. Metz/Seeßlen haben recht, wenn sie darauf verweisen, dass die postmodernen Trachten und Dirndl die völkische Zugehörigkeit der Mittelschicht anzeigen, die sich gegen die zwangsglobalisierte neue Unterschicht semiologisch absetzt. Das ist die Welt der CSU und ihrer obskuren Mode, eine provozierende Mischung aus „Nuttigkeit und Regression, Angeberei und Obszönität“, wie die Autoren schreiben.

Andererseits gibt es auch die Rechtspopulisten mit ausgesprochen förmlicher Businessgarderobe, glanzlose Erscheinungen, die in manchen Zeiten versucht haben, den fehlenden Glanz mit einem glamourösen Innenleben zu kompensieren oder heute eben die Obszönität des Völkischen im Glanz der Medien erstrahlen lassen. Die letzteren sind dabei das weiche Phantasma Heimat durch das harte Phantasma der Nation ersetzen, und dies im Zuge einer Gentrifizierung des Volkstümlichen, die der Landhausmode entflieht und nun in die politische Kampfzone hineingleitet. Heimat und  Nation werden dabei als gentrifizierte Warensurrogate mitgeschleppt, borniert, aggressiv, aber auch effektiv, was die Aufmerksamkeitswirkung anbetrifft. Alles Deutsche wird dabei so sehr Statement, dass man die soziale Praxis nur noch als Grauen kennt, das von außen einströmt.

Politiker, die die Abschottungs- und restriktive Flüchtlingspolitik mit der wachsenden Furcht der Deutschen vor den Flüchtlingen begründen, verbünden sich ohne Weiteres mit dem demselben Mob, den sie durch Hartz4, soziale Deklassierung, steigende Mieten etc. in die Enge treiben.

Da wird dann auch wieder die Straße zu falschen Verkehrsform, stärker als im Westen tatsächlich im Osten, in Mecklenburg-Vorpommern, wo vergleichsweise so viele Ausländer sind wie in Frankfurt am Main, aber die Deutschen dort ernsthaft daran glauben, diese Marginalität würde ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Weil die Flüchtlinge unberechtigter Weise in Deutschland sind, darf man sie meistens ungehindert malträtieren, und das manchmal sogar im Markenoutfit. Dass die Marke, das Superzeichen per se, als einzige Botschaft nur sich selbst kennt, kommt da niemanden in Sinn. Wo Punks und  Mods  sich noch um eigene Zeichen oder um die Verdrehung der Zeichen bemüht haben, sind die rechten Helden des Baseballschlägers dazu noch zu bequem.

Seltsame Kräfte werden den Flüchtlingen zugeschrieben, einen gigantischen Wohnungsbedarf und einen unglaublichen Drang zu arbeiten, obgleich die Ausländer doch vor allem für ihre Faulheit bekannt sind. Was wäre gewesen, wenn man den Leuten nach ihrer Flucht aus der DDR die Lager- und Containerstätten angeboten hätte, wie die Flüchtlinge sie heute bewohnen müssen? Als Verunreiniger des christlichen Abendlandes werden Flüchtling ein einem Land beschimpft, in dem es gar nichts mehr zu verunreinigen gibt und durch das man am besten mit Vollgas und geschlossenen Fenstern fährt.

Das Bedürfnis nach Heimat, Nation und eigener Kultur verweist auf die Teilungen, Zerrrüttungen und Brüchen sog. bürgerlicher Identitäten, aber man spricht hier besser von Dividuen, die sich um ihre verlorene Einheit so sehr sorgen, dass sie autoritär werden. Es ist die Kränkung des Dividuums, schlecht nur mit der Krise bürgerlicher Subjektivität umschrieben, die den Reiz des neuen Völkischen hervorbringt.

Die maschinische Indienstnahme teilt qua maschineller Prozesse die Subjekte und setzt sie neu zusammen, macht damit sie fluider, geschmeidiger und variabler und transformiert sie zu Dividuen. Diese Art der Verkopplung zwischen Maschine und Mensch bezieht sich bei Deleuze/Guattari zunächst auf die kybernetische Figur der Kommunikation, die den Verkehr zwischen Organismen und Maschinen regelt Nicht zufälligerweise verwenden Deleuze/Guattari hier den Begriff »Kommunikation«, und dies lässt sich zunächst in den Kontext dessen stellen, was man in der Systemtheorie als »strukturelle Kopplung« oder »Interpenetration« bezeichnet. Dabei muss die maschinische Indienstnahme stets auf a-signifikante Semiotiken zurückgreifen, die kaum noch das Bewusstsein der Agenten ansprechen oder auf Repräsentation setzen und deshalb in letzter Konsequenz auch kein Subjekt als einen anzusprechenden Referenten mehr benötigen. Generell zeichnen sich hier sowohl das Subjekt als auch das Objekt durch Ambiguität aus, denn beide Begriffe lassen sich Guattari zufolge als Hybride, als Teile von Subjektivierungs-Objektivierungskomplexen auffassen, wobei Objekte ihre Objektivität und Subjekte ihre Subjektivität verlieren. Im Modus der maschinischen Indienstnahme fungiert die Person nicht länger als ein unternehmerisches Subjekt (Humankapital oder Unternehmensform), sondern sie ko-existiert mit den Maschinen als funktionales Teil, oder sie ko-variiert mit den Maschinen als eine variable Komponente der noch weitaus variableren maschinellen Gefüge. Diese Gefüge sind als Subjektivierungsmaschinen aufzufassen, welche die interpersonalen Beziehungen der Subjekte untereinander, die Familienkomplexe und die Teilhabeformen an den digitalen Medien funktionalisieren.

Die Dividuen inkorporieren heute vornehmlich eine statistische Existenz, die von verschiedenen privaten Unternehmen, Meinungsinstituten und den Institutionen des Staates erfasst, kontrolliert und reguliert wird. Man klassifiziert die Dividuen als biopolitische und -genetische Existenzen mit Hilfe von statistischen Verfahren bzw. der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ordnet sie in verschiedene Bevölkerungsgruppen ein. Gleichzeitig werden Risikoprofile, die die affektiven, körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Dividuen anzeigen, ständig neu generiert, rekombiniert und diversen Tests unterzogen. Solcherlei Dividuen werden heute zunehmend auf tippende Finger, spastische Körper und aufmerksamkeitsvermindernde und zugleich nervlich erschöpfende Informationsaufnahmen reduziert, wenn sie mit ihrem endlosen Surfen in den sozialen Netzwerken verzweifelt versuchen, mit den Informationsgeschwindigkeiten und -massen Schritt zu halten.

Kürzlich schrieb ein Freund: Der Term Dividuum ist keine bloße Metapher, sondern wörtlich zu nehmen. Ein von Allergien und Reflux geplagter Asthmatiker muß sich erstmal den Arzt suchen, der ihn „gesamtheitlich“, also medizinisch als In-Dividuum behandelt. In der Regel wird seine Krankheit aufgeteilt in die Zuständigkeiten von HNO-Allergologen, Pneumologen und Gastroenterologen, die ihn objektiv in drei unverbundene Teile spalten, soweit nicht noch ein Psychosomatiker die immaterielle „seelische Ursache“ für sich reklamiert. Unabhängig davon wird der Mensch als soziales Wesen und symbiotisches Biotop (z.B. mit seinen Darm- und Hautbakterien) auch aus diesen Zusammenhängen isoliert, also doppelt und dreifach dividiert. Um das auf die Spitze zu treiben, werden die Einzelteile des Dividuums soziologisch noch an diverse divergierende „Rollen“ fixiert. Der Witz ist, daß sich die so zerlegten Menschen diese mehrfache Schizophrenie zu eigen machen und sich erst recht für ein Individuum halten, was sie nach Außen kundtun, indem sie vom „WIR“ reden, sich mit Logos etikettieren, selbst in der „Freizeit“ sich als Mitarbeiter „ihrer“ Firma zu erkennen geben und jedem aktuellen Trend nachrennen.

Deleuze/Guattari schreiben, dass die Deterritorialisierungen (Teilungen, Verflüssigungen etc.) stets von Reterritorialisierungen (Narzissmus, Individualisierung etc.) begleitet sind. Die Rechtspopulisten liefern dazu derzeit besonders nahrreiches Futter. Wenn der psychische Innenraum der Leute heute wie ein Ikea-Wohnzimmer aussieht, dann sind sie ihrer Innerlichkeit beraubt, obgleich sie weiterhin zum Narzissmus verdammt bleiben. Der heutige Narzissmus ist leer, dort, wo der Narzisst sich hemmungslos selber lieben will, ist nichts, außer einem Wust von Stereotypen und Ressentiments, gelegentlich auch Kreativität, die aus irgendwelchen Markenangeboten zusammengekleistert ist. Gleichzeitig tut er alles, was man von ihm verlangt, wenn er nur ab und zu nach unten treten darf. Ein derart konstituierter Narzissmus gleitet nahtlos in die Paranoia, bei der man sich permanent umzingelt und verfolgt fühlt. Und der Rechtspopulismus schafft es, ein Objekt für die an sich objektlose Paranoia zu konstruieren: Der Flüchtling.

 

Foto: Bernhard Weber

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