Foucault und Ökonomie in-der-letzten-Instanz

Kroker/Weinstein beschreiben schon 1996 in ihrem Buch Datenmüll präzise den neoliberalen Staat: „Mit dem Bunker Staat exkludiert der liberale Faschismus die Überschuß-Körper (Einwanderung), mit dem Austeritäts-Staat setzt er Schuldenreproduktion und hohe Arbeitslosigkeit ein, um den Arbeitsmarkt zu kontrollieren und soziale Programme zu minimieren, und mit dem Sicherheits-Staats unterwirft er Körper der Erprobung und Überwachung. Unter der liberalen faschistischen Ideologie ist alles, was den Opfern angetan wird, entweder für ihren eigenen Nutzen oder ist eine bedauerliche Handlung, die aber notwendigerweise für ein offensichtlich allumfassendes humanitäres Interesse stattfindet. Die dominante Stimmung des liberalen Faschismus ist zynische Pietät; seine Strategie ist positionslose Macht – die kontinuierliche Verschiebung und Zirkulation politisch-taktischer Initiativen maskiert nur das Versagen der politischen Institutionen, mit der liquiden Geschwindigkeit des virtuellen Kapitalismus zurechtzukommen.“

Der verschuldete Bunker-Staat inkludiert eine Governance, gewissermaßen eine hilflose und doch schlaue Governance, aber letztere nur insofern, als er seinen Dienst am Kapital, das vom reinen Regierungshandeln nicht zu trennen ist, als eine starke Präsenz simulieren kann (die ihm natürlich fehlt). Unter den Bedingungen der (finanziellen) Ökonomie als Determination-in-der-letzten-Instanz kann er gar nicht anders. (Stellt man den kapitalistischen Wert als so etwas wie einen ideellen »Horizont« ab, vor dem die heterogenen Produkte unweigerlich einen Tauschwert annehmen (sollen), dann wird schnell deutlich, worin das utopische Potenzial des Kapitals immer noch liegt. Man geht und sieht den Horizont, und obgleich der Horizont sich weiter und weiter verlagert und man ihn nie erreichen kann, gibt die Möglichkeit ihn zu sehen dem Gehen Sinn. Die Utopie ist dieser Horizont, den man nie erreicht, den aber das Kapital als permanente Möglichkeit aufspannt. Und das Gehen ist in die in unzählige Virtualisierung/Aktualisierung-Transaktionen aufgespaltene, potenziell infinite Bewegung des semio-finanziellen Kapitals eingelassen. Batailles allgemeine Ökonomie unterliegt heute einer gewaltigen Inversion: Die Verschwendung macht sich in gewaltigen Überproduktionskrisen von Kapital und Zeichen Luft. Da die soziale Verschwendung als Einbruch des Realen konsequent ausgeschlossen bleiben muss, kommt es zugleich den furchtbarsten Reterritorialisierungen in Form des Fundamentalismus, der das Reale zu usurpieren versucht.)

Der Begriff Gouvernementalität wird von Foucault im Sinne der präzisen Bestimmung eines Problems – der Kunst des Regierens – dahingehend gefasst, dass er die Regierung als »Führung der Führungen« beschreibt, als eine spezifische Form der Praxis, als eine Regierungsgewalt, in die sowohl die »Regierung des Selbst« als auch die »Regierung der anderen« eingebunden bleibt. Dabei impliziert Foucaults Hinwendung zur Problematik der Regierungskunst die Integration von zwei neuen Machtfeldern in seine allgemeine Konzeption der Machtanalytik, und zwar die politische Ebene des Staates und das Subjekt. Wenn Foucault sich nun in den Vorlesungen zur Geburt der Biopolitik mit dem Liberalismus und Neoliberalismus (deutscher und amerianischer Spielart) beschäftigt, dann aber gerade bezüglich einer gemeinsamen Programmatik, mit der versucht wird, eine Relation zwischen staatlicher Regierungspraxis und wirtschaftlicher Unternehmensform herzustellen. Dem vorgelagert ist natürlich die Problematisierung des Verhältnisses von Ökonomie (Markt/Wettbwerb) und Staat, das der Neoliberalismus entgegen dem klassischen Liberalismus nicht länger als das einer Trennung zwischen der ökonomischen und der politischen Sphäre fasst, sondern als ständige gegenseitige Interpenetration.  Man könnte nun aber sogar von einer Interferenz bzw. Idempotenz sprechen (gemäß Laruelle die mathematische Regel, mit der man die Interferenz zweier Einzelwellen in einer einzigen Welle beschreibt: 1 + 1 = 1), die gerade darin besteht, dass die staatlichen Regierungspraktiken die institutionellen Bedingungen derart gewährleisten, damit einzig und allein allein die Gesetze des Marktes das Prinzip der allgemeinen ökonomischen Wirkungsweisen darstellen, die nun das Politische und/oder das Gesellschaftliche dominieren. (Das Paradoxe des Staates besteht gerade darin, dass er etwas garantieren muss, was er selbst in keinem Fall sein darf.) Es gilt festzuhalten, dass Foucault in Abgrenzung von Positionen, die den Kapitalismus allein als Ausdruck einer Logik des Kapitals verstehen, von einem Kapitalismus  spricht, der als eine historische Einzigartigkeit eine ökonomisch-institutionelle Gestalt annehmen muss, von der aus sich jeweils bestimmte Felder der Möglichkeiten eröffnen.

In diesem Kontext betreibt der Neoliberalismus eine gleichermaßen prophylaktische wie futurisierende Politik, um sich dem Ziel eines reinen Wettbewerbs infinitesimal anzunähern. Die Ökonomie wird nun selbst zu einem Teil der modernen politischen Rationalität, ja zum wesentlichen Regulator eines Dispositivs der Macht – einer Machtform, die  in erster Linie ökonomisch ist. Die Bewegungsgesetze der Ökonomie selbst unterlaufen die Grenzziehungen zwischen Ökonomie und Politik, indem siedas Gesellschaftliche und das Politische, die Kultur und das Wissen in der letzten Instanz determinieren. Die Figur der Entgrenzung durch die Logik des Ökonomischen, die Foucault in der Geburt der Biopolitik konstatiert, folgt in gewisser Weise der Transformation des analysierten Phänomens. Die politische Ökonomie wird nun nicht mehr als ein Wissenstypus, als eine Analyse der Reichtümer, sondern als ein autonomer Regierungsmodus begriffen. Zugleich wird dem Staat kein Wesen oder eine fixe Gestalt zugeschrieben, er wird vielmehr als eine Wirkung, als »der bewegliche Ausschnitt einer ständigen Staatsbildung«beschrieben, im Zuge dessen sich spezifische Regierungspraktiken erst herausbilden können. Während der klassische Liberalismus die staatlichen Regierunspraktiken durch die Proklamation einer dem Staat entgegengesetzten Sphäre des Marktes begrenzen wollte, negiert die Neoliberalismus und seine Gouvernementalität das binäre Modell zugunsten einer permanenten gegenseitigen Durchdringung, und dies eindeutig unter der Dominanz des Ökonomischen. Der Markt bzw. der Wettbewerb wird in der neoliberalen Gouvernementalität als ein System konzipiert, an dem sich das Regierungshandeln zu orientieren hat. Es sind die Prinzipien und Kriterien des Marktes, die die staatlichen Regierungspraktiken leiten und legitimieren, i. e. der Markt ist die wesentliche Regulationsinstanz des Staates. In der Folge muss die neoliberale Gouvernementalität das Prinzip des Marktes über die Ökonomie hinaus ausweiten – die Ökonomie wird zum entscheidenden Regulator der kapitalistischen Gesellschaftsformation insgesamt (zumindest in den kapitalistischen Kernländern).

Das Funktionieren des Marktes, dem das Wesen des Wettbewerbs (Eucken) zugesprochen wird, beruht auf einer formalen System, das allerdings der Kunst der Regierungspraxen bedarf, die rein artifiziell die Bedingungen herstellen, unter denen die Logik der Ökonomie sich entwickeln und multiplizieren kann. Der Staat erhält also die Funktion zugesprochen, permanent die Bedingungen der Möglichkeit der Dominanz des Marktes herzustellen und für dessen Kultivierung zu sorgen, womit der Staat die Ökonomie niemals aus den Augen lassen darf. Indem die staatlichen Regierungspraxen die Bedingungen herstellen müssen, damit die Mechanismen des Marktes weitgehend friktionslos funktionieren, werden dem Markt aber auch gewisse Begrenzungen eingezogen. Dennoch regiert man für den Markt anstatt auf die Anforderungen des Marktes nur zu reagieren, womit die richtige gouvernementale Einrahmung des Marktes dessen ihm eigenständige Gesetzmäßigkeiten hervortreten lassen kann.

Die Ökonomie ist also nicht länger ein Instrument im Dienst der Gesellschaft, vielmehr hat die Gesellschaft den Imperativen der Ökonomie zu folgen. Wenn ein wesentliches Element neoliberalen Regierens darin liegt, dass in der Tendenz alle gesellschaftlichen Sektoren auf ihre Marktkompatibilität getestet werden, so haben wir es in der Tat mit einer empirischen Durchsetzung des Prinzips der ökonomischen Struktur als Determination in der letzten Instanz zu tun. Mit der Deterritorialisierung der Ökonomie und des Marktes besteht die Kohärenz des neoliberalen Regierens in der Ausweitung der Unternehmensform: Das regulative Prinzip der neoliberalen Gesellschaft liegt in einer Verallgemeinerung der Unternehmenslogik. Der Neoliberalismus konstruiert eine Unternehmensform, mit der die unterschiedlichsten politischen und sozialen Faktizitäten in ökonomischen Kategorien integriert werden – bis hin zu dem Phänomen, dass »der Arbeiter selbst sich als eine Art von Unternehmen erscheint«. Die moderne Regierungsrationalität, die insbesondere in ihrer liberalen und neoliberalen Variante immer schon Ausdruck einer ökonomischen Kalkulation ist, wird von Foucault im Hinblick auf den Aspekt der Dominanz der Ökonomie, d.h., der Ausweitung der Ökonomie auf das Nichtökonomische hin konzipiert. Dabei werden die Wirtschaftswissenschaften keineswegs als pure Repräsentation oder als ein Diskurs zur Produktion von Wirklichkeit begriffen, da ein Wissensmodell wie das »Humankapital« nicht einfach nur Aussagen über die bestehende Welt formuliert, sondern zugleich Aufrufe zur Normalisierung erzeugt, nämlich sich als ein Unternehmen rational und kreativ zu verhalten, etwas, was Foucault als die Normalität einer Subjektivierung versteht. Foucault bekräftigt in einer Analyse der theoretischen Figur von Adam Smiths unsichtbarer Hand, bei der er den Schwerpunkt auf den Term »Unsichtbarkeit« legt, dass die Ökonomie eine wissenschaftliche Disziplin ohne Totalität beinhaltet, insofern ihr Ungewissheit, Unsichtbarkeit und Blindheit wesentlich beigemischt sind, Prinzipien, die aus der fehlenden Transparenz der ökonomischen Prozesse selbst herrühren. Und dies weist noch über den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft hinaus, den Foucault am Ende seiner Vorlesungen zur Biopolitik einführt, um das Scharnier zu bezeichnen, das es erlaubt, das die Regierungstechniken sich juristisch und zugleich rational and den Erfordernissen der Ökonomie ausrichten können. Problematisch wird dies, wenn man die Grenzen bedenkt, denen die Ökonomie als System ausgesetzt ist und die mit dem Geld erreicht werden, das als Kapital eine Struktur oder eine Maschine darstellt, die regulativ wirkt und zugleich ihre eigene Grenze selbstreferentiell fasst, womit die Struktur des Ökonomischen in Relation zum Prozess immer schon funktionalisiert ist, der nun über die begrenzte Ökonomie hinausweist. (Vgl. Schwengel 1978) Wie wir in unserer Schrift immer wieder herausstellen, impliziert ein derart gefasstes Verhältnis von virtuell fixierbarer Struktur und virtuell fixierbarem Prozess eine Gleichung mit mehr als einer Unbekannten (siehe hierzu die Ausführungen von Bichler/Nitzan in ihrem Buch Capital as power) – sie verweist auf die Ungewissheit und Unbestimmbarkeit der kapitalistischen Ökonomie. (Das Geld in der Funktion eines allgemeinen Maßes suggeriert noch die Messbarkeit dieser zerstreuten Prozesse, wie auch die stochastische Kalkulation der Volatilität dies tut.) Gleichzeitig erzeugen die diskursiven Institutionen des Wissens und die politischen Systeme den Anschein der Notwendigkeit dieser ganz spezifischen Ungewissheit (kalkulatorische Vernunft), dessen Kritik wiederum nur noch konstatieren kann, dass die kapitalistische Quantifizierung heute anscheinend jede Quantität möglich macht und letztendlich nur noch postuliert, dass eine Quantifizierung überhaupt stattfindet. Nicht zuletzt schiebt Foucault in diesem Kontext die Frage an, wie in dieser Quantifizierung qua kapitalistischem Geld politische Insitutionen anwesend sind. Und wie schließlich das Politische so anwesend sein könnte, dass es die Maschinen einer selbstreferentiellen Zeichenökonomie ohne wirklichen Referenten, wie man sie in den heutigen Finanzmärkten aufzuspüren gedenkt, nicht nur irgendwie reguliert, sondern durch das Politische eine absolute Fissur eingeführt wird, die die Dichte eines nichterfassbaren Realen als Singularität bedenkt, die minimale, dichte und irreduzible Quantität des Radikalen oder der puren Immanenz, die von seiner Unkontrollierbarkeit und Unvorhersehbarkeit nicht zu trennen ist.

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