Für eine neue linke Politik der Subtraktion – Adorno – Dark Deleuze – Laruelle (1)

Die hegemonial wichtigen Diskurse finden im Moment zwischen neoliberalen Positionen, die den nationalen Markt als Standort im internationalen Wettbewerb und damit Freihandel, Mobilität für das Kapital und eine begrenzte Zuwanderung von Arbeitskräften propagieren, und zwischen der rassistischen Neuen Rechten statt, die um die Souveränität des Staates bangt und den reinen Volkskörper propagiert. Die neuen Rechten betreiben eine Politik des Abwartens und setzen in Zeiten, in den das Kapital dem Begriff des Weltmarkts immer näher kommt, das heißt den Globus als einen einzigen Raum der Produktion und Zirkulation inszeniert, auf rigide Grenzziehungen und agitieren gegen die Überfremdung des Volkskörpers, gegen Globalisierung und gegen das internationale Finanzkapital. Der gemeinsame Bezugspunkt zwischen Neoliberalismus und der Neuen Rechten ist die Affirmation der kapitalistischen Produktionsweise, innerhalb derer das einheimische Kapital und der einheimische Staat erfolgreich in der Weltkonkurrenz als Kapitalstandort bestehen sollen.

Im Zuge eines Hegemoniekonzepts, das einen leeren Raum des Gesellschaftlichen konstruiert, der entweder von Links oder von Rechts besetzt werden kann, indem um gemeinsame Themen gestritten und gekämpft wird, entwickelt sich erneut ein national-sozialer Flügel der Linken, der sich um Personen wie Sahra Wagenknecht gruppiert. Man fabuliert vom »Finanzfeudalismus« (Akzelerationisten) oder »Wirtschaftsfeudalismus« (Wagenknecht). Die Alternative heißt dritter Weg (zwischen Kapitalismus und Kommunismus) und geht auf den völkischen Antisemitismus zurück, der wiederum bis ins Kaiserreich zurückreicht; der Begriff wurde in den 1960er Jahren aber auch von Reformsozialisten östlicher Provinienz und Sozialdemokraten benutzt, um eine neue Reformpolitik zu initiieren. Gemeinhin wird darin die Finanzindustrie als ein Vampir angeprangert, der gnadenlos den Gesellschaftskörper aussaugt.

Marxisten begreifen hingegen die moderne Finance als ein dem Kapital immanenten Prozess, der die kapitalistischen Machtbeziehungen sichert. Die Wertermittlung, die über die Finanzmärkte verläuft, besitzt wichtige Konsequenzen für die Organisation der kapitalistischen Machtbeziehungen und stärkt die Implementation der jeweils in einer Konjunktur vorherrschenden Kapital-Tendenzen. Dieser marxistischen Position steht eine bis auf Ricardo zurückreichende Interpretation entgegen, die sich über Veblen, Hilferding und Keynes bis hin zu den heute heterodox genannten Positionen des Postkeynesianismus, des Akzelerationismus, des Postmarxismus (Negri/Hardt, Zizek, Lapavitsas etc.) und solchen Positionen wie denen von Bichler/Nitzan fortsetzt: Die Macht des Kapitals wird hier aus den Eigentumsbeziehungen abgeleitet, der Profit des Kapitals erscheint als eine absolute Rente (siehe den Speech vom Finanzfeudalismus), die Finance erscheint als eine Sabotage der industriellen Beziehungen, die hauptsächlich von Technikern und Arbeitern gestaltet werden, und basiert auf einem System der Beobachtung zweiter Ordnung. Der Aufstieg der Finance wird hauptsächlich als unrealistisch, hypertroph und dysfunktional begriffen, als das reine Zerrbild eines idealen Kapitalismus. An eine solche Position schließen irgendwie noch Postkeynesianer wie Joseph Stieglitz, Paul Krugman oder auch Thomas Piketty an, die eine neue Reformpolitik mit Bankenaufsicht, Konjunkturprogrammen und höheren Steuern für die Eliten fordern.

Dies alles geschieht in Zeiten der prekarisierten Lebensformen der jungen Generationen, der furchtbaren Katastrophen von Flüchtlingen, die hilflos im Mittelmeer ertrinken, der brutalen Politik der Austerität, die den verarmten Ländern aufgezwungen wird und dem selbst noch in reichen Ländern wie Deutschland stattfindenden Umbau der Sozialversicherungssysteme und der Existenz von Jobcentern, sprich Anstalten, die den Arbeitszwang und die Armut verwalten.

Umschulungsprogramme und eine gigantische Maßnahmenindustrie organisieren die staatlich subventionierten Demütigungen. Als beliebig verwertbares Material, als Personen, denen jedes Bedürfnis ausgetrieben worden ist, sind die Armen heute der beständigen Belästigung, dem Zwang und der Nötigung durch den Staat ausgesetzt. Die Kunden der Arbeitsanstalten werden in teambasierte Netzwerke von sog. Maßnahmen eingepasst, mit denen sie in loser Reihenfolge mit sinnlosen Kursen und Coachings gequält werden oder die Kunden werden wahlweise dazu gezwungen, jede Drecksarbeit anzunehmen, und parieren sie nicht, werden sie sanktioniert, das heißt in den Hunger getrieben. Leiharbeitsfirmen besitzen das Recht, die Kunden zu nahezu jeder beliebigen Arbeit zu nötigen. Ein ungeheurer Apparat der Verdummung, der Verrohung und der Bedrohung ist entstanden, eine neue Panikindustrie hat sich entwickelt, die durch Inszenierung der Paranoia durch die neue Rechte kongenial ergänzt wird. Hartz IV leitete eine Entwicklung ein, an deren Ende nicht nur eine Verstaatlichung der Arbeitskraft steht, sondern die Aneignung der Körper als einer Biomasse durch den Staat, durch die politische Souveränität des Gesamtkapitals. Hartz IV und Agenda 2010 sind die Labore der Panik.

Gleichzeitig beharren die die vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschichten, die zum Teil schon rechts wählen, auf ihrem affirmativen Lifestyle- und Konsumprogramm. Sie befürworten einen »neoliberalen Kapitalismus«, der durch die Affirmation der Innovation, Kreativität, Mobilität, Fluidität und Möglichkeit gekennzeichnet ist. Alles ist da möglich, alles ist da gleich faszinierend. Das Paradigma ist das der überbordenden Positivität, von der es nicht zu viel, sondern immer noch viel zu wenig gibt. Die Leitmotive und –imperative sind klar: »Wenn du nichts Freundliches zu sagen hast, dann sage lieber gar nichts«, »wenn konstruktive Gedanken verbreitet werden, dann wird dies positive Folgen haben«, oder einfach, »sei konstruktiv, nicht destruktiv.« (Vgl. Culp, Dark Deleuze.)

Das Motto des Positivität, der ungestörten Genussfähigkeit wird andauernd gescannt. Wellness- und Fitnessindustrie setzen eine neue »Biomoralität« (Zizek) und neue Glücksbewegungen frei, die uns aufzufordern, immer weiter nur Spaß zu haben, während für viele im Rücken die nackte Angst lauert. Wellness wird zur moralischen Verpflichtung von leistungsbereiten und -fähigen Individuen, die sich in Arbeitsmärkten und sonstigen Märkten wie Castingteilnehmer aufführen, wie Individuen, die alle am und mit dem Smartphone schnullern.

So tönen die diskursiven Sprachrohre der neuen Mittelschicht, dass man heute zwischen diesen oder jenen Strategien und Dingen sich unter allen Umständen frei entscheiden könne, obgleich doch alle Entscheidungen praktisch immer auf dasselbe hinauslaufen, nämlich, dass sie in letzter Konsequenz vom Markt exekutiert werden. Um sich als Individuum zu imaginieren, muss deshalb in die eigene Performance permanent Differenz injiziert werden. Der Trick des Neoliberalismus besteht einfach darin, diese Art von Freiheitsprogramm, nämlich die Möglichkeit, unter tausenden von Risiken und Waren zu wählen, als Strategie und Position gegen verkrustete und verknöcherte Systeme zu verkaufen. Wenn man aber den Zwang, dem man unterworfen ist, als Freiheit empfindet, dann ist aber nichts weiter als das Ende der Freiheit angesagt.

In dieser Situation, die hier nur sehr kurz umrissen ist, muss sich eine kleine Meute von Linken fragen, ob und inwieweit es nicht notwendig ist, sich erneut auf eine Politik der Negativität, der Unwahrnehmbarkeit und der Kritik zu besinnen, deren Praxis sich auf theoretische Konzeptionen bezieht, für die Namen wie Adorno, Dark Deleuze und mit Abstrichen auch Laruelle stehen. Für eine solche politische Praxis erscheint es notwendig, im Schnelldurchlauf durch die verschiedenen Ansätze zu marschieren, um Werkzeuge herauszureißen, die für solch eine Praxis nützlich sein könnten.

Wir beginnen mit Adorno, dessen wichtige Aussagen in der »Negativen Dialektik« wir hier nur schlagwortartig darstellen. Wir halten uns dabei im wesentlichen an das kürzlich erschienene Buch »Konstitutive Negativität« von Sangwon Han. Für Adorno geht es in der »Negativen Dialektik« darum, das Positive als eine affirmative Lüge zu denunzieren. Die Dialektik lebt von der Entzweiung, indem sie einen Gegenstand in Beziehung zu etwas anderem denkt. Die bestimmende Kraft des Begriffs ist stets eine Praxis des Unterscheidens. Innerhalb der entzweiten Identität gilt es für Adorno im Gegensatz zu Hegel auf dem Nicht-Identischen zu beharren, das selbst je schon eine notwendige Bedingung für die Konstitution der Identität ist. Die Entzweiung einer Sache als Gesellschaftskritik zu konzipieren, bedeutet für Adorno darüber nachzudenken, ob uns das Bestehende nicht von vornherein als das Negative gegeben ist. Gesellschaftliche Realität ist für Adorno nicht als ein integraler Organismus, sondern als eine antagonistische Totalität gegeben. Adorno fordert die Anbindung der Erkenntnistheorie an die Gesellschaftstheorie als dem praktischen Interesse der Theorie, zu der als negativ qualifizierten Ordnung (für sie ist das Leiden der Indivíduen konstitutiv) »Nein« zu sagen. Theorie versteht Adorno als eine Praxis bzw. als eine verändernde Produktivkraft. Da ist er sich mit Althusser und Laruelle einig. Speziell Laruelle hat neuerdings auf ein Subjekt hingewiesen, das die »Kraft-des-Denkens« oder die Praxis der Arbeitskraft als das »Reale-in-der-letzten-Instanz« inkorporiert. (Arbeitskraft nicht als Ausdruck eines politischen oder rationalen Individuums oder wahlweise als ein durch sozio-ökonomische Kategorien definiertes Subjekt-Objekt, sondern als das radikal Gelebte des Widerstands). Die produktive oder spekulative Kraft der Theorie besteht für Adorno in der Negation, die andauernd den praktischen Impuls (Mimesis an das Leiden) verstärkt, Veränderungen in den gegebenen Kräftefeldern und Machtbeziehungen vorzunehmen. Indem diese negative Tätigkeit die Antithese zur Welt (gleich Kapital) produziert, ist sie in diesem Sinne eine Philosophie des Nein-Sagens.

Der Begriff der Negativität besitzt in Adornos Denken einen konstitutiven Charakter, was von Sangwon Han folgerichtig als »konstitutive Negativität« bezeichnet wird. Dabei müssen zunächst das Negative und Negativität voneinander unterschieden werden. Adorno schreibt: »Negative Dialektik denkt demgegenüber die in jeglicher einzelnen Bestimmung wirkende Kraft des Ganzen nicht nur als Negation der Einzelbestimmung, sondern selber auch als das Negative – nämlich als das Unwahre, als das was Versöhnung hintertreibt.« Negation bedeutet Entgegensetzung, Entzweiung oder Antithese einer Bestimmung, etwas, was verneinend ist, während sich das Negative auf das Unwahre, das Unwesen bezieht, das, was verneint und zerstört werden soll. Negation ist die verneinende kritische Wirkung des Denkens, das die »Gesellschaft« als eine Totalität des Leidens begreift. Sie impliziert eine kritische und widerstehende Haltung gegen die als negativ begriffene und erfahrene gesellschaftliche Realität und zugleich den Impetus, den negativen Gegenstand abzuschaffen. Aus der Negation der Negation soll im Gegensatz zu Hegel keine Synthese entstehen, weil die Negation in diesem Fall nicht negativ genug wäre, vielmehr insistiert die Negation als eine verneinende Tätigkeit bzw. Kritik am negativen Zustand. Die Figur der Negation der Negation führt also nicht zur Synthese, sondern ist als die Negation des bestehenden Negativen zu verstehen. Das Negieren des Negativen mündet bei Adorno nicht wie bei Hegel im Positiven, sondern bleibt sui generis negativ, zeitigt aber durchaus auch positive Wirkungen, i.e. durch die konsequente Negatíon des Negativen wird das Positive erst konstituiert. Oder, um es noch einmal anders zu sagen, Adorno geht von der Negation der repressiven und antagonistischen Realität aus; das Positive wird durch den konsequenten Prozess der Negation selbst erzeugt, durch die Negation des Negativen, nicht durch die Negation der Negation. Dies muss aber keinen Rückfall in die schlechte Unendlichkeit bedeuten, der Hegel so entgegnet, dass er den Mangel zur Potenz erhebt. Bei Adorno wird der äußere Zustand erlitten und als äußeres Leiden erfahren, womit zugleich das Nicht-Identische dem Denken geschieht und nicht von ihm lediglich gedacht wird. Daraus ergibt sich bei Adorno die negative Unabschließbarkeit. Schlecht unendlich wäre dieses Denken erst dann, wenn es sich vom Leiden am Etwas, das ihm geschieht, abwenden und in ein redundantes Kreisen um sich selbst eintreten würde. Solch eine wahre Unendlichkeit wäre dann ganz hegelianisch das Zusammenfallen von Begriff und Sache.

Das wirklich Positive ist nicht unmittelbar vorgegeben, sondern kann nur durch die Tätigkeit der Negation nachträglich konstituiert werden. Deshalb ist das, was das Positive konstituiert die Negation. Indem das begriffliche Denken den gegebenen Gegenstand bearbeitet, rekonstruiert sie ihn in einem Netz von Beziehungen, das Adorno in Anlehnung an Benjamin Konstellation und Deleuze das Problem nennt. Ein sternbildartiges herrschaftsloses Netzwerk nennt Benjamin Konstellation. Begriffe werden hier durch ihre vielfältigen Beziehungen zu anderen Begriffen bestimmt. Negative Dialektik will sich vom statischen System wegbewegen und die an sich seiende Positivität auflösen. Antagonistische Totalität wird hingegen als Netz von Relationen gedacht, womit eine Kritik an einer Position eingeschlossen ist, die die Totalität als letztes und Absolutes zu bestimmen versucht. Derart arbeitet die Theorie produktiv durch die Negation und produziert neue Konsequenzen, statt dass sie das Neue unmittelbar vorstellt. Totalität ist keine affirmative, sondern eine kritische Kategorie. Adorno schreibt: »Aber das Positive, das man hat, ist das Gegebene in seiner Schlechtigkeit, über das die Erkenntnis mit nichts anderem hinausgeht als damit daß sie die Schlechtigkeit durch den immanenten Widerspruch des gegebenen bestimmt. Das Positive ist das Negative, und nur das Negative, die bestimmte Negation, eigentlich positiv.« Die Operation der Negation des Negativen erzeugt das Positive, wobei Negativität für Adorno ein anderer Name für die kritische Vernunft ist, die den gegenwärtigen Zustand der Machtbeziehungen und der Kräftefelder im Kapitalismus durch die Entdeckung des Antagonismus immanent kritisiert und erst dadurch Transzendenz ermöglicht.

Die theoretische Praxis als konstitutive Negativität heißt im Anschluss an und gegen Hegel, a) das Nichtidentische in der Identität festzuhalten und nicht zu synthetisieren, b) die Negation als kritische Tätigkeit bzw. theoretische Praxis zu betreiben, und c) das Negative der gesellschaftlichen Realität bestimmen.1 Zentral ist für Adorno im Anschluss an und Ansetzung von Hegel der Begriff der bestimmten Negativität, i.e. alles Seiende ist nur in Relation mit seinem Nichtsein, in Negation zu dem anderen zu bestimmen.2 Die ungeheure Macht der Negation als kritische Denkbewegung zeigt sich als Negation eines unmittelbar Vorhandenen. Der Bezug zum Marx`schen Kritikbegriff wäre dann folgender: Für Marx ist die Kritik eine darstellende, insofern sie die innere Struktur der ökonomischen Kategorien systematisch aufzeigt. Aber es werden die Relationen in der kapitalistischen Produktionsweise nicht nur systematisch dargestellt, sondern es wird zugleich der Antagonismus in ihr benannt und damit die inneren und äußerem Grenzen des Kapitals aufgezeigt. Die kritische Darstellungsmethode des Kapitals ist deshalb negativ. Damit unterscheidet sich Adorno sowohl von der Dialektik als einer rein subjektiven Denkbestimmung als auch von der kontemplativen Realdialektik, indem er Dialektik als reflexive und kritische Tätigkeit ausweist. Dialektik ist weder Methode noch Reales, sondern eine Tätigkeit des Denkens, und ist deshalb als Methode des Denkens auf die reale Struktur bezogen, wobei Begriff und Realität des Kapitals gerade nicht zusammenfallen. Negation als Tätigkeit des Denkens ist eine theoretische Praxis, die einen praktischen Impetus besitzt, den kritischen Eingriff in die Wirklichkeit. Negative Dialektik ist ein begrifflicher Rahmen für die Begründung der Politik der Negativität. Für die Politik heißt dies eben, den gesellschaftlichen Antagonismus zu erkennen, die Negation im Zuge der subversiven Kraft der Negativität ohne Aufhebung zu denken, um einen neuen Horizont der Alterität anzuvisieren, eine alternative assoziative Kraft zwischen Begriff und Realität, zwischen denen keine Identität besteht, kein einfacher Austausch oder eine reziproke Analogie. Adornos negative Dialektik geht nicht in der Totalität auf, sondern kritisiert sie, sie ist anti-totalitär. Totalität wird nicht als kontinuierlich, sondern als diskontinuiert aufgefasst. Das Antisystem muss sich aber zugleich gewahr werden, was das bestehende System genau ist, was wiederum eine Analyse des Systems erfordert. Es bedarf der systemischen Untersuchung und der Darstellung des Systems, um es der Kritik zu unterziehen. Die darstellende Kritik darf das System nicht nachahmen, sondern muss es sprengen. Dafür muss die Kritik selbst noch einmal systematisch werden, denn nur eine systematische Analyse des Systems kann dieses kritisch überwinden. Eine systematische Theorie zur Dekonstruktion des bestehenden Systems. Denken ohne Begriff ist keines, aber es gilt den kritischen Impetus nicht zu vergessen: der Anspruch der Erkenntnis liegt nicht im bloßen Wahrnehmen, klassifizieren und berechnen, das wäre dann verstandene Wahrnehmung, sondern gerade in der bestimmten Negation des je Unmittelbaren, so Adorno. Das Verstehen begrifflicher Kategorien eines bestimmten Systems ist zugleich ein Kriterium für ihre Kritik, insofern das System als ein antagonistisches identifiziert wird.

Dimensionen des Identitätsbegriffs: a) Einheit von persönlichem Bewusstsein, b) Denken als logische Allgemeinheit, c) Sichselbstgleichheit des Gedankengegenstandes (a=a), Zusammenfallen des Subjekts mit dem Objekt. Ich denke ist der Garant der Identität. Adorno zeigt, dass das konstitutive Subjekt stets durch die objektive Realität vermittelt wird, die außerhalb seiner selbst liegt. Adorno weist einerseits auf die Außenseite der Identität des Subjekts hin, andererseits muss das überindividuelle Moment der Selbstidentität des Subjekts beleuchtet werden.

Immanente Kritik bedient sich der bestimmten Negation als produktiver Negativität. Bestimmung des Gegenstandes im Verhältnis zu einem äußerlich Negativen ebenso wie innerlich Negativen zu sich selbst. Bestimmende Negation bestimmt einen Gegenstand durch Negation und negiert ihn zugleich durch dessen Bestimmung, indem Negation und Bestimmung nicht voneinander zu trennen sind, können Kritik und Lösung nicht voneinander getrennt werden. Die kapitalistische Identitätslogik wird bei Adorno aus dem Tauschprinzip abgeleitet, das quantifizierend identifiziert. Austauschbarkeit, Kommensurabilität und quantitative Kalkulation sind hier bestimmend. Der Austausch erfordert Gleichheit, die er zugleich negiert. Die Totalität der Äquivalente ist die negative Totalität, insofern sie durch die Ungleichheit und Nicht-Äquivalententausch der Mehrwertproduktion verwiesen sind. Durch die Hintertür führt Sangwon Han hier den Kapitalbegriff wieder ein, der bei Adorno weitgehend fehlt. Dies heißt aber auch, dass die über das Tauschprinzip entwickelte immanente Kritik fehlschlägt, insofern die Zirkulation als integraler Teil der Gleitbewegung des Kapitals zu verstehen ist, und eben nicht als der wahre Garten Eden der Menschenrechte, den man als Maß an die bürgerliche Gesellschaft anlegen könnte, um zu zeigen, dass diese ihre Versprechungen nicht einhält.3 Problematisch wird es also dann, wenn an einer immanenten Kritik festgehalten wird, a la die Prinzipien der Gleichheit und Freiheit, die die bürgerliche Gesellschaft propagiert, können in ihr nicht realisiert werden. Das Bestehende soll hier durch sich selbst seine Unmöglichkeit eröffnen, indem das Scheitern der Identifikation über das Nicht-Identische nicht nur das Maß der Kritik anzeigt, sondern das Nicht-Identische steht für ein Etwas, das auf ein nicht zu liquidierendes Objekt verweist. Es wäre nun aber zu einfach, diese Objekt mit dem Gebrauchswert zu identifizieren, dessen vielfältige Überformungen Adorno nicht entgangen sind.

Das-Nichtidentische ist keine Antithese der Identität, sondern ihr notwendiges Element. Identität kann ohne sie gar nicht bestehen; Nichtidentität ist nicht das erste, sondern als die konstitutive Alterität der Identität zu verstehen. Dem Primat der Vermittlung widersetzt sich eine durch Vermittlung vermittelte Unmittelbarkeit, indem sie die Vermittlung selbst vermittelt. (Han) Nicht-Identität ist die Grenze des Begriffs, während sie zugleich auf etwas Reales verweist. Das Nicht-identische lässt sich aber nicht positiv wenden, ist keine positive Differenz, vielmehr weist es auf das negativ Seiende hin, insofern es im Identitätszwang als Negatives erfahren wird. Das Nicht-Identische ist die bestimmte Negation der Identität und eine negative Kraft, die über das Identifikationsprinzip hinausgeht, ihm eignet das Fremde, Heterogene; sie ist divergent, dissonant, negativ. Das Nicht-Identische ist also keine affirmative Differenz zum Identischen, sondern das konstitutiv Andere der Identität qua Kritik. Kritik verweist auf das hin zu den Karten, die noch nicht existieren. Allerdings wäre das dann eher von den Problemstellungen als von den Lösungen her zu sehen, um nicht darin zu verfallen, dass wir nur das zu lösen haben, was im Kapitalismus mal versaut wurde. Wir hätten neue Probleme zu entwerfen, die per se am Moment der Kritik festhalten. (Das Identifikationsprinzip lässt Identität nicht verschwinden, vielmehr wird gezeigt, dass wahre Identität nur durch die Überwindung des Identitätsprinzips möglich ist. Identifikationsprinzip wird in dem Maßstab der Identität selbst kritisiert.)

In der normativen Vorstellung der bürgerlichen Gesellschaft steckt eben nicht bereits eine Assoziation freier Individuen, auch wenn Freiheit und Gleichheit kein ewiger Maßstab sind, sondern durch gesellschaftliche Veränderungen selbst verändert werden müssen. Der kritische Maßstab verändert sich durch die kritische Tätigkeit, es lässt sich jedoch kein kein Maßstab jenseits der bestehenden apriorisch festhalten, hier gilt für Adorno das Bilderverbot. Das Positive existiert nicht im voraus, sondern wird nachträglich in der Negation von etwas falschem Negativem konstituiert. Das Positive ist nicht als eine von der Wirklichkeit abgetrennte und direkt erreichbare Transzendenz, noch wird es durch die Aufhebung der Negation erzeugt. Erst im Prozess der Negation des Negativen wird es als ein Nicht-Negatives konstituiert. Allerdings hält Adorno eben am Bilderverbot fest, das heißt Kommunismus ist für ihn wie für Marx die reale Bewegung selbst.

In diesem Kontext gilt es angesichts des Politischen über Konstitution der Gegen-Souveränität nachzudenken, die als eine kollektive Subjektivität zu verstehen ist. Hier ist für Adorno der Begriff der Mimesis zentral. Leiden und das Nicht-Identische sind konstitutive Begriffe für das Politische bei Adorno, der mimetische Impuls, das Leiden des anderen als jenes von sich selbst wahrzunehmen, und dies läuft auf die Praxis des Widerstands hinaus sowie auf die Methexis als derjenigen Konstellation, die die Verwirklichung der souveränen Freiheit der Einzelnen in ihrer gemeinsamen Teilhabe ermöglicht. (Han) Phänomene des Leidens wahrzunehmen bringt erst die Perspektive ans Licht, dass die Ursache des Leidens auf Antagonismen beruht, deren Ursprung in der strukturellen Dimension des Kapitalverhältnisses liegt. Die Konsequenz, die sich aus dieser Perspektive ableiten lässt, ist, dass die gesellschaftliche Totalität als die negative, antagonistische anzusehen ist, die darauf hinweist, dass sie keine in sich vollständige und abgeschlossene, sondern eine nicht zusammenzuschließende Realität ist.

Alle Anstrengungen, soweit ich die Negative Dialektik bei Adorno verstehe, richten sich gegen die vorentschiedene Dialektik Hegels. Das Nicht-Iidentische ist die reale Kritik eines realen Un-Zustandes. Adorno wehrt sich nicht gegen die Identität per se, sondern gegen das Identifikationsprinzip. Zizekmäßig gesprochen wäre dann das Nicht-Identische die Lücke der Identität im Identifikationsprinzip, etwas, was der Identität entgeht. Das Nicht-Identische ist als Begriff zugleich Symptom des Leidens. Es hat damit immer einen realen Bezug zu den Ausgegrenzten. Man kann natürlich den kritischen Impuls bei Adorno als politischen Impuls immer wieder leicht loswerden, wenn man das Identische nur hinsichtlich Versöhnung, Sehnsucht etc. liest. in diesem Bereich war Bloch sowieso der wendigere und windigere. Einerseits bezieht sich das Postulat de Nicht-Identischen auf das Pathos der Denunziation, das nach Marx für die Kritik wesentlich ist, andererseits führt dieses Pathos zu einer regulativen Idee, dass nämlich in der Nacht alle, die Widerstand leisten, gleich aussehen – um ihre Unwahrnehmbarkeit zu sichern, haben sie keinerlei Gründe, sich etwa auf Facebook zu liken oder nochmal anders gesagt, man sagt etwas, aber dieses etwas impliziert den Moment der Unterbrechung. Dialektik im Stillstand. Oder, nochmal anders gesagt, Dialektik im Stillstand heißt, den Gegensatz zwischen totaler Transparenz und der hegelschen Nacht, in der alle Kühe gleich aussehen, zu entkommen.

Adorno hat den seit den 1980er Jahren einsetzenden Prozess der Selbstentwaffnung der Linken lange vorausgeahnt. In einem Brief an Thomas Mann schreibt er: »Aber ich habe immer wieder das Gefühl, daß man, wenn man es nicht im Negativen aushält oder zu früh ins Positive übergeht, dem Unwahren in die Hände arbeitet.« Ohne die Selbstentwaffnung der Linken in je nur einem Punkt begriffen zu haben, wiederholen Badiou und Zizek gebetsmühlenhaft bei jedem Anlass, dass es das große Problem der Linken sei, keine Alternative anbieten zu können. Und der Großteil der Linken plappert treudoff nach. Weil aber diese Linken, die längst behäbig-prekär im Positiven herum taktieren, zudem größtenteils keine Zeile über sozialistische Planwirtschaft gelesen haben oder allenfalls die Phrase von der Assoziation freier Produzenten wiederholen, können dann solche Leute wie die Akzelerationisten in die Bresche springen und mit Forderungen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen, Verkürzung der Arbeitszeit und Automation das Manna einer Zukunft verkünden, die einem ganz im Positiven hält. Das trifft sich wiederum ausgezeichnet mit Zizeks herausgeputzetem Advise an die Linke, hey, its political economy. Die Pointe, dass der Untertitel des Kapitals Kritik der politischen Ökonomie hieß, also gewissermaßen auch kritisiert wurde, dass die klassische Ökonomie zu politisch war bzw. die ökonomischen Gesetze nicht begriffen hat, verschwindet im Nirvana eines an Ricardo angeklebten Politizismus, der sich obiger Alternativvorschläge versichern muss, die aber das Kapital längst schon eingeholt hat. Mit dem Überlesen der Marx`schen Pointe verschwindet auch die Marx`sche Ökonomiekritik. Marx leistet ja nicht nur die Darstellung der Bewegungsgesetze des Kapitals, sondern zeigt ihren antagonistischen Charakter auf.

1) Bei Hegel entwickelt sich aus der Kritik des abstrakten Identitätsystems (Seinslogik) die Bestimmung als in sich Unterschiede enthaltend (Wesenslogik) und als das Anderes des anderen (Begriffslogik). Was gegeben ist, das ist geteilt, das ist Hegels wahres Prinzip.Hegel benutzt in gewisser Weise sowohl das Digitale (Das Eine, geteilt in Zwei) als auch das Analoge (Zwei, die sich im Einen synthetisieren) als die Elemente seiner Dialektik: Das Moment der Analyse, bei der das Eine in Zwei geteilt wird, und das Moment der Synthese, bei der die Zwei als Eines kombiniert wird. Mit der Synthesis will Hegel die Entfremdung überwinden. Es gibt zwar Widersprüche, aber sie müssen in das große Ganze, den absoluten Geist reintegriert werden.

Die dialektische Methode gilt als ein Denkmittel, das sich im Gebrauch zu erhalten und zu modifizieren hat. Hegels Konzeption verknüpft Totalitäts- und Widerspruchsdenken, indem er Bestimmtheit als Negation, und dies als Negation jedes Anderen zu dieser Bestimmtheit konzipiert, das durch ebendiese Bestimmtheit ausgeschlossen wird, wobei das Andere seinerseits die Bestimmtheit negiert, und diese Relation und damit die Negation nicht nur des Anderen, sondern auch ihrer selbst durch das Andere ist ein wesentliches Moment der Bestimmtheit selbst. Es geht um Verhältnisse (Totalität) als ein Netz von Relationen, das für Hegel begrifflicher Natur ist und im Selbstbewusstsein eines vollendeten Begriffs kulminiert, der sich schließlich als dialektische Methode bestimmt.Die Wissenschaft der Logik steigert sich bis in die absolute Idee als absolute Methode hinein, wobei unter Methode »das Bewusstsein über die Form der inneren Selbstbewegung ihres Inhalts« zu verstehen ist. Schließlich ist die Methode nichts anderes als die Sache selbst, und nicht etwa ein Instrument, um die Sache überhaupt erst erfassen zu können. Dagegen gilt es zu zeigen, dass die Sacheoder der Gegenstand, mit dem die Methode eins sein soll, je schon ein gewordener theoretischer Gegenstand oder ein Erkenntnisobjekt (Althusser) ist, wobei die Methode von einem ganz bestimmten, nicht identischen Bezug zudiesem Gegenstand auszugehen hat.

3) Mehrprodukt/Mehrwert vom Geldmehrwert. (Vgl. Schwengel 1978: 293) Von Anfang ist der Mehrwert als ein Mehrprodukt ohne Produkt zu beschreiben, er muss lediglich der Bestimmung eines quantitativen Mehr genügen, das aber stets knapp ist und stets knapp bleibt. An die französischen linguistischen Analysen anschließend bestimmt Schwengel den Signifikanten des Geldmehrwerts als den eines weiteren Signifikanten; es geht hier um Spiele der Signifikanten, deren Verkettungen das Signifikat des Mehr immer als ein Abwesendes anzeigen, insofern Verwertung immer schon auf ein unsichtbares Signifikat verweist, auf ein Gesetz, das definiert, dass jede Bewertung in der Relation zu einem Verhältnis des Mehr stattzufinden hat, ein Mehr, an dem es per se mangelt. (Ebd.: 294f.) Der jeweilige vorausgesetzte Signifikant wird wie ein Signifikat behandelt, das sich wiederum nur in weiteren Signifikanten anzeigt, und darin ist die produzierende Tätigkeit »je schon freigesetzt, ohne sich zu erfüllen«, um zugleich beständig mit ihren Resultaten am Markt zu verschwinden, d. h., all die vermittelnden Bewegungen der Produktion verschwinden Marx zufolge für einen Moment im Resultat und lassen keine Spuren zurück. Wir haben gesehen, dass aber nur als differenzielle Spur die Arbeit sich überhaupt fassen lässt, sodass Marx eine weitere Verschiebung für notwendig hält, eine Übertragung oder Übersetzung, die eben diejenige der Verwandlung von Arbeitskraft in Arbeit ist. In ihr wird die Differenz von Arbeit und Arbeitskraft zum Gegenstand möglicher Ausbeutung, deren eigentlicher Differenziator jedoch der Wert ist, der eine sui generis unabschließbare Bewegung differenziert, deren Anfang und Ende Geld in seiner Verschobenheit ist, d. h., Geldkapital, das ein Mehr impliziert. Entgegen einer Fundierung des Mehrwerts allein in der Differenzierung von Arbeit und Arbeitskraft ist jedoch darauf zu bestehen, dass jenes Signifikat, welches in der Signifikantenkette des Geldmehrwerts enthalten ist, sich in immer weiteren stellvertretenden Signifikanten zeigt, die nichts weiter als das Signifikat des Mehr (als Geldkapital) repräsentieren, das selbst als Konstituens nicht sichtbar wird. Geldmehrwert impliziert einerseits differenzielle Wiederholung als quantitative Variation, andererseits selbstreferenzielle Setzung, die jedoch zu keinem fixen Resultat führt und nur definitorisch wirken kann, indem sie die Vermehrung permanent voran schiebt. Als dermaßen restringierte Setzung ist sie mit der Wiederholung kompatibel. Mehrwert wird jetzt zur (abwesenden) Instanz, die at once die Anweisung auf zukünftige Verwertung beschließt, wobei von Anfang an die Okkupation der Zukunft, die mit Beleihung, Produktion und Übergriff auf sie selbst zusammenfällt, gesetzt ist. Die kapitalistische Ökonomie muss folglich beständig auf einen Zeitgewinn hoffen, der jedoch nie eingeholt werden kann, und dies drückt sich im Geldkapital als Differenz aus, insofern es auf das Projekt einer Zukunft angewiesen ist, die als das Noch-Nicht einer Selbstaneignung immer wieder aussteht, und dies bedeutet zugleich das Mehr, das es unaufhörlich zu vermehren gilt. Hier gilt es die Präsenz des Mehrwerts als Abwesenheit zu begreifen, infolgedessen er auch nicht gemessen werden kann. Diese Prozesse der Verwertung des Geldkapitals implizieren gleichzeitig eine Freisetzung von gesellschaftlichen Praktiken, in denen sich Differenz, Setzung und Wiederholung gegenseitig bedingen, wobei die Setzung die Zerstörung jedes fixen Resultats qua potenziell zirkulierender Struktur bedeutet (Virtualisierung), was wiederum eine Form der Wiederholung qua potenziell fixierbarer Zirkulation impliziert (Aktualisierung), und diese Virtualisierung-Aktualisierung-Verschaltung bleibt per se an die Erzielung eines Mehr gefesselt. (Ebd.: 294) Eine seltsame Art der Un-Gleichung, die hier jenseits einer bloß bürgerlichen Verteilung des Mehrprodukts statt hat, denn entgegen der Äquivalenz des Tauschs, der durch das Kapital selbst instituiert erscheint, ist das abstrakte Mehr (des Geldes – Kapitals, i. e. je schon Geldkapital) als jene entscheidende Instanz des Kapitals zu verstehen, als jenes verschobene Signifikat, das sich immer nur in den repräsentierenden Signifikanten des Geldes zeigt. »Das Signifikat ist ein Gesetz, das besagt, daß nur ein Etwas bewertet werden kann, das in ein Verhältnis des Mehr gesetzt werden kann.« (Ebd.: 295) Der Begriff »Geldmehrwert« grundiert hier sui generis den Mehrwertbegriff, insofern jener sich komplett vom Inhalt emanzipiert hat und dieser Sachverhalt impliziert in und mit seinem rein formellen Gleitprozess einen systemischen Mangel, den Mangel an Mehr bzw. die berühmte Maßlosigkeit des Kapitals – und die bürgerliche Ökonomie und Neoklassik reflektiert dies einigermaßen begriffslos noch im Begriff der Knappheit. (Ebd.: 191) Mit der Einführung des Begriffs des Geldmehrwerts ist also der Verlust alles Substanziellen ausgewiesen, wobei Quantifizierungen u. a. dazu dienen die unzähligen qualitativen Prozesse zu integrieren und hinsichtlich der universellen Größen der Kapitalisierung zu destillieren. [Wir werden noch sehen, dass exakt an dieser Stelle das von Deleuze herausgearbeitete Moment des reinen Kalküls in der Darstellung mitzuschwingen hat, insofern in den Prozessen der Kapitalisierung das nicht-quantitative Problem des reinen Differenzials nicht gelöst wird, sondern immer weiter insistiert, und dies lässt sich dann allenfalls mittels nicht-linearer differenzieller Gleichungen anschreiben, die man aber wirklich nicht zu lösen vermag, insofern ihre Serien immer weiter divergieren. Im Rahmen dieser Gleichungen, so wies schon der Mathematiker Albert Lautmann nach, ist das Problem »Existenz und Verteilung« an singuläre Punkten in einem differenziellen topologischen Feld (einem Feld von Vektoren) gekoppelt, wo jede Singularität von einer Zone der objektiven Indetermination abhängig ist (durchschnittliche Punkte, die sie umgeben), was nichts anderes heißt, als dass direktionale Vektoren die virtuellen Trajektoren der Kurven definieren, die nicht alle aktualisiert werden können, wie eben auch der Wert nicht »rein« aktualisiert werden kann. (Vgl. Deleuze 1992a: 228f.) Es ist schließlich der differenzielle Geldmehrwert, der immanent die Standards für die internen Zinsfüße des Realkapitals setzt, wie dies etwa Proudhon formuliert hat, womit die derivative Funktion des Zinses, wie sie Marx unterstellt, insofern er den Zins vor allem als ein Teil des Profits behandelt, der sich in Unternehmergewinn und Zins spaltet, unterlaufen wird.

Wenn das industrielle Kapital Profit durch die Bearbeitung von Differenzen zwischen verschiedenen Wert-Systemen erzielt, dann sollte es möglich sein, diese Differenzen unter Berücksichtigung spezifischer Parameter zu bestimmen: a) Kapitalisierung, b) Finanzierung der Einzelkapitale durch Einzelkapitale (Kredit), c) technologische Innovation und/oder Macht im verbindlichen Rahmen des Gesamtkapitals, d) Bewegung der Profitrate und Zinsrate in ihrem Verhältnis zueinander, Löhne etc. Gerade an dieser Stelle liegt dem Kapitalismus eine unerbittliche Opazität zugrunde, welche durch die Verzeitlichung der differenziellen Gesamtkapitalakkumulation vermittels Konkurrenz und deren Korrekturmechanismen verlängert und differenziert wird. Und dies zeigt auch an, dass das Kapital als plurale Kapitale in seiner Gesamtkomplexion sofort zum Stillstand kommt, wenn es nicht permanent Differenzen ausbeuten, bearbeiten und kreieren kann. Nur unter der Bedingung, dass man die Parameter der heterogenen Wertsysteme und der differenziellen Akkumulation in räumlicher und zeitlicher Hinsicht als Formen der Aktualisierung/Virtualisierung des Gesamtkapitals berücksichtigt, lässt sich die Transformation von Geld zu Kapital letztendlich verstehen. Begriffe wie Mehrwert, Kapitalisierung und Profit geben mithin nur im Kontext des quasi-transzendentalen Gesamtzusammenhangs des Kapitals (Synchronizität) überhaupt einen Sinn, der sich wiederum über spezifische temporale und spaziale Korrekturmechanismen der Konkurrenz aktualisiert.

Foto: Bernhard Weber

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