Makellosigkeit und Leere

Makellosigkeit und Leere sind meiner bescheidenen Meinung nach die historischen Aprioris der Konstruktion von Schönheit als Dispositiv oder Gefüge. Oder ist die Makellosigkeit etwa in der DNA verankert? Denken Sie an das Goldene Phi und die Studien von Stephen Marquardt. Wenn der Begriff der Makellosigkeit die Bedingung für das Fehlen eines Mangels (am Körper) ist, dann ist der Begriff der Leere die konstitutive Bedingung für eine Indifferenz, wie man sie z.B. im Blick des Models erkennt.

Aber nein, malträtierte, kollabierende, blutende und abgemagerte Körper, groteske Körper von sogenanten Risikoexistenzen gelten heute als der letzte Schrei, eigentlich ein sehr schönes Bild des Denkens; es sind meist äußerst merkwürdige Aliens und Hybride, seltsam amphotere Wesen mit einem bis zur Selbstauflösung destruierten oder konstruierten Körperbild, das die idiomatische Zähigkeit der softskills bzw. softness von Körpertechniken karikiert und zugleich hervorbringt. Spielfilme im 3-D-Format oder auf Hochglanzpapier gedruckte Organe der ubiquitären Popkultur verbreiten sowohl den Popexistenzialismus der topurbanen Hedonisten bzw. Kreativen & sowohl Pop-Ironie als auch Schrecken & Revulsion, womit die Manipulation der Prozesse der Ausscheidung und Ausdünstung von Körpern bis in den letzten Effekt medial atomisiert wird; verbreiten diese Apotheose des Schreck lichen, das den Sarkasmus genau dessen bestätigt, was gesplittet und zersplittert werden soll, damit die abgründig dunkle Kommunikation sich quasi an den eigenen Haaren aus der Kommunikation zieht, anstatt das Schreckliche der Dissemination anheimzugeben, die das autogene Sich-selbst-Spalten und Kopulieren von Sinnstrukturen allererst erzeugt, die Konstruktion von Vielfältigkeiten in einem immanenten Feld, eine Proliferation von Sinn, die hinzufügt & nachträgt & schöpft & propft, um dem Neuen den Vortritt vor dem (vergifteten) Kreativen zu geben. Im exkrementalen Medienlärm, den die multimedialen Kultursupermärkte verbreiten, sind würgende, kotzende bis sterbende Celebrities, und das nicht nur auf der Leinwand, die Superspreader; Teflon, das die Schönheitschirurgen für ihre Implantate benutzen, oder Nasengerüste aus Polymeren seien angeblich nur dazu da, dass man sie zertrümmern könne. Vgl. auch die Dokumentation wirklicher Sterbeszenen, die versuchen an das Reale heranzureichen, an etwas, was wir nicht erfahren können, wenn wir damit konfrontiert werden, was wir also sehen und nicht sehen, dem Realen, dem wir in diesem Fall ein verheerendes Potenzial andichten oder wahlweise eine Faszination. Wir konsumieren Filme, in denen junge schöne Menschen spektakuläre Car-Crashs inszenieren oder furchterregende Aliens junge Mädchen schwängern.

Hässlichkeit wird durch unsere Bereitschaft bestimmt, das Entsetzliche zu ertragen, oder um den Ekel, der sich in einer Art falschen Vitalismus über die Körper & Dinge legt, zu domestizieren. Mit sanfter Gewalt übernimmt das Medium die PR für die Message, um der Faszination, die das Grauen birgt, zuzustimmen, was den ultimativen Kick verspricht oder wahlweise die Implosion des Vitalitätseffekts, ein letzter Scherz, bevor das Kerosin den Körper (virtuell) in Brand setzt, der sich jedoch schon Minuten später vom Sehen der Virtualisierung des Fleisches erholen kann, indem er ausgiebig in den Bädern der Wellnessindustrie relaxet, im Modus von Spannung und Entspannung, und das auf allen Medienformaten. Abgesprengte Gliedmaßen, die auf der Straße herumliegen, Fleisch, das wie Wachs schmilzt oder wie zähe, braune Soße trieft, aufgeplatzte Adern, angeschwärzte Knochen, abgeschlachtete Brüste, gehäutete vaginale Öffnungen und phallische Fleischklumpen, ein Mann sitzt auf dem Bürgersteig und aus dem Arsch läuft Blut. Als Supplement erleben wir den virtuellen Realtime-Krieg vor den Bildschirmen als einen ferngesteuerten Daten- und Informationsexzess, als ob die Welt quantifizierbar, also rein in Informationflüsse übersetz- und damit (ver-)schaltbar sei, wie die Wunden und Narben des Krieges in der zeitgenössischen Kunst ins Rampenlicht rücken. Die schon im Sterben verwesende Aidsfresse. Will Self. Dorian Gray. Die Schönheitsoperationen bei Orlan, die kein Ich, sondern den Schmerz ins Rampenlicht zerren. Wie lange bleibt die Gewalt noch die Fantasie des 21. Jahrhunderts, fragen wir uns mit und gegen J. G. Ballard?

Die Ästhetik der Drastik konzentriert sich also um einen hypermedialen Neo- Expressionismus. Exhumanisiere das Model als Verstümmelte, den Normalen als Süchtigen, pervertiere das Cleane zum Hässlichen und umgekehrt. Der Ekel als 24- stündige Endlosschleife überzieht den kritischen Konsumenten provokativ, umgarnt ihn, löst in ihm aber keineswegs Abneigung, sondern eine unbewußte Anziehungskraft aus = Ekel überzieht wie eine mediale Qualle das Negativland der fraktalen Subjektivierungen; Katastrophenhermeneutik & sozialtherapeutische Soft-Skillness bestärken & bekämpfen einander –; Spiele der inszenierten Kommunikation, die im Bereich der logarithmisch steigenden Erregungskurven von televisiv ausgelösten Projektionen stochastisch auf das Verschwinden derjenigen setzen, die das Spiel als lebende Camcorderprothesen begleiten. Die ekelhaften Dinge erscheinen den Aktanten mit einem Mehr an Leben begabt, ein Mehr, das sich maßlos auszudehnen scheint und scheinbar alles in einer formlosen Licht Energie-Masse aufgehen lässt. Ekelerregend ist der Anspruch eines Vitalen, das die medialen Spektakel mit Authentifizierungseffekten anzudicken versuchen, die sowohl der Splatterkultur als auch der neospirituellen Therapeuten- und Trainingskultur entnommen & eingespritzt werden, was zu wechselseitigen Kollisions- und Verstärkungseffekten führt. Abweichung ist das A&O, bestimmt die Kriterien für die Selektion dessen, was Stabilität und zugleich Komplexität der Posthistoire-Medien steigert. Kein Text steht jemals still, weil jedes Verstehen Kommentar & Kritik ex- und impliziert, ein ganz und gar instabiles Kriterium, und die Derridasche différance ermutigt uns, das nicht abschließbare Gewebe der Texte stetig für weitere Informationsverarbeitungskapazitäten freizuschaufeln. Kommunikation als je nachträgliche Kritik und Kommentar überflügeln den Text, der für immer und ewig in eine exponentiell wuchernde kybernetische Rückkopplungsschleife eingebunden bleibt, und ganz und gar überlebt hat sich der Versuch, den Tatimpuls (des Autors) vor die hemmenden Faktoren (der Kritiker) zu stellen. Jedoch kein Kritiker-Alien ohne den Verweis auf seine antihumanistische Pervertiertheit, als stehe das Kritiker-Alien für das böse Kapital selbst.

Die Faszination für das Kritiker-Alien kann aber nicht verdecken, dass es die Kapitale inklusive der Distinktionsgewinnler selbst sind, die sich aus dem Leben des Kritiker-Aliens und deren Klons bedienen. Medien- und Informationskapitale speisen Abweichungen unter enormem Zeitdruck in ihre Trendsettermaschinen ein, auch als selbsterzeugte Korrektive ihrer eigenen Prozesse, die ihnen völlig immanent bleiben.

Bis kurz vor dem Bioboom, der Verlängerung der Biopolitik in die Ernährungswissenschaften hinein, hieß es noch, die genmanipulierte, polierte Delikatessbirne benötige die verbeulte, klobige Birne, um ihre Quasi-Authentizität bzw. Quasi-Natürlichkeit anhand der Biobirne zu verifizieren. Inzwischen verbreitet und vereint die Biobirne bis zur Ununterscheidbarkeit künstlichen Glanz und Natürlichkeit. Recht, Technik, Kunst, Norm versus Himmelsgabe, Gene, Natur, Leben. Wir treten in eine Zone der Vermischungen bzw. der Ununterscheidbarkeit von Natur und Wissenschaft innerhalb der biopolitischen und ökonomischen Systeme ein. Wenn das Produktionsergebnis zwischen »natürlicher« und genmanipulierter Birne hinsichtlich Ästhetik & Genuss & Funktion nicht mehr zu unterscheiden ist, dann realisiert die universelle Effektivität der Kapitale sich als ein mit sich selbst identisches Ereignis.

Möglicherweise ist die Zone der Ununterscheidbarkeit aber immer noch ein atopischer Ort von Vermittlungen. »Organic Design« wäre also im Kontext der Dialektik eine Art Negation der Negation, das Dritte, deren Ausgangspunkt die »natürliche « Birne und deren Negation die industriell angebaute Birne ist. »Organic Design« würde also in der Figur der Aufhebung Natur insofern berücksichtigen, als Natur über den neuesten Stand der Wissenschaft vermittelt ist, was wiederum heißt, dass BIO und Genmanipulation sich nicht ausschließen müssen (vgl. Slavoj Žižek). Aber Dualität funktioniert als Denkmodell heute längst nicht mehr.

Kommen wir damit zu den Schönheits-Ikonen zurück: Wenn es überhaupt noch ein Dazwischen, eine Schwelle, ein von Fall zu Fall gibt, dann muss man wohl ein größeres Projekt anstreben: Aus dem biopolitischen Reservoir der Schönen und den medialen Spektakeln der Mode-Bunnies fischt Villa Inc. die Göttinnen heraus, um deren Körper (digital sowie schmerzlos mit dem Laserskalpell) in Fragmente zu zer- und verschneiden und neu zusammenzusetzen. Der Glamour, seine mythologische Geschichte verweist übrigens auf eine Figur, die sich immer magisch artikuliert, realisiert die Vermischung von Software und Magie. Scientific & Organic-Beauty wird in die Zone der Intensivierungen, Verschiebungen und Vermittlungen hineingetrieben. Zugegeben, die Schönheitsikonen verbringen sehr viel Zeit mit dem Baden, der Pflege ihrer Haut. Haben Sie von den Einwohnern einer Südsee-Insel gehört, die sich Tag und Nacht baden und ihre hässlichen Babys nicht mehr füttern? Ein Luxus, den wir uns leider nicht leisten können, auch wenn er unter bevölkerungspolitischen und demographischen Gesichtspunkten nicht uninteressant zu sein scheint, stattdessen bringen wir die weitaus effektiveren Maschinen der Kosmetik- und Designindustrie ins Spiel. Erstatten dem Schönen mit allen Mitteln der Künstlichkeit das Recht auf seine Hyper-Existenz zurück.

Schwierig bleibt, die Abgründe auszuloten, zwischen dem Entscheidbaren und dem, was sich jeder Unterscheidung des Entscheidbaren und Unentscheidbaren entzieht. Im erbärmlichen Kontext der Dialektik hieße das dann, dass es schwer auszumachen ist, wie sich das Künstliche in das Biologische übersetzt und wie die Biologie ihre potenziellen Pfade in das Künstliche schlingt. Ein himmlisches Experiment dort, wo die künstlichen Körperlabore mit den eigenen Lebenskräften verbandelt sind. Aber binäre Strukturen, von denen sowohl der Konflikt als auch die Vermittlungen bestimmt sind, lösen sich auf, es kommt zu Vermischungen, Vervielfältigungen
und Verzweigungen, Singularitäten treten in Ununterscheidbarkeitszonen auf. Wie das Begehren den Mangel ausschaltet, so hat es die Indifferenz zur Voraussetzung, um dieses oder jenes zu begehren. Und nichts ist leichter, als die Begriffe, die mit dem Schönen assoziiert sind, Makellosigkeit und Indifferenz, mit der Matrix von Technologie und Informationswissenschaften zu verschalten. Die virtuelle Maske des Stephen Marquardt, bei der das Gesicht nach den Maßen des Goldenen Phi vermessen wird. Es entsteht ein Netz von Linien, das exakt den »richtigen« Mund-, Augen- , Kinn-, Nasenabstand, ja sogar den Abstand der Augenbrauen anzeigt. Die Maskenschablone als Perfect-Face, die die Abweichungen der realen Gesichter vermisst bzw. Maske und Gesicht vergleicht. Denken Sie dabei an die Schönheit der Interfaces, die nichts darüber verraten, wie der Computer funktioniert. Zuletzt verschwinden Makellosigkeit und Leere als Transzendentalien und fließen vollkommen in die biopolitischen Ebene der Immanenz ein, die sich als differenzierendes unddifferentielles Feld entfaltet und auf der sich vielfältigste Schönheitspolitiken entwickeln. Schönheitspolitiken sind Biopolitiken, die den Beteiligten nicht nur Technologien, Wissensformen, medizinische Diskurse und Praktiken und Handlungs weisen aufdrücken, sondern auch eine Technologie des Selbst hervorbringen btw. inszenieren, indem die schönen Individuen bereitwillig Regeln aufgreifen, um in einem kosmetisch-kosmologischen Prozedere ihre Körper zu transformieren und neu zu etablieren, und das auf den Märkten der Aufmerksamkeitsindustrien.«

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