Skizzen: Bedingungsloser Grundbesitz, Minderwert, Geldschöpfung und -vernichtung

[Das folgende, leicht abgeänderte und ergänzte Fragment entstand während einer Diskussion mit Achim Szepanski im Jahre 2014 zum Thema Mehrwert als Differenzproduktion und zur Homogenität des Geldes. Es stellt eine Skizze der “monetären” Fragen der FORS Simulation dar.]

Mehrwertproduktion ist tatsächlich Differenzproduktion, das ist wohl wahr und meines Erachtens (so fair bin ich dann doch gegenüber den Kapitalismen) sogar sehr gut so, weil die Mehrwertproduktion als (!) Differenzproduktion bekanntlich den gesellschaftlichen Veränderungsprozess vorantreibt. ABER: Mehrwertproduktion ist genau insofern keine Differenzproduktion, als der Mehrwert nur eine Richtung kennt – nämlich ‘Mehr’. Der Mehrwert selbst ist deshalb differenzlos, weil er kein anderes kennt – nämlich das Weniger, und zwar in Form des Minderwerts. Letzteres ist eine Kategorie, die das Unbewusste der Kapitalismuskritik schlechthin darstellt. Würden wir tatsächlich mal in aller nachdrücklicher Unwissenheit die Frage eröffnen: ‘Was ist der Minderwert?’, dann würden sich daraus superspannende Diskussionen ergeben. Der Minderwert wäre bspw. die Möglichkeit, Investitionen, Überweisungen, ja Geldtransaktionen jeder Art wieder rückgängig machen zu können. Wenn Unternehmen x oder Staat y mit dem von mir investierten Geld anfangen, Massenmorde zu finanzieren, dann habe ich darüber keine Kontrolle mehr, da es den Minderwert bzw. die Minderwertver(un)wertung im Kapitalismus nicht gibt. Gäbe es ihn (und damit eröffnet sich die ziemlich komplexe Frage, ob und inwiefern wir das dann Kapitalismus nennen können), dann könnte ich Unternehmen x oder Staat y zusammen mit anderen emanzipatorisch schädigen bzw. in die Pleite schicken. Da das aber bekanntermaßen nicht geht, ist der Mehrwert selbst ahistorisch – und damit eben keine Differenzproduktion. Und genau das ist das (dekonstruktive) Problem.

[…]

Aber auch hier wäre die Frage, was die ‘Dehomogenisierung des Geldes’ genau wäre und sein könnte. Meines Erachtens wären das mehrere Dinge:

1.) Der globale Wert (sowohl als ‘Bargeld’ als auch als ‘Kredit’) müsste fortschreitend maximal dezentriert werden. Das bedeutet neben der Einführung eines globalen BGEs, die (erstmal) einmalige Auszahlung eines BGBs ( =’Bedingungsloser GrundBesitz’). Das dürfte umgerechnet so im Bereich zwischen 30.000-60.000 Euro liegen, je nachdem. BGE und BGB decken damit den Bereich des ‘Realvermögens’ ab. Für das ungleich viel höhere ‘Kreditvermögen’ wäre ein allgemeines (erstmaliges) Geldschöpfungs- und -vernichtungsrecht AKS ( =’Allgemeines Kredit[schöpfungs- und -vernichtungs]recht’… oder wie auch immer wir das dann am besten nennen können) in eben der Höhe des globalen Kreditvermögens zu etablieren, umgelegt auf alle Menschen. Wie viel die einzelnen dann an kreditivem Wert verteilen können, weiß ich gerade nicht genau zu sagen. (Was angesichts des Umstands, dass eh keine*r genau weiß, wie viel es denn nun genau ist, eh nicht geht… aber es ginge ungefähr. Vielleicht.)

2.) Diese Dezentrierung und Dehomogenisierung sowie Demonopolisierung des Geldes bzw. des Wertes ermöglicht, da sie den kapitalistischen Gesamtprozess umfasst, die Einführung einer neuen Weltwährung, die sich eben genau durch BGE, BGB und AKS unter der Voraussetzung der Mehrwert-Minderwert-Ver(un)wertung realisieren lässt. Nun werden die Herrschenden aller Kapitalfraktionen sicherlich nicht ihr Geld für BGE, BGB und AKS zur Verfügung stellen – müssen sie aber auch nicht, da, wie gesagt, wir das über eine eigene Weltwährung lösen können.

3.) Es muss einen (teil-)automatisierten, wohl elektronischen Mechanismus geben, der alles Geld fortkommend und immer wieder ‘gleich’ auf Grundlage von BGE, BGB und AKS verteilt. Damit bleibt das Geld nicht nur einmalig dehomogenisiert, sondern dauerhaft. Freilich bedeutet dies NICHT, dass wir immer alle jeden Monat oder jedes Jahr das gleiche BGE, BGB und AKS bekommen. Schließlich funktioniert eine hochkomplexe Wirtschaft so nicht. Es muss Differenzen geben, welche überhaupt erst das Gesellschaftsspiel eröffnen und am Laufen halten.

4.) Zusätzlich braucht es eine Art unbedingtes Geldschöpfungs- und -vernichtungsrecht (‘Bedingungsloses Geldschöpfungs- und -vernichtungsrecht’, kurz: ‘BKS’), welches die heutigen kreditiven Funktionen der Banken ersetzt und z.B. so aussehen könnte, dass wir alle pro Monat 1000 Euro Geld schöpfen können (was qua Minderwert auch wieder derealisiert werden können müsste), aber nicht müssen. Zudem muss das unbedingte Geldschöpfungs- und -vernichtungsrecht delegierbar sein, um größere und größte Investitionen demokratisch und kenntnisreich organisieren zu können.

5.) Mit all dem erreichen wir zwei Besonderheiten: a.) Das Geld selbst wird zur Ware für alle anderen Waren bzw. Signifikanten, die in die Position des Geldes und sodann die des Kapitals rücken (ungefähr der Verallgemeinerung der Kapitalformen bei Bourdieu entsprechend und weit über ihn hinaus), um sich quasi unendlich zu vermehren und zu vermindern. (Übersetzt: Die keinen transzendentalen politischen Horizont mehr etablieren, sondern es ermöglichen, dass jede Hegemonialisierung/Vermehrung und Dehegemonialisierung/Verminderung unter historisch kontingenten Bedingungen möglich ist. Bspw. könnte so Atomenergie unter der Voraussetzung, dass es gelänge ein Instrument zur Dekontamination-per-Knopfdruck zu entwickeln, sogar wieder legitim eine Hegemonie und dauerhafte gesellschaftliche Förderung erhalten. Natürlich weiß ich, dass es derzeit so ein Instrument nicht gibt und wahrscheinlich auch nie geben wird, aber das können wir nicht transzendental wissen.) b.) Es kommt zu einer antitranszendentalen, geschlechtlich gleichberechtigten In-Wert-Setzung aller wertabgespaltener, nicht-männlich konnotierter, reproduktiver und/oder deproduktiver Arbeit bei gleichzeitiger In-Ware-Setzung bzw. Außer-Wert-Setzung des Geldes. Der metaphysische Horizont des Kapitalismus bricht damit alles entscheidend auseinander und verbindet einen ereignis-basierten Revolutionsbegriff mit einem permanenten Revolutionsbegriff.

6.) Das Ergebnis all dessen wäre ein tatsächlich freier, hochflexibler Weltmarkt im – durch Ungleichgewichte hergestelltem – ‘Gleichgewicht’, der zugleich eine ‘klassenlose’ Gesellschaft wäre, ohne jedoch die Präsenzmetaphysik der Klassenlosigkeit wieder herzustellen und damit die Differenz auszurotten. Oder eben: die Dehomogenisierung des Geldes auf allen Ebenen seiner Existenz. Da das Ungleichgewicht der Welt dem Gleichgewicht vorausliegt, ist es notwendig, durch Ungleichgewichte bei BGE, BGB, AKS und BKS ein ‘Gleichgewicht’ herzustellen, welches faktisch ein Ungleichgewicht ist. Mit dieser Brechung des präsentistischen Gleichgewichts des freien Marktes vervollkommnet sich fortkommend auch der Bruch mit der ‘gleichschwebenden Aufmerksamkeit’ der ‘freien Assoziation’ in der Psychoanalyse sowie der ‘klassenlosen Gesellschaft’ des ‘Kommunismus’, die nunmehr alle unheilbar Out-of-Joint, Aus-den-Fugen gewesen sein werden.

– Anna Newspeak

 

 

Über die Autor*in:

Anna Newspeak
Anna Newspeak arbeitet unter anderem zu den Bereichen Marx/Postmarxismen, Wirtschaftstheorie, Poststrukturalismus, Queer Theory, Gender Studies, Intersektionalitätsforschung, Fat and Weight Studies, Lacanismus, Disability Studies, Dekonstruktion, insbesondere auf Derrida spezialisiert, radikale und kommende Demokratietheorie sowie Liquid Democracy, Psychoanalyse, Critical Time Studies, Critical Love Studies und ist Inventor*in der Foraminiferderlogie, der Minderwertforschung und des Bedingungslosen Grundbesitzes (BGB).

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