978-3-944233-75-8
Terror und Gegenterror erschüttern die Gegenwart. Sie entspringen den Krisen der Epoche, die sich in der Krise der Geschichte verdichten. Ihren weitesten Horizont umreißt die ökologische Krise, mit der unsere Welt unbewohnbar wie der Mond zu werden droht. Deshalb ist die Ökologie heute das Denken, in dem das Ganze der Welt und der Geschichte seine radikale Kritik findet.
Thomas Seiberts Ökologie der Existenz beginnt mit dem auf Leben und Tod geführten Kampf um Anerkennung und klärt aus ihm die Herkunft unserer Gesellschaft auf: der zugleich globalisierten und individualisierten Gesellschaft der Knechte-und-Mägde-ohne-Herr*innen. Wir sind die Proletarisierten eines Kapitals, das längst nicht mehr nur die Arbeit, sondern unser ganzes Existieren, das Ganze unserer Umwelt in seine Flucht nach vorn, seinen Wachstumswahn zwingt. Wer sich daraus zur Freiheit befreien will, wird die Reformation der Lebensweisen fortführen müssen, deren bislang letztes Abenteuer der Mai 1968 war. Die Ökologie der Existenz bringt seinen Überschuss in unsere Gegenwart zurück, sein Unabgegoltenes: nach dem Ende der Geschichte ist vor dem Ende der Geschichte.
Ein Buch zur Ökologie der Existenz kann heute nur ein Krisenbuch sein, wird dabei aber nicht stehenbleiben dürfen. Es sucht deshalb den Begriff der Krisen die uns bedrängen. Die Suche beginnt mit dem Gang zurück zum griechischen Wort krisis, von dem unser Wort »Krise« abstammt. In ihm laufen zwei Bedeutungslinien ineinander. Auf der ersten Linie bedeutet krisis bedenklicheLage, Unsicherheit, Not. Auf der zweiten bedeutet krisis Zuspitzung, Höhepunkt, Wendepunkt und Entscheidung. Die erste Linie gibt an, was uns spontan einfällt, wenn wir nach der Bedeutung von »Krise« gefragt werden. Die zweite verweist uns auf das, was vielen eben nicht spontan einfällt. In einer Krise zu sein heißt demnach, sich im Prozess einer Zuspitzung zu befinden, dort auf einen Höhe- oder Wendepunkt zugetrieben und zuletzt vor eine Entscheidung gestellt zu werden. Die zweite Linie bestimmt die erste: Sich in einer bedenklichen Lage, einer Unsicherheit, einer Not zu befinden heißt zuletzt, vor die Entscheidung eines Wendepunkts gestellt zu sein. Das gefällt nicht allen, schon gar nicht, wenn man plötzlich zur Entscheidung herausgefordert wird. Auch spricht erfahrungsgemäß einiges dafür, eine Entscheidung nach Möglichkeit aufzuschieben. Das schließt ein, sich solange als möglichdem Austausch von Gründen und Gegengründen zu widmen, der Gabe und Gegengabe von Argumenten.
pdf here:Seiten aus Theorie_73_9783944233758_Druck_innen
Foto: Bernhard Weber