10 Thesen zur Politik

1) Machiavelli, der tiefgründigste politische Theoretiker der Bourgeoisie, verstand als erster, dass die politischen Beziehungen nicht das Resultat eines Unfalls oder einer Begegnung, sondern notwendigerweise antagonistisch sind, und Dominanz und Unterwerfung alle politischen Formen und Praxen bestimmen. Nichtsdestotrotz konnte Machiavelli nicht sehen, dass der politische Antagonismus auf der kapitalistischen Produktionsweise und dem daraus resultierenden Klassenkampf beruht.

2) Das entscheidende Feature der politischen Praxis der bürgerlichen Bourgeoisie beruht auf der Existenz von Vermittlungen, am elaboriertesten die der parlamentarisch repräsentativen Demokratie als Teil des Staatsapparates, dessen effektivstes Mittel das Wahlsystem ist, das funktioniert, als ob jedes Individuum – rechtlich als frei und gleich gesetzt – durch seine Teilnahme seinen eigenen Willen ausdrücke, was schließlich in einem allgemeinen Willen resultiert. Dem entspricht das Prinzip der Äquivalenz, das in der Politik auf dem Vertrag, dem Konsens und die Kommunikation beruht. In letzter Instanz basiert die Demokratie aber immer auf einem transzendenten souveränen Urteil, das durch die Androhung von Gewalt gedeckt wird.

Allerdings leiern heute alle Mechanismen aus, die das reibungslose Funktionieren des Repräsentationsraumes “Demokratie” ermöglichen und damit die Möglichkeit für politische Handlungen und Repräsentation schaffen. Die Verbindung von Repräsentanten und Repräsentierten wird instabil, und kein Exzess der Politik, der versucht, politische Glaubwürdigkeit wieder herzustellen, kann die Bürger mit ihren Repräsentanten verbinden. Die Bürger der Bürgerfabrik haben sich längst jeder politischen Meinung und jedem politischen Willen entledigt; Meinung und Willen sind zu variablen Größen geworden und reagieren vor allem pornopharmakologisch, das heißt im Modus der Kreisläufe von Erregung – Entspannung – Erregung, die von der Demoskopie qua Meinungsumfragen und Wählerbefragungen inszeniert werden. Es ist zum Verrückt-Werden, die Demoskopie bewegt sich im Medium der Tautologie, sie bekommt nur diejenigen Meinungen von den Bürgern zurückgespiegelt, die sie selbst oder in der Form der Massenmedien formuliert. Gerade in dieser absurden Tautologisierung ist sie ein gefährliches Instrument der Sozialspionage.

3) Im Anschluss an Althusser hat Nicos Poulantzas den Staat als die spezifisch materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses von Klassen bezeichnet, als ein komplexes öffentliches und privates Feld, in dem die Institutionen auf nationalen, internationalen und regionalen Ebenen agieren. Der Staat ist weder als ein Subjekt noch als ein Instrument zu fassen, allerdings auch nicht als eine neutrale Instanz, sondern, und dies heute mehr denn je, in spezifischer Weise als ein Garant der Reproduktionsbedingungen des Kapitals, indem er den Klassenkampf zugunsten des Kapitals betreibt und bestimmte funktionale Bedingungen für die Kapitalakkumulation herstellt, das öffentliche Geldsystem reguliert und das private Kapitaleigentum garantiert.

Der Klassenkampf von oben ist im Staat die Regel, aber es kann sein, dass er die Einheit der herrschenden Klassen noch nicht einmal negativ herstellen kann, der Entscheidungsapparat immer diffuser wird und die Identitätsproduktion kollabiert, sodass die Gefahr einer faschistischen Homogenisierung entsteht, die für eine kurze Zeitperiode als Substitut der sozialen Bewegung agiert und die zentrifugalen Kräfte der kapitalistischen Polit-Ökonomie (nicht der bürgerlichen) neu ordnet. Aber letztendlich haben die Demokratien »die senile Hysterieform des Rentenalters erreicht; sie haben nicht mehr genügend Energie, um einen mächtigen inneren Feind entstehen zu lassen, wie es zum Beispiel der mythische Faschismus war« (Baudrillard).

4) “Die Leute wollen wählen, sie wollen immer öfter wählen, und sie würden am liebsten noch viel mehr wählen. Was nicht bedeutet, dass sie eine Meinung hätten oder an die Bedeutung ihrer Stimme glauben würden – ganz im Gegenteil kommt darin das ubuesque Verlangen einer Wahl-Verfressenheit zum Ausdruck: Das Repräsentationssystem wird in gefräßiger und exkrementeller Weise verschlungen und verdaut. Man entledigt sich seiner durch einen Exzess (nicht durch Ablehnung, sondern durch eine Verdauungsstörung) – das ganze System wird in einen riesigen Wanst umgewandelt.” (Baudrillard)

5) Die Demokratie darf auch als eine Form der Subjektivierung in der Politik gelten; sie setzt andauernd die Bedingungen für die Fortwucherung dividuell-konsumistischer Manöver – warenförmiger Hedonismus, arbeiten, um zu konsumieren, Opportunismus und Zynismus als neue Formen des Pragmatismus. Umgekehrt orientiert sich die Politik an der Stimulation der Kauflust, die selbst vom pornopharmakologischen Zirkel getrieben wird. Allerdings bliebe man in einer reinen Lifestyle-Kritik befangen, würde man nicht wahrnehmen, dass das globale Proletariat als ein den Lifestyle ausübender Akteur nicht in Frage kommt, mögen einzelne Angehörige noch so viele Flugreisen buchen oder in den ubiquitären Shopping-Malls delirieren.

6) Es gibt ja nicht wenige Formen der Demokratie, die repräsentative Demokratie, die Postdemokratie, die Militärdemoktratie, die Sozialdemokratie oder die Nazi-Demokratie. Jetzt nun die Zombie-Schizo-Pop-Demokratie. Trump ist mit Sicherheit der vollkommene Repräsentant der Demokratie in ihrem letzten Stadium, in dem das reine Regierungshandeln mit der Simulation zusammenfällt. Das Abjekt der Ökonomie, der Werbeslogan, zugleich Phantasmagorie der Massen, repräsentiert die kapitalistische Politik (nicht die bürgerliche Politik) in ihrer vollkommenen Schönheit. Damit stellt sich die Politikerklasse als scheinbar unspezifisch heraus, rein virtuell, wofür auch spricht, dass Entscheidungen und Handlungen permanent an die (sozialen) Medien angeschlossen werden, womit eine neue Stufe der Hyper-Repräsentativität erreicht wird; man muss, wie Trump zeigt, ständig auf Sendung sein oder auf Twitter anwesend sein.

(Oder,  um es in den Worten von Hans-Joachim Lenger zu sagen: “Wie gesagt, die psychische Physiognomie des neuen US-Präsidenten mag da den Anschein erwecken, nur die Person stelle ein Problem dar, nicht das System sei irre geworden, an dessen Spitze er tritt. Doch was, wenn diese Physiognomie die des Systems selbst wäre? Wenn die Zerrissenheit seiner Auftritte, die Kurzatmigkeit seiner Reden, die hohle Kraftmeierei, die unerfüllbaren Ankündigungen und Versprechen, die er macht, das hohle Pathos der Größe,der Einzigkeit und Omnipotenz, das er mit bulligem Blick mobilisiert, nur die Signatur ungelöster Fragen und eines unaufhaltsamen Niedergangs wäre? Die Physiognomie einer Macht, die begonnen hat, im Absturz um sich zu schlagen?”)

7) Trump als Pop-Präsident, wie das Georg Seeßlen vorführt, das zeigt nun eines: Pop ist kein Privileg des progressiven Neoliberalismus mehr (des Komplexes Queer-Silicon Valley-Finance), sondern er kann auch vom rechten Populismus inkorporiert werden. POP ist damit endgültig zum höchsten Stadium der Kultur aufgestiegen: Die Insistenz des Immergleichen, dessen reales Substrat die Differenz ist. Adorno und Deleuze hätten nicht schlecht gestaunt.

8) Das reine Regierungshandeln, das sich anscheinend nur noch um die Reparatur und die Reproduktion der Macht kümmert (indem es den Sachzwang der Sicherung des eigenen Territoriums als Kapitalstandort meist nur in Nebensätzen erwähnt), stellt sich am effektivsten und zugleich am lustigsten als eine Repbulik der verhinderten Sportler und Spinner, der Moderatoren, der Animateure und der grauenhaften Pop-Stylisten dar.

9) Wahlen sind ein Speziallfall der Sozialspionage.

9) Die politische Praxis der kommunistischen Bewegung besteht in der Herbeiführung des Endes der Politik, der Demokratie und der Zerschlagung des Staates. Sie macht von der Politik nur Gebrauch, damit Politik und Klassenkampf beendet oder zumindest minimiert werden. Sie setzt die Konspiration ein, eine Kriegsmaschine, die das Kapital und jedes Projekt zerstört, das auf metaphysischer Konsistenz beruht. “Eine Konspiration ist der Kommunismus aus zumindest zwei Gründen: Zum ersten besitzt er einen Hang zur Negativität, die seine revolutionäre Kraft als eine Konspiration gegen alles erscheinen lässt, das das Fröhliche als gegeben annimmt; zum zweiten stellt ihn seine Neigung hin zu den kollektiven Formen des asymmetrischen Kampfes total quer zum wissenschaftlichen common sense. Er fordert jeden Kommunismus, der seines Namens wert ist, auf, einen Krieg der Vernichtung gegen Gott, die Menschheit und die Welt selbst zu führen.” (Andrew Culp; Dark Deleuze)

Foto: Bernhard Weber

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