Rhythmus und Zeit (Ultrablack of Music 3)


Das Musik-Ereignis konstruiert die Zeit und seine Parameter konstituieren sich durch die Zeit: Dem Rhythmus inhäriert eine gequantelte, intensiv-variable und wellenförmige Zeit; eine Zeit, die durch Echos und das Klonen von Echos auch verschleppt werden kann, durch Hallblöcke gebrochen und schließlich geremixt wird. Kodwo Eshun fragt mit A Guy Called Gerald: Arbeitet die Zeit im Rhythmus oder der Rhythmus inder Zeit? (Eshun 1999:089). Ton und Harmonie beinhalten eine qualitativ konstruierte Zeit, während der Rhythmus die Zeit unablässig phrasiertund sie zu Intensitäten und Spannungsbögen im Netzwerk des Musikereignisses verdichtet. Der Rhythmus konstruiert Zeit, er ist nicht in der Zeit, wäre jetzt die erste Antwort. Wenn aber jede Bewegung in der Zeit ist, dann muss man die Zeit als absolut verstehen, womit es keine Relation zwischen Bewegung und Zeit,sondern nur einezwischen verschiedenen Bewegungen geben kann. Zeit als absolut gedacht ist Ewigkeit und inhäriert damit die Bewahrung aller möglichen Anschauungen. Die Geschichte der Zeitmessung und jeder ihrer Referenten wäre dann je schon in die Zeit, sodass die Messung ein Maß suchen muss, das nicht in der Zeit ist, und dies kann nur ein Bild der Zeit sein. (Vgl.Bahr1983:464) Und Zeit wird eben durch das Bild der Uhr vorstellbar, dem Bewegungsbild der gleichförmigen, homogenen Zeit, das bis heutenoch jede empirische Zeitbestimmung dominiert. Das a-temporale dionysische Musik-Ereignis, wie es bspw. Deleuze konzipiert, gibt aber keine Bilder mehr, sondern schafft permanent Verwandlungen, die keine Abschließung zu geschlossenenWerkenzulassen. Es beginnt auf jeden Fall, so im Anschluss an Deleuze,das Spiel mit der Zeit (Loops vorwärts und rückwärts laufen lassen, Sounds stretchen etc.); es lässt den Rhythmus plastisch werden, wenn dieser noch die nunancierteste Perkussion integriert, was wiederum posthumane Reflexe hervorruft.

(Henri Lefebvre hat sich in seinem Buch Rhythmanalysis: Space, Time and Everyday Life (Lefebvre2013) intensiv mit dem Begriff des Rhythmus auseinandergesetzt. Für Lefebvre gibtes keinen Rhythmus ohne Wiederholung in Raum und Zeit, ohne Reprise und ohne die Möglichkeit der Rückkehr und der Messung. Lefebvre selbst geht zunächst von zwei Formen der Wiederholung aus, die im Realen untrennbar, aber zumindest analytisch voneinander unterscheidbar sind: zyklische und lineare Wiederholung. Im Kontext des Rhythmologischen kann die Wiederholung aber niemals absolut identisch sein, vielmehr ist hier mit Deleuze stets die Relation von Wiederholung und Differenz zu beachten, insofern durch die Differenzierung der Differenz, die stets auch eine Überschreitung ist, immer etwas, wenn auch noch so rudimentär oder minimal, Neues geschieht: Die Wiederholung produziert über das Differente differenter Differenzen eine differenzierte Zeit oder eine qualifizierte Dauer. Selbst in den linearen Zeiten tauchen noch starke und schwache Zeiten auf  – Intervalle, Loops, Stille, Stops und Brüche. Umgekehrt lässt sich die Bewegung der differenziellen internen Zeit von der externen Uhrzeit nicht trennen (wobei letztere nur in homogenen quantitativen Parametern existiert), sodass interne und externe Messungen eine komplexe Beziehung zueinander unterhalten. Die Rhythmen beruhen also auf Wiederholungen, sie sind Bewegungen der Verschiebung und der Differenzen in der Wiederholung.

 Bleiben wir bei der Relativität der Rhythmen. Sie lassen sich definitiv nicht so messen, wie man die Geschwindigkeit eines bewegten Gegenstands auf seiner Bahn misst, nämlich von einem klardefinierten Ausgangspunkt (Nullpunkt) und mit einer ein für alle Mal definierten Einheit. Ein Rhythmus ist nur langsam oder schnell im Verhältnis zu anderen Rhythmen, mit denen er in größeren oder kleineren Einheiten verbunden ist: Zum Beispiel ein lebender Organismus oder auch eine Stadt (freilich ohne dieDefinition derselben auf jene eines biologischen Organismus zurückzuführen). Das führt uns dazu, die Vielfalt der Rhythmen,ihrer Zusammenhänge und ihrer Interaktionen oder die gegenseitigen Wirkungen zu unterstreichen, der Relationen zwischen komplexen Prozessen und Trajektoren, zwischen Wellenform und Körpern. Körper sind in diesem Kontext als Bündel von Rhythmen zu verstehen, die, indem sie sich der Außenwelt öffnen, nicht nur eine Vielzahl von Einflüssen integrieren, sondern mehrere rhythmologische Systeme zugleich darstellen, die qua Isolierung, Abschließung und eben auch Öffnung durch lokale Regeln gesteuert werden. Fast alle konkreten Zeiten inkludieren Rhythmen oder sie sind vielmehr Rhythmen – und jeder Rhythmus schließt den Bezug einer Zeit zu einem Raum ein, bezeichnet eine lokalisierte Zeit oder, wenn man es so nennen will, einen temporalisierten Ort. Der Rhythmus ist stets an diesen oder jenen Ort gebunden, sei es das Herz, das Klappen der Augenlider, die Bewegung einer Straße oder das Tempo eines Walzers. Das hindert den Rhythmus nicht, eine Zeit zu sein, das heißt, Aspekt einer Bewegung und eines Werdens zu sein. So ist jeder mehr oder weniger belebte Gegenstand oder jede Ansammlung von Gegenständen polyrhythmisch; der Polyrhythmus ist aus verschiedenen Rhythmen zusammengesetzt, von denen jeder Teil, jedes Organ oder jede Funktion, die ihren eigenen Rhythmus in einerbeständigen Interaktion hat, ein Ensemble oder ein Ganzes bilden.Ganzes meint hier nicht ein geschlossenes Ganzes, sondern ganz imGegenteil ein offenes Ganzes. Solche Ensembles sind stets in einem»metastabilen« Gleichgewicht, es sei denn, es tritt einetiefgreifende Störung oder eine Katastrophe ein. )

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