14. MÄRZ: DAS FEUER WIEDER ENTFACHEN, DIE CHAMPS-ELYSÉES EINNEHMEN

Es geht ein Raunen durch die Reihen der antagonistischen Splitter des Empire, genauer gesagt, durch seine westeuropäischen Provinzen. Stadtpläne werden studiert, Equipment gecheckt, Kohle gesammelt und brüchige Verbindungen gepflegt. Paris ruft seine Krieger*innen zu sich.

Aus Niederlagen sei zu lernen, so heißt es von Anbeginn an aller Kämpfe. Die Niederlage der Bewegung gegen die “Rentenreform” des Regimes von Macron, die ziemlich schnell abzusehen war, auch wenn viele traditionell denkende Linke und Linksradikale dies lange nicht wahrhaben wollten, ist eigentlich nur eine schmerzhafte weitere Lektion. Es wird ihn nicht geben, den großen Streik, den in Frankreich so viele nachträumen, seit jenen mythenumrankten Tagen im Mai 1968.

Die Bewegung der Gilets Jaunes, jene anfänglich von vielen Linken belächelte und diffamierte Ansammlung von “Provinzlern” hat den Horizont für die Erstürmung des Himmels neu justiert. Sie eroberten die Champs Elysées im Sturm, verwüsteten die noblen Viertel im Herzen von Paris, schleppten Schmuck und Uhren im Werte von Millionen aus der Dior Niederlassung. Sie brachten Leben in die wüste Landschaft der Vollversammlungen, von denen das Unsichtbare Komitee schon vor Jahren sagte, man solle sie meiden, wenn man ernsthaft an einer Erhebung interessiert sei. Nun macht es wieder Sinn, sich im Kreise zusammenzusetzen, weil wieder wirkliche Menschen miteinander reden, versuchen sich zu verstehen, zu verständigen. Nicht mehr Floskeln und Worthülsen ausgetauscht werden, Egos gestreichelt und wirklichkeitsfremde Verhaltenskodexe alles Lebendige ersticken.

Die Gilets Jaunes überdauerten ihren ersten Winter, sie flammten im Frühjahr auf, verschieden auch nicht in den Sommerferien, die bisher jeder breiten Bewegung in Frankreich den Garaus gemacht haben. Sie erblühen mitten im Herbst und haben nun schon den zweiten Winter hinter sich gebracht. Sie sind nicht mehr so zahlreich, aber es reicht immer noch dafür, an jedem Wochenende in einer anderen Stadt etwas trouble zu veranstalten und wenn es etwas zu begehen gibt, dann strömen immer noch Tausende aus allen Himmelsrichtungen herbei und liefern sich stundenlange Kämpfe mit den Bullen.

https://www.youtube.com/watch?v=SMijTtNp1WM

Sie sind, was die Stadtindianer für die Autonomia der 70iger in Italien, die Hausbesetzer*innen für die Alternativbewegung der 80iger in der BRD waren, sie sind das, was tausendfach falsch verstanden und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde und doch so notwendig: Eine unkontrollierbare Avantgarde der Herzen im aufständischen Prozeß. Hunderte von ihnen wurden inhaftiert, Dutzende verloren ihr Augenlicht, aber sie singen immer noch an jedem Wochenende “On est là”, wir sind da. Inmitten des Tränengases.

Nun also der 14. März in Paris. Es wird nicht die finale Schlacht werden, auch nicht die Ouvertüre für den allgemeinen Aufstand. Dies anzunehmen wäre ebenso vermessen wie dumm. Aber es wird ein Tag der Neujustierung, der Besinnung auf eigene Stärken von spontaner und unkontrollierbarer Brillianz werden. Die Fähigkeit, sich dem polizeilichen Dispositiv zu widersetzen, die Befähigung, den Gegner zu Fehlern zu zwingen.

Den Tag zu einem taktischen Erfolg werden zu lassen, dies wird die eigentliche Aufgabe sein nach all den ermüdenden Gewerkschaftsdemonstrationen der letzten Wochen und Monate, die zwar Hunderttausende auf der Straße sahen, die aber keinerlei Befähigung zum Kontrollverlust zu verzeichnen hatten. Also nur genau jene Erfahrung reproduzierten, die sich eh schon tief in die Gemüter der Bewohner*innen des Empire eingebrannt hat: Ohnmacht. Kommt am 14. März nach Paris. Bereitet Euch vor, verweigert Euch dem Event, kommt um zu lernen und Banden zu knüpfen zu unseren Kompliz*innen im aufständischen Prozeß.

Ein weiterer Aufruf aus Frankreich, der heute veröffentlicht wurde:

14. MÄRZ: DAS FEUER WIEDER ENTFACHEN, DIE CHAMPS-ELYSÉES EINNEHMEN

Eineinhalb Jahre nach der Eruption der Bewegung der gelben Westen ist das gesellschaftliche Grollen noch immer weit verbreitet und wird von vielen geteilt. Jede öffentliche Bewegung eines Regierungsmitglieds wird von einer Störung begleitet. Macron wird über die Grenzen des hexagonalen Territoriums hinaus ins Visier genommen. Die Vertreter der Macht können nicht mehr öffentlich auftreten, ohne ausgepfiffen zu werden. Niemand lässt sich von dem Betrug der “La République en Marche” (Regierungspartei, d.Ü.) täuschen: eine Partei wie jede andere, im Dienste der Besitzenden und der Herrschenden. Heute bleibt fast kein Sektor vom Frontalangriff eines Neoliberalismus verschont, der sich nicht mehr verstellt und stolz sein Ziel der allgemeinen Verelendung zum Wohle der Reichsten zur Schau stellt.

Dennoch ist die Wut zu oft lokal begrenzt und isoliert. Die Stärke der Bewegung der gelben Weste bestand darin, die gelbe Weste als Symbol zu verwenden, als einen Schlachtruf, als ein gemeinsames Zeichen der schlummernden Revolte. Nach Wochen, wenn nicht gar Monaten der allgemeinen Einschläferung und der polizeilichen Kontrollübernahme scheint es notwendig, die Evidenz für eine gezielte Ausrichtung des Protests auf die Orte der Macht wiederherzustellen, um dem Protest eine taktische Orientierung zu geben. Wo die gelben Westen die Struktur des Staates und der Institutionen erschüttert und die Regierung zu einem (vorübergehenden) Rückzug gezwungen haben, hat sich in der Bewegung gegen die Rentenreform gezeigt, dass die bloße Anzahl von Protestierenden nicht ausreicht, um das Kräfteverhältnis nachhaltig zu verbessern.

Von nun an geht es darum, uns die entscheidenden Fragen zu stellen, die unsere Fähigkeit bedingen, aus der Apathie herauszukommen, unsere Köpfe zu erheben, dieser Regierung direkt in die Augen zu schauen und der nachfolgenden Regierung ebenfalls den Kampf anzusagen. Wollen wir “vernünftig” dort verweilen, wo die Macht uns gefangen hält, oder wollen wir so nahe wie möglich an die Orte gelangen, an denen die Entscheidungen getroffen werden, die unser Leben betreffen?

Der 14. März 2020 verspricht ein entscheidender Tag zu werden, nicht, dass wir ihn als eine Finalität betrachten sollten, sondern in dem, was er als eine Möglichkeit bietet, einen Horizont wieder zu öffnen, in dem der Kampf außerhalb der Grenzen gedacht wird, die sowohl durch die sozialen Positionen, die jeder Mensch einnimmt, als auch durch die sozialen Normen, die unser Verhalten blockieren, uns auferlegt werden. Die Rückeroberung der Champs-Élysées ist der Ausdruck des Willens, sich des Erwarteten zu entledigen, dort zu sein, wo die Bourgeoisie uns nicht haben will, und zu bekräftigen, dass die schönste Allee der Welt denen gehört, die die Gesellschaft funktionieren lassen und ihre Reproduktion gewährleisten. Wir sind uns unserer sozialen Stärke und der Auswirkungen bewusst, die wir provozieren können, wenn wir gemeinsam für den gleichen Zweck handeln.

An unseren Arbeitsplätzen, in den Schulen und Hochschulen, in unseren Städten und Vierteln ist es an der Zeit, sich von den alten Formen der Auseinandersetzung zu lösen und den Weg der emanzipatorischen Gestaltung einzuschlagen. Gemeinsam sind wir stark, und diese Stärke kann nicht durch Unterdrückung ausgelöscht werden, die keinen anderen Zweck hat, als uns von unseren ursprünglichen Forderungen nach sozialer, wirtschaftlicher, steuerlicher und ökologischer Gerechtigkeit abzubringen. Diese Fragen wieder in die Öffentlichkeit zu tragen, ist eine Notwendigkeit, um die Frage unserer Beziehung zu der Alternative politisch zu formulieren, die wir bereits seit mehr als einem Jahr auf verschiedenen Ebenen entwickeln: Solidarität überall im Territorium, in den Kreisverkehren und anderswo, permanentes Ziel der Polizei von Macron, kollektiver Widerstand gegen die Repression, Ideen, die in Versammlungen und Besatzungen getestet wurden, kurz gesagt, Demokratie an der Basis und ein taktisches Gespür für politische Intervention.

Machen wir also den 14. März zu einem Datum, an dem die Initiativen von lokalen Versammlungen oder anderen Organisationsformen wieder aufgenommen werden. Lasst uns die Schläge des Feindes vorwegnehmen, lasst uns kreativ sein und gleichzeitig auf seine Bewegungen achten.

Dieses Datum ist kein Ende, sondern eine Etappe. Der 1. Mai 2020 wird der nächste sein, bis dahin nehmen wir uns die Champs-Élysées zurück, lassen wir die Flamme wieder auflodern und die Notwendigkeit, unseren Wut zu vereinen, um einen gemeinsamen Horizont zu skizzieren.

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