Imperialismus und Weltmarkt

Vortrag, gehalten auf einer Veranstaltung mit Micha Hintz

Es gibt zwar wichtige Parallelen zwischen dem nationalen Markt und dem Weltmarkt, aber jener ist nicht einfach eine Subkategorie des letzteren. Eine genauere Analyse des Weltmarktes macht evident, dass er mehr ist als nur die Aggregation der Staaten und Unternehmen, nämlich eine komplexe Struktur, eine Kette von internationalen Beziehungen, Waren- und Geldkapitalströmen und monetären kausalen Verbindungen, die zwar auf den verschiedenen nationalen Staaten sowie den verschiedenen Systemen der Kapitalmacht aufbauen, wobei aber die komplexe Struktur des Weltmarkts eine gewisse Eigenständigkeit entwickelt und es dennoch zu keiner einheitlichen ökonomischen Verfasstheit desselben kommt. Die Weltökonomie ist nicht einfach die Summe von nationalen Teilen, sondern sie ist selbst ein hierarchisch differenziertes System von Staaten und transnationalen Unternehmen, innerhalb dessen das Wachstum der Kapitalexporte der Unternehmen der führenden imperialistischen Staaten befördert, der Raum für die Kapitalzirkulation und die Finanzindustrie erweitert und ein komplexes Verhältnis zwischen führenden und subalternen Nationen im Rahmen komplizierter Netzwerke der Informationsübertragung hergestellt wird.

Die Expansion der Finanzmärkte und der massive Kapitalexport aus den USA, Westeuropa und Japan seit den 1970er Jahren in die peripheren Staaten trug einerseits zur partiellen Deindustrialisierung dieser kapitalistischen Länder bei, führte dort zum Import billiger Konsumwaren und ermöglichte andererseits die exportorientierte Industrialisierung peripherer Staaten. Die Devisenreserven, die insbesondere China durch sein am Export orientiertes Wachstumsmodell erwirtschaftete, flossen wiederum in US-Staatsanleihen und andere Finanzanlagen und verstärkten damit die Expansion der Finanzmärkte. Dabei bleiben die Länder des globalen Südens und deren Wachstumsstrategien auf einen kontinuierlichen Zufluss ausländischen Kapitals und auf ausländische Absatzmärkte angewiesen. China und andere aufstrebende Ökonomien können gegenwärtig nicht an einem Niedergang der neoliberalen Regime des Westens interessiert sein, da sie in die neoliberal ausgerichtete Weltordnung ökonomisch vollständig integriert sind.

Die Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung und die Integration der Länder und Unternehmen auf ökonomischer Ebene erfordern immer auch entsprechende politische Regulationen, Abkommen und Verträge. Dabei bleibt der Nationalstaat eine wichtige Instanz, wobei aber mit der zunehmenden Transnationalisierung des Kapitals auch zunehmend supra-transnationale Institutionen für die internationale Regulation geschaffen werden und es zudem immer häufiger zu informellen Absprachen zwischen Regierungen kommt. Es gilt festzuhalten, dass hier eine Transformation von politischen Prozessen, die früher noch auf die parlamentarische Demokratie bezogen waren, in supra-nationale und von Experten dominierte Institutionen stattfindet, die sich selbst einer formellen demokratischen Kontrolle weitgehend entziehen (die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IMF), die Weltbank, die EU und die Europäische Zentralbank sind hier zu nennen). Unter all diesen Vorausetzungen konnen die konjunkturellen Bewegungsformen der Profitzyklen, insbesondere die Herstellung der Durchschnittsprofitraten, der tendenzielle Fall der Profitrate und dessen gegenteilige Tendenzen, allein auf der Ebene der nationalen Ökonomien nicht mehr diskutiert werden. Die internationalen Kapital- und Preisbewegungen führen nicht zu durchschnittlichen Profitraten auf dem Weltmarkt, sondern die nationalen Differenzen der Produktivität und der Entwicklung der Profitraten werden auf dem Weltmarkt in spezifischer Weise modifiziert.

Unter diesen Gesichtspunkten leistet das Finanzsystem auf internationaler Ebene heute Folgendes: 1) Die Überwindung der Grenzen und Friktionen, die auf die nationale Territorialisierung und auf nationalstaatliche Restriktionen zurückzuführen sind. 2) Die Öffnung der nationalen Ökonomien für ausländische Unternehmen. 3) Die Überwindung der Schwerfälligkeit der klassischen Industrieproduktion, die nun sogar über die Integration in die globalen Wertschöpfungsketten »leichter« wird. 4) Die Förderung des internationalen Wettbewerbs. Das internationale Finanzsystem besitzt die Funktion, die Dominanz der großen Unternehmen und imperialistischen Staaten im Weltsystem zu stabilisieren und zu stärken, während umgekehrt die Position eines Landes am Weltmarkt, der Gebrauch der eigenen Währung im internationalen Handel und seine militärische Macht die Möglichkeit für inländische Unternehmen, ihre Macht und Kontrolle über ökonomische Ressourcen auf internationaler Ebene weiter auszubauen, verstärkt. Und nur wenige Länder besitzen ein international funktionierendes Banken- und Finanzsystem, das zumindest einen entwickelten Außenhandel und ein ausgedehntes internationales Investmentbusiness voraussetzt, das heißt, intensive finanzielle ökonomische Beziehungen zu anderen Ländern.

Die Befreiung des Finanzsystems von den Schranken eines bloß nationalen Geldes ist ein wichtiger Bestandteil der monetären Verflechtung der nationalen Ökonomien auf dem Weltmarkt und führt zu einer umfassenden Internationalisierung des Finanzsystems. Die Staaten selbst schaffen dabei bestimmte Voraussetzungen für die internationalen Geschäfte des Finanzsystems, indem sie Regeln für den Zahlungsverkehr zwischen den nationalen Zahlungssystemen erlassen; sie bieten Versicherungen für bestimmte Geschäfte an oder leisten Bürgschaften für die reguläre Bezahlung von Exporten und erteilen an ausländische Finanzunternehmen Lizenzen für die Geschäftstätigkeit im eigenen Land. Darüber hinaus betreuen die nationalen Zentralbanken den Währungshandel gemäß den Vorgaben des jeweiligen nationalen Wechselkurses. Um erratische Preisbewegungen an den Weltmärkten zu glätten, werden eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen installiert. Die Außenhandels- und Zahlungsbilanz sowie die Wechselkursbewegungen sind wichtige Parameter, die die ständigen Bestrebungen einer Nationalökonomie und ihrer Unternehmen in der Konkurrenz um die Verwertung des Geldkapitals, das am Weltmarkt zirkuliert, anzeigen.

Diejenigen Unternehmen, deren Wachstum auf dem eigenen nationalen Markt aufgrund fehlender Nachfrage begrenzt ist und die deswegen auf dem Weltmarkt expandieren müssen, bedürfen unbedingt eines entwickelten Bankensystems, das die Zirkulation der jeweiligen nationalen Währungen organisiert. Dabei werden die Dienstleistungen, die die privaten Banken für ex- und importierende Unternehmen durchführen, um ihre eigenen Kreditgeschäfte erweitert, mit denen sie den Unternehmen wiederum auch spezielle Risiken im Auslandsgeschäft abnehmen, indem sie etwa ausländischen Geschäftspartnern gegenüber nach in deren Land gültigen Regeln für die Kreditwürdigkeit ihrer einheimischen Unternehmen bürgen und zugleich die Rechte ihrer inländischen Unternehmen gegenüber auswärtigen Geschäftspartnern wahrnehmen. (Decker/Hecker/Patrick 2016: 126) Die privaten Banken fungieren keinesfalls bloß als reine Dienstleistungsunternehmen für Export- und Importgeschäfte, sondern vor allem eben als Organisationen für die eigenen profitbringenden Kreditgeschäfte. Sie handeln die Arbitrage von Währungen, indem sie diese über die Währungsgrenzen hinweg billig einkaufen und teuer verkaufen. Bei frei flottierenden Wechselkursen stellen die privaten Banken mit ihren internationalen Geldbewegungen die Bewertung der Währungen untereinander beständig neu her.

Die spekulative Unsicherheit bzw. die Risiken bleiben immer Teil der Akkumulation des Geldkapitals; dies ist wiederum eine Ressource für Versicherungsgeschäfte und den Derivatehandel. Dabei können verschiedene Kennziffern, Indizes und Parameter Gegenstand der finanziellen Spekulation werden; die nationalen Differenzen zwischen Wachstumsraten, Zinssätzen, Staatsschuldenquoten, Inflationsgraden, Wechselkursen etc. und deren Fluktuationen bergen ein Risikopotenzial, das durch den Handel von Wertpapieren und Derivaten bewirtschaftet wird, das heißt, es findet eine molekulare Bewertung von monetären Leistungs- und Stromgrößen statt, die in ihren Verlaufsformen prinzipiell unsicher sind und deshalb mit vielfältigen derivativen Instrumenten abgesichert werden müssen (was für manche Unternehmen wiederum ein profitables Geschäft sein kann, aber nicht sein muss). Mit diesen Mechanismen schafft das internationale Finanzsystem ein Umsatzvolumen von enormer Größenordnung, treibt die Kapitalakkumulation im Weltmaßstab voran und bewertet und beeinflusst die Hierarchie der Staaten und ihrer Währungen sowie die der transnationalen Unternehmen in der weltweiten Konkurrenz. Es lässt sich zwischen den wirtschaftlich starken Ländern, deren Ökonomien sowohl als Kreditquelle und Anlagesphäre für Geldkapital, also als erfolgreiche Finanzplätze mehr oder weniger reibungslos funktionieren, und den abhängigen Ländern, deren Ökonomien solche Kapazitäten nicht besitzen, unterscheiden. Bestimmte Finanzunternehmen organisieren spekulative Härtetests für Staaten, bei denen Zweifel an deren Kreditwürdigkeit aufkommen, sei es, dass hier fundamentale Daten wie die Inflationsraten oder der Zuwachs der öffentlichen Schulden im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum prekär sind, sei es, dass die Spekulation auf das zukünftige Wachstum am betreffenden Standort überhitzt ist, weswegen die Finanzinstitute mit erhöhten Zinssätzen auf Staatsanleihen reagieren. Die Macht, mit der die Finanzindustrie Staaten und Unternehmen für das eigene Geschäft funktionalisiert, existiert immer auch in Gestalt der Währungen, die wiederum von den imperialistischen Staaten maßgeblich beeinflusst werden. Generell müssen alle Länder darum bemüht sein, dass ihre Unternehmen im Ausland Profite machen, um Devisen zu generieren.

In den letzten Jahren wurde auch die Debatte um den Begriff des Imperialismus wieder aufgenommen, allerdings in einem anderen Sinn, als Lenin oder Hilferding ihn im zwanzigsten Jahrhunderts noch diskutiert hatten. Tony Norfield fasst seine eigene, an der Aktualität der Mechanismen des heutigen Weltmarktes orientierte Definition des Imperialismus in seinem Buch The City folgendermaßen zusammen: Eine kleine Anzahl von imperialistischen Staaten bildet heute eine hierarchische Allianz auf dem Weltmarkt, der zugleich mittels großer multinationaler Unternehmen, die enorme Mengen an Waren und Dienstleistungen produzieren, und Kapital jedweder Art sowie finanzielle Serviceleistungen kapitalisieren, konstituiert wird. Die großen internationalen Unternehmen investieren heute sehr wohl noch, aber weniger in ihren eigenen Ökonomien. Die Liberalisierung des Welthandels, der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Entwicklung der Logistik ermöglichen den großen Konzernen in den kapitalistischen Kernländern neue Profitquellen und Investmentmöglichkeiten im globalen Süden, während die Preise für ihre Inputs aufgrund billiger Importe von dort fallen. Die ökonomischen Machtzentren beruhen also auf einem komplexen Zusammenspiel zwischen imperialistischen Staaten, die aufgrund der Bereitstellung materieller und sozialer Infrastrukturen die Ausgangsplattformen für das entwickelte Kapital darstellen, und großen transnationalen Unternehmen, deren Geldkapital ständig rund um den Globus fließt. Dabei sind die ökonomischen Machtverhältnisse zwischen den führenden kapitalistischen Ökonomien streng hierarchisiert, wobei sich aber die relative Macht der einzelnen Länder und ihrer Ökonomien immer verschieben kann. Daraus folgt eine Aufteilung der Welt, die auf der expansiven Ausübung der ökonomischen, politischen und militärischen Macht der Staaten und ihrer großen Unternehmen beruht. (Norfield 2016: Kindle-Edition: 189f.) Die führenden imperialistischen Staaten müssen eine gewisse ökonomische Größenordnung erreicht haben, damit eine hohe Konzentration des Kapitals, ein entwickelter und differenzierter Arbeitsmarkt im eigenen Land sowie ein vorteilhafter Zugang zu den ökonomischen Ressourcen an den Weltmärkten und, bis zu einem gewissen Maß, auch die Kontrolle über die internationalen Kapitalströme möglich werden.

Die dominante Macht im internationalen geo-ökonomischen und geo-politischen Vergleich stellen, vor allem aufgrund ihrer militärischen Stärke und der Leitwährung Dollar, immer noch die USA dar. Norfield nennt fünf konkrete Kriterien, die für die ökonomische und politische Machtposition eines Landes auf dem Weltmarkt ausschlaggebend sind: 1) Die Größe der Ökonomie eines Landes (eine annähernde Kennzahl ist das BIP). 2) Die Menge an fremden Vermögenswerten, über die eine Ökonomie verfügt. 3) Die internationale Macht des eigenen Bankensektors. 4) Der Status der eigenen Währung als international gültiges Zahlungsmittel. 5) Die Höhe der Militärausgaben. (Ebd.: 1960ff.)

Die polit-ökonomische Machtposition eines Landes auf dem Weltmarkt kann schließlich nur dann festgestellt werden, wenn man dessen ökonomische und politische Beziehungen zu anderen Ländern berücksichtigt. Norfield kommt zu dem Schluss, dass heute zwanzig Länder insbesondere aufgrund der Stärke und Potenz ihrer Ökonomien wichtige und führende Stellungen auf dem Weltmarkt einnehmen, wobei die USA bei vier der fünf oben angegebenen Kriterien die führende Position innehaben und lediglich bezüglich der Größe des eigenen Bankenwesens und dessen Dienstleistungen im internationalen Kontext (Interbankenhandel) von Großbritannien mit seinem Finanzplatz London übertroffen werden. Großbritannien liegt aufgrund der hohen Anzahl von Banken und Direktinvestitionen, die sich auf ausländisches Vermögen beziehen, noch vor Deutschland (Platz 4) auf Platz 2, das als die führende politische Macht in Europa gilt. China nimmt als der führende »emerging market« den dritten Rang ein. (Ebd.: 2060) Unterhalb der Skala befinden sich die sogenannten Rohstoffländer, die vor allem als Lieferanten von billigen Rohstoffen, Energien, Lebensmitteln und Arbeit (Jason W. Moores Cheap Four; Moore 2016) sowohl für die westlichen Industrieländer als auch für die aufstrebenden Staaten interessant sind und deshalb beispielsweise permanent an den Rohstoffbörsen beobachtet und bewertet werden. Eine besondere Rolle spielen die Ölstaaten, die aufgrund ihres einzigartigen Naturprodukts Öl hohe Anteile am abstrakten Reichtum an den Weltmärkten erlangt haben und heute selbst versuchen, auf internationaler Ebene neue Standorte für die Kreditschöpfung und für den Handel von fiktivem und spekulativem Kapitals zu gründen.

Die großen Unternehmen der imperialistischen Länder besitzen wichtige ökonomische Vorteile am Weltmarkt (sie können Preise setzen, das heißt Produkte, Dienstleistungen und Geldkapital zu vergleichsweise niedrigen Preisen anbieten und ihre Waren mit den effektivsten und den kostengünstigsten Technologien produzieren). Sie nehmen, was oft unterschätzt wird, eine machtvolle Position in den Netzwerken der nationalen Ökonomie und in denen der Weltökonomie ein, letzteres gerade aufgrund ihrer intensiven Beziehungen zum eigenen Staat. Die imperialistischen Staaten schützen nämlich ganz massiv die Eigentumsrechte ihrer eigenen Unternehmen (Patente) und verstärken durch eine Reihe von politischen Maßnahmen deren ökonomische Macht im internationalen Handel und bei der Ausweitung ausländischer Direktinvestitionen. Nicht zuletzt sichern sie gerade in Krisen die Solidität der eigenen Währung und agieren damit als öffentliche Versicherungseinrichtungen für das Kapital. Auch die mächtigen Finanzunternehmen erfreuen sich permanent der Unterstützung von ihrer nationalen Basis, allein schon durch den privilegierten Zugang zur eigenen Währung, den sie über die einheimische Zentralbank erhalten.

Die ökonomische Macht der großen Unternehmen an den Weltmärkten entfaltet sich heute insbesondere auch über die sogenannten globalen Wertschöpfungsketten, das heißt über dicht vernetzte und transversale Räume, die durch Infrastrukturen, Informationen, Waren und soziale Akteure konstituiert und von Geldkapitalströmen durchflossen werden. Diese transnationalen Räume mit ihren Knotenpunkten, Linien und Grenze werden von materiellen und immateriellen Strömen der Logistik und von Strömen des Kapitals durchzogen. Digitale Programme wie Enterprise Resource Planing (ERP), das Informationen über Lagerhaltung, Produktion und Personalwesen, die in Datenbanken gespeichert werden, in Kennzahlen über- und zusammenführt, eröffnen auch neue Berechnungsmöglichkeiten, man denke an Outsourcing, die Konkurrenz verschiedener Produktionsstandorte und die Kalkulation der Lieferwege beispielsweise auf den Ozeanen, die aufgrund der Bewertung der verschiedenen Unternehmensteile ermöglicht werden. (Lee/Martin 2017: Kindle Edition: 2312) Die Logistik transformiert die Fabrik in geteilte und über den Globus gestreute Netzwerke der Produktion und der Zirkulation, die die Territorien der Nationalstaaten zwar nicht eliminieren, sie aber neu gestalten.

Wenn beispielsweise ausländische Zuliefererfirmen Teile für ein Produkt liefern, dessen Endmontage in den Fabrikhallen eines Konzerns, der in einem westlichen Industrieland angesiedelt ist, vorgenommen wird, dann besitzt dieser Konzern zwar keine direkten Zugriffsrechte auf die Zuliefererfirmen, jedoch bleiben diese, wenn sie in den Niedriglohnländern angesiedelt sind, ganz an die Produktionszyklen der Unternehmen der reichen Länder gebunden und von diesen abhängig (z. B. Foxconn). John Smith geht auf Grundlage der Daten der Welthandelskonferenz UNCTAD davon aus, dass heute ungefähr 80% des Welthandels über die Produktions- und Verteilungsnetzwerke international agierender Unternehmen abgewickelt wird und es deshalb falsch wäre, sich in der Analyse der Weltmarktbeziehungen und der globalen Wertschöpfungsketten nur auf die Daten zu konzentrieren, die über die ausländischen Direktinvestitionen vorliegen. (Smith 2016: 50) Die UNCTAD schätzt, dass intermediäre Produkte und Dienstleistungen auf verschiedenen Stufen der Produktion ungefähr 60% des globalen Handels umfassen. Man nehme als Beispiel etwa das iPhone, das zwar in Silicon Valley entworfen und dort auch permanent neu designt wird, während die Einzelteile für Produktionskosten in Höhe von ca. 225 Dollar in Asien gefertigt und montiert (durch Foxconn) werden, um dann als Produkt in die USA verschifft zu werden (es fallen 85 Dollar Transportkosten an), wo es schließlich für 650 Dollar verkauft wird. Der einzige Moment, an dem die Profite von Apple, die in China aus der Produktion extrahiert werden, dort auch direkt in Erscheinung treten, ist der Verkauf der Apple-Produkte auf dem chinesischen Markt. Wir haben es heute mit einer Super-Exploitation der Arbeiter (Smith) in der süd-östlichen Hemisphäre der Welt zu tun, die von bestimmten transnationalen Unternehmen durchgeführt wird, wobei die Gewinne beständig in die nördlichen imperialistischen Länder transferiert werden. Ein großer und immer noch wachsender Anteil derjenigen Arbeitskräfte, die in die globalen Wertschöpfungsketten integriert sind, befindet sich heute in den aufsteigenden Ländern. Große Teile der globalen industriellen Produktion wurden also vom Norden in den Süden verlegt, etwa um in Bangladesh T-Shirts herzustellen oder die neuesten elektronischen Gadgets in China; der Strom des abstrakten Reichtums, der von den chinesischen und anderen niedrig entlohnten Arbeitern und Arbeiterinnen geschaffen wird und die Profite und die Prosperität der nördlichen Firmen und Nationen aufrechterhält und erhöht, taucht in den ökonomischen Daten westlicher Wirtschaftsinstitute und in den Hirnkästen bürgerlicher Ökonomen gar nicht erst auf. Smith argumentiert an dieser Stelle, dass das Outsourcing von Unternehmensteilen in fremde Länder eine bewusste Strategie des Kapitals der führenden imperialistischen Länder sei, womit dieses das unternehmerische Risiko auf Zuliefererfirmen und speziell solche Länder verschiebe, in denen die Gewerkschaften schwach organisiert seien und dadurch vom Kapital erfolgreich Strategien zur Senkung der Löhne und Sozialkosten gefahren werden könnten, während aber gleichzeitig auch eine Intensivierung der Exploitation der Arbeiter in den imperialistischen Ländern stattfinde, die mit der Expansion der Beschäftigung in den Niedriglohnländern einhergehe.1 (Ebd.: 22)

Von der ökonomischen Stärke der multinationalen Unternehmen auf dem Weltmarkt, die über weit gefächerte internationale Handels- und Produktionsnetzwerke verfügen, hängt auch die Macht des Staates ab, der wiederum die Unternehmen durch den Schutz der Eigentumsrechte (Patente) und mit der Aushandlung von bestimmten Wirtschaftsabkommen unterstützt. Oligopolistische Unternehmen und imperialistische Staaten bedingen sich also gegenseitig. Ein führendes multinationales Unternehmen zeichnet nicht nur seine ökonomische Größe und Produktivität, sein Vernetzungsgrad oder Markterfolg, seine globale Wertigkeit für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen aus, sondern eben auch das Backing durch den eigenen imperialistischen Staat sowie die Vorteile, die aus dieser Zugehörigkeit gezogen werden können. Heute taucht zudem das Problem auf, dass manche Finanzinstitute nicht einfach nur zu vernetzt sind, sondern sie sind einfach viel zu groß, um sie in kritischen Situationen überhaupt noch durch staatliche Subventionierungen retten zu können. Diese Mega-Unternehmen tätigen permanent signifikante internationale Geschäftsoperationen und verfügen über eine enorme politische Lobby in ihren eigenen, aber auch in anderen Staaten. Selbst als internationale Konzerne sind sie meistens weiterhin insofern nationale Unternehmen, als sie einen einzigen nationalen Kapitalstandort besitzen und von dort aus durch feindliche Übernahmen, Fusionen und Investments international expandieren. Die mächtigen kapitalistischen Unternehmen und imperialistischen Staaten sind heute die Key-Player an den Weltmärkten, insofern sie fast alle wichtige Bedingungen für den internationalen Handel, das Finanzsystem und die grenzüberschreitenden Investmentflows und schließlich den Derivathandel setzen können. Die Regierungen der imperialistischen Staaten setzen den Marktoperationen der internationalen Konzerne aber auch gewisse Grenzen, die zum Teil zwischen den Staaten selbst verhandelt werden. So können Produkte, die im Ausland verkauft werden sollen, dort Gegenstand von hoher lokaler Besteuerung oder Importtarifen werden, oder sie dürfen erst gar nicht verkauft werden, da sie im Ausland gewisse industrielle und ökologische Standards verfehlen; es lassen sich Exporte in das eigene Land unterbinden, wie es die USA und die EU mit ihren Restriktionen gegenüber bestimmten Agrarimporten aus Afrika tun, oder umgekehrt ausländische Industrien durch die eigenen Billigexporte schwächen. Manche Unternehmen profitieren von den Restriktionen ausländischer Produkte in ihren einheimischen Ländern und bauen daraufhin ihre Position auf dem Weltmarkt aus. Sie generieren im Gegenzug damit aber auch Einkommen, Beschäftigung und höhere Steuereinnahmen für einen anderen Staat. Während bestimmte Unternehmen, die besonders intensiv auf dem Weltmarkt operieren, nicht unbedingt den abstrakten Reichtum der eigenen Nation im Auge haben, werden die imperialistischen Staaten stets versuchen, sowohl die Expansion der eigenen Unternehmen als auch das eigene Land als Produktions- und Kapitalstandort und schließlich die einheimische Ökonomie insgesamt zu fördern. Je mehr ökonomische Ressourcen ein Land besitzt, desto machtvoller ist auch sein Staat, und dies geschieht wiederum zum Vorteil der einheimischen Unternehmen und auch der privilegierten Teile der eigenen Bevölkerung.

Es muss bei der Analyse des Weltmarktes immer auch der jeweilige Zugang der multinationalen Unternehmen zur international agierenden Finanzindustrie berücksichtigt werden. Die global operierenden Konzerne benötigen nämlich unbedingt deren finanziellen Service, so etwa die Stabilität der internationalen Zahlungssysteme, die Rolle der Devisen im internationalen Handel, die langfristigen Investments, den Wertpapier- und Derivatehandel, die kurzfristigen Kredite und generell an den Austausch von Geld gegen Geld. Die wichtigen Funktionsweisen des Finanzsystems für die Kapital-Ökonomie lassen sich heute umfassend nur im internationalen Rahmen beurteilen. Während es eine differenzierte Arbeitsteilung innerhalb des Finanzsystems selbst gibt, man denke hier an die Kreditvergabe der Banken, Wertpapiermanagement, Währungshandel, Aktien- und Anleihenmärkte etc., sind ihre wichtigsten Organisationen und Operationen nur in den wenigen imperialistischen Ländern konzentriert. Das finanzielle Kapital entsteht generell aus den Notwendigkeiten der Marktökonomie des Kapitals und ist zugleich ein wichtiges Instrument der führenden imperialistischen Länder und ihrer Unternehmen, um ihren privilegierten Status am Weltmarkt aufrechtzuerhalten und zu verbessern, wobei die Finanzindustrien Vermögenswerte und Einkommen aus allen möglichen Ländern bewirtschaften. Dabei profitieren in den ökonomisch starken Ländern nicht nur das berühmte eine Prozent der Superreichen, sondern ein wesentlich höherer Teil der Bevölkerung vom finanziellen Status des eigenen Landes am Weltmarkt, indem selbst Arbeiter und Angestellte noch finanzielle Sicherheiten halten, die wiederum an den Weltmärkten gehandelt werden. Auch umsatzstarke Finanzinstitutionen wie etwa Versicherungen und Pensionsfonds befinden sich meistens in den reichen Ländern, da es hier Bevölkerungsgruppen gibt, die finanziell in der Lage sind, in solche Fonds zu investieren.

Der leichte Zugang zur eigenen Währung via einheimischer Zentralbank kann für (finanzielle) Unternehmen den ökonomischen Einfluss auf andere Länder wesentlich erhöhen. Obgleich eine US-Bank, die beispielsweise in Frankreich angesiedelt ist, dort bestimmten Restriktionen unterworfen ist, kann sie, aufgrund ihrer Vernetzung mit dem US-Finanzkapital und der Fed, US-Unternehmen und auch Unternehmen aus anderen Ländern in Frankreich einen günstigeren Zugang zum Dollar anbieten. Finanzielle Unternehmen besitzen genau dann bessere Chancen auf dem Weltmarkt zu expandieren, wenn ihre Länder schon eine dominante Position im globalen Handel, bei den Direktinvestitionen und dem Wertpapierhandel ausüben und die finanzielle Transaktionen in hohem Umfang eben mit der eigenen Währung abgewickelt werden. Die ökonomische Macht besteht zudem in der Potenz zur Vergabe von hohen Kreditsummen und den leichten Zugängen zu den Kreditmärkten, was wiederum auch bedeutet, Kredite zu relativ niedrigen Zinssätzen überall auf der Welt aufnehmen zu können. Alles in allem heißt das eben, eine einflussreiche Position in den globalen finanziellen Netzwerken einzunehmen. Und dies ist wiederum auch von demjenigen Staat abhängig, dem das Finanzunternehmen angehört, denn dieser stellt die technologische Infrastruktur bereit, die unbedingt erforderlich ist, um die ökonomische Expansion des Unternehmens überhaupt zu ermöglichen.

Tony Norfield nennt drei wichtige Faktoren, die anzeigen, dass der finanzielle Sektor eine dominante Rolle in der Ökonomie eines imperialistischen Landes und insbesondere auch in der Weltökonomie spielt (Norfield 2016: Kindle-Edition: 2926ff.) :

a) Die Inanspruchnahme von Geldmitteln aus dem Ausland, um es diese inländischen Unternehmen und an den Staat zu verleihen. Dies können heute insbesondere US-Finanzunternehmen (aufgrund des US-Dollars in seiner Funktion als weltweite Leit- und Reservewährung) und das in London ansässige Bankensystem leisten.

b) Die Finanzierung der im Ausland getätigten Investitionen einheimischer Unternehmen, um externe Mehrwert erzeugende Produktionsprozesse in Gang zu setzen. Dies kann durch die Bankenfinanzierung oder durch die Aktienmärkte erfolgen und ermöglicht eine weitere Konzentration des Kapitals über nationale Grenzen hinweg.

c) Die Aneignung eines Teils des global produzierten Mehrwerts, indem die großen Privatbanken und Investmentfonds der imperialistischen Staaten Kredite und andere finanzielle Sicherheiten an in- und ausländische Unternehmen und Staaten vergeben. Jeder dieser finanziellen Vorteile der Unternehmen eines imperialistischen Staates hängt auch von deren privilegierten Beziehungen zu bestimmten anderen, ebenfalls privilegierten Staaten ab.

1 Die hundert größten multinationalen Unternehmen – nach Umsätzen führt Royal Dutch Shell vor Exxon, Toyota und Volkswagen – verfügen im Durchschnitt über 549 Filialen, wobei zwei Drittel der Filialen im Ausland angesiedelt sind. So produziert und verkauft heute beispielsweise Siemens in mehr als 200 Ländern.

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