Anmerkungen zur Bundestagswahl

Ich konnte den Wahlkampf für die Bundestagswahl aus gesundheitlichen Gründen nur sehr aus dem Off verfolgen. Ich möchte deswegen nichts im Detail darüber sagen, sondern versuchen ein paar eher allgemeinere Gedanken aufschreiben. Es tut mir leid, wenn ich den Genoss*innen, die Wahlkampf für die Linkspartei gemacht haben, im Folgen nicht gerecht werden kann.

1. Das Ergebnis der Wahl wird die diskursive und materielle Rechtsverschiebung der letzten Jahre abbilden. Union, AfD und FDP werden zusammen in etwa auf 60% der abgegebenen Stimmen kommen. Mit der AfD wird zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg eine in Teilen rechtsextreme Partei in den Bundestag gewählt. Die AfD wird wahrscheinlich die stärkste Oppositionspartei und mit den zusätzlichen Ressourcen ihren Einflussbereich nachhaltig ausdehnen können.

2. Die linken Parteien haben die Chance verpasst einen – wie es z.B. im das „Unmögliche versuchen“-Papier des ISM vorgeschlagen wurde – „progressiven Lagerwahlkampf“ zu führen. Als sich in Folge der Ernennung von Martin Schultz zum Kanzlerkandidaten der SPD mit dem Thema ‚soziale Gerechtigkeit’ für einen Moment eine ‚linke’ Option neben der großen Koalition abzuzeichnen schien, stiegen die Umfragewerte der SPD signifikant an. Besonders SPD und Grüne haben es in der Folge verpasst diese Option mit linken Inhalten auszuformulieren. Ihre Umfragewerte befinden sich seitdem im tendenziellen Fall.

3. Die außerpalermentarische Linke hat es nicht geschafft aus einer eigenständigen ‚vierten Position’ heraus die linken Parteien zu progressiven Positionierungen zu bewegen. Das Verhältnis der radikalen Linken zur Wahl besteht vielfach in der Frage, ob es aus taktischen Gründen sinnvoll ist die Linkspartei zu wählen. Das beste Argument scheint dabei oft, dass damit indirekt das Ergebnis der AfD abgeschwächt wird.

4. Der Anteil der Nichtwähler*innen wird wahrscheinlich bei mindestens 25% liegen. Damit sind alleine die wahlberechtigten Nichtwähler*innen (Menschen über 18 mit Wahlprivileg) de facto die größte ‚Wahl-Gruppe’. Damit wird auch ein wenn auch nur passiver Dissens zum Bestehenden ausgedrückt, der tendenziell von links interpretiert werden kann – gerade weil es mit der AfD eine rechtsextreme Partei gibt, die rechte Wähler*innen mobilisiert und ein Antagonismus von links eher nicht formuliert wird.

5. Wie Floris schreibt sind die Bundestagswahlen de facto Regierungswahlen und eine Affirmation des Bestehenden: „Gewählt werden letztlich Regierungen; Regierungen sind per definitionem staatstragend; staatstragend zu sein heißt, den Betrieb am Laufen zu halten; und das heißt im Zweifel, die Grenzen dicht zu machen (und den Wirtschaftsstandort zu sichern usw. usf.). Keine der Parteien mit realistischen Aussichten auf einen Einzug in den Bundestag behauptet von sich das Gegenteil.“ Wahlen sind darin und darüber hinaus auch eine Form der Subjektivierung/Unterwerfung. Im Anschluss an Althusser könnte vielleicht von einer interpellativen Wirkung von Wahlen gesprochen werden: Sie sind die explizit ‚politische’ Form der Anrufung, durch welche der Staat seine Staatsbürger*innen zählt und sie mit ihrer Stimmabgabe das Bestehende affirmieren.

6. Um zu einer Wahlempfehlung zu gelange wäre es deswegen vielleicht interessant von einer Logik der Subjektivität statt von einer Logik der Arithmetik auszugehen. Ich würde im Anschluss an Foucault gerne danach fragen wie eine Praxis der ‚Ent-Unterwerfung’ in Bezug auf bürgerliche Wahlen konkret aussehen könnte? (Natürlich ist es allgemein immer richtig, dass ‚wir’ am besten mit einer ‚revolutionären’ Partei zu Wahlen antreten und damit einen radikalen Antagonismus von links sichtbar machen sollten.).

7. Ich denke, dass es zunächst entscheidend wäre, das Wahlgeheimnis und den invidiuiereden Moment des Wählens zurückzuweisen und kollektiv Positionen zu bestimmen und zu artikulieren. Dann, dass es nicht eine Empfehlung wie ‚a’ oder ‚b’ geben kann, sondern dass je nach bisheriger politischer Positionierung das Verhalten ‚x’ oder ‚y’ eine Form der Ent-Unterwerfung zumindest antizipieren kann. Damit meine ich, dass es einen grundlegenden Unterschied gibt, ob meine Großmutter, die wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang SPD gewählt hat, die Linkspartei wählt, (und damit implizit anerkennt, dass die SPD keine sozialdemokratische Partei mehr ist), oder eine Person der radikalen Linke. (Ich kann mich tatsächlich sowohl darüber freuen, wenn liberale Freund*innen schreiben, dass eine Stimme für „die Partei“ implizit eine Stimme für schwarz-gelb ist, und stattdessen eine linke Partei gewählt werden soll, als auch wenn linke Freund*innen sich gegen die Linkspartei positionieren).

Meine Wahlempfehlung wäre demnach hinreichend unkonkret und formuliert einen eher banalen Grundkonsens in mehrere Stufen.
a) Wählt nicht die AfD und überzeugt unsichere Menschen in eurem Umfeld davon keine rechtsextreme Partei zu wählen.
b) Wählt so weit links, wie es euch möglich ist und überzeugt Menschen in eurem Umfeld keine neoliberalen und/oder strukturell rassistischen Parteien zu wählen.
c) Geht zur lokalen ‚Not-In-Our-Name’-Demonstration gegen den Rechtsruck und redet mit euren Freund*innen und Genoss*innen, was die Wahl bedeutet und jetzt zu tun ist.
d) Organisiert euch bei der linksradikalen Organisation eures Vertrauens und arbeitet langfristig an einer wählbaren Alternative und dem Ende der Repräsentationslogik.

Ich werde voraussichtlich ungültig wählen und auf meinen Wahlzettel so etwas schreiben wie: „Ich habe meine Stimme in Hamburg abgegeben“. Nicht weil ich grundsätzlich keine reformistische Partei wählen würde, sondern weil es die radikale Linke nicht geschafft hat Mindestforderungen an die Linkspartei zu stellen und diese z.B. mit einer Spitzenkandidatin Wagenknecht antritt. Ich denke, dass es wichtig wäre an bestimmten Stellen eine Profilierung der Linkspartei einzufordern und seine Stimmabgaben an das Verhalten der Partei zu binden. Ich denke auch, dass es aus arithmetischen Gründen keine Rolle spielt, ob die wenigen radikalen Linken (Wie viele revolutionäre Linke gibt es in Deutschland? 10.000?) die Linkspartei wählen. Ich finde es auch okay, wenn Linksradikale, die grundsätzlich gegen Kapital und Staat sind, die Linkspartei wählen, um das AfD-Ergebnis abzuschwächen. Tendenziell würde ich aber sagen, dass Wahlkampfzeiten eine wichtige Möglichkeit sind, um politische Positionen zu artikulieren. Entweder müsste demnach von linken Parteien eingefordert werden, einen klaren Antagonismus zum Bestehen auszudrücken, worin zumindest auch ansatzweise Positionen der radikalen Linken berücksichtig werden müsste, oder die radikale Linke müsste diesen Antagonismus selbst formulieren und konsequenterweise dazu aufrufen diese Parteien nicht zu wählen. Dass sich mit einem klaren linken Antagonismus etwas gewinnen lässt haben die (reformistischen) Kampagnen von Sanders und Corbyn gezeigt. Wie sich diese Kampagnen, Positionierungen, Praxen und Erfahrungen nach Deutschland übertragen lassen ist eine wichtige Frage.

Foto: Bernhard Weber

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