Athen/Exarchia: Über die Demo vom 14.9. und ihre Interpretation in den sozialen Medien

Am Samstag, 14. September demonstrierten mehrere Tausend Menschen im Zentrum Athens gegen die jüngsten Räumungen von Squats und den staatlichen Terror im Stadtteil Exarchia. Dazu aufgerufen hatte zunächst das Bündnis NO PASARAN, andere Gruppen folgten in den letzten Tagen mit eigenen Aufrufen. Die Demonstration an sich kann als Erfolg bewertet werden, wenn die hohe Zahl der Teilnehmenden, die vielen neuen und jungen Leute, als Beweis der Tatsache angesehen wird, dass die Bewegung noch lebt und sich der Repression entgegen stellen wird.

Was in den linksradikalen und sozialen Medien weltweit falsch interpretiert wurde, ist der Charakter von NO PASARAN und deren Verständnis vom Kampf um Exarchia. Die darin beteiligten Gruppen, die Besetzungen Lelas Karagianni , Notara 26, K*Vox, und die Gruppe Class Counterattack, sprechen sich seit Jahren gegen Auseinandersetzungen im Kiez aus. Die einzige von ihnen in Exarchia praktizierte Militanz richtet sich gegen „sozialen Kannibalismus“, womit bestimmte Squats, bestimmte Dealer, bestimmte Zigarettenhändler und Rioters gemeint sind.

Die Unwissenheit der Twitter-Linken führt zu absurden Interpretation von Rouvikonas Facebook Posts zum Exarchia Konflikt. Rouvikonas hat keine einzige Aktion in diesem Gebiet durchgeführt; die Fixierung auf dieses Viertel ist oft zurecht kritisiert worden, daraus abzuleiten, dass plötzlich alle Gruppen, die diese Kritik in den letzten Jahren formuliert haben, nun mit Gewalt den Kiez verteidigen werden, ist bizarr. Vielmehr warten sie seit Jahren auf den „richtigen“ Zeitpunkt für die Revolution, der sich aus ihrer Verbundenheit und Akzeptanz in der Nachbarschaft ergeben soll und irgendwann die Legitimation zur Machtübernahme erteilt. Bis dahin ist der Kiez nur ein Ort für Einnahmequellen und Struktur, hier soll Ruhe herrschen. Die eigene Praxis leitet sich also eher aus einer kommunistischen als aus einer anarchistischen Analyse ab. Immerhin konnte die ehemals einflussreiche Gruppe Alpha Kappa keinen Zugang zu NO PASARAN bekommen, was vor allem an ihrer inzwischen nur noch mafiotischen Wahrnehmung liegen soll. In Assemblies berichten migrantische Zigarettenhändler von Schutzgelderpressungen des “Security Team”, eine von Alpha Kappa protegierte Schläger Truppe, die nach dem Anschlag auf Notara 26 vor einigen Jahren für Sicherheit sorgen sollte und versucht von der Perspektivlosigkeit vieler Menschen zu profitieren.

Alleine die Uhrzeit und die Route der Demo vom 14.9. sprechen für sich: 12:00 Mittags auf der üblichen Route im Zentrum. Es war eine Demo ohne jede Polizeipräsenz, das hat es selbst unter Syriza nicht gegeben. Die Einsatzleitung der Bullen konnte sich auf den informell verbreiteten Gewaltsverzichtkonsens von NO PASARAN verlassen.

Aufruf NO PASARAN

Neben NO PASARAN hatte sich nach den vier Räumungen am 26.8. ein weiteres Bündnis von Squats und migrantischen Gruppen gegründet. Dazu gehört auch das geräumte GARE . Auch wenn dieses Bündnis dem von NO PASARAN kritisch gegenüber steht, entschloss sich deren Versammlung zur Teilnahme an der Demo.

Aufruf der Open Assembly of squats, collectives, stekia, internationalists, refugees-migrants and solidarians.

Die friedlichste Demo der letzten Zeit endete gegen 15 Uhr an der Platia von Exarchia, wo sich der NO PASARAN Block in Luft auflöste. Einige Menschen hatten mit dem Versuch einer Wiederbesetzung eines der geräumten Squats gerechnet, was in der anfänglichen Dynamik möglich gewesen wäre. Aber die Initiative wurde nicht ergriffen, stattdessen gab es nach einer Stunde statischen Wartens einen Angriff auf den neuen Bullen Checkpoint an der Tositsa Straße. Der Angriff dauerte keine Minute und MAT bewegte sich im Viertel wie es von BFE in Deutschland gewohnt ist – der Aufbau spezieller Festnahmeeinheiten wurde in den Zeitungen letzte Woche bekannt gegeben. Zusätzlich operierte zum ersten Mal in Auseinandersetzungen ein OPKE Jeep an der Platia, Zeichen für die sinkende Furcht vor Molotov Treffern. Von den laut Presse angeblich 50 Angreifenden wurden 20 Verdächtige teilweise in Hauseingängen in Gewahrsam genommen und 4 Menschen warten in Haft auf die Vorführung beim Gericht.

Weitere Infos und Call zur Kundgebung vor dem Gericht am Mittwoch.

Das Ende der Demo wird von einigen Leuten als Zeichen der Schwäche gesehen, keine Gruppe war bereit Verantwortung für eine Initiative zu übernehmen, die mit Risiken verbunden ist.

Angriff auf Polizeistation Zografou

In der Nacht vor der Demo wurde die Polizeistation in Zografou von 40 Vermummten angegriffen. Hier befindet sich der größte Uni Campus Athens, auf dem eine Party mit Tausenden Teilnehmer*Innen statt fand. Die Meldung der Polizei behauptet, das die Vermummten von diesem Gelände gekommen wären um die Wache, die direkt vor dem Zaun liegt, mit Molotovs zu bewerfen. Unterschiedliche Presseberichte schreiben, dass sich die Beamten mit Blendschock Granaten oder Teargas Launcher verteidigt hätten. Partybesucher berichten, dass der Eingangsbereich der Wache und die davor abgesperrte Straße in Flammen gestanden habe. Die Gewerkschaft der Polizei berichtet auf Facebook von einem Besuch ihrer Führung noch in der Nacht bei der betroffenen Station, um die Moral der Beamten zu stärken und gemeinsam die Furcht zu besiegen. Die Regierung solle endlich gegen die Gewalt vom Campus vorgehen, was komisch wirkt, weil das Uni Asyl aufgehoben ist und die Bullen reingehen könnten.

Weitere Unruhen

Unbeachtet von dem ganzen Exarchia Trubel liefern sich fast täglich Migrant*Innen auf den griechischen Inseln oder an den Grenzen, sowie in den als „Hotspots“ bezeichneten Konzentrationslagern, Kämpfe mit der Polizei. Wie diese Kämpfe miteinander verbunden werden könnten, sollte in die Überlegungen der europäischen Solidaritätsbewegungen einfließen. Der Krieg gegen die Flüchtenden wird sowohl in den Straßen Athens als auch an den griechischen Grenzen in enger Abstimmung mit dem Europäischen Parlament geführt. Hier bildet die Nea Dimokratia eine Fraktion mit der CDU.

taken from here

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