Bemerkungen zu Lazzaratos “Capital hates Everyone” (1)

Maurizio Lazzarato spricht in seinem neuen Buch „Capital hates Everyone“ von apokalyptischen” Zeiten und der asymmetrischen Alternative “Faschismus oder Revolution”, asymmetrisch, insofern die Fakten von neofaschistischen, sexistischen, rassistischen Kräfte geschaffen würden und der revolutionäre Bruch im Moment allenfalls eine Hypothese sei. Was diese apokalyptischen Zeiten auch zeigen, ist, dass der neue Faschismus das andere Gesicht des Neoliberalismus ist. Für Lazzarato leben wir in einer Zeit der Unschärfe, in der sich Rechtsstaat und Ausnahmezustand vermischen. Das würde darauf hindeuten, dass sowohl Agamben als auch Harcourt in gewisser Weise den heutigen Zustand korrekt beschrieben hätten. Wir haben das an anderer Stelle diskutiert. Wenn Lazzarato dann anschließt, dass die Hegemonie des Neofaschismus nicht nur an der Stärke seiner Organisationen, sondern auch an seiner Fähigkeit gemessen werden muss, in den Staat und das politische und mediale System einzudringen, dann müssen darauf hinweisen, dass es vor allem der Staat selbst ist, der heute dem Prozess der Faschisierung unterworfen wird. Auch das haben wir anderer Stelle ausführlich diskutiert.

Der linke Diskurs besagt, dass das Konzept der leninistischen Realisierung der Revolution, mit dem die Arbeiterklasse ganz bewusst von der Klasse-an-sich zur Klasse-für-sich wird, seit den 1970er Jahren durch die Kontingenz der politischen Events abgelöst worden ist, was sich für Ranciere beispielsweise an den Gilets Jaunes zeigt. Lazzarato fügt nun richtigerweise ähnlich wie Joshua Clover noch hinzu, dass die Gillet Jaunes intelligenter als die Philosophen seien, weil sie zumindest verstünden, dass das Verhältnis zwischen Produktion und Zirkulation heute umgekehrt worden sei, i.e. die Zirkulation von Geld, Waren, Menschen und Informationen habe jetzt Vorrang vor der Produktion. Die Gilets Jaunes besetzen nicht mehr die Fabriken, sondern die Kreisverkehre und greifen zumindest die Zirkulation von Informationen an. Die Prozesse der Konstitution des politischen Subjekts, die Formen der Organisationsformen, die Entwicklung von Fähigkeiten für den Riot, die durch die Unterbrechung der Zeit der Macht ermöglicht werden, sind mittelbar zumindest mit dem Kapital, dem Eigentum und dem Patrimonium konfrontiert, wobei hinsichtlich der Wiederherstellung der Ordnung die Polizei unmittelbar an der Spitze steht.  Die Öffnung der politischen Möglichkeiten ist mit der Realität eines gewaltigen Doppelproblems konfrontiert, dem der Konstituierung eines politischen Subjekts und der Macht des Kapitals, denn die erstere kann sich nur innerhalb der letzteren vollziehen.

Dabei erweckt gerade der Linkspopulismus etwas zu neuem Leben, das nicht mehr existiert. Die Repräsentation und das Parlament haben keine Macht mehr, letztere ist vollständig in der Exekutive konzentriert, die im Neoliberalismus nicht die Befehle des “Volkes” oder des Gemeinwohls ausführt, sondern die des Kapitals und des Eigentums. Schon Carl Schmitt hat die Exekutive als den Motor der Staatmaschinerie bezeichnet und wir haben mehrfach darauf hingewiesen, dass dies ein wichtiges Moment der Staatsfaschisierung ist. Die Positionierung des Linkspopulismus (und seine theoretische Systematisierung durch Laclau und Mouffe) verhindert die Benennung des Feindes. Seine Kategorien (“Kaste”, “die von oben” und “die von unten”) sind nur einen Schritt von der Verschwörungstheorie und zwei Schritte von ihrem Höhepunkt, der Denunziation des “internationalen Judentums”, das die Welt über die Finance kontrollieren würde, entfernt. Diese Verwirrungen, die von den Führern und Theoretikern eines Populismus der Linken aufrechterhalten werden, plagen die Bewegungen weiterhin.

Heute kann eine Bewegung, die sich auf die “soziale Frage” konzentriert nicht wie im 19. und 20. Jahrhundert spontan sozialistisch sein, weil die globale und soziale Revolution (die alle Machtverhältnisse umfasst) darüber hinausgegangen ist. Wenn die Subjektivitäten, die die Kämpfe gegen die verschiedenen sozialen und rassistischen Machtformen tragen, nicht auf die Einheit des “leeren Signifikanten” des Volkes reduziert werden können, wie es der linke Populismus will, dann ist das doppelte Problem eines gemeinsamen politischen Handelns und der Macht des Kapitals angesprochen. Die Unfähigkeit, letzteres sowohl als globale als auch als soziale Maschine zu analysieren, deren Ausbeutung und Beherrschung nicht mit der “Arbeit” endet, ist für Lazzarato eine der Hauptursachen für die Niederlage der Linken der 1960er Jahre.

Lazzarato spricht daraufhin die durchaus nicht unblutige Politik des Neoliberalismus  in Lateinamerika an und behauptet, dass die heute vorherrschende analytische Tradition, die von Michel Foucault begründet worden sei, völlig die düstere, schmutzige und gewalttätige Genealogie des Neoliberalismus ignoriere, bei dem militärische Folterknechte mit den Verbrechern der Wirtschaftstheorie kooperieren würden. Die von Foucault erfundenen Begriffe wie Gouvernementalität, Selbstunternehmertum, Wettbewerb, Freiheit und Rationalität des Marktes würden nicht in Betracht ziehen, dass die Subjektivität der “Regierten” nur unter der Bedingung einer mehr oder weniger blutigen Niederlage konstruiert worden wäre.

Der Neoliberalismus glaubt nicht an das “natürliche” Funktionieren des Marktes; er weiß, dass es notwendig ist, dass der Staat ständig intervenieren und ihn mit juristischen Managern, steuerlichen und wirtschaftliche Anreizen regulieren muss. Es gibt dazu eine Vorstufe des “Interventionismus”, die als “Bürgerkrieg” bezeichnet wird, um die Bedingungen für die “Disziplinierung” der “Regierten” zu schaffen. Auch wenn das im speziellen für Lateinamerika richtig ist, heißt dies noch lange nicht, dass die von Foucault analysierten „soften“ Regierungsformen vor allem in den kapitalistischen Metropolen nicht wirksam wären. Der von Lazzarato an dieser Stelle an Foucault gerichtete Vorwurf erscheint zu pauschal. Daran ändern auch die richtigen folgenden Aussagen von Lazzarato nichts: Die Kapitalisten und ihre jeweiligen Staaten konzipieren ihre Strategien (Krieg, Bürgerkrieg, Gouvernementalität) in Bezug auf die Situation des Weltmarktes und den dort lauernden politischen Gefahren. Sie konstruieren diese Strategien als Antwort auf die Konflikte und passen sie an die Widerstände und Konfrontationen an. Aber man sollte nicht den Fehler begehen, einen “gewalttätigen” Süden von einem “befriedeten” Norden zu trennen: Es ist das gleiche Kapital, die gleiche Macht, der gleiche Krieg.

Lazzarato kommt dann zu einer Hauptthese des Buchs, die er in voller Länge schon in seinem Buch mit Eric Alliez „To our Enemies“ dargelegt hat: Die totalen Kriege der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten den Krieg in einen industriellen Krieg und den Faschismus in eine Massenorganisation der Konterrevolution verwandelt. Ohne Bürgerkrieg und Faschismus, ohne “schöpferische Zerstörung” fände keine Umwandlung der ökonomischen, juristischen Rechts-, Staats- und Regierungsapparate statt.

Hinsichtlich der Finanzialisierung der Armen im Neoliberalismus führt Lazzarato gemäß seinem Buch über den verschuldeten Menschen aus, dass der Konsum dank des Zugangs zu Krediten, den die Armen erhalten habe,  explodiert sei. Während des letzten Konjunkturzyklus scheint der Kredit für die Stimulierung der Nachfrage fast so wichtig geworden zu sein wie die Löhne. Wenn sich die Löhne verdoppelten, vervierfachte sich der Kredit für den Konsum, er machte in Brasilien mehr als 45 % des Wachstums der Familieneinkommen und ein Drittel des Wachstums des BIP aus. Das Gläubiger-Schuldner Verhältnis ist eine Technik, die es ermöglicht, das Verhalten in allen sozialen Gruppen zu steuern und zu kontrollieren, denn es funktioniert bei armen Menschen genauso gut funktioniert wie bei Arbeitslosen, Lohnempfängern oder Rentnern. Es ist eine äußerst wirksame Technik, die den Klassenkampf auf ein neues Terrain verlagert, auf dem es die Arbeiterorganisationen schwer haben sich zu positionieren. Gerade den Sozialdemokraten in Brasilien gelang es, einige der strategischen Ziele des Neoliberalismus durchzusetzen, nämlich die primäre Akkumulation durch die Finanzwirtschaft, die Ersetzung der effektiven Keynesschen Nachfrage und die Umverteilung des Reichtums durch den Staat qua der Privatisierung von Staatsausgaben und der sozialen Dienste, Gesundheitswesen, Bildung, Arbeitslosengeld, Rente usw.

Die Überdeckung der sozialen Risiken durch das individuelle Verschuldungsrisiko wird von den Finanzinstituten immer auch als eine Technik der Unterwerfung verstanden, denn die regelmäßigen Rückzahlungen zwingen den Kreditnehmern eine Disziplin auf, eine Lebensform, eine Denk- und Handlungsweise. Nach Ansicht der Weltbank ist eine solche Selbstkontrolle unerlässlich, um den armen Menschen in einen Unternehmer zu verwandeln, der die Unregelmäßigkeiten der Einkommensströme mit Hilfe von Krediten bewältigen kann. Diese neuen Regierungstechniken, die sich stark von den fordistischen Machtapparaten unterscheiden, zielen darauf ab, die Bedingungen zu schaffen, um die “Entscheidungen” des Individuums auf die private Sphäre bzw. ein mikropolitisches Sozial-Engineering zu lenken, das im Wesentlichen finanzieller Natur ist. Der soziale Nutzer verwandelt sich somit in einen verschuldeten Kunden. Das lässt sich durchaus in Einklang mit Foucaults Analysen zum Neoliberalismus bringen, wie wir meinen.

Weit entfernt von der Idee eines “schwachen Staates”, eines Minimalstaates oder gar einer “Phobie vor dem Staat”, soll die Privatisierung von Dienstleistungen den Staat von dem Druck befreien, den soziale Kämpfe auf seine Ausgaben ausübten. Anstatt rein der Ort der Ausübung von Souveränität zu sein, die für die ungehinderte Entfaltung des Privateigentums notwendig ist, war das politische System während des gesamten Kalten Krieges von Forderungen belagert, die die Autorität des Staates untergruben und seine Verwaltungsfunktionen überforderten. Die Privatisierung des “Angebots” von Dienstleistungen bedeutet, dass der “sozialen Nachfrage” ihre politische Dimension und ihre kollektive Form genommen wird. Einmal befreit von den “Erwartungen”, der Rechte und der Gleichheit, die die Kämpfe mit sich bringen, kann sie die Funktionen übernehmen, die der Neoliberalismus für sie vorsieht. Dabei darf der Staat nicht zu minimal werden, sondern er muss “minimale Dienstleistungen” organisieren und verwalten, d.h. eine minimale Absicherung der Risiken gewährleisten, denn der Rest muss auf dem Versicherungsmarkt gekauft werden.

Nach vierzig Jahren neoliberaler Politik wird das, was kommen wird, für Lazzarato ein neuer Neofaschismus sein. Der Neofaschismus entsteht für ihn aus einer zweifachen Mutation: einerseits aus dem historischen Faschismus und andererseits aus der Organisation konterrevolutionärer politischer Gewalt. Der heutige Faschismus ist eine Mutation des historischen Faschismus in dem Sinne, dass er national-liberal und nicht national-sozialistisch ist. Die 68er-Bewegungen sind heute so schwach, dass er es nicht einmal nötig ist, ihre Forderungen aufzugreifen und sie zu verdrehen, wie es die Faschisten und die Nazis in den 1930er Jahren taten.  Nichts dergleichen passiert im neuen Faschismus, der im Gegenteil ultra-liberal ist. Er ist einerseits für den Markt, die Wirtschaft, für die Eigeninitiative, auch wenn er einen starken Staat will, und andererseits betreibt er die Unterdrückung der Minderheiten, der “Ausländer”, der Delinquenten  usw. Er bedient sich der Demokratie, die ohne den egalitären Schub der Revolutionen eine leere Hülle ist und sich für jedes Abenteuer eignet. Der Antisemitismus ist weitgehend der Phobie vor dem Islam und den Einwanderern gewichen. Der historische Faschismus war eine der Formen der Verwirklichung des totalen Krieges; der Typus, der sich heute entwickelt, ist im Gegenteil eine Form der Kriegsführung gegen die Bevölkerung. Der neue Faschismus muss nicht einmal “gewalttätig” sein bzw. paramilitärisch wie der historische Faschismus, als es darum ging, die Arbeiter- und Bauernorganisationen militärisch zu zerstören, denn die heutigen politischen Bewegungen sind im Gegensatz zum “Kommunismus” zwischen den beiden Weltkriegen sehr weit davon entfernt, die Existenz des Kapitals und des Staates zu bedrohen.

Was der alte und der neue Faschismus hingegen gemeinsam haben, ist ein Kern der Selbstzerstörung und ein selbstmörderisches Verlangen. Das Kapital ist nicht “Produktion”, ohne gleichzeitig “Zerstörung” und “Selbstzerstörung” zu sein. Wir haben an dieser Stelle vom Kapital als suizidalem Faschisten gesprochen. Für Foucault stellt die globale Verbreitung des neuen Faschismus angeblich kein Problem dar: In gewisser Weise waren die Faschismen schon immer da; sie gehören zur Organisation des Staates und des Kapitals. Foucault nennt dies “Auswüchse der Macht”, die den westlichen Gesellschaften strukturell immanent seien. Der Faschismus habe nur eine Reihe von Mechanismen erweitert, die im sozialen und politischen System des Westens bereits existierten. Foucault hatte zwar eine klare Vorstellung von der Beziehung zwischen dem Staat und Faschismus hatte, aber er sah nicht dessen Verbindung zum Kapital.

Der Faschismus hat durchaus nicht den Interessen des Kapitals und der Finance widersprochen, wie Lazzarato zeigt. Die einzige Gefahr, die sich historisch bestätigt hat, ist die der Autonomisierung der faschistischen Politik, die sich zu unabhängigen und selbstzerstörerischen Kriegsmaschinerien formieren kann; aber das ist ein Risiko, das Kapitalisten und Liberale nicht gezögert haben, einzugehen, als das Privateigentum in Gefahr war. Kapital ist nicht nur Wirtschaft, sondern auch Macht, politisches Projekt, Strategie der politischen Konfrontation, der eingeschworener Feind der politischen Revolutionen, die von seinen “Sklaven” (Arbeiter, Arme, Frauen, kolonisierte Subjekte) gemacht wird.

Der Kapitalismus ist seit der Eroberung Amerikas von einer globalen Spaltung zwischen den Bevölkerungen der Metropolen und denen der Kolonien gekennzeichnet. Eine dramatische Teilung, unter deren Schutz die gesamte europäische Macht und das Wissen wie auch die Arbeiterbewegung profitiert hat. Gegenwärtig reicht der sehr kleine Prozentsatz der Migrationsströme, die nicht vom Süden in Richtung Süden geht, aus, um den Norden zu destabilisieren, so dass die rassischen Spaltungen, deren Opfer die Migranten sind, als Mittel zur Kontrolle der Bevölkerungen des Nordens eingesetzt werden können und zu den Segregationen hinzukommen, denen die europäischen Bürger “kolonialer” Herkunft bereits unterworfen sind. Rassismus, eine Technik der Gouvernementalität auf dem Arbeitsmarkt, wird eine ebenso grundlegende Rolle in der politischen Governance einnehmen, wenn er einen der mächtigen Mechanismen der nationalistischen identitären Subjektivierung darstellt. Wenn es zutrifft, wie Foucault betont, dass Unterwerfungen keine abgeleiteten Phänomene, sondern die Folgen anderer wirtschaftlicher und sozialer Prozesse sind, so ist die Produktion des “Rassisten” eng mit dem Kapitalismus verbunden, insbesondere mit seinem tödlichsten Motor, dem Privateigentum.

In den Abspaltungen der besitzenden Klasse hat sich die Privatisierung von Versicherungspolicen gegen soziale Risiken in Mechanismen verwandelt, die wachsende Ungleichheiten produzieren. Privatisierung verändert radikal die Funktionen dessen, was Foucault als die Apparate der “Biomacht” bezeichnet.  Der Zugang zu Bildung, Gesundheit und anderen sozialen Einrichtungen hängt von nun an von Eigentum und Erbschaft ab. Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung sollte die Biopolitik das “lebensnotwendige” Minimum für ihre einfache Reproduktion sicherstellen. Die Biopolitik produziert für Lazzarato kein Humankapital, sondern die “Working Poor”, indem sie diese Mehrheit in den Zustand der “arbeitenden Armut” versetzt. Kontrolle und Regulierung werden nicht mehr durch Integration und Biopolitik, sondern durch soziale Apartheid (ein anderer Name für die politische Abspaltung des Kapitals) erzeugt.  Aber die Einkommensungleichheiten sind nichts im Vergleich zu den Vermögensungleichheiten, die  nicht mehr primär kolonial, sondern finanziell sind.

Der Zusammenbruch des Finanzsystems im Jahr 2008 verursachte einen doppelten “subjektiven” Bruch, indem er eine intensivere Phase der Instabilität einleitete, die direkt politisch war und eine neofaschistische begünstigte. Erstens bestätigte die Schuldenkrise das Scheitern der Figur des besitzergreifenden und wettbewerbsorientierten Individualismus des “Humankapitals” und brachte die subjektive Figur des “verschuldeten Menschen” hervor. Zweitens nach einer Intensivierung der neoliberalen Politik der Vermögenskonzentration und der Ausbeutung von Vermögenswerten führte die Frustration, die Furcht und die Angst des verschuldeten Menschen zu einer Umwandlung der Subjektivität, die ihn für neofaschistische, rassistische und sexistische Abenteuer und für die identitären und suprematistischen Fundamentalismen anfällig machten.

Der zeitgenössische Liberalismus ist für Lazzarato weit entfernt von Foucaults Unternehmers des Selbst. Wir gehen weiterhin jedoch davon aus, dass je nach Zugehörigkeit zur Mittelklasse, zur gut bezahlten Arbeiterklasse, zum Prekariat oder zu den Armen beide Modelle vorzufinden sind, das des verschuldeten Menschen und das des unternehmerischen Selbst.

 Die Logik des Krieges gegen die Völker und die Logik seiner Ausdrucksformen (Rassismus, Faschismus und Sexismus) kennzeichnen für Lazzarao die heutige Epoche. Die zunehmende Intensität der neofaschistischen Mobilisierungen, die rassistischen und sexistischen Äußerungen und Handlungen, scheinen sich in den Rahmen der neoliberalen Gouvernementalität ohne allzu große Probleme einzufügen, da sie an der gleichen kapitalistischen Kriegsmaschine partizipieren.

In dem Rahmen, der zum einen durch das Projekt der politischen Abspaltung der “Reichen” und andererseits durch die Ohnmacht der Kräfte, die sie blockieren wollen, gekennzeichnet ist, hat die Demokratie keinen Nutzen mehr. Die repräsentative Demokratie ist nicht mit dem Neoliberalismus in eine “Krise” geraten: Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, die sie verwirklichen und legitimieren soll, wurde bereits durch die Exekutive zu neutralisiert. Der industrielle Krieg erforderte eine Neuordnung der Exekutivgewalt, die nicht mit dem Ende der Einstellung der Feindseligkeiten endete, sondern das Parlament allmählich auf den Status eines Anhängsels zur Ratifizierung und Legitimierung der Dekrete der eigentlichen gesetzgebenden Gewalt, die in den Händen der Exekutive liegt, reduzierte. Lazzarao will aber auf mehr als auf Agamben und Schmitt hinaus: Die Exekutive ist, wie das gesamte juristisch-politische System, eines der Entscheidungszentren der Kriegsmaschinerie des Kapitals, das die “Dekrete” ausführt, ratifiziert und legitimiert, die das “Leben” des Finanzkapitals und seine Handlungsfähigkeit zu steigern. Liberale haben die Demokratie immer als Demokratie der Wohlhabenden verstanden und das Recht an das Eigentum gekoppelt.

Die beiden totalen Kriege berühren zutiefst die Marxsche Kategorie der Produktion, sie kam aus den totalen Kriegen radikal anders hervor, als Marx sie definiert hatte, denn sie  wurde ein Teil der Zirkulation. Beginnend mit dem Kalten Krieg war sie nicht mehr nur ein Moment der Warenzirkulation (Logistik) und mit dem Aufkommen des Neoliberalismus nicht nur ein Moment der Zirkulation von Geld (Finanzen) und der Zirkulation von Informationen (Massenmedien und digitale Industrien). Allgemeiner ausgedrückt, wie die feministischen Theorien nahelegen, ist die Produktion nun noch ein Teil der “sozialen Reproduktion”. Die Logistik rückt, vielleicht besser als die Finanzen und Information,  die Kontinuität zwischen der Organisation der Arbeit und der Organisation des Krieges, die enge Verflechtung zwischen zivilen Einrichtungen und Militär aus.

Die Produktion ist eingezwängt zwischen unmittelbar globalen Zirkulations- Netzwerken, die neue Dimensionen der Raum-Zeit Akkumulation abstecken und neue Formen der Kriegsführung hervorbringen, die die Nationalstaaten und ihre Grenzen überschreiten. Alle Netzwerke der Zirkulation der Waren, des Geldes, des Kapitals und der Information, aber auch alle Netzwerke der sozialen Reproduktion, sind heute strategische Zentren der “globale sozialen Maschine”, d.h. der Reorganisation der nationalen Volkswirtschaften hin zu einer transnationalen kapitalistischen Maschine (die Staaten unverzichtbar mitgestalten). Bereits Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre betrachteten die Kapitalisten “Produktion” im Sinne einer Verflechtung von Produktion, Verteilung und Konsum auf der Ebene des Weltmarkts. 

Dank der Logistik ist die Fabrik zersplittert, verteilt, zwischen den verschiedenen Territorien des Planeten verstreut, so dass eine einzige Ware eine Vielzahl von Teilen aus aller  Welt enthält. Während Marx die Fabrik zum “Motor” und zum “Beginn der “Beginn der Wertschöpfungskette” machte, werden Waren heute über den gesamten logistischen Raum hinweg und nicht an einem einzigen Ort hergestellt.

Wir haben mehrfach dargestellt, dass Marx den Begriff der Zirkulation nicht nur für die beiden Phasen des Verkaufs und Verkaufs von Waren verwendet, sondern auch  für die gesamte Dauer des Kapitalumschlags, der damit auch die Produktion integriert. Marx spricht dann von der gesamten Zirkulationszeit eines gegebenen Kapitals. Der gesamte Kreislauf des Kapitals ist der Kreislauf des Geldkapitals, insofern dieser die Kreislaufbewegungen, exakter die Spiralbewegungen des Kapitals umfassend strukturiert, repräsentiert und integriert, wie er auch Störungen innerhalb der Kreisläufe impliziert, insofern er selbst als ein je sich verschiebendes Zentrum fungiert. Diese Formel der monetären Kapitalzirkulation ist der primäre Mechanismus der Kapitalökonomie, der die Warenproduktion als Produktion-für-den-Profit und als Produktion-für-die-Zirkulation konstant begleitet und einschließt

Die wichtigste Matrix des heutigen Kapitalismus liegt für Lazzarato in der Globalisierung des Krieges und der Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte für die industrielle Produktion von Zerstörung, die mit der Atombombe praktisch “total” wurde. Die beiden totalen Kriege im 20. Jahrhundert markieren die unauflösliche strategische Einheit von Kapital und Krieg, von Produktion und Macht. Der Krieg ist nicht nur das genealogische Modell der Wertschöpfungskette, er ist auch ein unverzichtbarer Bestandteil der zeitgenössischen Funktionsweise der Kapitalzirkulation, denn die transnationale Dimension der der Logistik erfordert ein “Sicherheits”-Modell, das  nicht mehr auf den Nationalstaat zentriert ist. Es geht nicht um eine einfache Militarisierung der Logistik, vielmehr handelt es sich um eine Koproduktion von Unternehmen und Armeen (der Neoliberalismus hat die Privatisierung auch in diesem Bereich eingeführt).

Das zentrale Anliegen der Versorgungskette ist der Schutz der Warenströme und der Infrastrukturen für Transport und Kommunikation, die sie aufrechterhalten. Die Logistik (Verwaltung des Warentransports und des Informationstransports) hat die flexible und zeitnahe Just-in-Time-Produktion ermöglicht, und es ist immer die “Zirkulation”, die die globale Ausbeutung einer über den ganzen Planeten verstreuten Arbeitskraft sichert. Die Ausbeutung der Arbeitskraft im Weltmaßstab ist das, was den Kapitalismus ausmacht, aber mit der Logistik ist sie zum ersten Mal das Ergebnis einer integrierten “produktiven”, technologischen, informationellen, administrativen und militärisch-polizeilichen Maschine.

Das, was sich aus der heutigen Zirkulation ergibt, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den “Sicherheitsapparaten”, die Foucault analysiert. Wie die Logistik haben diese Sicherheitsapparate seiner Meinung nach das Ziel, die Kreisläufe der Zirkulation ständig zu erweitern, indem sie unaufhörlich neue Elemente: Produktion, Psychologie” integrieren. Das  klingt für Lazzarato sehr nach der falschen Naivität der liberalen Theoretiker. Die Kapitalisten würden viel stärker an die Sicherheit in enger Zusammenarbeit mit den Militärs denken. Die kontinuierliche Ausweitung der Produktion über die Zirkulation ist mit vielen Widerständen, Verweigerungen, Ablenkungen, Subtraktionen, gewaltsame organisierten Kämpfen, individuellen Sabotageakten konfrontiert, sodass die Gouvernementalität notwendigerweise eine Beziehung zum Unvorhersehbarem eingehen muss, was Foucault  eine “Beziehung zum Ereignis”, zur “Reihe möglicher Ereignisse”, zum “Zeitlichen” und der “Zufälligkeit” des Konflikts nennt. Aber im Kapitalismus verläuft diese Beziehung zum Ereignis notwendigerweise über die Techniken der der Kriegsführung.

Wenn man die Dinge aus der Perspektive der globalisierten Produktion betrachtet, dann haben wir es mit einer Art des Neoliberalismus zu tun, die sich für Lazzarato sehr von der von Michel Foucault unterscheidet. Die Organisation der Produktion auf der Grundlage der Zirkulation ermöglicht es dem Kapital, die “Optimierung der Unterschiede” zwischen den Status der Arbeiter und den unterschiedlichen “Kosten der Arbeitskraft” weltweit zu optimieren – das heißt, die heterogenen Ausbeutungsmodi zu optimieren und die bestehenden Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit zu nutzen, zwischen den fiskalischen und juristischen Regimen.

Das Finanzwesen unterhält wie die Logistik eine sehr enge Beziehung mit dem Krieg und insbesondere mit dem Krieg gegen die Bevölkerung. In der Tat ist der globale Markt, insbesondere der Neoliberalismus, nicht ohne rassistische, segregationistische und sexistische Techniken zu denken.

Nach dem “historischen Triumph über die subalternen Klassen” in den 1970er Jahren begannen die internationalen Finanzinstitutionen mit einer neuen Strategie, die die Machtverhältnisse als Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern konfigurieren. Die Schuldenstrategie wurde zunächst mit einem doppelten Ziel eingeführt: das wiederzugewinnen, was der Westen verloren hatte, und der Disziplinierung der Subjektivitäten, die durch die antiimperialistischen Revolutionen entstanden waren. In den 1980er Jahren spielte die Weltbank eine zentrale Rolle in Afrika, indem sie die”Kolonialverwaltungen” ablöste und ein “Sonderprogramm-Programm” mit der Bezeichnung “Strukturanpassung” in Gang setzte: “Im Austausch für wachstumsorientierte Darlehen akzeptiert ein Land die Liberalisierung von Importen, die Privatisierung der staatlichen Industrien, die Abschaffung aller Beschränkungen für Währungsumtausch und Rohstoffpreise, die Abschaffung aller Subventionsprogramme  und die Abschaffung aller Arbeitnehmerrechte und sozialen Sicherheiten. Die Programmierung der Schuldenkrise betraf seit Beginn der Anfang der 1980er Jahre mehr als 25 afrikanische Länder und sie war das Mittel, um einen großen Teil der ehemaligen kolonialen Welt zu rekolonialisieren. Die Schuldenökonomie erwies sich als ein so wirksames Instrument der Rekolonialisierung und der Auferlegung kapitalistischer Normen in der “Dritten Welt”. Der kollektive Kapitalist konstruiert seine Kriegsmaschinerie auf der Basis der Zirkulation; es gibt also keine Äußerlichkeit, keine parasitäre Funktion des Finanzwirtschaft gegenüber der “Realwirtschaft”: Im Gegenteil, dank ihres Grades der Deterritorialisierung, dank der Geschwindigkeit und ständiger Beschleunigung reguliert sie die “Produktion”.

Der Krieg erfuhr im Laufe des Jahrhunderts tiefgreifende Veränderungen, die die Kritiker des Kapitalismus, die meinen dass der Krieg nicht Teil der Organisation des Kapitalismus sei, völlig übersehen. Zu den neuen Definitionen, die Militärstrategen nach dem Fall der Sowjetunion produzierten, scheint für Lazzarato  der “Krieg gegen die Bevölkerung”  der beste Begriff zu sein, um nicht nur die militärischen Strategien, sondern auch die Strategien hinter der Politik des Neoliberalismus zu verstehen. Beide verbinden, auf unterschiedliche Weise, das Zivile und das Militärische und finden ihren Konvergenzpunkt im Krieg gegen die Bevölkerungen. In der Niederlage der Revolutionen sieht Lazzarato die Gründe für die Transformationen der Kriegsführung.

Nach den industriellen Kriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Krieg und Staat zu Funktionen und Komponenten der Kriegsmaschine des Kapitals. “Beschlagnahme”, “Eroberung” und Aneignung waren nicht länger die ausschließlichen Vorrechte des Staates, der auch das “Monopol auf Gewalt und deren Anwendung” verlor. Wenn es auch darum ging den eigenen Willen mit Gewalt durchzusetzen, waren nun die Zwangsmittel diversifiziert (wirtschaftlich, kulturell, sozial, technologisch). Gewalt wurde zunehmend von “zivilen” Subjekten ausgeübt. Es gibt heute Privatarmeen, Söldnerkompanien und wirtschaftliche und soziale Instrumente, die ebenso wirksam sind wie groß angelegte Bombardierungen.

Die Reversibilität von Krieg und Macht kehrt als Leitmotiv in der Arbeit der Militärstrategen wieder und findet im Finanzwesen das Beispiel für die Auferlegung von Zwang durch ökonomische Gewalt. Das Finanzwesen vereint die deterritorialisierteste Form des Kapitals und die deterritorialisierteste Form der Souveränität, den Krieg. Sie schafft es, die Wirtschaft der schwachen Länder zu zerstören, indem sie so viele Opfer schafft wie eine Schlacht. Dabei geht es keinesfalls um das Verschwinden des Staates, sondern um seine Einbindung in die Strategien des Kapitals. Der Staat übt seine “Macht” in einer “Partnerschaft” mit anderen Kräften aus, die ihn überrollen und ihren Strategien unterwerfen. Was alle strategischen Theorien betonen, ist die Tatsache, dass die “zerstörerische” Wirkung von Gewalt sehr wohl einen wirtschaftlichen und vor allem finanziellen Ursprung haben kann. Wenn Militärstrategen heute an Krieg denken, denken sie nicht  an die “Front”, an reguläre Armeen, an Konfrontationen zwischen Staaten wie in der Zeit der totalen Kriege, die unsere Vorstellungskraft kolonisiert haben.

Der totale Krieg hat sich in einen globalen Krieg verwandelt, in dem Sinne, dass er das andere Gesicht der Globalisierung, den militärischen Aspekt der “zivilen” Aktion des Weltmarktes darstellt. Er ist endemisch, stoßweise, immer bereit auszubrechen, aber vor dem Hintergrund eines Krieges gegen die Bevölkerung. Der Krieg in Syrien, der Krieg um die Kontrolle und “endgültige Eliminierung” von Migranten, der Krieg um die Privatisierung der Wohlfahrt sind sicherlich nicht dasselbe, aber es gibt eine Kontinuität zwischen ihnen, eine politische Transversalität: Im heutigen Kapitalismus ist der Krieg im Grunde immer ein Bürgerkrieg, ein Krieg gegen die Bevölkerung. Der Krieg des Kapitals hat, anders als der vom Staat geführte Krieg, nicht die Bestätigung und Ausweitung der Souveränität zum Ziel, sondern die Unterwerfung von Menschen und Nicht-Menschen unter die Produktion von Profit.

Es handelt sich zwar nicht um einen Schmittschen Krieg (Staat, Volk, Schicksal), aber die Kriegsmaschine des Kapitals findet ihren Feind, wenn die Unterwerfung unter die Gesetze des Kapitals und der Gouvernementalität in die Revolution umschlägt.

Michel Foucault, kommt in der Zeit (1971-1976), als er noch versuchte, sich dem sozialen Verhältnis über den “Bürgerkrieg” zu nähern, in einem Interview, in dem er die Rolle des Interviewers spielt, zu denselben Schlussfolgerungen wie die Militäranalysten: “Das Problem bestünde eigentlich darin, zu wissen ob die Rolle der Armee tatsächlich darin besteht, Krieg zu führen. Denn wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass, je mehr die Armee in der Geschichte sich als Armee spezialisierte, desto mehr hörten die Kriege auf die Sache von Armeen zu sein, sondern ein politisches, wirtschaftliches usw. Phänomen zu werden, das die Gesamtheit der Bevölkerung umfasste.“

Der Begriff der Bevölkerung bringt für Lazzarato jedoch einen politischen Unterschied zu Foucault zum Vorschein. Während des größten Teils des 20. Jahrhunderts war das politische Problem nicht das der Bevölkerung und ihres “Lebens”, sondern das der Klassen, der kolonialisierten “Nationen” und ihrer Revolutionen. Der Sieg des Kapitals verwandelt die bewaffnete Klasse oder Nation in eine “Bevölkerung”, das heißt, in arbeitende Massen, arbeitslose Abhängige, Psychotiker, Migranten usw. Nur unter den Bedingungen einer Niederlage der Revolution kann der Bürgerkrieg zur Regierung werden, d.h. zum “Krieg innerhalb der Bevölkerung”, in dem die Plätze der Gewinner und Verlierer bereits verteilt sind.

Die Umwandlung des globalen Bürgerkriegs in Biopolitik (“Krieg innerhalb der Bevölkerung”) verwandelt letzteren in einen Krieg ohne den “Feind”, da der Feind mit der Revolution verschwunden ist. Mit der Auflösung der Klasse in die Kategorie der Bevölkerung, geht es weniger um die  Revolution als um “Gefahr”, “Risiko”, Quelle von “Chaos”. Da dieser Krieg nun mit der Kontrolle der Bevölkerung zusammenfällt, zusammenfällt, hat er weder einen Anfang noch ein Ende. Ebenso sieht er weder einen Sieg noch eine Niederlage vor, da die Kräfteverhältnisse asymmetrisch hergestellt und um des Kapitals willen stabilisiert werden. Es gibt keinen Feind, den es zu besiegen gilt, sondern nur Verlierer, die regiert werden müssen, und Terroristen, die neutralisiert werden müssen. Der Verlierer kann jederzeit zu einem politischen Feind werden, vorausgesetzt, dass die Unterordnung unter Biopolitik und Gouvernementalität in eine strategische Konfrontation umgewandelt wird. Auf diesem instabilen Boden greifen die “Sicherheitstechniken” ein, umzu antizipieren, was nicht antizipiert werden kann (das Ereignis des Bruchs), und ihre Interventionen vermehren sich gerade wegen dieser Unmöglichkeit.

Der globale Krieg, als Krieg gegen die Bevölkerung, kennt keinen Frieden. Oder besser gesagt, der Frieden wird zu einer “Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln”. Die Verflechtung von Krieg und Macht bei Foucault vor der der Konzeptualisierung von Biopolitik und Gouvernementalität kommt ohne Frieden aus, genau wie die Theoretisierung des Militärischen und des Zivilen in den militärischen Schriften nach 1989. Durch diese Kategorien registrieren Foucault und die Militärtheoretiker einen Wandel, der sich nach dem die sich nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog: Der Sieg führt nicht mehr zu einer Periode des “Friedens”, sondern im Gegenteil zur Wiederherstellung der Instabilität (so wie die wie die wirtschaftliche “Krise” nicht mehr konjunkturell, sondern dauerhaft wird).

Eine Definition des Krieges, die den Frieden als sein Gegenteil ausschließt, impliziert eine Kritik der dialektischen Konzeption des Krieges, die ein Merkmal des revolutionären Marxismus ist. Bei Mao waren Krieg und Frieden noch die Beispiel für eine dialektische Beziehung, in der die “Identität von Identität der Gegensätze” die Möglichkeit der Umkehrung jedes Begriffs beinhaltete. Spätestens mit dem Kalten Krieg hörten Krieg und Frieden jedoch auf sich dialektisch gegenüberzustellen, sich ineinander zu verwandeln und die Kontrahenten hörten auf, sich als Gegensätze/Identitäten gegenüberzustehen. Die Negative war nicht mehr dialektisierbar. Das Negative blieb negativ. Eine radikale Instabilität machte sich breit.

Daher die Notwendigkeit, die Techniken der Gouvernementalität zu denken, die das Zivile und das Militärische, den Krieg und die Macht als einen “Krieg gegen Bevölkerungen” konzipieren. Die Polizei ist die Institution, die am besten in der Lage ist, dieser Situation gerecht zu werden. Die fehlende Unterscheidung zwischen Frieden und Krieg,  Gewalt und Recht ist ihre Grundlage: Deshalb wird die Polizei aus Sicherheitsgründen in zahllosen Fällen ein, in denen keine klare Rechtslage besteht.

Die bemerkenswerte Neuerung besteht in der Lenkung dieses Krieges, den die neoliberalen kapitalistischen Eliten an die neuen Eliten  abtreten müssen. Die Mutation des Faschismus, die mit dem Neoliberalismus eingetreten ist, ist gleichbedeutend mit einer neuen Form des Krieges gegen die Bevölkerung, dessen Intensität von der Stärke der Widerstände abhängt, die sich ihm entgegenstellen. Wenn der historische Faschismus eine Fortsetzung des totalen Krieges war, ist der neue Faschismus stattdessen durch die Formen der Kriegsführung gegen die Bevölkerung gekennzeichnet.

In praktisch allen Fällen des politischen Denkens nach ’68 werden Kapitalismus und Macht unabhängig vom (Bürger-)Krieg gedacht. Paradoxerweise beteiligt sich das zeitgenössische kritische Denken an einer Befriedung der strategischen Konfrontation des 20. Jahrhunderts.  Wenn Foucault derjenige ist, der am meisten zur Erneuerung der Kategorie des Bürgerkrieges beigetragen hat, so ist er auch derjenige, der am weitesten von seinem realen Funktionieren im Neoliberalismus entfernt ist, indem er durch das Konzept der Gouvernementalität die Gewalt verschleiert, die der Neoliberalismus direkt auf Personen und Dinge ausübt. Sein nichtjuristisches Konzept einer Macht, die in der Mikrophysik der Beziehungen wurzelt, die das Gewebe des Alltagslebens bestimmt, hat für Lazzarato die theoretische und politische Ausarbeitung der neuen sozialen Bewegungen animiert.  Durch den Ausschluss von Krieg und Revolution macht Foucault die Biopolitik zu einem Apparat, der sich auf die Vermehrung des Lebens und der Ausübung der Macht über die Bevölkerungen konzentriert, eine Kontrolltechnik, die jeden negativen Charakter (Gewalt, Repression, Krieg) verloren hat, um sich als positive Kraft der Produktion von Subjekten, Freiheit und Sicherheit zu definieren. Die Thanatopolitik (die Unterseite der Biopolitik und ein Konzept, das im Übrigen nie wirklich etabliert wurde) wird allmählich verschwinden und durch “Gouvernementalität” ersetzt werden, die den Techniken der Verwaltung des Lebens einen allgemeinen Rahmen gibt  und das auslöscht, was noch vom Krieg in seinen Analysen übrig geblieben ist.

Die Beharrlichkeit, mit der Foucault die Machttechniken als “produktiv” definiert, entspricht für Lazzarato in keiner Weise der Erfahrung, die wir mit dem Neoliberalismus machen. Tatsache ist, dass vor allem seit dem Ende des letzten Jahrhunderts der Krieg, der Faschismus, Rassismus, Sexismus, Nationalismus und neoliberale “Reformen” den “negativen”, repressiven und zerstörerischen Charakter der Macht wieder ins Spiel gebracht haben. Deleuze stellt fest, dass sich die Machtverhältnisse bei Foucault von einfacher Gewalt unterscheiden. Die Macht wirkt nicht auf die Person, sondern auf ihr Handeln, auf ihre “Möglichkeiten”, d.h. sie wird ausgeübt, indem sie das das Feld des Verhaltens strukturiert. Sie hält das “Subjekt”, auf das sie ausgeübt wird, “frei”, fähig zu reagieren und auf ihre Aufforderungen zu reagieren. Im Gegensatz dazu wirkt die Gewalt auf Dinge und Personen, indem sie alle Möglichkeiten verschließt. Macht ist keineswegs “Gewalt ausüben” oder “unterdrückt”, sondern ermutigt, fordert auf, bittet.  Das ist zweifellos richtig, betrifft aber nur einen Teil der Machtverhältnisse, nämlich die die The Birth of Biopolitics dem Neoliberalismus zuschreibt. Und diese Analyse entspricht nicht den Positionen der neoliberalen Führer, die weit davon entfernt sind, die Notwendigkeit von Faschismen, Diktaturen und Kriege zur Sicherung des Kapitals zu leugnen.

Die spezifisch kapitalistische Macht der Arbeitsdisziplin konzentriert sich nicht nur auf “Vergehen und Schaden”, sondern auch auf “potenzielles Verhalten”. Sie greift sozusagen ein, noch bevor das Verhalten manifestiert ist. In ähnlicher Weise wirken biopolitische Techniken, wo die Dinge geschehen werden, “abhängig von möglichen Ereignissen oder einer Reihe von möglichen Ereignissen”. Die Macht besteht in der Tatsache der Prävention und Wahrscheinlichkeit, was wir an anderer Stelle gezeigt haben. Lazzarato verharmlost das als Gerede der großen Konzernen des Silicon Valley (Google, Amazon, Facebook usw.). Richtigerweise fügt er dann wieder hinzu, dass die Ausübung von Macht sich nicht auf die Ausübung einer Handlung auf eine andere Handlung reduzieren lässt, sondern  auch die Möglichkeit einschließt, durch Gewalt direkt auf Personen und (Nicht-Menschen) zu wirken.  Kapital ist nicht Produktion, ohne gleichzeitig auch Zerstörung zu sei, Zerstörung von Personen, Dingen und Lebensformen. Wenn man die Analyse bei der “Aktion auf eine Aktion” stoppt, wird man eine “modernisierende” und eingeschränkte Auffassung von Macht im Kapitalismus haben, da ihre Existenz und Reproduktion auch Klassen-, Rassen- und Sexualgewalt voraussetzt.

Die von Foucault vertretene “produktive” Konzeption der Macht kann für Lazzarato  zu politischen Missverständnissen führen, etwa zu der Illusion eines einseitig konzipierten Kampfes, als performativ gegen performativ (Butler), Produktion gegen Produktion (Negri), Schöpfung gegen Schöpfung (Guattari). Um der Dialektik des Negativen zu entkommen, gibt man Krieg und Revolution auf. Dieser “positive”, “produktive“ Weg, der dazu einlädt, die Macht neu zu denken, hat eine Politisierung hervorgebracht, die eher wie ihr Gegenteil aussieht.  Was den Begriff des Krieges angeht, so darf er nicht nur als bewaffnete Konfrontation zwischen Feinden und auch nicht nur als Strategie angesehen werden.  Der Krieg verschwindet auch nicht, er kann nicht absorbiert werden und in den entpersönlichenden Apparaten von Wirtschaft und Recht aufgehen, weil er die krasseste Manifestation der Tatsache ist, dass Macht auch als Gewalt gegen Personen und Dinge ausgeübt wird.

Félix Guattari veranschaulicht diesen großen Makel des 68er-Denkens, indem er die Marx’sche Perspektive auf die Macht des Kapitals als Entpersönlichung erweitert: “Persönliche Beziehungen des Typs Adeliger-Valet, Meister-Lehrling verblassen und machen Platz für eine Regulierung allgemeiner menschlicher Beziehungen, die hauptsächlich auf Systemen abstrakter Quantifizierung beruhen, die mit Lohn, “Qualifikation” und Gewinn zusammenhängen.” Die Apparate zur Entpersönlichung der Machtverhältnisse (Geld, Lohn usw.) können aber ohne persönliche Machtbeziehungen nicht funktionieren. Der Marxsche Fetischismus ( Machtbeziehungen zwischen Menschen und Dingen) ist für Lazzarato eine Quelle von Missverständnissen, da die abstrakten und unpersönlichen Ströme von Geldes, des Rechts usw. ohne Gewalt keine Chance hätten, operativ zu sein.

Es scheint, dass der Kapitalismus um die Jahrhundertwende zwischen der Option des Finanzwesens und der Option des Krieges schwankte, aber schließlich für die erste entschied, weil “eine Gesellschaft im Kriegszustand” nur für kurze Zeit funktionieren kann.  Der Krieg ist anti-ökonomisch, behaupten Negri und Hardt entgegen aller Beweise, während das internationale Finanzwesen, wie das lokale Finanzwesen nicht zögert, den “Krieg” und die “apokalyptischen” Visionen von Trump zu unterstützen. einen Faschisten wie Bolsonaro zu legitimieren und zu finanzieren. Nach den totalen Kriegen wurde der Krieg, um mit Marx zu sprechen, zu einer der “wichtigsten Produktivkräfte“, konstitutiv für die “große Wissenschaft”, die Spitzentechnologie und die Logistik.  

Der Triumph” des Kapitals über die subalternen Klassen ist nicht ein für alle Mal erreicht. Er muss täglich reproduziert werden. Angesichts der Unfähigkeit der kapitalistischen Kräfte, den von ihnen selbst verursachten finanziellen Zusammenbruch zu verwalten, muss die “bewahrende Gewalt” ständig eine Schwelle überschreiten. Dies geschieht für Lazzarato  derzeit in Form der neuen Faschismen. Und die Bewahrung droht zur Selbstzerstörung zu verkommen, wie es zwischen den beiden totalen Kriegen geschah.

Wir leben nicht in einem “permanenten Ausnahmezustand”, sondern, perverser noch, wir erleben eine Verwischung der Unterscheidung zwischen Ausnahmezustand und Rechtsstaat. In Frankreich hat die Regierung nach den Anschlägen vom November 2015 den “Ausnahmezustand” ausgerufen, der nie aufgehoben wurde. Stattdessen wurden einige seiner Bestimmungen in die Verfassung  aufgenommen, Heute setzen die Regierung und die Polizeikräfte erneut  die gleichen Mechanismen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein, nicht mehr gegen Terroristen, sondern gegen Unruhestifter oder solche, die den Anschein haben, gegen Störenfriede. In Zeiten starker Mobilisierung sehen sich der Rechtsstaat und seine richterliche Gewalt seiner Vorrechte beraubt: Sie werden in der Polizei und in der Verwaltung konzentriert, die willkürlich und endgültig entscheidet, wer das Recht und die Freiheit hat, zu demonstrieren. Diese Entscheidungen die im “Ausnahmezustand” getroffen wurden, werden nie widerrufen.

Agamben, der versucht, Carl Schmitts Schmitts Ausnahmezustand mit der politischen Theologie Benjamins  und Foucaults Biopolitik zu verbinden, verfehlt das Wesentliche in den Transformationen der politischen Macht, denn die “Gewalt, die gründet” und die “Gewalt, die bewahrt”, sind nicht mehr die Angelegenheit des Staates, sondern die des Kapitals. Der Übergang von der Anomie zum “Nomos” ist nun ein Vorrecht des des Kapitals, und zwar auf zweierlei Weise: entweder durch die Intervention des Staates, dessen zwei Funktionen “Souveränität” und “Gouvernementalität” dem Kapital zur Verfügung stehen, oder direkt durch die multinationalen Konzerne.

In Wirklichkeit ist das Kapital ständig dabei, das Recht zu zerstören oder herzustellen, es aufzuheben oder zu aktivieren, so dass wir in einer Zone der Ununterscheidbarkeit leben. Und wenn diese Ununterscheidbarkeit das ist, was Ausnahmezustand definiert, ist der Staat definitiv nicht die Autorität, die heute über die Dinge entscheidet. “Keine Macht ohne eine Reihe von Zielen”, sagt Foucault, der hinzufügt, dass die “Entscheidungen” weder von einem “individuellen Subjekt” noch von einem “Generalstab” getroffen werden. Aber wenn die Ziele und Entscheidungen nicht mehr dem Staat, sondern dem Kapital gehören, ähneln seine Ziele und seine Entscheidungen, obwohl sie von einer Maschine und nicht von einem “individuellen Subjekt” getroffen werden, mehr und mehr den Beschlüssen eines Generalstabs. Der Staat, als “Modell der politischen Einheit”, als Inhaber des  Monopols der politischen Entscheidung”, ist “im Begriff entthront zu werden”, schrieb Schmitt schon 1922. Dieser Prozess, der mit den Kriegen begonnen hat, ist an sein Ende gekommen: Das Monopol der politischen Entscheidung wird nun von der Kriegsmaschine des Kapitals gehalten. Dieses große Ereignis des 20. Jahrhunderts, die Unterordnung des Staates und seiner Funktionen der Souveränität und Gouvernementalität unter das Kapital, wird nicht durch Foucaults Biopolitik und auch nicht durch die neuen Versionen, wie die von Esposito und Agamben (die “ökonomische Theologie” der Kirchenväter ist sehr weit davon entfernt, das Wesen und des Kapitals zu erklären) erfasst. Darüber hinaus wird dieses kritische Denken in seinem Verständnis der Funktionsweise der Macht durch seinen “Eurozentrismus” verraten.  Der Kolonialismus war nicht nur eine gewaltige Maschine zur Ausbeutung einer auf Sklaverei reduzierten Arbeitskraft. Die Kolonien waren nicht nur Land zur Plünderung, zur Anhäufung von Reichtum für Europa. Der Kolonialismus und die Kolonien waren integrale und konstituierende Teile der westlichen politischen Ordnung.

Fortsetzung folgt.

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