Brian Massumis “On the Revaluation of Value” (1)

Brian Massumi, der Tausend Plateaus ins Englische übersetzt hat, plädiert in seinem brandneuen »Postkapitalistischen Manifest« für eine alternative Konzeption des Werts, der zuletzt immer stärker der Komplizenschaft mit normativen Ideologien a la Habermas oder mit der kapitalistischen Macht bezichtigt wurde. Dagegen geht es Massumi keineswegs um die Rehabilitierung des Werts anhand normativer Standards, sondern darum, den Wert jenseits standardisierter Urteile und Normen neu zu denken. Die erste Bedingung dafür ist die Abtrennung des Werts von der Quantifizierung, denn für Massumi ist der Wert irreduzibel qualitativ und damit »this-wordly«. Der Wert ist sui generis ethisch und eben deshalb nicht als eine neue Moral zu konzipieren. Nach Deleuze wird in der Ethik die moralische Opposition (gut/böse) und ihr demokratischer Abkömmling (normal/pathologisch) durch die qualitative Differenz verschiedener Modi der Existenz ersetzt. i.e. durch das Potenzial von relationalen Prozessen und die ihnen immanenten Kapazitäten. Jenseits einer ökonomischen Begrenzung führt die Ethik in eine Ökologie der Mächte.

Die dominante Konzeption des Werts ist heute rein auf die Ökonomie bezogen, auf den Markt und die konsensuelle Definition des Geldes als Recheneinheit, Wertaufbewahrungsmittel und Tauschmittel. Der Wert wird letztendlich darauf reduziert, die drei Funktionen des Geldes in Übereinstimmung zu bringen. Diese drei gefaltete, rein auf den Markt bezogene Definition des Geldes erzeugt die Vorstellung, dass der Wert natürlicherweise quantifizierbar, wobei das Geld das Maß des Werts sei. Es wird aber ständig nicht nur die Vorstellung von der Quantifizierbarkeit des Werts, sondern der Mythos vom gerechten Äquivalententausch erzeugt, der durch das Maß des Geldes gemessen wird. Die Idee, dass man Wert durch das Geld bekommt, induziert die Ideologie des fairen Tauschs. Das Geld kann als Maß des Werts angesehen werden, da es als allgemeines Äquivalent fungiert, das die inkommensurablen Dinge vergleichbar macht. Und der Preis bietet den entsprechenden standardisierten dritten Term an, der qualitativ verschiedenen Dinge vergleichbar macht. Im Konsumverhalten taucht jedoch immer wieder die Idee auf, dass man mehr Wert für sein Geld bekommen könnte und damit eben schon die Vision eines ungleichen Tauschs und die ihm verwandten subjektiven Wünsche, Idiosynkrasien und Dispositionen, die auf die Plastizität des Werts verweisen.

Diese Plastizität zeigt sich auch darin, dass der Mythos von der Kommensurabilität einer aktuellen Geldsumme und einem zukünftigen Wert durch die Volatilität an den Märkten selbst zerstört wird. Die Volatilität hat zwei Seiten, zum einen den endogenen auf den Markt bezogenen Aspekt inklusive der Krisen und spekulativen Bubbles, und zum anderen die externen Aspekte wie Kriege, Klimawandel und Naturkatastrophen, die in den Marktpreisen der Derivate reflektiert werden. Die aktuellen Marktdynamiken führen also zu ungleichen Transaktionen, was darauf hinweist, dass wir es an Märkten eher mit Exzessen als mit äquivalenten Tauschakten zu tun haben.

Das in den nicht-numerischen Exzessen implizierte »Mehr-als« deutet für Massumi auch auf qualitative Faktoren hin, bei denen es sich um Externalitäten des Marktes handelt, die er als Qualitäten des Lebens bezeichnet. Bei diesem qualitativen Exzess handelt es sich definitiv um einen postkapitalistischen Wert. Die Unterscheidung zwischen endogenen Faktoren und Externalitäten ist für Massumi in diesem Fall unhaltbar und erfordert ein neues Denken der Relation von Innen und Außen bzw. von System und Prozess.

Für Massumi basieren viele Fluktuationen an den Finanzmärkten auf einem scheinbar nicht-ökonomischen Faktor, nämlich dem Affekt (Furcht und Angst, Unsicherheit und Hoffnung); der jedoch durchaus konstitutiv für die Preisbewegungen an den Märkten ist, aber als subjektiver vitaler Faktor den Markt auch transzendiert, das heißt, er moduliert die ökonomische Logik, ohne zu ihr direkt anzugehören. Der Affekt sei das immanente Außen des Marktes, resümiert Massumi, oder, anderes gesagt, er sei ein Faktor, der dem kapitalistischen Feld, aber nicht dem kapitalistischen System zuzurechnen sei. Das Problem des Affekts ist eng mit dem der Intensität verbunden, letztere ein wichtiger Schlüssel, um die richtige Unterscheidung zwischen qualitativen und quantitativen Termen in der Ökonomie zu treffen. Der Unterschied zwischen dem ökonomischen System und einem weiten Begriff von Prozess, der die Faktoren enthält, die zu einem immanenten Außen führen, ist ein wichtiges Tool für die Neubewertung des Werts.

Das ökonomische System inhäriert eine spezifische Ordnung von Operationen, die sich beispielsweise von denen des technischen Systems unterscheiden. Diese beiden Systeme sind gegenseitig extern, wobei diese Distinktion wiederum vom immanenten Außen zu unterscheiden ist. Massumi führt bezüglich des immanenten Außens das Beispiel der Dampfmaschine an, welche die Ökonomie im 19. Jahrhundert antrieb, während die Ökonomie umgekehrt die Innovation und Proliferation der Dampfmaschine beförderte. Zuzüglich ihrer systemischen Differenz sind Ökonomie und Dampfmaschine gegenseitig in eine zweiseitige Bewegung des Werdens integriert, eine prozessualen Verbindung, die nicht zu einem System per se gehört, aber als eine formative Kraft zu verstehen ist. Die spezifische Verbindung konstituiert das immanente Außen des in-betweens der Systeme, welches wiederum beide weit offen sind. Der Prozess ist sui generis ein Exzess über das System. Er macht jedes System zu einem konstitutiv offenen System. Hier ist die Unterscheidung zwischen intern/extern und dem immanenten Außen vorzunehmen. Dabei muss der Exzess auch für eine postkapitalistische Gesellschaft gefordert werden.

Massumi benutzt den Begriff des Feldes, um die Unterscheidung zwischen System und Prozess zu verdeutlichen, wobei letzterer das immanente Außen inkludiert, während der Begriff des Systems rein für die Operationen der Ökonomie reserviert wird. Der kapitalistische Prozess steht für das immanente Außen, das innerhalb des Systems verbleibt, wobei der Exzess hier nur insofern für Destruktion steht, als diese ein Potenzial für das weitere Werden des Systems enthält.

Die Vorstellung, dass es einen fairen Tausch von Geld gegen quantifizierte Arbeitszeit und körperliche Aktivitäten des Körpers gäbe, ist nach Marx einer der Grundmythen im Kapitalismus. Wenn es also einen Äquivalententausch nicht gibt, was ist dann der Profit? Der Profit ist der Exzess des Werts, den der Arbeiter produziert, im Vergleich zum Wert, de der Arbeiter als Lohn erhält. Die Redensweise der Unternehmen, die darin besteht, dass man die Kosten reduzieren müsse, zeigt, dass die Kapitalisten das Geld noch in einem Modus fungieren lassen, der sich von  den anderen Modi oder Funktionen des Geldes unterscheidet: Das Geld als Vehikel für Investitionen, um Mehrwert zu produzieren. Dieser Exzess betrifft die eigentliche Definition des Kapitals in seiner Differenz zum Geld als dem Maß der Werte, Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel und bezieht sich of course auf seine Rolle als Investment-Geld.

Kapital wird hier als das Potenzial definiert, ausgehend von einer gegenwärtigen Quantität Geldes eine größere Quantität Geldes in der Zukunft zu erzielen. Kapital ist nicht Profit. Der Profit ist die größere Quantität Geldes, die realisiert wird. Das Kapital ist das Potenzial diese Quantität zu realisieren. Dieses Potenzial ist der effektive Motor des ökonomischen Systems. Die kapitalistische Ökonomie ist trotz ihres Kalkulationswahns mehr mit ihrem Potenzial als mit ihren aktuellen Quantitäten beschäftigt. Das Kapital als die Bewegung dieses Potenzials ist die Qualität des Geldes. Das zukunftsbezogene Kapital in den Termen des Mehrwerts (das Potenzial eine höhere Quantität Geldes zu generieren), akkumulierbar als Profit, zu konzipieren, bedeutet, dass das Kapital von vornherein fundamental spekulativ zu denken ist. Die Spekulation ist keine Perversion der kapitalistischen Ökonomie, sondern ihre Essenz, ja sie ist sogar eine Machtfunktion. Oder, anders gesagt, das Kapital ist eine spezifische Machtbeziehung, die durch ein Potenzial angetrieben wird. Das zeitliche Element des Kapitals oder seine Zeitfunktion ist nicht-chronologisch und erzeugt eine Zukunft in der Gegenwart. Nur sekundär kümmert sich das Kapital um die Messung der Zeit.

Potenzial ist ein qualitatives Konzept, das mit Transformation konnotiert ist. Das Kapital als die Bewegung eines Potenzials ist die Qualität des Geldes als eine transformatorische Kraft, die das Werden des Systems antreibt. Ökonomisch wird diese Transformation rein als Statistik angezeigt. Die Zahlen sind quantitative Zeichen eines qualitativen Wandels (Veränderung der Produktivität und der Arbeit, der Managementpraktiken, der sozialen Ungleichheit, der Wünsche und Subjektivitäten etc.) Marx spricht an dieser Stelle von Metamorphosen oder sozialen Metabolismen. Hier sieht Massumi ein vitales Potenzial, das über die Ökonomie hinausweist. Das Kapital habe eine unsichtbare Hand am Puls des Lebens.

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