Das Coronavirus, die Konservendosen und das Klopapier

Die deutsche Linke ist empört. Der Grund der Empörung? Die Regale sind leer! Weshalb? Die Intellektuellen wissen es, wegen dem dummen deutschen Pöbel natürlich: „Wenn alle die Nudelregale stürmen, sichert man sich lieber auch seinen Anteil. Wenn alle mit Atemmasken rumlaufen, wird schon irgendwas dran sein. Entsprechend warnen Ökonomen bereits vor gefährlichem ‚Herdenverhalten‘, das sich angesichts des schockierenden Anblicks leerer Regale immer weiter selbst befeuere.“ [1] Es steht der schreckliche Verdacht im Raum, dass das doch alle Prepper sind: „Die Könige des Hamsterns aber sind die Prepper. Als extremistische Spinner verlacht, rüsten sie sich seit Jahren generalstabsmäßig für Tag X, der je nach psychisch-politischer Disposition ausgelöst wird vom nächsten Virus, dem Einschlag eines Kometen, der Landung der Außerirdischen oder einem durch die Umvolkungspläne der Geheimregierung heraufbeschworenen Bürgerkrieg. Um gewappnet zu sein, legen sie sich unterirdische Vorratsräume an und stopfen sie voll mit Survival-Food, Waffen und Brennstoffen.“ [2]

Zumindest ganz kurz hat der Autor einen Anflug von Vernunft: „Dabei war das Hamstern – also das Anlegen von Vorräten über den aktuellen Bedarf hinaus – einst höchst rational und letztlich die Grundlage unserer Zivilisation. Der Schritt vom Jäger und Sammler zum sesshaften, Landwirtschaft betreibenden und energieeffiziente Townhouses in die Gegend stellenden Menschen wäre ohne Vorratshaltung undenkbar gewesen. Erst der Kornspeicher ermöglichte das Ausharren an einem Ort auch jenseits von Vegetationsperiode und Erntesaison sowie das Überstehen ungünstiger Jahreszeiten.“ [3] Aber nein, ganz am Schluss kommt ein Lösungsvorschlag, der ganz im postmodernen Zeitgeist liegt, so sollen wir uns doch einfach alle in Reptilien verwandeln: „Vielleicht ist das ganze Gehamstere aber auch einfach nur Ausdruck eines evolutionären Irrwegs. Ganz entspannt dösen Python und Krokodil schlechten Zeiten entgegen. Dank ihres Stoffwechsels können sie auch ein, zwei Jahre lang ganz auf Nahrung verzichten und einfach mal Ruhe geben.“ [4]

Bedauerlicherweise kommen diese moralischen Verurteilungen nicht nur von den üblichen Verdächtigen im linken Akademie-Betrieb, ein Genosse auf Twitter findet es ebenfalls „Peinlich“, ein anderer teilt eine Karikatur von Professor Guido Kühn, die insinuiert, dass das bestimmt die gleichen Leute sind, die Greta der „Hysterie“ bezichtigen. Es sollte diesbezüglich erst einmal bemerkt werden, dass sie an der Demonstration in Lausanne ziemlich unmissverständlich gezeigt hat, dass sie nicht als Genossin betrachtet werden kann: „‚Ich danke allen, die heute gekommen sind und ihre schönen Gesichter gezeigt haben‘, sagt sie, wohl in Anspielung auf die Vermummten vom Schwarzen Block, die von der Polizei aus der Menge herausgefischt worden sind.“ [5] Die Klimakämpfer von Extinction Rebellion haben vor Kurzem die gleichen Massnahmen zur Rettung des Klimas gefordert wie im Kampf gegen das Coronavirus [6]. Quarantäne für alle zur Rettung des Klimas? Welch schönes Programm! Nein, ein solcher Schluss wäre hysterisch, die Hippies meinen es bestimmt gut mit uns!

Schluss mit Ochsenschwanzsuppe und Leberkäse aus der Dose, wenn sie die Macht übernehmen, werden sie uns alle mit ausreichend Bio-Quinoa, Bio-Tofu und Bio-Gemüse versorgen (indem sie uns dazu zwingen werden, es zu produzieren). Eine permanent tagende Ethik-Kommission wird jede unserer Handlungen kontinuierlich auf ihre Sozial- und Umweltverträglichkeit hin prüfen. Unsere Gesellschaft wird unter der Aufsicht einer linken Expertenschaft endlich verantwortungsbewusst handeln. Und wer nicht spurt, kommt in den selbstverwalteten Gulag und muss von morgens bis abends Bäume pflanzen, um seinen CO2-Fussabdruck zu kompensieren.

Wenn man diesen ganzen Öko-Reformisten so zuhört, stellt man sich unweigerlich die Frage, ob der Untergang der Welt nicht eine attraktivere Alternative wäre als ihre Machtergreifung. Öko-Malthusianismus ist bei Linken en vogue, so hat sich z.B. David Graeber auf Twitter darüber gefreut, dass das Coronavirus zu weniger Luftverschmutzung führt, schliesslich ist es offensichtlich, dass es der Welt nur deshalb so schlecht gehen kann, weil sich das Proletariat ab und zu Urlaub gönnt, obwohl die ja eh alle rassistisch sind und eigentlich nicht ins Ausland fahren dürften. Retten wir also gemeinsam mit der kapitalistischen Klasse die Welt! Wir dürfen dabei auch manchmal ein bisschen frech sein und ihr vorwerfen, sie sei fies, weil sie ihre Pläne immer noch nicht den bahnbrechenden Forschungsresultaten angepasst hat.

Doch ihr Plan kann kein anderer sein als die kontinuierliche Ausbeutung von Mensch und Natur. Kein Virus der Welt kann diesen Plan stoppen, ausser er würde die gesamte Menschheit vernichten. Das Beispiel von Norditalien zeigt, dass Schlangen vor Supermärkten und Lieferengpässe sehr wohl realistische Perspektiven sind, wieso sollte man also den Leuten vorwerfen, ihr Verhalten sei „irrational“? Die „Hamsterkäufe“ sind wohl grösstenteils das Werk des Proletariats und der niederen Mittelklassen. Die Bourgeoisie braucht sich keine Sorgen zu machen, sie hat genug Reserven. Der Lieferdienst ihres Vertrauens wird ihnen unter Quarantäne schon was bringen, möge es auch fünfmal teurer sein als sonst, für etwas sind Ersparnisse schliesslich da. Je ärmer, desto weniger Zeit und Geld hat man zur Verfügung, das sollte eigentlich nicht betont werden müssen, es scheint jedoch gelegentlich vergessen zu gehen. Wer alt und/oder krank ist, hat durchaus ein rationales Interesse, das Infektionsrisiko zu reduzieren, es ist offensichtlich höher als für Junge und/oder Gesunde. Vielleicht sollten wir sie einfach selber bestimmen lassen, wie viele Dinge sie kaufen möchten, umso mehr, weil sie wohl meistens sowieso gar nicht so viele kaufen können.

Dem Kapital geht es selbstverständlich nicht darum, „uns“ zu beschützen, sondern seine Interessen. Es zeigt uns, dass es die Klaviatur der Biomacht durchaus beherrscht. Alles bleibt demokratisch, aber wir können plötzlich wegen unserem Raucherhusten zwei Wochen unter Quarantäne stehen oder unsere Region kann plötzlich von der Aussenwelt abgeschnitten sein. Wenn wir zuerst aus der Quarantäne ausbrechen müssen, bevor wir mit der Kommunisierung beginnen können, wird es noch viel komplizierter, als es ohnehin schon war. Statt sich über das Verhalten des Proletariats ausserhalb der Szeneblase zu beklagen, sollten wir vielleicht gescheiter darüber nachdenken, wie wir solidarische Netzwerke organisieren können, um unsere Freundinnen und Freunde, unsere Genossinnen und Genossen zu unterstützen, wenn sie plötzlich unter Quarantäne stehen oder kein Einkommen mehr haben. Aber lassen wir doch bitte das Proletariat soviel Klopapier kaufen, wie es will, das Leben ist so schon beschissen genug.

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