Das Zeitalter des spekulativen Kapitals und der globalen Zirkulationskämpfe (5)

Das Ereignis des 9/11 gab den Regierungen der führenden Länder die unerwartete Möglichkeit, Sicherheit als unbedingte Priorität ihrer Politik zu setzen. Die steigende Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung, der Abbau des Sozialstaats und die zunehmende Abhängigkeit der privaten Haushalte von Krediten wurden von den Sicherheitskampagnen der Staaten übertönt, wobei es gleichzeitig zu einer gewissen Aufweichung der Konsolidierung der Haushalte kam, weil eben mehr in die Organe der nationalen Sicherheit investiert werden sollte. Damit musste es zu weiteren Kürzungen im Sozialstaat und zu einer weiteren Erleichterung der Zugänge der privaten Haushalte zum Kredit kommen. Im Zuge der vermehrten Ausgabe von Hypothekenkrediten auch an Teile der Bezieher von niedrigen Einkommen nahm das Wachstum von »bad debts« unweigerlich zu.

Der sog. privatisierte Keynesianismus qua Steigerung der Ausgabe von Konsumentenkrediten führte einerseits dazu, dass auch diese Kredite in die Prozesse der Verbriefung und der Neuschaffung von synthetischen Derivaten (CDO) eingespeist wurden, andererseits Ressourcen für den Ausbau des Sicherheitsstaates frei wurden. Dieser Ausbau wurde dann nicht allein mehr durch die Notwendigkeit des Antiterrorkrieges begründet, sondern hinzu kam das sog. Flüchtlingsproblem, das schnell mit der Militarisierung der Außengrenzen und der Verschärfung der Asylgesetze in Europa und den USA einherging. Waren vor der Finanzkrise die Projekte der Regierungen der führenden Länder noch stärker auf die Unterstützung bestimmter Bevölkerungsteile in ihrem Bestreben, den Wert ihres Humankapitals zu steigern, ausgerichtet, so kam es nach der Finanzkrise zu einer Verschärfung der Austeritätspolitik und zu einer massiven Panikmache des Staates gegen Flüchtlinge.

(Durch den Druck der Shareholder und die aufkommende Globalisierung begannen große Unternehmen schon in den 1980er Jahren Teile ihrer Aktivitäten outzusourcen (durch Subkontrakte, temporäre Arbeitsverträge und Direktinvestitionen im Ausland), aber es kam auch zu auch einer internen Reorganisation der Unternehmen. Die pyramidale Struktur vertikaler Unternehmen wurde durch eine modulare Organisation ersetzt, die relativ autonome Komponenten enthält, welche um Projekte mit einer befristeten Zeitperiode konzentriert sind. Es schlägt nun die Geburtsstunde eines Prekariats, deren Mitglieder nur Zugang zu befristeten Jobs haben und dies mit keiner Aussicht auf soziale Verbesserungen. Man realisierte aber seitens der Betroffenen aber schnell, dass Flexibilität und Verfügbarkeit Grundbedingungen für weitere trostlose Beschäftigung werden sollten.)

Feher kommt am Ende des Buches noch etwas ausführlicher auf die Share Economy und die die Kämpfe an deren Fronten zu sprechen. Im Gegensatz zu den klassischen Liberalen, die den Markt als einen neutralen Raum verstehen, an dem Händler und Kunden frei ihre Transaktionen ausführen, ist die Realität einen andere, denn die digitalen Interfaces, die man heute Plattformen nennt, kontrollieren und überwachen die Arbeit auf einem neuen Arbeitsmarkt und legen die Anzahl der Dienstanbieter fest. Die Fahrer, denen Uber ermöglicht, Fahrgäste aufzunehmen, stehen unter strikter Kontrolle und werden dazu gezwungen, den Algorithmen der Plattform zu folgen. Die Routen, die sie nehmen, werden durch das GPS diktiert, während ihre Effizienz, Verfügbarkeit und die Interaktion mit den Fahrgästen Gegenstand ständiger Bewertungen ist, die bestimmen wie, wann und wo der Fahrer zum Einsatz kommt.

Dabei fungieren die Fahrer nicht als Beschäftigte, sondern als private Vertragspartner. Weit davon entfernt eine Alternative zur prekären Arbeit anzubieten, pendeln die Serviceleister für Plattformen zwischen Bedingungen der Lohnarbeit und dem Risiko der Selbstständigkeit hin und her, zudem die Plattformen davon befreit sind, irgendwelche Sozialabgaben zu leisten. Für viele Theoretiker sind die großen Plattformen nichts weiter als miteinander verflochtene kommerzielle Verträge zwischen einer »principal authority«, die im Namen des Unternehmens Verträge abschließen kann, und einer Multiplizität von Agenten, die das Kapital des Unternehmens valorisieren. Die Plattformen multiplizieren somit Partnerschaften, die auf rein kommerziellen Begegnungen basieren und Serviceleistungen ohne geregelte Arbeitsverträge anbieten. (Nach wie vor ist es aber einer Reihe von Unternehmen in verschiedenen Branchen kaum möglich, ohne die Einstellung von Lohnarbeitern zu produzieren.) Die Anbieter von Dienstleistungen, welche die Angebote der Plattformen nutzen, sind von den Repressionen der Lohnarbeit, aber auch von den mit ihr einhergehenden Garantien befreit. Solchermaßen scheinen sie das Epitom neoliberaler Subjekte darzustellen.

Letztendlich sind sie aber nicht von ihrer eigenen geleisteten Arbeit, sondern von ihrer Einbindung in ein Netzwerk von Verbindungen abhängig, das heißt, die Ausbeutung ihrer Arbeitsressourcen und ihr Risikomanagement hängen vom Kredit ab, dessen Akkumulation ihnen unbedingt gelingen muss. Die Anpreisung ihrer Skills im Zuge ihrer Selbstvermarktung bedarf andauernd der positiven Bewertung durch Kunden, die sich in Scores, Likes, Freunden und Followers manifestieren, und diese Bewertungen zu optimieren ist die erste Aufgabe, die es zu erledigen gilt. Die Akkumulation des »reputational capitals«, das unbedingt einen effizienten Kreditscore beinhalten muss, dient dazu, das Vertrauen von Banken und Versicherungen zu erlangen. Die Nachhaltigkeit der Operationen der Serviceanbieter hängt dabei wesentlich stärker von der Zustimmung der Sponsoren ab als von dem von neoliberalen Ideologen behaupteten Unternehmerethos oder dem eigenen Humankapital.

Auf ihren Webpages, auf der sich Anbieter und Kunden miteinander verbinden können, weisen die Plattformen ihren Usern ein spezifisches Set von kontinuierlich bewerteten Assets zu, welche diese als Teil ihres »reputational capitals« kombinieren, verschieben und managen müssen. Dabei sehen manche Theoretiker im Management des »reputational capitals« schon eine Hauptressource, die die Akteure zu managen und zu kultivieren haben, um aufzusteigen oder schlichtweg zu überleben. Jeder wird schließlich eine Facebook-Hyperpage führen müssen, auf der die verschiedenen Empfehlungen von Freunden, Mentoren, Kreditgebern, Sponsoren, Kunden und Serviceprovidern vermerkt sind. Diese offenen, durch Algorithmen designten Portfolios, so Feher, ermöglichen es, die Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit einer Person darzustellen, ihren reputationalen Wert zu bestimmen und damit ihre Fähigkeit für eine Aufgabe, eine Kreditlinie oder eine Partnerschaft zu demonstrieren. Die privaten Asset-Manager müssen nun auf ihr eigens »reputational capital« spekulieren oder den Spekulationen anderer auf es folgen.

Für den Widerstand heißt dies, die sozialen Absicherungen, welche die Lohnarbeiter noch genießen, mit der Autonomie, welche die User von Plattformen besitzen, zu kombinieren, um neue win-win-Strategien zu entwickeln. Es gilt deshalb in den prekären Kämpfen nicht einfach nur den Status und die Absicherungen von Lohnarbeitern einzufordern, sondern den Versuch zu starten, bestehende Plattformen zu übernehmen oder neue zu gründen, um neue Regeln und Spiele einzuführen. Dabei müssen in Akten der Gegenspekulation die Bedingungen der Valorisierung von Assets und der Kreditallokation (durch Regierungen) grundlegend verändert werden. Die frühe Gewerkschaftsbewegung hat oft argumentiert, dass aufgrund der Gültigkeit des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate der Kampf für höhere Löhne ein über die Sicherung der Reproduktionskosten der Arbeiter hinausweisendes Moment beinhalte. Und wenn nun die Servicedienstleister von Uber & Co vor Gericht gehen, um ihre Aktivitäten als Beschäftigung, die mit Löhnen zu bezahlen ist, anerkannt zu bekommen, dann besteht das strategische Anliegen nicht in erster Linie darin, den Status eines Lohnarbeiters einzuklagen, sondern den Kollaps dieser Brands und Plattformen voranzutreiben, deren Modell darin besteht, unabhängige Vertragspartner anzuziehen und aus ihnen Renditen zu ziehen. Die Kämpfe von kontingenten Plattform-Arbeitern stecken aber noch in den Kinderschuhen.

Die neuen neoliberalen Strategien, die auf die Integration der Schuldner in die Finanzkreisläufe setzen, lassen es zu, dass zunehmend auch die Nationalität, Rasse und Flexibilität als Kriterien der Bewertung gelten und sie öffnen damit die Türen für einen neuen Populismus. Die Propaganda der freien Bewegung von Waren und Kapital und bis zu einem Gewissen Moment auch der Menschen, was angeblich zu einer friedlichen internationalen Gemeinschaft führt, ging davon aus, dass es zu einer Hybridisierung des Wissens und der Skills kommt, um den erfolgreichen Wettbewerb unter der Beobachtung der Investoren führen zu können. Inzwischen propagieren die Regierungen laber ängst keine Welt ohne Grenzen mehr. Stattdessen werden die Grenzkontrollen angeblich aufgrund des Terrorismus und des ungezügelten Stroms von Flüchtlingen täglich verschärft, der ökonomische Patriotismus wird hochgefahren und die einheimische Bevölkerung wird aufgefordert ihre nationale Identität als einen wertvollen Teil ihres Humankapitals anzuerkennen. Ohne auch nur im Geringsten um eine Regulierung der Geldkapitalbewegungen bemüht zu sein, versuchen die Regierungen die fehlende Popularität ihrer Politik (aufgrund der Governance, die sich hauptsächlich um den Börsenwert der Unternehmen kümmert und damit um ein Asset, auf das an den Märkten spekuliert werden kann) zu kompensieren, indem sie die Furcht vor »migrantischen Invasionen« und verstärkt für die Restauration des Handelsprotektionismus aufrufen. Die Bemühungen der Regierungen, den per capita Wert des Humankapitals einer Nation zu steigern, dient einer Governance, die die Interessen der finanziellen Investoren befriedigt, denen es ausschließlich um die Verwertbarkeit ihrer Assets geht. Das eigenen Territorium muss durch die Regierungen in ein finanzfreundliches Klima eingewebt werden, um Staatsanleihen für eine nicht zu hohe Zinsrate ausgeben zu können, und gerade deshalb muss auch die Austeritätspolitik unbedingt weitergeführt werden. Gleichzeitig muss die Produktivität der eigenen Bevölkerungen durch Steigerung der Flexibilität, Skills und Verfügbarkeit mobilisiert werden, Kriterien, die eine Bevölkerung finanziell attraktiv machen.

Teil 4  here

Foto: Bernhard Weber

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