Das Zeitalter des spekulativen Kapitals und der globalen Zirkulationskämpfe (2)

Die finanziellen Investoren, die sich vor allem auf die Realisierung kurzfristiger Gewinne konzentrieren, sind heute wichtige Player an den Finanzmärkten. Sie verfolgen ganz im eigenen Interesse an den Märkten alle Nachrichten, die auf bessere Gewinnlagen der Unternehmen hindeuten, und dasselbe gilt für ihre Beobachtung der Attraktivität von Nationalstaaten, wobei es als besonders erfreulich gilt, wenn Regierungen Einschnitte im Haushalt ankündigen, die sozialen Leistungen kürzen und die Regelungen an den Finanzmärkten zurückfahren. Auch die Bewertung des individuellen Humankapitals ist von ähnlichen Kriterien abhängig, etwa die Spekulationen über kommende Qualifikationen und die Frage der Flexibilität und Adaptionsfähigkeit der Beschäftigten.

Wie die Arbeiterbewegung zumindest in der Frühphase in den Lohnkämpfen immer auch die Ausbeutung angeprangert und sich um neue Verhandlungs- und Kampfformen bemüht hat, so sollten, so Michel Feher, die heutigen Aktivisten, die in der Zirkulationssphäre kämpfen, die Fertigkeiten und Verhandlungsformen der Gegner, insofern sie die Art und Weise der Spekulation betrifft, benutzen, um selbst neue Kampfformen zu erfinden, i.e. der Investee-Aktivismus sollte selbst die Konditionen der Akkreditierung von Kapital verändern, selbst das Spiel der self-fulfilling-prophecy der Investoren spielen, um etwas zu organisieren, das Feher »Gegenspekulation« nennt. Dabei gilt es die Governance der Staaten und die Investitionstätigkeit der Unternehmen ständig zu verunsichern und gleichzeitig die Attraktivität der eigenen praktischen Alternativen zu steigern, man denke an Projekte, die sich stärker um soziale Rechte, die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks etc. kümmern als um die kurzfristigen finanziellen Gewinnmöglichkeiten, oder die sich eher um das Wissen und die Gesundheitsfürsorge als um die Sicherung der intellektuellen Eigentumsrechte bemühen.

Die heutigen großen Unternehmen schaffen immer ein dominantes Verhältnis der Shareholder bzw. Eigentümer gegenüber einer Reihe von anderen Akteuren , auch gegenüber dden Managern, die nicht nur für einen steigenden Anteil der Dividenden gegenüber den Löhnen und Reinvestitionen zu sorgen haben, sonder sich auch ständig um die steigende Börsenbewertung der Unternehmen kümmern müssen. Diese »Corporative Governance« ist nicht auf das endogene Wachstum der Unternehmen ausgerichtet, wie das noch beim Management im Fordismus der Fall war, sondern es geht in erster Linie um die Valorisierung der finanziellen Assets, welche die Unternehmen in den Augen der Investoren repräsentieren. Anstelle der langfristige Profite, die aus dem Verkauf von Waren resultieren, geht es um die Methoden der kurzfristigen Kapitalisierung, zu denen auch der Rückkauf von Aktien (um einen Preisverfall zu vermeiden), neue Spekulationsmöglichkeiten und natürlich auch die Senkung der Produktionskosten gehören.

Es sind definitiv die finanziellen Investoren bzw. die Shareholder, die die soziale und finanzielle Performance der Unternehmen bewerten sowie deren Reputation und Beziehungen zu anderen Unternehmen, zu den Konsumenten, Finanzmärkten und Regierungen. Deshalb muss es die Aufgabe der neuen Aktivisten sein, die Macht der Shareholder, die sich stets auch auf die Instrumentalisierung der Stakeholder bezogen ist, herauszufordern. Und dabei sollten sie die soziale Verantwortlichkeit der Unternehmen ähnlich behandeln wie dies die Lohnarbeiter in den alten Fabriken getan haben, nämlich die Unternehmen sowohl als Instrument ihrer Unterordnung zu begreifen als auch als das Objekt ihrer Forderungen zu explizieren. So wie die Arbeiterbewegung simultan den sozialen Status des Arbeiters als Eigentümer der Arbeitskraft kritisiert und herausgefordert hat, so sollten die Investee-Aktivisten das Faktum denunzieren, dass der Wert eines Unternehmens ausschließlich von der finanziellen Evaluation abhängig ist, das heißt von den finanziellen Erwartungen der aktuellen und der potenziellen Shareholder. Die Manager der Unternehmen wiederum wissen genau, dass die wichtigsten Signale, die sie an die finanziellen Investoren aussenden müssen, im Gebrauch billiger oder effizienter Technologie, der Senkung der Arbeitskosten, dem effektiven Management der Subunternehmen und in der Logistik, der Verminderung der Qualitätskontrolle der Produkte und in einer Maximierung der Mechanismen der Optimierung der Steuerpolitik bestehen.

Einerseits muss zwar eine gewisse Verantwortlichkeit gegenüber den Stakeholder ngewahrt bleiben, ohne aber auch nur eine Sekunde die Performance für die Investoren aus den Augen zu verlieren. Wenn es die Aufgabe der Manager ist, sich vor allem um den Börsenwert der Unternehmen zu kümmern, dann tangiert dies sehr schnell auch die durchaus verschiedenen Interessen verschiedener Gruppen von Stakeholdern. Wenn der soziale Impact von Maßnahmen, die notwendig sind, damit die Investoren das Vertrauen in ein Unternehmen gewinnen, die Stakeholder insgesamt negativ betrifft, dann werden sie sich überlegen müssen, ob sie nicht gemeinsam ihre Forderungen gegenüber den Investoren formuliere als weiterhin nur ihren partikularen Interessen zu folgen. Ein Klassenbewusstsein der Stakeholder zu entwickeln, um einen gemeinsamen Antagonismus zu teilen, ist deshalb notwendig, aber nicht genügend, um auch eine gemeinsame Mobilisierung zu erreichen. Die Organisationen, die die verschiedenen Stakeholder-Interessen vertreten – Gewerkschaften, Konsumentengruppen, Propagandisten des Fair Trade, Umweltaktivisten etc. – müssen sich um die verschiedenen Beziehungen und »Links« zwischen den partikularen Interessen der Stakeholder kümmern und jedwede Art von subversiver Kooperation anstreben. Die Stakeholder sollten sich auch darum bemühen, die Methoden der Ratingagenturen, die ein wichtiger Player an den Finanzmärkten sind, wenn es darum geht, die kurzfristigen Projekte der finanziellen Investoren zu evaluieren, zu »simulieren« indem sie eigene Organisationen schaffen, die Signale an Investoren senden, die auf die soziale und ökologische Verantwortlichkeit von Unternehmen hinweisen und auf das Faktum, dass die Nichteinhaltung gewisser Standards sogar zu Verlusten der Unternehmen führen kann. Dies betrifft bspw. den »globalen Print« der Unternehmen, ihr Einfluss auf das Klima, die Gesundheit der Arbeiter, die Arbeitsbedingungen und die Einflüsse auf die staatlichen Budgets. Feher fordert an dieser Stelle die Organisationen der Stakeholder auf, so etwas wie einen »common accreditaion index« zu entwickeln, der Arbeitsgesetze, Schutz der Umwelt, Verbraucherschutz und den Kampf gegen Steuersenkungen für Kapitalunternehmen berücksichtigt.

Als der finanzielle Kapitalismus hegemonial wurde, ging der Einfluss der dreigliedrigen Relation, die für den Fordismus verantwortlich war – Unternehmer, Arbeiter und Angestellte des Staates – zurück und wurde von der triangularen Interaktion zwischen Shareholdern, Managern und Stakeholdern überlagert. Wenn damit auch der Einfluss der Staaten zurückgegangen ist, soverschwinden sie doch nicht von der Bühne, sie befinden sich aber in den entwickelten Ländern in einer dualen Abhängigkeit: Einerseits sind die Regierungen nach wie vor auf die Wähler angewiesen, müssen andererseits aber ständig die Interessen der finanziellen Investoren berücksichtigen. Während der erste Aspekt die demokratische Legitimität betrifft, so bezieht sich der zweite Aspekt auf die Größe und Gestaltung der Haushalte.

Die ökonomische Stagnation, welche die meisten Industrieländern nach der Erschöpfung des fordistischen Modells der Kapitalakkumulation traf, sowie die neuen Möglichkeiten der Kapitaleigner (die durch flottierende Währungen, die Liberalisierung der Energiepreise und die Deregulierung der Finanzmärkte möglich wurden) schränkten die Autonomie der Staaten empfindlich ein. Als in den 1970er Jahren die Produktivität der Massenproduktion stagnierte, mussten die Regierungen aus Furcht vor weiteren Arbeiter-und Studentenprotesten die Löhne an die Preise anpassen. Diese Art der Inflationierung, die den sozialen Frieden gewährleisten sollte, traf schnell auf den Unwillen der Halter von finanziellen Assets, die den Wertverlust ihrer Portfolios nicht weiter hinnehmen wollten.

Die Ersparnisse wanderten aufgrund des Kollaps des Bretton Woods Systems mit seinen fixen Austauschraten, der Volatilität der Ölpreise und den neuen Finanzinstrumenten bzw. Derivaten stärker in spekulative Anlagen als in das produktive Investment. Es war Paul Volcker, der Vorsitzende der Fed, der Ende der 1970er Jahre die Interessenschwerpunkte der US-Regierung auf das Geldangebot und die Unterstützung der Eigentümer von Finanzanlagen legte und damit einen dramatischen Anstieg der Zinsraten einleitete. In einer zeit sinkender Wachstumsraten führte dieser Schock zur Beendigung der inflationären Entwicklungen, die Teil der keynesianischen Politik waren. Volckers monetärer Asketismus und Reagans Steuererleichterungen für Unternehmen führten dazu, dass Spekulanten aus aller Welt aufgrund der hohen Returns of Investment und des günstigen Fiskalregimes an die US-Kapitalmärkte gingen. Während der plötzliche Zufluss von ausländischem Geldkapital zu einem rapiden Fall der Zinsraten führte, führte dies gleichzeitig aber auch dazu, dass alle Regierungen der entwickelten Länder die Steigerung der finanziellen Attraktivität ihrer Territorien für Investoren zur absoluten Priorität iher Politik machten. Die monetäre und fiskalische Politik des Keynesianismus kam somit zu einem Ende.

Es ist die Macht der finanziellen Investoren, die für sinkende Löhne und den Abbau des Sozialstaats verantwortlich zu machen sind. Der Wegfall der legalen und administrativen Schranken, der sowohl die Zirkulation des Kapitals auf internationaler Ebene als auch die finanziellen Aktivitäten erleichtert,und die Kreation neuer Finanzinstrumente ermöglichte, war auch die Voraussetzung dafür, das die finanziellen Investoren sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen als auch die der Staaten massiv beeinflussen konnten. Deshalb sollte die Akkreditierung, die Bewertung von Kapital, unabhängig von den Konsequenzen für die Distribution und Produktion beurteilt werden. Wenn wiederum die Arbeitskämpfe nicht mehr die Bedeutung wie im Fordismus haben, heißt das nicht, dass sie ihren Wert ganz verloren haben, denn die Erfahrungen, welche aus ihnen gezogen werden können, bleiben zudem relevant für heutige soziale Bewegungen. Wenn wir aber in einer Zeit leben, in der die Kapitalakkumulation durch die Finance vorangetrieben wird, dann müssen unbedingt auch neue Kampfformen entwickelt werden.

Erster Teil hier

foto: Bernhard Weber

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