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Eines der zentralen Motive der Crypto-Szene ist die immer wiederkehrende Behauptung, dass mit der Verbreitung von Crypto-Währungen und der damit einhergehenden Dezentralisierung der Finanzsphäre insbesondere den Armen und Entrechteten dieser Welt geholfen werde.1 Die Realität ist jedoch, dass Dezentralisierung nur dort gefordert und praktiziert wird, wo sie eine effizientere Verwertung verspricht. Die Zentralisierung von Reichtum und Eigentum etwa, stellt für die meisten Crypto-Enthusiasten kein Problem dar.

Vitalik Buterin (einer der Chefentwickler hinter dem bis dato zweitgrößten Blockchain-Projekt Ethereum) hat in einigen Tweets kurz vor Weihnachten 2017 die Frage aufgeworfen, ob denn die Crypto-Community die inzwischen erreichte Marktkapitalisierung von etwa einer halben Billion Dollar überhaupt verdient habe. In der Folge wurde klar, dass er ein Problem mit dem ausschließlich auf Profitmaximierung fixierten Interesse weiter Teile der Community hat. Die wahre Mission der Crypto-Währungen, ließ er durchblicken, sei es den Unterprivilegierten zu helfen. Beispielhaft nannte er die Bürger Venezuelas, indem er fragte, wie viele von ihnen eigentlich in Crypto-Währungen Schutz vor der Hyperinflation gefunden hätten. Schließlich, so die Annahme, sei genau das die Stärke einer Währung, die nicht von einer Zentralbank abhängig ist.


Außerdem warf er die Frage auf, wie vielen Menschen ohne Bankkonto denn nun endlich mithilfe von Crypto-Währungen Zugang zum globalen Finanzsystem gewährt worden sei. Vitalik Buterin steht mit diesen Tweets beispielhaft für eine breite und meines Erachtens hegemoniale ideologische Strömung innerhalb der Crypto-Währungs-Community. Es verwundert daher nicht, dass die Antworten auf seine Tweets neben allerhand Durchhalteparolen auch zahlreiche Projekte aufzählten, die versprechen genau diese beiden Motive, also „Hilfe für die Unterprivilegierten“ und „Zugang zum Finanzmarkt“, umzusetzen.

So will beispielsweise das Projekt „Giveth“ nicht weniger sein, als eine „Open-Source Plattform zur Errichtung dezentralisierter altruistischer Communities“.2 Dabei solle insbesondere die Bürokratie in Charity-Projekten reduziert und mehr Transparenz geschaffen werden. Während Giveth zu entgegnen wäre, dass überhaupt nicht in Frage gestellt wird, wie denn die altruistischen Gönner zu ihrem Wohlstand gekommen sind, erkennt ein Großspender des PineappleFunds im Interview immerhin, dass die Existenz von Cryptowährungen allein noch nicht zu Wohlstand für alle führe.3

Die Universität von Nicosia, die als erste Universität einen Studiengang zu Crypto-Währungen etablierte, ließ in ihrem per Mail verteilten ‚Newsblocks‘ vom Dezember 2017 verlauten, dass „die Blockchain-Technologie gekommen sei, um den Unterprivilegierten in der Welt zu helfen“.4 Man ersparte sich einen Beleg dafür zu liefern, in welcher Form dies bisher geschehen sei oder in Zukunft geschehen werde und ging lieber gleich zu Technikbesprechungen und Investmentempfehlungen über.

Fast schon zynisch wirkt dann schließlich die Variante des ‚bank the unbanked‘-Motivs, bei der Projekte wie ethlend.io die Möglichkeit, dass sich nun endlich alle bei allen einfach und unbürokratisch verschulden können, als wünschenswerte Innovation anpreisen. Dem liegt eine vereinfachte Annahme zu Grunde: Mehr Schulden führen zu mehr Handel, mehr Handel zu mehr Profit und mehr Profit zu mehr Wohlstand. Zumindest in der Summe. Das wussten schon Hayek und Ludwig Erhard.

Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt angelangt: Wenngleich die selbsternannten Crypto-Enthusiasten nichts weniger versprechen als eine Revolution der bestehenden Finanz- und Wirtschaftsordnung, so arbeiten sie doch bisher nahezu ausschließlich mit den Theorien und Modellen des (neo)liberalen Kapitalismus, also genau jener Wirtschaftsordnung, die sie zu revolutionieren vorgeben. Das Grundproblem ist, wie bereits angeschnitten, dass weder die neuen Formen der Charity noch die Finanzmarkt-Applikationen in Frage stellen, wie der gesellschaftliche Wohlstand erwirtschaftet und verteilt wird. Bestenfalls wird den Privilegierten5 zur moralischen Pflicht auferlegt, einen Teil ihres Wohlstands wahlweise zu verschenken oder zu verleihen. Ihnen allein bleibt es überlassen, zu entscheiden ob, in welcher Form und mit wem sie teilen. Dass dies dem eigenen Anspruch der Crypto-Community nach möglichst weitgehender demokratischer Kontrolle und Dezentralisierung diametral entgegensteht, braucht hier wohl nicht mehr gesondert erwähnt zu werden. Auch wenn sich also viele Blockchain-Initiativen in einen karitativen Pathos hüllen, so bleibt doch festzuhalten, dass sich hinter den verheißungsvollen und mit revolutionärem Duktus vorgetragenen Ankündigungen diverser Projekte und Protagonisten die alte bürgerliche Mär vom Wohlstand durch Profitmaximierung versteckt.

Besonders augenfällig wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei simpler Betrachtung der Kontostände diverser Bitcoin Wallets: Der formulierte Dezentralisierungs-Anspruch findet seine Grenze in der unhinterfragten „Kapital-Zentralisierung“ aka „Kapital-Akkumulation“. Die Blockchain als öffentlich zugängliche Datenbank ermöglicht uns hier einen relativ einfachen Zugriff auf Daten, die von klassischen Banken gut gehütet werden. Die Kontostände aller Adressen eines Crypto-Währungs-Netzwerks lassen sich mithilfe eigens dafür vorgesehener Tools auslesen. Das ist Teil der Transparenz, die von einem Teil der Cryptowährungsverfechter nach wie vor hochgehalten wird. Anderen ist diese Transparenz ein Dorn im Auge, weshalb nicht wenige Projekte schon mit einer totalen Verschleierung der Daten innerhalb der Blockchain arbeiten. Bevor wir uns kurz einigen Zahlen widmen wollen, sei noch festgehalten, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass einzelne Personen, Projekte oder Gruppen mehrere Adressen verwalten. Neben dem Willen den eigenen „Marktanteil“ geheim zu halten, können auch Sicherheitsaspekte hier eine Rolle spielen. Andererseits ist es ebenso wahrscheinlich, dass einzelne Adressen von mehreren Personen verwaltet werden. Unter Zuhilfenahme von Metadaten wäre es wohl durchaus möglich, hier noch mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Dennoch zeigen die Zahlen eine Tendenz, und die ist doch sehr ähnlich mit der hinlänglich bekannten Verteilung des finanziellen Reichtums:

Die Seite bitinfocharts.com6 listet aktuell 25.215.704 Bitcoin-Adressen mit einem Bestand zwischen 1 USD und 10.000.000 USD auf. Gerade mal 142.631 Adressen halten einen Wert von mehr als 100.000 USD, das sind etwas mehr als 0,056 % der eben genannten Adressen. Gleichermaßen verhält es sich, wenn man sich die Verteilung der Coins selbst anschaut. Aktuell sind 16.784.122 Bitcoins im Umlauf.7 Dabei werden 16.097.723 BTC von 688.554 Adressen gehalten.8 Das bedeutet 2,64% der Adressen im Bitcoin Netzwerk halten 95,91% aller Coins.


Abbildung 1: https://bitinfocharts.com/de/top-100-richest-bitcoin-addresses.html vom 12.02.2018

 

Wer sich hier an die regelmäßig als große Überraschung verkauften Zahlen aus den Oxfam Berichten9 zur Verteilung des globalen Reichtums erinnert fühlt, dürfte sich auch fragen, wo denn nun genau der Unterschied der Crypto-Ökonomie zur bekannten Ökonomie liegt.

Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen, die Wirtschaft zu dezentralisieren und so ein grundlegend neues Finanzsystem zu erschaffen, ist die Cryptowährungs-Szene bisher jedenfalls gescheitert. Bisher stellt sich die Crypto-Ökonomie anstatt als „völlig neue Form der Ökonomie“ lediglich als Fortsetzung des bisherigen Verwertungsprozesses auf neuer technisierter Stufe dar. Wie sollte dies auch anders sein, wenn die „alten“ Theorien und Ideologien Grundlage dieser „neuen“ Ökonomie bleiben?

1Beispielhaft: “The technology is here to stay and with it the hope of helping the underprivileged around the globe.” UNIC Newsblocks, Issue 39 – Dezember 2017 | weitere: OmiseGO , everx.io u.a.

2https://giveth.io/

3„I’m not going to say that bitcoin easily lets people with no wealth become a multi-millionaire though…“ https://hackernoon.com/meet-the-founder-who-pledged-5-057-btc-86m-to-charity-688685e922f6

4“The technology is here to stay and with it the hope of helping the underprivileged around the globe.” UNIC Newsblocks, Issue 39 – Dezember 2017

5in concteo also den Inhabern großer Crypto-Währungsbestände

6https://bitinfocharts.com/de/top-100-richest-bitcoin-addresses.html

7https://blockchain.info/de/charts/total-bitcoins

8https://bitinfocharts.com/de/top-100-richest-bitcoin-addresses.html | Es muss an dieser Stelle der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass auch Charity-Fonds wie beispielsweise der ‚Pineapple Fund‘ einen Teil dieser Adressen ausmachen dürften. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Macht zu entscheiden, wie diese Mittel verwendet werden, nach wie vor in weiten Teilen zentralisiert ist. Damit ist selbstverständlich nichts darüber gesagt, ob diese Entscheidungen gut, schlecht, fair, sinnvoll oder verantwortungsbewusst getroffen werden. Dezentral sind sie jedenfalls nicht.

9vgl: https://www.oxfam.de/system/files/bericht_englisch_-_reward_work_not_wealth.pdf

Den Autor können sie hier erreichen: Twitter (@Heinrich_Klose) und Medium (@h.klose)

 

Foto: Bernhard Weber

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