Der Deutschland-Sound

Über Gewalt ist nicht gut reden. Sie macht betroffen und Betroffenheit macht stumm. Gewalt ist überall, dergestalt überall, dass sie von jeher und immer wieder zustößt. Gewalt zur Darstellung bringen, über sie schreiben, hieße folglich, sie verlassen, aus ihr heraustreten, um über ihr über sie zu schreiben. So reiche ich denn den ersten Anhaltspunkt dar in der Frage nach der Gewalt: das geht nicht.

Dazu die Schwierigkeit der Sprache. Wer die Feder ansetzt (Finger an die Tastatur), der spielt. Betrachtung, und dies ist ein Versuch die Gewalt zu betrachten, ist nach Hegel, sich in dem Gegenstand der Betrachtung zu verlieren (in ihn verwandeln). Da bricht die Zeit in mein Spiel, verwandelt es in Politik. Den Gegenstand so betrachten, darstellen, also bejahen, das bedeutet, mich gegen ihn verteidigen zu müssen, zumal wenn er die Gewalt selbst ist. Wohnt nicht von jeher ein Schatten von Gewalt beim Wort, so wie der Gewalt immer ein Schatten von Sprachlosigkeit bei?

Eigentlich weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, ob bei einem Nasenbruch oder bei meinem Nervenleiden. Eine Ahnung sagt mir, dass Gewalt und Sprache so eng miteinander verwickelt sind, dass das Gespräch über Gewalt notwendig zu Gewalt wird und wiederum nur mit Gewalt unterbrochen werden kann. Es lässt sich gar nicht ausschließen, dass der Faustschlag die dem Wort zuweilen gemäße Kritik ist, die Gegengewalt.

Nicht allein das Geschwätz, das vermeidbar ist, der Gebrauch der Sprache selbst, Gewohnheiten sie zu intonieren, können Gewalt ausüben. Jetzt komme ich doch zu meinem Nervenleiden, am besten anekdotisch. Man kennt vielleicht den Film Kuhle Wampe. Vor wenigen Jahren hieß ich eine Bekannte diesen Film gucken und dazu Fragen beantworten. Diese Freundin reizt mein Nervenleiden durch eine besonders unbarmherzige Gewohnheit, korrekt sprechen zu müssen, d.i. der Zwang überwiegt das Sprechen. In ihrer Manier zu reden bildet sie die Verhältnisse ab, in denen wir leben. Folglich können wir darüber niemals reden.

In Kuhle Wampe sieht man eine Arbeiterfamilie bei Tisch sitzen, wo die Eltern den arbeitslosen Sohn, ohnmächtig vor Verhältnissen, für seine Arbeitslosigkeit mit Vorwürfen quälen. Der gelungene Trick im Film, der jene Freundin dazu brachte, ihn nach zehn Minuten abzubrechen ist, diese Eltern hölzern, kaputt (a la Woyzeck) reden, stammeln zu lassen. Man fühlt die Ohnmacht. Im Hintergrund tickt eine Wanduhr. Nach dem Essen stürzt sich der Junge aus dem Fenster.

Der Deutschland-Sound

Woyzeck geht jeden an. Jemand der sich zwingt, ist unfrei, und wer den Zwang beim Sprechen unausgedrückt lässt, der verhilft nicht seinem Zwang zum Laut, sondern den Lauten zum Zwang. Dies ist unser Hochdeutsch. Es ist mehr als die bloße Gemeinverständlichmachung von Mundarten, es ist weniger. Das es ein Zwang ist, davon zeugen seine Laute. Diese Laute machen eine qualvolle Wirkung auf u.a. mein Ohr, wie zum Beispiel:

wie bitte (scharf)? – Ausdruck einer Höflichkeit, die auf einem unkontrollierten Gemütsbewegung… gleichsam ruht, in Wirklichkeit natürlich bebt und wie es nun Mal ist, wenn man eine innere Dissonanz verursacht bekommt, man will sich rächen. “wie bitte” ist natterhaft.

Ja, genau (Betonung auf a)!

Genau! Genau! – inzwischen Lieblingsfüllsel, der Hauptparasit unter den apathischen Füllvokabelchen. Ohne Rücksicht auf den Hörer, sich selbst zustimmend, daß es antlarvend ist. Die Entblödung daran ist, dass es ein Monolog in ein fremdes Ohr ist. Und zwar massenhaft, immer, überall schallt es.

Richtickk (Überschwang auf dem k)! Vornehmlich in NRW.

…pp. pp. (durchsetzt von anmaßenden Hebungen und demütigen Senkungen)

Es mag ja sein, dass die Missklänge, alles was Schmerzen bereitet, nicht eigentlich der Sprache zu eigen ist, sondern dem Sprecher. Selbst wenn dem so ist, hindert ihn die Sprache auch nicht daran. Eine Lautmalerey, wie das Hochdeutsch, das sich willig für die Gabe der Genauigkeit (Korrektheit) schmeicheln lässt, das leidenschaftlich reguliert, verbessert, richtigstellt, bis hin unnachgiebig auswetzt, kurz: eine solche Gabe der korrekten Wiedergabe ausgerechnet besitzt keine Ohren? Woyzeck ist Knecht. Herren erkennen ihn an der Mundart, dem Kuhlewampisch, bzw. Herr fühlt sich, wer ihn daran erkennt. Diese Herrenform mit seinen speziellen Eigenschaften ist, fürchte ich, schuld am Hochdeutsch, seinem Klang sowie den Qualen, die es auch mir bereitet. Nicht den Lauten selbst entklingende Sprache, sondern der Sprache angetaner Zwang – tut in den Ohren weh! Will es sich für diesen Zwang rächen, selber zwingen? Ist alle Korrektheit nur ein Ersatz für das Erlittene? Ist Hochdeutsch vor Rache taub?

Sicherlich ist man sich dessen nicht bewusst. Zuerst bemerkt man die Dürftigkeit Woyzecks, identifiziert sie mit dem Kuhlewampisch, das gequält, hölzern, eng, kaputt (inkorrekt), ohnmächtig klingt. Laut, Klang, Musik dringt ja in uns ein, ohne Sprache, Form zu sein, ohne unseren Widerstand. Einem Wort, das schnell seinen leidigen Inhalt zeigt, verschließt man sich auch schnell, kaum dem Klang. Der Klang bewegt, trägt aber die Sprachform. Was, gesetzt die Sprache, von der hier die Rede ist, birgt nicht den Woyzeck-Inhalt, macht jedoch Woyzeck-Laute? Woyzeck hier wohlverstanden als, nun, Gesamtproblem: Abgrenzung des Herren nicht kraft seines Herr-Seins, sondern Nicht-Knecht-Sein-Wollens. Hochdeutsch als Lautprodukt von Abgrenzung und Dazugehören-Wollens, das mehr ein Nur-nicht-runter-zum-Knecht, als ein Hoch-zum-Herren ist, aber derart, dass dieses Wollen, Streben sich niemals als Inhalt der Sprache mitteilt, sondern im Laut kündet, indem dieser immer heller, richtiger, korrekter, verbessernder, strenger, schärfer, gröber, grausamer klingt. Wenn Woyzeck der Woyzeck-Sound ist, dann ist Hochdeutsch die ständige Abgrenzung von Knechten gegen Knechte, also blind. Dabei dieselbe ebenso blind und schließlich taub mit der Ausdifferenzierung irgendeines für unsere Lebensart so beliebten Sachgebietes (Arbeit<>Hobbykeller) verwechselnd. Das aber ist ein völlig anderes Thema. Bei Kuhle Wampe grauste es der Freundin vor Woyzeck schon nach zehn Minuten.

Man kann sich, behaupte ich, wohl verabreden, ohne miteinander je geredet zu haben, man kann vielleicht nicht einmal daran gedacht haben, sich verabredet zu haben und sich, verabredet wie man trotzdem ist, sogar furchtbar frei vorkommen, vor den Baum treten, das Wasser abschlagen, und immer noch glauben. Das ist Struktur=die Verhältnisse. Die greifen in den Menschen ein. Unsere Verhältnisse scheinen mir danach angetan, vom Woyzeck weg zu wollen. Die Sprache bildet diese Fluchtbewegung ab. So wie sie klingt, hat sie kein Ziel, bewegt sich blind. Die Sprache gibt kein Beispiel ab, wie es schöner und besser wäre, sie ist das Resultat einer blinden Abscheu. Sie verhilft dieser Abscheu zum Laut. Abscheu also ist der Maßstab, der aus dem Deutschland-Sound redet. Abscheu ist gewaltsam. Diese Gewalt bricht über meinem Betrachten der Gewalt im Allgemeinen, mit der Zeit, in der ich schreibe, als eine besondere Gewalt, nämlich meine Sprache, in das Spiel ein, das es eben noch gewesen ist, den Finger an die Tastatur zu setzen, um über Gewalt zu schreiben. Jetzt ist mein Spiel Politik.

Freund vs. Feind richtet sie sich gegen die Sprache derer, die es vorziehen, blind Gewalt zu üben, dermaßen blind, dass sie geübt wird, während die Gewalttäter an Tischen sitzen. Sie essen gut, trinken Wein und sagen ihre Kleinigkeiten auf. Sie verwenden Vokabeln, wie ich, in derselben Sprache. Und trotzdem ist da ein Unterschied: ich leide. Mein Versuch über Gewalt zu schreiben, wird vom Hochdeutsch in einen Zweikampf mit der Sprache verwickelt. Jetzt verwende ich die Gewalt schon gegen mich.

Sprache mag die Sprache des Charakterpanzers sein. Man hat nicht immer Kraft, lässt auch nach. Die Charakterkruste wächst unter Penetrationen. Wir spüren sie nicht. Diese Kruste hat Humor.

Bei Tisch mit Charakterpanzer und Humor? Nun, Humor, wenn ich das richtig verstehe, ist, wenn man weitergeht. Dichtsein ist Humor. Wenn es aus simulierter (ganz Baudrillard – nur im Symbol haftender) Selbstironie herüberflüstert: Ich bin gefeit, weil Humor, dann steckt das nicht an. Und ist es da nicht besser, sich dem echten Gefühl, das wirklich innewohnt, zu überlassen? Um nicht auch zuzugehen, dichtzumachen, weil, wenn Humor einer ist, dann ja auch echtes Gefühl. Und das also muss man gegen die Simulationen verteidigen, sonst wird man selber eine. Es fällt mir auf, so machen es alle (Eindruck: Mehrheit das Ganze kennzeichnend). Das ist die stille Übereinkunft: „Ich bin gefeit, weil Humor”. Bei jeder Verlegenheit unter dem Schein von Selbstironie weitergehen. Eigentlich aber kraft Dichtseins weiterkönnen.

Das ist Kruste, Panzer, Sprache, Hochdeutsch – einerlei. Ein Nasenbruch ist Gewalt: jawohl! Dieses Krustisch aber auch! Besitzt es denn keine andere Schönheit, als Woyzeck zu verbergen? Es verneint Woyzeck, unterdrückt ihn, ist ganz Hauptmann. Woyzeck ist der wahre Intimbereich bei uns Deutschen. Wir verdecken ihn. Was es für unser sog. Hochdeutsch bedeutet, auf dieses Bild übertragen zu werden, weiß der Leser. Ich will schon gar nicht mehr weiterreden. Schluss.

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