Der globale Polizeistaat (3)

Robinson fährt mit kurzen Bemerkungen zur Digitalisierung und der vierten industriellen Revolution fort. Er erwähnt dabei den französischen Soziologen Manuel Castells, der in seiner Trilogie „The Network Society“ schon früh von einer Ökonomie gesprochen hat, welche die Kapazität besitzt, als eine Einheit in Realtime zu operieren sowie Zeit auf planetarischer Ebene zu wählen. Die Digitalisierung schuf im Kontext der neuen Managementstrategien und der Revolutionierung der Transportmittel die technologischen Grundlagen für die globale Ökonomie. Nach der Einführung der digitalen Technologien und dem Internet haben wir es gegenwärtig mit einer Restrukturierung der digitalen Ökonomie zu tun, die auf fortgeschrittenen Informationstechnologien basiert, auf der Sammlung, dem Processing und der Analyse von Daten, der Applikation der Digitalisierung in jeden Aspekt des Gesellschaftskörpers inklusive des Krieges und der Repression. Der Techsektor inklusive der Produktion von Computern und elektronischen Produkten, der Telekommunikation, dem Data processing, den digitalen Plattformen und anderen Informationstechnologien bildet die technologischen Grundlagen der gegenwärtigen kapitalistischen Globalisierung. Diese Form der Digitalisierung und der Aufstieg der Plattformen führen zu einer weiteren rapiden Transnationalisierung von Serviceleistungen. Im Jahr 2017 zählten diese Serviceleistungen für 70 Prozent des totalen Weltprodukts und enthielten Kommunikation, Informatik, digitale Plattformtechnologien, E-Commerce, finanzielle Dienstleistungen, technische Arbeiten und eine Reihe anderer Produkte wie Film und Musik. Die Digitalisierung führt zudem zu einer neuen Welle von Innovationen, die auf Robotics, 3D-printing und dem Internet der Dinge basieren, der artifiziellen Intelligenz, der maschinenbezogenen Lern-, Bio- und Nanotechnologie, dem quantum und cloud computing und neuen Formen der Energiespeicherung. Die Unternehmen sind heute vollkommen abhängig von digitaler Kommunikation und Datenverarbeitung, von den großen Techunternehmen, welche die globale Ökonomie kommunikativ miteinander verbinden.

Die Datenverarbeitung ist für die Unternehmen, wenn sie denn wettbewerbsfähig bleiben wollen, inzwischen eine zentrale Ressource, ja wurde grundlegend für die globale Ökonomie, wenn es um die Prozesse des controlling und des outsourcing von Arbeitern geht, der Flexibilität der Produktionsprozesse, der globalen Finanzströme, der Koordination der globalen Lieferketten, dem Marketing und dem Krieg und der Repression. Silicon Valley ist eng mit dem globalen Polizeistaat verknüpft, so greift Robinson auf folgende Kapitel voraus.

Im Jahr 2008 war der Techsektor schon für 20 Prozent aller neuen Investments in den USA verantwortlich. Der IT-Sektor und die Finance fusionierten auf gewisse Art und Weise und spielen heute eine zentrale Rolle im globalen Polizeistaat. Eine Handvoll us-amerikanischer und chinesischer Unternehmen haben enorme Geldsummen von den Finanzunternehmen absorbiert, um neue Investitionsmöglichkeiten wahrzunehmen.

Das zweite Kapitel des Buchs verhandelt die Imperative der sozialen Kontrolle, wobei die globalen ökonomischen Ungleichheiten sowie ihre Beschleunigung ungeahnte Dimensionen angenommen haben. Robinson listet noch einmal die bekannten Zahlen der Oxfam Berichte auf, nach denen im Jahr 2018 beispielsweise der Anstieg des Reichtums der Milliardäre um 12 Prozent, kontrastiert mit einem Fall des Reichtums der ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung um 11 Prozent, zu einer Umverteilung von 900 Milliarden geführt hat. Man kann davon ausgehen; dass im Jahr 2030 das reiche eineProzent der Menschheit 2/3 des Reichtums auf der Erde halten werden. Und diese extreme soziale und ökonomische Ungleichheit benötigt eine extreme Gewaltbereitschaft und Repression seitens der staatlichen Organe, die für Robinson zum Faschismus des 21. Jahrhunderts und zum globalen Polizeistaat führen.

Robinson wendet sich dann dem Wachstum des globalen Proletariats zu, dem das Prekariat und die Surplus-Bevölkerung angehören, und stellt mit Marx von vornherein fest, dass Kapital und Arbeit in einer antagonistischen Beziehung zueinander stehen.

Die kapitalistische Globalisierung führt laut Robinson zu einer äußerst flexiblen Akkumulation, die neue Management-Mehoden wie die vertikale Desintegration der Produktion, just-in-time-Produktion, Ketten des subcontracting und des outsourcing beinhaltet, welche die transnationale Ökonomie überziehen, und dies im Kontext der Applikationen der digitalen Technologie und den Spezialisierungen in der Produktion. Diese flexible Akkumulation bringt vollkommen neue Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit hervor, siehe die Fragmentierung und Verbilligung der Arbeit im Zusammenhang mit einer breit gestreuten Informationalisierung der Arbeit. Diese Prozesse werden oft mit dem Begriff der prekarisierten Arbeit definiert, welche alle Sorten instabiler und kontingenter Arbeiten wie Zeitarbeit, saisonale Arbeiten, on-call Arbeit und stückbezogene Arbeit umfasst.

Die Arbeiter werden in der globalen Ökonomie zunehmend als „subcontracted“ Komponenten behandelt, sie transformieren zu einem Input ähnlich wie der des Rohmaterials,sie werden in die Akkumulation geworfen, wenn sie gebraucht werden und sie werden ausgestoßen, wenn sie nicht gebraucht werden. Die reziproken Beziehungen von Arbeit und Kapital wird durch eine totale Dominanz der Kapitalseite ersetzt. Diese neuen Beziehungen sind das Resultat des Klassenkampfs der neuen transnationalen kapitalistischen Klassen gegen das globale Proletariat, dessen kollektive Kraft durch die Globalisierung entscheidend geschwächt wurde.

Robinson verweist in diesem Kontext auf Guy Standings klassische Studie zum neuen Prekariat, wobei hier das Prekariat keine neue Klasse darstellt, sondern eine Bedingung, die eine wachsende Anzahl der globalen Arbeiterschaft betrifft. Das Prekariat ist Teil des globalen Proletariats, wobei die Prekarisierung im Einklang mit der Proletarisierung und Institutionalisierung der globalen Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit steht, man denke an blue-collar work, Servicearbeit und weitere instabile Arbeitsformen. Die Fragmentierung der Arbeitsmärkte wurde durch die Digitalisierung ermöglicht, welche zur räumlichen Dezentralisierung, der Reorganisation der Arbeitsprozesse und neuen Methoden der Extraktion von Mehrwert führt.

Die Proletarisierung bringt neue Wellen der primitiven Akkumulation mit sich, wobei Millionen Menschen entwurzelt, von ihren Gemeinden getrennt und auf einen globalen Arbeitsmarkt geworfen wurden, der zunehmend dereguliert und zugleich saturiert ist. Die Prozesse der primitiven Akkumulation haben in der Geschichte des Kapitalismus nie aufgehört und haben mit der kapitalistischen Globalisierung wieder an Fahrt aufgenommen. Der Umfang des globalen Proletariats hat sich seit dem Jahr 1980 bis zum Jahr 2006 um 1,5 Milliarden Arbeiter fast verdoppelt, wobei vor allem Arbeitskräfte aus China, Indien und des ehemaligen Ostblocks in den globalen Arbeitspool geschwemmt wurden; daas globale Proletariat wuchs dann bis heute noch einmal um 500 Milliarden Arbeitskräfte. Dabei begannen die Banken, die institutionellen Investoren und Agrarunternehmen mit Landnahmen auf der ganzen Welt, die zu einer neuen Runde von Enteignungen führten. In China wurden mehrere hundert Millionen Bauern von ihrem Land vertrieben und in den globalen Kapitalismus integriert. Ähnliche Prozesse fanden in Indien und in der ehemaligen Dritten Welt statt, wobei ein Teil der Vertriebenen in den Slums, favelas und den dunklen Zonen der Megacities der Welt hausen muss. Die globale Ökonomie erscheint heute durch Ströme der Telekommunikation, der Finance und des Handels in einem Netz von Megacities verwoben zu sein. Im jahr 2030 werden 41 Städte mehr als 10 Millionen Einwohner habem und 66 Prozent der Weltbevölkerung wird in städtischen Zonen wohnen.

Dabei ist der Anteil der prekären Klassen in den letzten Jahrzehnten von einem Viertel auf über die Hälfte der globalen städtischen Population gestiegen. Zudem haben die neuen Schocks der primitiven Akkumulation zu neuen Strömen der nationalen und transnationalen Migration geführt, sodass im Jahr 2015 232 Millionen internationale Migranten und 740 nationale Migranten in den Statistiken erfasst werden konnten. Ein Teil dieser Migranten untersteht der Super-Exploitation in den globalen Fabriken, Büros und Farmen, während ein anderer Teil als Surplus-Bevölkerung total marginalisiert wird. Heute befinden sich laut ILO-Berichten 1,5 Milliarden Arbeiter in prekären Arbeitsverhältnissen und müssen sich mit einem Mangel an materiellen Aufwendungen, ökonomischer Sicherheit und kulturellen Möglichkeiten auseinandersetzen. Ein Drittel der globalen Arbeitskräfte sind für kapitalistische Produktionsprozesse vollkommen überflüssig geworden und aus der globalen Ökonomie ausgeschlossen worden. Neue Runden der Digitalisierung der Arbeitsprozesse werden die Surplus-Bevölkerung dramatisch ansteigen lassen. Generell wird die Digitalisierung mit der Einführung eines Roboters zu einem Verlust von 4 Jobs führen.

Die zwei Dimensionen des globalen Proletariats, solche, die in Produktionsprozessen ausgebeutet, und solche, die marginalisiert und aus Produktionsprozessen ausgestoßen werden, enthalten keine getrennten Gruppen, sondern sind miteinander verwoben und formen eine Einheit in ihrer antagonistischen Beziehung zum transnationalen Kapital. Die Surplus-Bevölkerung besitzt für das transnationale Kapital keinen direkten Nutzen, insofern sie nicht das Subjekt einer primären Ausbeutung darstellt. Als Teil der industriellen Reservearmee wird sie jedoch dazu benutzt, weltweit Druck auf die Löhne auszuüben und damit die Disziplin der Arbeiterklasse zu erhöhen. Allerdings darf bezweifelt werden, dass ein Teil der Surplus-Bevölkerung noch in die industrielle Reservearmee, die die Arbeitsmärkte bevölkert, integriert werden kann, was Robinson letzten Endes auch zugesteht, wenn er schreibt, dass die industrielle Reservearmee eine Konsequenz des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation sei, wie es Marx formuliert hat, aber genau die Krise der Überakkumulation heute eine Armee der Überflüssigen hervor bringe, die selbst nicht einmal in die industriellen Reserverarmeen integriert werden könnten. Mit Marx geht Robinson von drei Formen der des Surplus-Proletariats aus: Einem flottierenden, einem latenten und einem stagnativen Surplus-Proletariat. Bei den ersten beiden Formen handelt es sich um Gruppen, die gemäß der Zyklen der Kapitalakkumulation in die Produktionsprozesse ein- und auswandern und dabei durch neue Formen der Arbeitsteilung integriert werden. Bei der dritten Gruppe handelt es sich um diejenigen, die strukturell außerhalb der Produktionsprozesse stehen. Marx hat diese Gruppe unter dem Begriff des Lumpenproletariats zu erfassen versucht, aber er konnte natürlich nicht Prozesse vorausahnen, in denen durch die Ersetzung von Arbeit durch Technologien die Ankunft der Surplus-Bevölkerung ein strukturelles Problem für die globale Ökonomie werden würde. Jenseits der weitgehend negativen Qualifizierung des Lumpenproletariats durch Marx ist dieses nun eine strukturelle Bedingung für die Marginalisierung der Outlaws im kapitalistischen Weltsystem.

Die Surplus-Bevölkerung ist damit längst zu einer strukturellen Kategorie der Politischen Ökonomie geworden, es handelt sich bei ihre um eine riesige Bevölkerungsgruppe, die an der langfristigen Unterbeschäftigung leidet, lebensnotwendige Einkünfte in der informellen Ökonomie der Slums der Megacities erzielen muss und um die internationalen Flüchtlinge ergänzt wird, diejenigen, die vor Kriegen, Repressionen und vor Naturkatastrophen fliehen müssen und als migrantische Arbeiter in den Nicht-Plätzen der Welt hausen. Die Surplus-Bevölkerung korreliert nichtsdestotrotz mit den prekär Beschäftigten, die unter den neuen Bedingungen des globalen Kapitalismus durchaus auch unter die Kategorie Lumpenproletariat subsumiert werden können.

In seinem Unterkapitel zum sadistischen Kapitalismus untersucht Robinson diejenigen Prozesse, mit denen Armut und Exklusion in Quellen der Kapitalakkumulation verwandelt werden. Mehr als zwei Milliarden Menschen arbeiten heute im informellen Sektor, der in vielfältigen Verbindungen zum formellen Arbeitsmarkt steht, man denke beispielsweise an die Serviceleitungen, die der informelle für den formellen Sektor erbringt. Das Kapital erfindet heute ständig neue Methoden der Extraktion von Mehrwert, die nicht auf der Lohnarbeit beruhen, man denke an die Arbeit der Frauen zur sozialen Reproduktion der Familien, an Arbeit, die pro Stück bezahlt wird, und an unbezahlte Arbeit in den Gefängnissen, im allgemeinen an Schattenarbeit.

Die zunehmende Abhängigkeit der Armen von Krediten führt zu einem Mechanismus, den Robinson sekundäre Ausbeutung nennt, welcher erst durch die Prozesse der Finanzialisierung ermöglicht wurde und heute durch die repressiven Instrumente des globalen Polizeistaats abgesichert wird. Die transnationale kapitalistische Klasse besitzt nun Möglichkeiten Profite aus der Verarmung und Verschuldung der Arbeiterklasse und der Surplus-Bevölkerung zu ziehen. Letztere kann zwar nicht direkt ausgebeutet werden, aber sie muss irgendwie in der Zirkulationssphäre auf den Märkten erscheinen, um sich das Leben irgendwie zu ermöglichen. In der Zirkulation findet also die sekundäre Ausbeutung statt, einem zusätzlichen Transfer von Wert von Arbeitern zum kapital. Durch Kreditverträge, die mit dem Zahlen von Zinsen verbunden sind, wird die sekundäre Ausbeutung komplementiert. Die kreditbezogene Akkumulation ist heute längst eine dominante Strategie, mit der die Probleme der Überakkumulation durch die Kreation von Krediten an schlecht bezahlte Arbeiter, die hohe Zinsen und Gebühren zahlen müssen, abgemildert werden soll. Es hat sich einen ganze Armutsindustrie gebildet, die vor allem Teile des Prekariats, Immigranten, rassifizierte Communities, Frauen, informelle Arbeiter und Nicht-Beschäftigte umfasst, für welche Schulden die letzte Hoffnung sind, um den Schmerzen, die mit der Marginalisierung verbunden sind, zu entkommen. Inzwischen ist die Mikrofinance in vielen Ländern der ehemaligen Dritten Welt etabliert. Die globalen finanziellen Unternehmen, welche diese Industrie dominieren, haben den „Armutskredit“ in eine neue Möglichkeit verwandelt, um die kreditbezogene Akkumulation in einen wichtigen Teil der Kapitalbewegung zu verwandeln.

Nicht zuletzt ist es offensichtlich, dass die Restrukturierung des globalen Kapitalismus zu einer Polarisierung der Arbeiterklasse geführt hat, und zwar zwischen denen, deren Arbeit routinisiert und vereinfacht wurde, und denjenigen, die als sogenannte Wissensarbeiter sich in den Bereichen der qualifizierten Arbeit befinden. Diese Symbolischen Analysten werden als immaterielle Arbeiter bezeichnet. Allerdings setzt Robinson keine großen Hoffnungen in diese Entwicklung, denn die Digitalisierung bringt eine zunehmende Kommodifizierung der kognitiven Arbeit mit sich, das heißt, dass die Prekarisierung und Proletarisierung genauer dieser Arbeitsformen zügig voranschreitet. Robinson spricht an dieser Stelle von der reellen Subsumtion der kognitiven Arbeit. Sie involviert die Eingliederung in die technologisierten Produktionsprozesse sowie die totale Disziplinierung der Arbeitskraft, sodass jede Form der Autonomie des Arbeiters verschwindet. Robinson spricht in diesem Zusammenhang die jüngere Generation an, die vvon Beginn an in die digitale Welt geboren und in ihr normalisiert wurde, und zwar in der Absenz jeder Form von Klassenbewusstsein. Diese Generation wird heute mit umfassenden, die Arbeit ersetzenden Technologien und einer Produktion ohne Arbeit konfrontiert, während das globale Marketing die Jugend mit einem endlosen Strom von Produkten und Serviceangeboten überzieht, sodass die libidinösen Energien vielfach in Computerspiele, Porno, Glücksspiel und andere Formen der Intoxination fließen. Die neue Subjektformation, die Bourdieu als generatives Schema bzw. Habitus bezeichnet hat, wäre an dieser Stelle zu untersuchen.

Teil 1 und 2 hier und hier

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