Der marxistische Kapitalbegriff

Dirk Baecker schreibt in einem aktuellen Beitrag: »Auch das Kapital darf nicht im Singular, sondern muss im Plural gedacht werden.« Wenn er dann sofort zur Konkurrenz springt, verfolgt er zwar eine Spur, ohne Zusammenhänge darstellen und explizieren zu können. Die Wunderformel heißt nämlich: Singular=Plural. Wir werden zeigen, dass man über eine Reihe von Vermittlungsschritten zu folgendem Ergebnis kommt: Unilaterale Dualität des Kapitals=Logik des Kapitals=Virtuelles Gesamtkapital=Quasi-Transzendentalität des Kapitals.

Zur Erklärung des Kapitalbegriffs ziehen wir den französischen Philosophen François Laruelle heran, der in seiner Konzeption der Nicht-Philosophie, wenn er von »unilateraler Dualität« spricht, ganz allgemein zunächst davon ausgeht, dass zwei oder mehrere Terme und ihre Relationen immer durch den einen Term determiniert werden. Das ist das Prinzip der Idempotenz: 1+1=1. Der zweite Term und die Relation zwischen dem ersten und dem zweiten Term sind dem einen Term immanent, oder, um es anders zu sagen, der zweite Term ist der Klon des ersten Terms, gleichzeitig hält aber der zweite Term seine Kontingenz bei, insofern der erste Term den zweiten Term nicht absolut, sondern einfach nur radikal postuliert (und deshalb auch nicht durch den zweiten Term determiniert werden kann). Dabei ist zu beachten, dass diese Art der Kausalität immer eher auf eine Relation zwischen zwei oder mehreren Ereignissen oder Verhältnissen und nicht zwischen zwei oder mehreren Dingen hindeutet.

Für eine begriffliche Bestimmung des Kapitals könnte dies nun heißen, dieses im Kontext einer unilateralen »Logik« zu analysieren, das heißt analog der Figur der »unilateralen Dualität«: Zwei Terme – der erste Term steht für das Kapitalverhältnis und der zweite Term umfasst die von ihm abgeleiteten Ereignisse und Relationen – werden nicht durch einen dritten Term – wie im Marxismus oft angenommen, durch die abstrakte Arbeit oder den Wert – synthetisiert, sondern der erste Term (das Kapital als Logik und als Verhältnis) determiniert uni-lateral den zweiten Term (den dritten Term etc.) und die anfallenden Relationen, Teilungen und Konstellationen zwischen den Termen. Sowohl der zweite Term (er steht für Ware, Geld, Produktion, Arbeitskraft, Zirkulation, Kredit, Formen des Kapitals etc.) als auch die Relation zwischen dem erstem Term und dem zweitem Term (Relation als Kapitalkreislauf: Geld – Geldkapital und fungierendes Kapital – Ware-Produktion-Ware`-Geld`) sind dem ersten Term (Kapital) immanent. Diese Determination ist der immanente Modus oder die »Logik« des Kapitals, wobei das Kapital als eine logische Konstruktion und als ein Verhältnis zugleich als virtuelles Gesamtkapital bzw. als die Transzendentalität des Kapital zu denken ist. Es gilt hier im Hinblick auf das Gesamtkapital die Verbindungseffekte zwischen den Wirkungsentitäten zu untersuchen, ohne sich auf eine organizistische oder auf eine hegelianische Konzeption der Totalität zu beziehen (wir beziehen uns hier auf die Ablehnung der Relation Teil und Ganzes durch Latour, vgl. Latour 2017: 168, ohne jedoch seinen Theorieansatz ganz zu teilen), vielmehr müssen die Effekte auf den Begriff des quasi-transzendentalen Gesamtkapitals bezogen werden. Das Gesamtkapital ist nicht als ein vereinheitlichendes System zu denken, sondern als eine determinierende und zugleich virtuelle Potenzialität, ohne dass hier einem Plan, auch nicht im Sinne der Invisible Hand von Adam Smith. gefolgt wird. Eine mathematische Annäherung an diese Konzeption ist die vektorielle Schreibweise, bei der die einzelnen Teilmengen als Koordination eines Vektors x in einem n-dimensionalen mathematischen Raum G` angeschrieben werden. (vgl. Quaas 2016: 215) Die mathematische Schreibweise bleibt aber letztendlich eine Annäherung, insofern die virtuelle Kapazität des Kapitals sui generis den mathematischen Raum transformiert. Er ist ein Abkömmling der Zeit.

Es kann aus der linearen Sukzessivität der begrifflichen Darstellung des Kapitals nicht geschlossen werden, dass das zuerst Dargestellte – die Ware, die Marx im Kapital Bd.1 nach Ansicht vieler Marxisten als eine Elementarform vorführt, nachdem er vorher in einem einzigen Satz die kapitalistische Produktionsweise als eine ungeheure Warensammlung eingeführt hat – eine primäre Elementarform ist, von der ausgehend alle weiteren Begriffe dialektisch entwickelt oder eingeholt werden, vielmehr ist der determinierende Begriff, wie der Titel der drei Bände des Kapital schon sagt, eben das Kapital, zu dem alle weiteren Begriffe, Terme und Kategorien in einem immanenten, allerdings nicht undifferenzierten und bruchlosen Verhältnis stehen, sodass es stets die Übergange zwischen den verschiedenen Begriffen und Kategorien zu problematisieren gilt. Wir können das vorläufige Ergebnis jetzt so darstellen: Unilaterale Dualität des Kapitals=Logik des Kapitals=Virtuelles Gesamtkapital=Quasi-Transzendentalität des Kapitals.

Kommen wir also zum Begriff der Quasi-Transzendentalität des Kapitals bzw. zu dem des Gesamtkapitals. Das Gesamtkapital wird hier in erster Linie in seiner transzendentalen Konstitution gefasst, nämlich als eine apriorische Setzung, auf die die Einzelkapitale einerseits passiv bezogen sind, insofern sie dem Apriori, das im Gesamtkapital und seinen Axiomen zum Ausdruck kommt, ausnahmslos folgen müssen, wobei aber das Gesamtkapital sich in zweiter Linie auch als das Resultat von Wirkungen (der aktiven preissetzenden und kostenreduzierenden Strategien der Einzelkapitale durch die Konkurrenz hindurch) oder als eine Determination durch das Determinierte anzeigt. Aufgrund der Berücksichtigung des zweiten Moments sprechen wir eben nur von der Quasi-Transzendentalität des Kapitals, wobei es hinzuzufügen gilt, dass die Wirkungen oder Effekte bei vielen marxistischen Autoren als Ursache erscheinen (als Quasi-Ursachen), und darin ist dann eben auch die Möglichkeit des Verkennens von ökonomischen Strukturen angelegt. Dabei handelt es sich bei der quasi-transzendentalen Determination des Kapitals nicht um eine kantianisch inspirierte subjektive Transzendentalität, sondern man muss sie sui generis als eine objektive oder objektivierende Determination verstehen, und dies erfordert die begriffliche Analyse von wirklichen ökonomischen Verhältnissen (gegeben-ohne-Gegebenheit), die aber als Gegebene je schon bewirkt sind, d. h. Wirkung von objektiven ökonomischen Strukturen sind (gegeben-als-Gegebenheit). Abei gilt es zu beachten, dass die Logik des gegenstandes und die Logik der der Theorie nicht identisch sind. Zudem weist das Quasi auch darauf hin, dass es kein Apriori der Struktur ohne eine Genese gibt. Der Begriff des Gesamtkapitals fungiert hier nicht als Totalität oder gar als ein Überorganismus, sondern als eine setzende Transzendentalität, wobei die diskursiv-begriffliche Dimension der Darstellung mit der ökonomischen Realität nicht zusammenfällt,1 was wiederum bedeutet, dass man mit Althusser bei der Analyse des Kapitals stets von einem theoretisch Gegebenen (Erkenntnisobjekt und nicht Realobjekt) auszugehen hat. Die strukturelle Determination des Kapitals ist für die Transformation der Vielzahl der Einzelkapitale als Wirkungsentitäten des Gesamtkapitals in dem Sinne verantwortlich, dass sie in ein ökonomisches Milieu gesetzt werden, das einen unbedingt bedingenden Einfluss auf sie ausübt. Der Begriff der quasi-transzendentalen Gesamtkomplexion des Kapitals (Gesamtkapital) lässt sich umgekehrt aber nicht erfassen, wenn man den Krieg der Einzelkapitale innerhalb der Konkurrenz und ihren Korrekturmechanismen nicht berücksichtigt; die Konkurrenz ist hier als konstituierend insofern zu verstehen, als sie als ein wichtiges Relais für das Kapital eine ganz spezifische Bewegungsform für die Einzelkapitale vorgibt, innerhalb derer sie als funktionale Entitäten des Gesamtkapitals unbedingt fungieren müssen, gerade indem sie aktiv preissetzende und kostenreduzierende Strategien einsetzen. Marx schreibt wiederholt, dass die Konkurrenz die reale Funktion des Kapitals sei.

Der Begriff des Gesamtkapitals impliziert weiter, dass man bezüglich der kapitalistischen Unternehmen immer von irgendeinem (Einzel)kapital sprechen muss, von welchem auch immer, und insofern dieses als eines, welches auch immer, gefasst wird, ist angezeigt, dass es stets der »Logik« des Kapitals unterworfen bleibt, und darauf verweist wiederum auf die Determination durch das Gesamtkapital in der letzten Instanz. Nicht die Qualität und Produktionsform des jeweiligen Einzelkapitals ist hier entscheidend, sondern einzig und allein der Sachverhalt, dass jedes Einzelkapital je schon den Axiomen und Gesetzen des Kapitals zu folgen hat, wobei diese transzendentale Gesetzlichkeit nur in der Tendenz sich durchsetzt – und »Tendenz« impliziert Virtualisierung (welche die Determination und Potenz des Kapitals relativiert; man denke auch an Bewegung und Gegenbewegung beim Gesetz der allgemein fallenden Profitrate), welche die Einzelkapitale durch den Verkauf ihrer Produkte fortwährend aktualisieren müssen. Oder, um es anders zu sagen, es gilt hinsichtlich des Begriffs des Gesamtkapitals stets die Verzahnung von Determination/Notwendigkeit/Setzung und Virtualisierung/Aktualisierung/Kontingenz mit zu berücksichtigen.2 Der Aspekt der Virtualisierung, der unter anderem darin besteht, dass die Realisierung der erzeugten Produkte für die Einzelkapitale nie garantiert ist, bleibt aber stets an den Aspekt der Determination gekoppelt. Man könnte es in ganz abgeschwächter Form auch so formulieren: Die kapitalistische Produktionsweise determiniert nicht absolut – sie präformiert, sie setzt einen konstituierenden Rahmen.3

Was das Kapital, das immer der Logik des Profits folgt, zusammenhält, das ist eine normierte Quantenwirklichkeit. Das Gesamtkapital konstituiert sich über ganz spezifische Wechselwirkungen, nämlich die der Konkurrenz, die sie wiederum einer Gravitation unterstellt. Diese Gravitation des Gesamtkapitals inkludiert virtuelle Zustände und Relationen (Althusser spricht hier von strukturaler Kausalität, bei der sich die Ursache einzig und allein in den Effekten anzeigt), bei denen es sich um energetische Leerstellen handelt. Die quantische Wirklichkeit des Kapitals ist eine nicht-empirische, virtuelle, determinierende und eine versteckte Wirklichkeit. Eine leere und abstrakte mathematische Struktur waltet in der Logik des Kapitals. In den Entitäten des Kapitals sind niemals alle Energiestufen besetzt, bei denen es sich um mathematische Leerstellen handelt, die jedoch quantisch wirklich und wirksam sind. Das Gesamtkapital ist neben seiner Gravitationskraft gleich einer mathematisch imaginären Formelvielfalt bzw. eine abstrakte Zahlenwirklichkeit, deren Potenzialität durch die Probabilität der Wirklichkeit intensiviert wird. Dazu muss man die Schrödergleichung normieren und quadrieren: ψpx(x, t) hoch 2. Dieser Betrag gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Einzelkapital zur Zeit t eine Leistung x abrufen kann.

Die systemische Ordnung der Kapitalökonomie wird in-und-durch eine kontinuierliche Unordnung erzeugt: Wie die Ordnung nicht mit dem Optimum an Regelhaftigkeit gleichgesetzt werden kann, so lässt sich die Unordnung nicht mit der Abwesenheit von Ordnung oder mit dem Chaos identifizieren. Anwar Shaikh zufolge lässt sich mit den Begriffen der marxistischen Ökonomie eine große Bandbreite von ökonomischen Phänomenen durch ein kleines Set von operativen Prinzipien erklären, das heißt, dass die aktuellen ökonomischen Ereignisse sich um die je sich schon bewegenden Zentren der Gravitation, die sui generis die der Kapitallogik und des Gesamtkapitals sind, kreisen. (Shaikh 2016: Kindle-Edition: 1177ff.) Diese Bewegungen bezeichnet Shaikh als den systemischen Modus der turbulenten Regulation des Kapitals, dessen charakteristischer Ausdruck die Form einer Wiederholung von kurz-, mittel- und langfristigen Patterns annimmt.4 Dabei geht es nicht nur um die kontinuierliche Anpassung an Durchschnitte und Gleichgewichte, indem man von einem Gleichgewichtszustand in einen anderen wechselt, also immer im Stadium des Ungleichgewichts sich befindet, das stets an die sich verändernden Gravitationszentren gebunden ist, sondern auch um die permanente Anpassungskapazität des Systems an Störungen und extreme Turbulenzen und nicht zuletzt an zyklisch auftretende Krisen, indem kritische Schwellen erhöht, Spielräume gegenüber der Instabilität erweitert und Normalisierungsprozesse flexibel gehalten werden. (Vgl. Bröckling 2017: 128) Das daraus entstehende ökonomische Wachstum zeigt sich nicht nur in Größen, sondern in Verdichtungen und der Zunahme von Konnexionen an.

Der Begriff des Gesamtkapitals inkludiert nicht nur ein strukturelles Axiom, sondern auch einen dynamisch-temporalen Prozess, wobei es bezüglich letzterem über den Mechanismus der Konkurrenz in dynamischen Ausgleichsbewegungen, die über bestimmte Preisfluktuaktionen erfolgen, zur Herstellung von zunächst branchenbezogenen Durchschnittsprofitraten kommt, und dies muss unbedingt als eine Notwendigkeit gelten, denn ansonsten würden das produktivste Unternehmen den weniger produktiven Unternehmen einfach unaufhaltsam davon ziehen und dauerhaft ein Monopol bilden, das schließlich jede Konkurrenz zwischen den Unternehmen auslöschte. Die marxistische Theorie hat die Bildung von Monopolen mit dem Begriff der Zentralisation des Kapitals zu erfassen versucht, bei der kleine Unternehmen entweder eliminiert oder in die großen Unternehmen integriert werden und damit die Konkurrenz so weit reduziert wird, dass es schließlich zu einer vertikalen Integration aller Produktionsprozesses in einem Unternehmen (Monopol) oder einer Gruppe von Unternehmen (Oligopol) kommt.5 Diese Entwicklung hat sich im historischen Verlauf des Kapitalismus im Gegensatz zur Konzentration des Kapitals, die für die Zunahme der Größe eines Unternehmens steht, nicht bewahrheitet. So bleibt stets der Prozess der Neugründung und der Aufspaltung von Unternehmen zu beachten, und zwar als Folge von Innovationen, der Etablierung neuer Geschäftsfelder und des Outsourcings, bei dem transnationale Unternehmen sich von bestimmten Geschäftsfeldern trennen oder Elemente der vertikalen Wertschöpfungskette ausgliedern. Das aktuell festzustellende Wachstum der Unternehmenszahl in Deutschland führt dazu, dass trotz der jüngsten M&A-Wellen der statistisch ausgewiesene Zentralisationsgrad der Wirtschaft, gemessen am Anteil der Großunternehmen oder der 100 größten Unternehmen an der gesamten Wirtschaftsleistung nicht angewachsen, sondern teilweise sogar gesunken ist. Der Anteile der 100 größten Unternehmen an der Nettowertschöpfung aller Unternehmen sank im Durchschnitt von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 16,4 Prozent im Jahr 2010. Allerdings zeigen diese Zahlen auch, welch hohes Niveau die Konzentration des Kapitals in bestimmten Bereichen erreicht hat: Nur 50 Unternehmen produzieren die Hälfte der gesamten industriellen Wirtschaftsleistung Deutschlands. Im Bereich der Finanzinstitute macht das Geschäftsvolumen allein der zehn größten Unternehmen 50 Prozent des Gesamtvolumens der Branche aus.

Der italienische Theoretiker Mimmo Porcaro kennzeichnet die gegenwärtige Phase der Akkumulation des Kapitals als eine Periode der Konzentration ohne Zentralisation, als eine Phase, in der wenige Unternehmen in ihrer Größe enorm wachsen und zugleich die Konkurrenz zwischen diesen Unternehmen sich noch weiter verschärft, während sie sich flächendeckend eher abschwächt. (Porcaro 2015: 24) Diese Tendenzen zeigen sich auch daran, dass in den 1990er Jahren die erfolgreichsten Unternehmen dreimal profitabler als der Durchschnitt der Unternehmen waren, wobei sie gegenwärtig schon achtmal profitabler sind und jedes zweite Unternehmen mit einem überdurchschnittlich hohen Profitanteil aus der Finanz- oder der Technologiebranche kommt. Gleichzeitig bilden sich aber heute auch kleine Unternehmen heraus, die aufgrund ihres außerordentlichen technologischen Know-How nicht mehr ohne weiteres von den großen Unternehmen übernommen werden können. Wenn die Konzentration in den großen Unternehmen dennoch weiter zunimmt, so erfolgt die Integration und das Wachstum weniger durch den Einsatz neuer Technologien, sondern eben eher über die Mechanismen der Finanzmärkte und der globalen finanziellen Netzwerke, womit die Konkurrenz sich wiederum in ganz spezifischer Weise entwickeln muss. Die hochverdichteten finanziellen Netzwerke zeichnen sich heute wiederum dadurch aus, dass eine immer höhere Anzahl von Zahlungsversprechen und Zahlungsströmen der Finanzunternehmen in ihnen fließen, jedoch die Zahl der Finanzunternehmen immer geringer wird, sodass die Zahlungsströme ständig rekursiv zwischen denselben Akteuren hin und her fließen, was einerseits zu einer ungeheuren Komplexion und Verdichtung der Vernetzung führt inklusive einer hohen Konzentration von Eigentümern in den Finanzunternehmen selbst, andererseits aber auch zu einer spezifischen Transformation der Konkurrenz . (Sahr 2017: Kindle-Edition: 6286)

Im Rahmen der Ausgleichsbewegungen zur Herstellung der Durchschnittsprofitraten eignet sich jedes Einzelkapital einen bestimmten Anteil des innerhalb einer nationalen Volkswirtschaft produzierten Mehrwerts an, der aber nicht mit seinem eigenen in einer bestimmten Zeitperiode produzierten Mehrwert übereinstimmt, sondern in der Tendenz sich proportional zu seinem Größenanteil am Gesamtkapital verhält, wobei es immer zu berücksichtigen gilt, dass Einzelkapitale den Versuch unternehmen, mit den Methoden der Arbeitsintensivierung und der relativen Mehrwertproduktion qua technologischer Innovation ihre Arbeits- und Kapitalproduktivität zu erhöhen, um gegenüber den Konkurrenten Extraprofite zu erzielen.6

Diese Art der differenziellen Kapitalbewegung ist stets auf die in der Zukunft erwarteten Profitraten ausgerichtet. Man muss hier strikt zwischen durchschnittlicher und inkrementeller Profitrate (die Profitraten bezogen auf das neue Investment). unterscheiden; nur die letztere ist für das neue Investment relevant und sie wird über längere Zeiträume durch die Bewegung der Konkurrenz und die Mobilität der Unternehmen in den verschiedenen Sektoren angeglichen. Die Profitabilität des älteren und weniger effizienten Produktionsequipments der Unternehmen besitzt hier keine regulierende Kraft mehr, was nun wirklich zählt, ist die kommende Profitabilität von neuen Investments, eben die inkrementelle Profitrate, wobei aggressive kostensparende Investments selbst dann noch vorgenommen werden, wenn diese kurzfristig die Profitrate der Unternehmen senken. Im objektiven Gesamtzusammenhang des Kapitals bedeutet dies, dass es bestimmten Unternehmen im Verhältnis zu anderen gelingt, ihre Produktivität zu steigern und damit ein kalkuliertes »Wertquantum« (Produktionspreis plus Durchschnittsprofitrate) auf mehr Produkte zu verteilen als dies mit den bisherigen Produktionsmethoden der Fall war (die Produkte werden billiger). Dem effizienteren Unternehmen gelingt es also aufgrund technologischer Innovationen seine Waren billiger als die Waren anderer Unternehmen zu verkaufen.7 (Vgl. Bahr 1983: 434) Das produktivere bzw. rentablere Unternehmen streicht nun für einen gewissen Zeitraum einen Extraprofit ein, der auf die total makroökonomische Wertgröße bezogen bleibt. Diese kann aber kein rein aktuelle Bestandsgröße (gemessen durch das BIP) sein, sondern sie besitzt als Stromgröße eine virtuell-reale Dimension (virtuell heißt hier auch, dass ein absolutes Wertquantum des Gesamtkapitals letztendlich nicht messbar ist). Der rechnende Ökonom tut aber weiterhin so, als ob in einer gegebenen Periode eine fixierte Gesamtwertsumme in einer nationalen Volkswirtschaft produziert, in der Zirkulation auch realisiert und als BIP eindeutig gemessen worden sei, jedoch werden innerhalb einer gegebenen Zeitperiode die existierenden Proportionen (Mengen, Preise, Werte) zwischen den Unternehmen durch weitere Produktionen und mögliche Realisierungen von Profiten sowie durch technologische Innovationen im Rahmen des Kapitals als Gesamtkomplexion zeitlich ständig verschoben.

Wenn der Profit das zentrale Motiv des Kapitals ist, dann ist die Profitrate sein wichtigstes Maß. Und wenn das Wachstum ein intrinsischer Aspekt der Reproduktion des Kapitals ist, dann erfolgt der Geldkapitalstrom in die rentabelsten Sektoren, i. e. jedes neue Kapital tendiert dazu, schneller in diejenigen Sektoren zu fließen, in denen die Profitraten höher als im Durchschnitt sind, und es fließt langsamer in solche Sektoren, in denen die Profitraten niedriger als im Durchschnitt sind. Dies ist nicht nur als ein Aspekt des Eintritts und des Austritts von Firmen in die oder aus den Märkten, sondern auch als ein Mechanismus der Beschleunigung und der Entschleunigung der Kapitalflüsse selbst zu verstehen. In den produktiveren Sektoren wird der schnellere Zustrom von Kapital mit der Zeit zu einem höheren Angebot an Waren führen, womit die Preise und damit auch die Profite in der Tendenz wieder fallen werden, während es in den entschleunigten Sektoren umgekehrt sein wird. So zeigt sich die Realisierung von Extraprofiten gerade auch als ihr Verschwinden an, wobei sich die Tendenz zum Ausgleich der Profitraten quer durch alle Sektoren zieht. Dies ist Teil eines emergenten Prozessen (der von keinem ökonomischen Akteur bewusst intendiert wird), wobei die Profitraten die je schon schwankenden Zentren der Gravitation unterbieten und übersteigen können, um in gewissen Patterns sich wieder dem Durchschnitt anzunähern (turbulente Arbitrage im Rahmen des Gesamtkapitals). Der Ausgleich der Profitraten verweist aber keineswegs auf ein Gleichgewichtsstadium, sondern inhäriert repetitive und zugleich turbulente Bewegungen der Arbitrage um die Gravitationszentren des Kapitals, die sich selbst stets im Wandel befinden. (Shaikh 2016: Kindle-Edition: 29232) Die Durchschnittsprofitrate ist also nicht als eine einheitliche Profitrate, sondern als das Resultat einer andauernden Verteilung der Profite um den Durchschnitt herum zu verstehen.8 Insofern diese periodischen Bewegungen der Unternehmen mit ihren Auf- und Abschwüngen und ihrem Kreisen um sich verändernde Mittelpunkte, die auf die Gravitationszentren des Kapitals bezogen sind, von der Kalkulation, Prognose und Diskontierung der Profitraten zukünftiger Produktionsprozesse angetrieben werden, sind die relevanten Profitraten, die sich über gewisse Zeiträume ausgleichen, diejenigen, die sich auf neue Investments beziehen (ebd.: 2835), wobei die inkrementellen Profitraten wiederum um die allgemeinen Profitraten fluktuieren und damit neue Durchschnittsprofitraten erzeugen die selbst wiederum fluktuieren. Anwar Shaihk hat in seiner kürzlich erschienenen Studie Capitalism. Competition Conflict Crises darauf hingewiesen, dass hier allerdings auch die Zuwachsraten der Profitmassen (und damit die Geschwindigkeit) und nicht allein die Profitraten zu beachten sind. (Ebd.: 8201)

Die Akkumulation bezeichnet die Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital zum Zweck seiner Vergrößerung und Verwertung. Die (erwartete) Profitrate der Unternehmen ist zentral für die Kapitalakkumulation, weil der Profit eben der Zweck jeden kapitalistischen Investments ist, und deshalb muss die Profitrate zusammen mit der Profitmasse als das entscheidende Maß des Erfolgs eines Unternehmens gelten (in Relation zur Profitmasse). So hat der High-Frequency Handel mit Wertpapieren und Währungen gezeigt, das selbst bei geringen Profitraten bzw. Gewinnmargen enorm hohe Profitmassen realisiert werden kann, wenn das bewegte Geldkapital groß genug ist. Soll die Profitmasse weiter gesteigert werden, erfordert eine sinkende Profitrate einen immer größeren Kapitalvorschuss und neue Formen der Finanzierung. Die Konzentration des Kapitals und seine Globalisierung sowie der starke Einfluss des Finanzsektors auf die Akkumulation haben hier einen ihrer Gründe.

Die hier nur kurz angerissene Analyse der differenziellen Kapitalakkumulation deckt sich mit dem, was wir an anderer Stelle als »Aktualisierung-Virtualisierung-Verschaltung« bezeichnen. (Szepanski 2014) Der Begriff »Verschränkung« betont vielleicht noch etwas stärker als der Term »Verschaltung« die in diesen Prozessen sowohl simultan (das Problem Gleichzeitigkeit oder der Zeitigung der Zeit) als auch in der Zeit stattfindenden ökonomischen Prozesse. Das Problem besteht hier unter zeitlichen Gesichtspunkten genau darin, dass Gleichzeitigkeit – das Problem der Zeitigung der Zeit – zugleich als ein ständiges Vorübergehen zu denken ist, sodass Gleichzeitigkeit scheinbar in keiner Zeit mehr einen Platz hat, womit Gleichzeitigkeit das Unmögliche der Zeit selbst ist, jedoch die Möglichkeit ihrer Erfassung in sich stets enthält. (Vgl. Nozsicska 2009: 291f.) Zeit ist gleich Virtualität, wobei verschieden ablaufende Zeiten aktualisiert werden, ohne dass Gleichzeitigkeit sich je auflöst. Genau wenn die Zeit sich aktualisiert, bleibt sie Virtualität – ein Paradoxon, welches das Problematische der Virtualität selbst anzeigt.

Formulieren wir die Problematik der Herstellung von Durchschnittsprofitraten in aller Kürze noch einmal so: Die differenzielle Akkumulation führt mittels des ökonomischem Mathems (der Preis-Geld-Mechanismus und seine Zahlen, Zeichen und Methoden) die ungleichwertigen Arbeiten, die technologisch verschiedenartigen Produktionsabläufe, die unterschiedlichen Qualifikationen der Arbeiter und die ungleichen Arbeitszeiten in der Tendenz auf Durchschnitte zurück, die selbst wiederum in der Zeit variieren. Tendenz heißt hier auch, dass es ständig auch Gegenbewegungen gegen die Herstellung der Durchschnittsprofitrate gibt, was unter anderem in der Suche des Einzelkapitals nach Extraprofiten mittels des Einsatzes technologischer Innovation oder der Aneignung billiger Rohstoffe, Energien und Arbeitskräften (Vgl. Moore 2015) zum Ausdruck kommt. Der Vergleich findet zuallererst durch das Geld statt, benötigt aber auch einen ganze Reihe weitere Maßstäbe, Vermessungstechniken und a-signifikanten/Zeichen/Indikatoren, um Bewertungen, Klassifizierungen, Differenzierungen und generell Verrechenbarkeiten in den Unternehmen und zwischen den Unternehmen herzustellen. Das Mathem der Ökonomie besitzt zudem einen assignativen bzw. performativen Aspekt, indem es Valorisierungsprozesse, deren Kriterien Effizienz und Rentabilität sind, nicht nur aufzeichnet, sondern auch bestimmte Zuordnungen inszeniert. Die zahlenförmige Objektivität, in der die Vergleiche zwischen verschiedenen Größen angeschrieben werden, potenziert wiederum die Konkurrenz zwischen den bewerteten Unternehmen, sodass ein geradezu inzestiöses Verhältnis zwischen Differenzierung, Homogenisierung und Hierarchisierung geschaffen wird, in das die ökonomischen Akteure unweigerlich eingebunden werden. Fasst man das Kapital als einen Gesamtzusammenhang, dann muss die informatorische Entropie, die der »anarchischen« Produktion der Einzelkapitale zu eigen ist, notwendigerweise einer Reduktion unterliegen, die unweigerlich das Mathem der Ökonomie als eine Codierung oder Axiomatik von a-signifikanten Zeichen ins Spiel bringt, eine Formalisierung, mit der die ökonomische Akteure mittels der spezifischen Systeme der Mathematik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Unsicherheit und die Elastizität der verschiedenen ökonomischen Größen permanent zu korrigieren und gleichzeitig zu verwerten versuchen. Dies bedeutet aber auch, dass in der letzten Instanz Messungen durch das Geld stattfinden, die verifizieren, dass eben Durchschnittsbildungen wie auch Abweichungen stattfinden. (Strauß 2013: 74f.) Das Mathem der Ökonomie ermöglicht Messungen und gibt zugleich eine Interpretationsmatrix, die am Maß der gelungenen marktvermittelten Reproduktion des Kapitals orientiert ist. Eingedenk dessen, dass das ökonomische Gesetz (Durchschnittsbildung) sich nicht unmittelbar in Aktualisierung ausdrücken kann, sind die a-sginikanten Zeichen (Matheme, Tabellen, Charts, Algorithmen etc.) Virtualisierung von etwas, das sie als Gesetz erzwingt, wobei diese zwar in der Zeit ist, es entstammt aber keineswegs der Addition von Fällen, womit Vertretungen (Mathem) einspringen müssen, sodass dem Begriff des Kapitals unbedingt das Mathem der Ökonomie (Ebd: 69f.) hinzuzufügen ist, das heißt, das (begriffliche) Kapital und sein ökonomisches Mathem (Differenzkalküle) sind zu superponieren.

Aus der Sicht des Einzelkapitals lässt sich das ökonomische Prozedere um die Virtualisierung-Aktualisierung-Verschaltungen folgendermaßen vorstellen (Ebd.: 304f.): Erstens erfolgt in der gegebenen Periode t0 auf Grundlage der Gewinnerwartungen eines Unternehmens die Produktion einer bestimmten Anzahl von Produkten. Diesem Prozess liegen betriebswirtschaftliche Kalkulationen (Mengen, Kostenkalkulation, Daten über die Märkte, Abschreibungsraten etc.) zugrunde, die auf semiotischen, statistischen und mathematischen Parametern und Variablen beruhen. Zweitens findet eine Virtualisierung der Aufteilung von Gütermengen statt, ausgehend von Produktionen und Preisfestsetzungen, die dann eine Realisierung von Mengen als Waren nach sich ziehen sollen. Drittens stellt sich der Verkauf der Produkte in der Periode t1 als dreifache Aktualisierung dar: 1) Ein Teil der Produkte aktualisiert sich in der gegebenen Zeitperiode als realisierte Warenmenge. 2) Eine nur in der Erwartung bestehende, daher quantitativ unbestimmte Verwertung im Zeitraum t0 wird zum Zeitpunkt t quantitativ so aktualisiert, als ob diese bereits zu t0 bestanden hätte. Real zeichnet die Aktualisierung eine Differenz zwischen erwarteten und realisierten Preismassen aus. 3) Es findet eine Aktualisierung der Nachfrage mit den begrenzten Mitteln der Kaufkraft der Massen oder anderer Unternehmen in Konfrontation mit dem bestehenden Güterangebot statt. Die realisierte Quantität von Warenmengen in t1 bildet wiederum den Ausgangspunkt für angepasste Gewinnerwartungen des Unternehmens für den Zeitraum t2, was sich in veränderten Investitionsquoten niederschlägt, die wiederum die jeweiligen Investitions- und Konsumtionsfonds beeinflussen. Der zum Zeitpunkt t1 von einem Unternehmen realisierte Durchschnittsprofit ist auf den aktualisierten Mehrwert des Gesamtkapitals zum Zeitpunkt t0 bezogen, wobei in t1 der zunächst rein virtuelle Mehrwert des Einzelkapitals auf das »Maß« arretiert wird, das die Anzahl der Güter in Konfrontation mit der Kaufkraft erlangen kann.

Im Rahmen der begrifflichen Darstellung des Kapitals so getan, als ob trotz seines virtuellen Charakters das Gesamtkapital quantifizierbar wäre, wobei wir es doch auf dieser Ebene zu jedem Zeitpunkt mit einer stets wechselnden Anzahl von Aktualisierungen zu tun haben, weil die Einzelkapitale in verschiedenen Sequenzen, Rhythmen und Tempi produzieren und verkaufen, ergo die Stromgrößen die Bestandsgrößen dominieren. (Ebd.: 305) Die Theorie verfährt aber weiterhin so, als ob das Gesamtkapital als Wertgröße zu einem gegebenen Zeitpunkt, also unter der Annahme von Gleichzeitigkeit, quantitativ anschreibbar wäre, wobei es doch immer zu bedenken gilt, dass die Wertgröße auf Gesamtebene quantitativ nicht existiert, sondern in einer Unzahl von Ware-Geld-Transaktionen auf- und abgerufen wird, als ob sie eben quantitativ existieren würde. Strauß schreibt dazu: »Die Inschrift des Differenzianten Wert – und das ist die Geltung des Geldes in allen Registern, semio-ökonomischer Wert – aktualisiert die virtuelle Verteilbarkeit physischer Mengen […] Die Inschrift der Preise aktualisiert ihrerseits diese virtuelle Verteilbarkeit physischer Mengen in Geldform.« (Ebd.: 307)

1 So kann der von marxistischen Theoretikern oft verwendete Begriff »Realabstraktion« allenfalls auf eine schiefe Analogie zwischen Begriff und Realität verweisen, das heißt Begriff und Realität sind letztendlich immer von ihrer Nicht-Identität her zu denken, insofern die Realität dem Begriff immer wieder entflieht.

2Es geht hier um die Transzendentalität oder um eine abstrakte Potenz, ganz im Gegensatz zu Althussers philosophisch-politischer Bestimmung der Notwendigkeit der Kontingenz, bei der es sich um keine Notwendigkeit handelt, die die Kontingenz hat, vielmehr will er zeigen, dass die Notwendigkeit die Kontingenz »ist«.

3 Eine an Marx orientierte Position vertritt auch Robert Kurz, wenn er vom Apriori oder von der Transzendentalität des Kapitals spricht. Hinsichtlich des Begriffs des Gesamtkapitals schreibt Kurz in seinem Buch Geld ohne Wert: »Die von Marx theoretisch dargestellten Realkategorien des Kapitals sind deshalb von Anfang an und auf allen Ebenen der Darstellung nur als Kategorien des gesamtgesellschaftlich Ganzen, des Gesamtkapitals und seiner Gesamtbewegung als Gesamtmasse zu verstehen, die unmittelbar empirisch nicht erfasst werden kann, weil sie qualitativ und quantitativ etwas anderes ist als die empirische Bewegung der Einzelkapitale.« (Kurz 2012: 177) Marx` Begriff des Gesamtkapitals impliziert von vornherein den »Gesamtprozess«. Allerdings muss Kurz insofern korrigiert werden, als es sich beim Begriff des Gesamtkapitals nicht um eine Realkategorie und auch um keine quantitative Kategorie handelt.

Auch John Milios hebt die Bedeutung des Gesamtkapitals hervor. Er verweist in seiner zusammen mit Dimitris P. Sotiropoulos verfassten Schrift Marxsche Theorie und Imperialismus (Milios/Sotiropoulos 2010) auf eine wichtige Stelle bei Marx, wo dieser schreibt, dass »die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zu Bewußtsein kommen.« (MEW 23: 335) Und weiter schreibt Marx: »Wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist …« (Ebd.) John Milios schließt daraus richtigerweise, dass die »immanenten Gesetze«, von denen Marx hier schreibt, allein die des Gesamtkapitals (als soziale Relation und nationales Gesamtkapital) sein können, wobei die Einzelkapitale als Fragmente oder Teile einer »äußeren Bewegung« erscheinen und ihren Platz im Gefüge des Gesamtkapitals nur dann einnehmen können, wenn sie den immanenten Gesetzen des Kapitals folgen. Der Begriff des Gesamtkapitals ist komplex und wird von Marx erst im Kapital Bd. 3 eingeführt. Die strukturale Determination des Gesamtkapitals transformiert die Einzelkapitale insofern in Enitäten desselben, als die Unternehmen je schon in einem »gesetzgebenden« ökonomischen Milieu angesiedelt sind. In diesen quasi-kausalen Prozessen nimmt die Konkurrenz als spezifische Einschreibung des Kapitalverhältnisses in die differenzielle Akkumulation eine wichtige Funktion ein.

4 Die turbulente Regulation und die Wiederholung von Mustern gelten als die entscheidenden gravitationalen Tendenzen des ökonomischen Systems. (Shaikh 2016: Kindle-Edition: 1177ff.) Es geht bei der ökonomischen Makroanalyse zuallererst um die Bestimmung von Warenpreisen, Profitraten, Lohnraten, Zinsraten und Wechselkursen. (Ebd.: 1946ff.) Diese Prozesse besitzen zwei Tendenzen:

1) Ausgleichende Tendenzen, die durch die rastlose Suche der Einzelkapitale nach monetären Vorteilen gekennzeichnet sind, deren nicht intendiertes Resultat gerade auch immer wieder in der Bereinigung der Differenzen besteht, die jene Suche wiederum motiviert. Während die durchschnittliche Lohnrate von der Produktivität, der Profitabilität und von den Klassenkämpfen zwischen Arbeitern und Kapitalisten abhängig ist, sind die durchschnittlichen Profitraten von den Löhnen, der Kapitalintensität und der Produktivität abhängig. Gleichzeitig sind die Durchschnitte das Resultat der mikroökonomischen Projekte und der Interaktionen der Einzelkapitale, wobei die Konkurrenz hier die entscheidende Rolle spielt. Beide Prozesse subsumiert Anwar Shaikh unter den Begriff der realen Konkurrenz, wobei das Profitmotiv die zentrale Rolle spielt. (Ebd.:1237)

2) Gestaltende Tendenzen, die den Pfad bestimmen, um den die ausgleichenden Bewegungen fluktuieren. Das zweite Set der gravitationalen Tendenzen umfasst die turbulente Makrodynamik des Systems inklusive der Prozesse des Wachstums und der Stagnation. Auch hier ist das Profitmotiv der dominierende Faktor, der für die Regulation der Investitionen, das Wachstum, die Zyklen, die Beschäftigung und die Inflation verantwortlich in letzter Instanz ist.

Die Zentralität des Profitmotivs besitzt mehrere Implikationen. 1) Es ist eine Theorie des Profits und der Löhne zu entwickeln. 2) Die Rolle der Profitabilität für den realen Wettbewerb ist zu bestimmen, insofern alle Aspekte der Firmen betroffen sind, was zur Theorie des durch die Konkurrenz bestimmten Preises und der Theorie des endogenen technischen Wandels führt. 3) Die erwartete Profitrate reguliert das Investment sowie das Wachstum und bestimmt auch das Verhältnis von aggregierter Nachfrage und aggregiertem Angebot. (Ebd.: 19386) Entscheidend ist hier nicht die aktuelle Profitrate eines Unternehmens, sondern die regulierende Profitrate im Bereich eines Industriezweigs und die Profitrate auf das zukünftige Investment. Das Investment wird schließlich durch die Differenz zwischen Profitraten und Zinsraten angetrieben, wobei die Zinsrate als die Benchmark für das Investment gilt.

5 Marx hat das Monopol als ein spezielles Einzelkapital bezeichnet, dem es gelingt einen Extraprofit über einen längeren Zeitraum systematisch zu realisieren, wobei aber das Monopol dem freien Wettbewerb nicht entgegengesetzt ist, sondern innerhalb dessen angesiedelt bleibt.

6 Bei extensiv erweiterter Reproduktion werden sowohl die Anzahl der Arbeitskräfte als auch die Masse an Produktionsmitteln gesteigert, während bei intensiv erweiterter Reproduktion die steigende Produktivität durch technischen und organisatorischen Fortschritt, steigende Qualifikation der Arbeitskräfte und Rationalisierung erzeugt wird. Meistens sind es nicht die Erfinder, sondern die ersten Nachahmer, die eine Innovation in die Ökonomie einführen. Der technologische Fortschritt in der Industrie tendiert heute zur Reduktion des Kapitalaufwands im Verhältnis zum Produkt, also zur Steigerung der Kapitalproduktivität. Der Preis der Produktionsmittel sinkt, während ihre Leistung steigt. Eine entscheidende Rolle spielt hier nicht nur die Verbilligung der elektronischen Komponenten durch Economies of Scale (erhöhte Skalenerträge sind Produktivitätssteigerungen, die sich bei intensiver Technologie und verbesserter Organisation und Rationalisierung ergeben), sondern auch der Einsatz von Informationstechnik zur Steigerung der Effizienz bestehender Verfahren, zur Planung, Überwachung und Steuerung der Produktion sowie der Aufbau von Produkten und Anlagen aus standardisieren Modulen.

7 Die Produktivität wird im Marxismus in zwei Weisen definiert, die verschiedene Implikationen mit sich führenzum einen als die Reduktion der sozial notwendigen Arbeitszeit durch den Anstieg der Produktivität, die andere Implikationen hat als das Wachstum der Anzahl der Waren, die bei gegebener Quantität der Arbeit von einem Unternehmen produziert werden. Die Steigerung der Produktivität kann sich also entweder in einer erhöhten Warenproduktion oder in einer reduzierten sozial notwendigen Arbeitszeit ausdrücken. Während der erhöhte Output eines Unternehmens eine stoffliche Komponente und deren Messung impliziert, bezieht sich die reduzierte soziale Arbeitszeit auf Wert- oder Preisgrößen. Zwar wird bei letzterer die Produktivität nicht in physikalischen Entitäten gemessen, aber auch dieses Konzept erscheint uns ungenügend. Wir beziehen die Produktivität auf den in der Produktion zugesetzten Wert, das heißt auf das totale Einkommen bzw. auf das nominale Nettoeinkommen per Arbeitsstunde. Die Kennzahl der Produktivität rekurriert also auf dasjenige, was die Einkommen (Löhne, Profite, Renten, Zinsen), die auf eine Arbeitsstunde bezogen sind, kaufen können.

8 Bichler/Nitzan haben in ihren verschiedenen Texten immer wieder darauf bestanden, dass die Funktionsweisen und Strategien kapitalistischer Unternehmen nicht einfach nur darin bestehen, die Profite zu maximieren, sondern vielmehr den Durchschnitt, der durch die aktuellen Durchschnittsprofitraten der Unternehmen in den verschiedenen Sektoren repräsentiert wird, zu schlagen. (Vgl. Bichler/Nitzan 2009) Durchschnittsprofitraten werden durch ein Set von Standardinstrumenten wie etwa an die Unternehmen vergebene Kredite und deren Zinsraten beeinflusst, insbesondere aber durch den mittels der Konkurrenz flexibel gehaltenen »Abgleich« der organischen Zusammensetzungen der Kapitale, der Akkumulationsraten und der Mehrwertraten der Unternehmen. Dabei darf die stets fluktuierende Durchschnittsprofitrate als der Maßstab für die differenzielle Kapitalakkumulation gelten – sie ist die Benchmark, der für die Unternehmen angibt, ob sie den Durchschnitt in ihrer Branche und anderen Branchen mit ihren Projekten geschlagen haben oder eben nicht. Diese Form der Kapitalakkumulation, die sich über die intra- und interkapitalistische Konkurrenz (»beat-the-other«) vollzieht und tief in die sozialen Relationen des Kapitals eingeschrieben ist, bezeichnen Bichler/Nitzan als differenzielle Akkumulation. (Ebd.) Die Benchmark zeigt natürlich auch an, ob die ökonomischen Aktivitäten der Unternehmen eine genügende soziale Kohäsion in den verschiedenen Klassenkämpfen aufbieten konnten. Zudem bleibt die Dynamik der differenziellen Kapitalakkumulation stets auf stabile Wachstumsraten der nationalen Volkswirtschaft angewiesen.

Fortsetzung folgt.

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