Der Tote Im Livestream

Film und Diskussion mit Christian Bau, Karl-Heinz Dellwo, Katja Diefenbach, Romeo Grünfelder, Michaela Melián, Thomas Seibert
Montag, 20. Februar 2023, 19:30 Uhr

METROPOLIS KINO
Kleine Theaterstraße 10
20354 Hamburg

https://teorema-ev.de/Der-Tote-im-Livestream

2012 versteigert das Auktionshaus Lempertz ein Gemälde von Gerhard Richter mit dem Titel: Abstraktes Bild (H.M.), eine monochrome Weißübermalung des Fotos des aufgebahrten toten RAF-Mitglieds Holger Meins. Der Verkaufserlös übersteigt mit 390.400 € alles im Voraus erwartete. Während der Versteigerung wird für die Online-Bieter nicht das Abstrakte Bild von G. Richter, sondern das Aufbahrungsfoto von Holger Meins eingeblendet.

Christian Bau, der einst mit Holger Meins an der HFBK studiert hatte, dokumentiert diese Online-Versteigerung in seinem Kurzfilm: Der Tote im Livestream.

Vortrag Karl-Heinz Dellwo:

Ich war Mitglied des Kommando Holger Meins.

Abstract (H.M.) – Wüssten wir nicht, wer der Maler ist – wir würden sagen: moderne Abstrakte Kunst, sie will eine Irritation unserer Wahrnehmung.

Nun kennen wir aber den Maler und auch den Kontext: Der Stammheim-Zyklus, also ein Bezug zur alten BRD, zum Herbst 1977.

Von Richters Stammheim-Zyklus war ich fasziniert. Die toten Freunde hinter einem Schleier, der sie der brutalen Realität entrückt. Der in seinem Blut liegende Genosse und mir persönlich nie begegnete Freund Andreas Baader. Die tote Ulrike Meinhof, Kopf und Oberkörper von der Seite aus betrachtet, wahrscheinlich auf einem Obduktionstisch, die Strangulationsmarke am Hals eindeutig zu erkennen, hinter dem leichten Schleier, der auch hier über dem Bild liegt. Gudrun Ensslin, noch lebend, den Kopf leicht nach vorne geneigt – und das andere Bild, am Fenstergitter der Zelle hängend – die Radikalität einer finalen Gewalttätigkeit. Und doch dominiert etwas anderes in den Bildern.

Der Blick auch auf ein Ende. Leicht könnte man sagen: auf ein deutsches Ende, aber diese Assoziation ist sicher mit meiner unmittelbaren Nähe mit der deutschen Geschichte verbunden. Denn bei anderen toten Revolutionären in anderen Ländern werden Menschen sie mit der gewalttätigen Geschichte ihrer Länder oder ihres Lebens verbinden.

Ein völlig anderer Blick als das, was »das legale Land«, um Ulrike Meinhof zu zitieren, als Wahrheit in die Welt setzen wollte, bestimmt vom dummen deutschen Hass auf Revolutionäre, mit dem sich damals Bevölkerung und Regierung wieder zu einer Volksgemeinschaft vereinigte.

Das ist als Kontinuität auch in der BRD mit ihrer 2. Gründung im Herbst 1977 geblieben. Noch vor kurzer Zeit bekannte sich Robert Habeck zu Gustav Noske, dem Arbeiterschlächter der Weimarer Zeit als seinem Idol[1].

Als ein Frankfurter Museum die Richter-Bilder ausgestellte, haben wesentliche Geldgeber ihre Zuwendungen gestrichen. Richter hat sich dann für das MOMA entschieden, weil dort das Kunstwerk gesehen wurde und nicht die politische Rache die Sicht auf die Bilder bestimmte.

In den Bildern von Gerhard Richter tritt etwas bis dahin Unerhörtes in die BRD ein: Zum ersten Mal erhebt sich sichtbar ein öffentlich werdendes Moment der Trauer über ein Geschehen, in dem die toten Revolutionäre auch für ein Scheitern im Leben stehen, dass alle betrifft; das nicht mehr im Individuellen isoliert werden kann, wohl aber u.a. auf eine historische Wunde verweist, die allgemein mit der Fortsetzung der kapitalistischen Gesellschaft nach Krieg und Auschwitz verbunden ist. 

Richter gibt den toten Genossen die Würde zurück, die ihnen dieser Nachnazistaat mit seiner damals altfaschistisch sozialisierten Mehrheitsbevölkerung, ihrer Staats- und Wirtschaftselite, mit ihren in der Regel wohlfeilen Medienvertretern immer abgesprochen hat.

In den Medien wurden nach 1977 die Fotos der toten Freunde dargeboten als Trophäen, präsentierte, erledigte Systemgegner, enthumanisiert, in denen sich die Macht spiegeln wollte im Gestus »Wir haben den Krieg gewonnen«.

Den Richter-Gemälden fehlt jede Spur der Obszönität vermeintlicher Sieger. Und doch ist die Kunst nicht kollaborierend solidarisch. Sie behält ihre Distanz, nur ihre Grundlage ist eine völlig andere als die der Macht.

Man weiß von Richter, dass er sich weigert, seinen Gemälden eine klare Deutung mitzugeben. Für Richter existiert keine Möglichkeit, die Grausamkeit im Leben der Menschheit aufzuheben. Es zu verkünden ist deshalb für ihn Ideologie. Die Empfindungen von Richter, wie er selbst sagt, bewegen sich hier zwischen Ablehnung jeder Ideologie, die er als »falsch, hinderlich, lebensfeindlich oder verbrecherisch« bezeichnet und der Feststellung

»Verloren haben wir die großen Ideen, die Utopien, jeden Glauben, alles Sinnstiftende. Glaubensunfähig, hoffnungslos in höchstem Maße irren wir auf einer giftigen Müllkippe, äußerst gefährdet, jedes dieser unverständlichen Scherbenstücke, Abfallstücke, Gerümpelstücke bedroht uns, schmerzt und verkrüppelt uns fortwährend, tötet uns, letztlich früher oder später unausweichlich. Schlimmer als Wahnsinn«.[2]

Jedes gute Werk löst sich auch von seinem Künstler. Seine Deutung vorzunehmen, gehört uns allen. Das andere, was mich in die Bilder hineingezogen hat: Undeutlich wird, ob es beim Betrachter liegt, ob die Sache der Revolutionäre erkannt wird oder ob es an den Revolutionären liegt, dass man ihre Sache nicht erkennt, vielleicht sogar nicht erkennen kann.

Im Gemälde »Abstract (H.M.), das zu seinem Stammheim-Zyklus gehört, hat Gerhard Richter, ein von ihm selbst gemaltes Foto übermalt. Richter hat das Bild des aufgebahrten Holger Meins aus dem Stammheim-Zyklus herausgenommen. Im Unterschied zu den anderen Bilder hat das Foto des toten Holger Meins etwas märtyrerhaftes. Das ist ein Moment seiner Wahrheit. Er hat das Kollektiv, idealistisch gesehen auch das der ganzen Menschheit, über sein Leben gesetzt.

Es existiert vom toten Holger Meins auch das Obduktionsfoto, der wie zur zerstörten Puppe entstellte, verhungerte, Körper. Wir haben es damals veröffentlicht. Der verhungerte Holger Meins rief die unmittelbare Vergangenheit dieser Gesellschaft und seiner Elite als KZ-Akteure hervor.

Für Richter ist die unmittelbare Wirklichkeit, die wir vor uns sehen, nicht die ganze Wahrheit. Der Hungerstreik 1974 mit seiner existenziellen Verteidigung des Menschen gegen den Zurichtungsanspruch der Macht ist auch ein anderer Kampf als jener der »Offensive 1977« mit seinem Angriff auf die Staatsmacht. Die Konfrontation 1977 ist im Allgemeinen eine gleiche und im Konkreten doch eine andere und eine von beiden Seiten viel Gewalttätigere. Insoweit passt die Reflexion oder das Empfinden, aus der Richter den Stammheim-Zyklus gemalt hat, nicht zur Situation des toten Holger Meins 1974.  Deshalb hat Richter das Bild übermalt. Es passte einfach nicht. Richter wollte dem Stammheim-Zyklus kein Märtyrer-Bild hinzugesellen.

Man kann das Gemälde »Abstract (H.M)« vor dem Hintergrund, dass das Aufbahrungsfoto von Holger Meins übermalt wurde, aber auch aus einen anderen Blick betrachten. Jedes Bild eines Toten spricht vom Erlöschen eines Lebens; wenn es ein gewalttätiger Tod war, spricht es von der Auslöschung eines Lebens. Die Übermalung des Toten könnte man auch als Auslöschung der Auslöschung denken. Alles soll weg. Das Leben des Menschen und der Mensch selbst. Es soll ihn nicht gegeben haben. Mit ihm auch seine Absicht nicht.

Das war der Staatswunsch der BRD und so ist übrigens unsere Welt heute auch noch, inzwischen wieder kriegsbereit im eigenen Kerngebiet: Es soll nichts anderes möglich sein als die Fortschreibung des Bestehenden. Diese Absicht der bestehenden Macht zu unterstellen, ist keine willkürliche Projektion.  An den Grausamkeiten der Grundlage unserer heutigen Lebensverhältnisse wird festgehalten, komme was wolle.

Im Tod von Holger Meins steht das Nicht-Integrierbare dem Bestehenden gegenüber und wirft die Grundsatzfrage nach der Legitimität dessen auf, was unser Leben heute beherrscht.

Das zeigt sich auch an der Auktion. Das Auktionshaus sucht Richters Übertrag einer bestimmten gesellschaftlichen Situation in einen abstrakten Raum gegen den Maler zu dominieren. Die Lust am toten Märtyrer scheint dem Auktionshaus ökonomisch vielversprechender zu sein.

Aber gilt das auch für den Käufer? Am Ende bekommt er ein ganz anderes Bild als das, was ihm demonstrativ gezeigt wird. Er muss das wissen. Für was also gibt der Käufer 395 Tsd. Euro aus? Was reizt ihn so?

Man kann darüber nur spekulieren, wir kennen ihn – oder vielleicht ist es eine sie – nicht. In dieser Kombination von abstrakter Darstellung und realen Totenfoto im Verkaufsgeschehen könnte man aber die Lust an der doppelten Auslöschung erkennen. Der Lust am Märtyrer als gefahrlose Projektion – und dann ist die Gefahr weg. Darauf spekulierte offensichtlich das Auktionshaus Lempertz in Köln. Wer betrachtet das nun privat, der Allgemeinheit entzogen?

Unmittelbar erinnert fühlt man sich an ein anderes Geschehen:

2002 wurde bekannt – nach seinem Tod, dass einer der Obduzenten der toten Genossen, der Gerichtsgutachter Hans Joachim Mallach, ehemaliges Mitglied der Hitler-Jugend, der NSDAP und Freiwilliger der Waffen-SS, illegal Totenmasken den Genossen abgenommen und bei sich im Keller im Stahlschrank aufbewahrt hatte. Wie oft hat er heimlich die Masken seiner Feinde betrachtet, die für ihn »Strolche« waren, wie seine Söhne berichteten[3]? Mit welcher Genugtuung? Am Ende, trotz der Niederlage 1945 doch gesiegt zu haben?

Was wir eben gesehen haben, muss auch als Video einen sich fortsetzenden Klassenkampfes gesehen werden. Der Tote im Livestream, wie es Christian Bau nannte, verweist auf keine Übersinnlichkeit. Es verweist nur auf eine im falschen Leben normal gewordenen Obszönität. Etwas muss vermarktbar sein von allem. Das ist der übersinnliche und einzige Glaube des Marktes und seiner Anhänger. Irgendwie, als wäre es ein nicht-kontrollierbarer Trieb, sucht sich der Blick des Geldes noch eine Variante, aus der noch weiteres Geld herauszuholen ist. Die RAF ist es nicht, aber die Auslöschung der Revolution, sie ist noch in Geld umzusetzen.

Vielen Dank.


[1] Siehe u.a in. Klaus Gietinger: Noske 2.0 – Gustav Noske war ein kriegsbegeisterter Konterrevolutionär, der sich selbst stolz als »Bluthund« bezeichnete. Sein größter Fan? Robert Habeck, in JACOBIN 15. November 2021.

[2] Zitiert nach Robert Storr, Gerhard Richter, 18. Oktober 1977, Hatje Cantz Verlag, hier: »III DIE GEMÄLDE, S. 40 ff, zitiert aus der beiliegenden deutschen Übersetzung.

[3] Jürgen Dahlkamp, Trophaen für den Panzerschrank, DER SPIEGEL 42/2002, Quelle: DER SPIEGEL, online-Archiv.

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