DIE DIALEKTIK DER REVOLTE

ERSTE PHASE DER REVOLTE. Metaphysische Agonie: “Alles verneinen und nur noch den Abgrund empfinden”.

Dieser erste Satz wendet sich wie eine abstrakte Negation gegen das ohne Spur von Bewußtsein hingenommene Leben, die rein passive Bejahung des menschlichen Tieres. Das ist die erste Negation, durch die ein menschliches Tier sich aufwecken kann, durch die es zu Verstand kommen kann, denkend werden kann.

ZWEITE PHASE. Die ersten sozialen Reibungen führen diese Aufständischen dazu, sich in geistigen Familien zusammenzuschließen, ohne die der isolierte Mensch nicht bestehen könnte. Als die ersten äußeren Wirklichkeiten trifft der individuelle Nihilist auf seinesgleichen. Einige Menschen, die in sich den gleichen absoluten Pessimismus wiedererkannt haben, vereinigen sich zum Skandal und zur fortwährenden Revolution, Das ist das Zeitalter der anarchistischen “Banden”; das ist ebenso der Surrealismus in seiner ersten Form. Diese Zwischenstufe entspricht einer beginnenden Synthese zwischen der absoluten Negation, die der bewußte Mensch subjektiv vollzieht, und der Feststellung von gegebenen und objektiven Wirklichkeiten. Da jedoch diese Feststellung eine lediglich partielle war, bleibt die Synthese vor allem noch intellektuell.

DRITTE PHASE. Die Notwendigkeit der sozialen Aktionen läßt nach und nach die Mechanismen der sozialen Gegebenheiten erscheinen. Ausgehend von der Feststellung eines psychologischen Gegenstandes (sein anarchistischer Gleichartiger) geht der Aufständische nach und nach über zur Feststellung eines ökonomischen Gegenstandes (die soziale Gegebenheit). In diesem Moment kann sich die Synthese vollständig vollenden und aktiv werden. Der Aufständische ist ein Revolutionär geworden. Vom Standpunkt eines statischen Idealismus aus ist er es geworden, indem er einem Weg folgte, der dem, den ein kommunistischer Arbeiter ging, entgegengesetzt ist. In Wirklichkeit drückte der eine wie der andere die Bewegung derselben Dialektik aus; es ist unwichtig, ob sie in Begriffen des Magens, der Brust oder des Kopfes übersetzt ist, ob der Grundantrieb Hunger, Wut oder Verneinung ist.

In die verschiedenen Stadien dieses Ablaufs schlichen sich jedoch Individuen, die nicht die vorhergehenden Stadien erprobt haben. In derartige Individuen können wir kaum Vertrauen haben. Sie haben sich nicht aufgeweckt, denn sie verneinen nicht. Sie können allenfalls von der Perspektive einer Reform angelockt sein: man kennt den Schaden, den solche Menschen in einer revolutionären Bewegung anrichten können.

Der Magen eines hungrigen Arbeitslosen verneint die kapitalistische Gesellschaft ebenso wie unsere Intelligenz, die die Widersprüche dieser Gesellschaft erfaßt. Das doppelte Bemühen um Gerechtigkeit und Tatkraft zeigt dem Aufständischen, der zu dieser Erkenntnis gelangt ist, die einzig bestehende materielle Kraft, die zur Verwirklichung dieser Negation fähig ist, indem sie die bestehende soziale Herrschaft zerstört. Er bleibt weiterhin im Dienst der Macht der Negation, die ihn aufgeweckt hat und wird – zumindest für das revolutionäre Proletariat – ein “Weggefährte”.

Roger Gilbert-Lecomte

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