Die Finanzkrise im Jahr 2008 fand statt.

Als Jean Baudrillard ankündigte, dass das Jahr 2000 nicht stattfände, musste man schon Böses ahnen. Es ist keine Übertreibung festzustellen, dass die Finanzkrise von 2008 das bisher einzige Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung im neuen Jahrtausend war (bekanntlich fand nach Baudrillard auch der Irakkrieg von 2003 nicht statt). Und wir schreiben das Jahr 2018, genauer den 15.September 2018, an dem sich der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers zum zehnten Mal jährt. Im September 2008 hing das Geschäft von Lehman Brothers davon ab, täglich 200 Milliarden Dollar neu finanzieren zu können, das heißt ein Drittel der gesamten Bilanz. Dabei handelt es sich um Einlagen, die man für 24 Stunden von einer anderen Bank leiht, die daraufhin entscheidet, ob sie das Geld für weitere 24 Stunden verleiht. In der ersten Septemberwoche erhielt Lehman Brothers noch 200 Milliarden, aber in der zweiten Septemberwoche nichts mehr.

Adam Tooze bezeichnet dies in seinem neuen Buch “Crashed” den “Schlaganfall, der sich natürlich im System ausbreitete, weil alle sich dann plötzlich zurückziehen.« Das ist richtig. Wenn das Finanzsystem das Zentralnervensystem des Kapitalverhältnisses ist, dann kann man die Megakrise von 2008 durchaus als den Schlaganfall des Systems bezeichnen. Auch ist Tooze darin zuzustimmen, dass das Mächteverhältnis nach der Krise sich auf globaler Ebene verändert hat, das heißt der Aufstieg Chinas beschleunigt wurde, Europa in eine langanhaltende Krise gestürzt wurde und die Dominanz der USA langsam aber sicher am Bröckeln ist, aber immer noch aufrechterhalten werden kann.

Die Vorherrschaft der US-Finanzindustrie und des Dollars beruht auf dem weltweit eng verflochtenen Netzwerk der privaten Banken, der Hedgefonds und der Finanzmärkte, dessen Kernorte die Wall Street und die City of London sind. Dieses Netzwerk zeichnete in seiner strukturellen Dynamik dann auch für Finanzkrise von 2008 verantwortlich, denn es war weniger sich entfaltende Krise am Immobilienmarkt, die beispielsweise Lehman Brothers ins Straucheln brachte, vielmehr waren es die antizipierenden Aktionen der Banken auf ihre Schieflagen, die den Interbanken-Markt zusammenbrechen ließen, sowie die Herabstufung verbriefter Hypotheken und der auf sie bezogenen Derivate. Letzteres löst eine Welle von Nachschussforderungen in Gestalt von neuen Sicherheiten aus, die für die in ihrer Bonität zurückgestuften Hypotheken verlangt wurden und in ihrer Milliardenhöhe brachten sie selbst Konzerngiganten wie AIG ins Wanken. Die staatlichen Interventionen nach der Finanzkrise von 2008 bekräftigten noch einmal die dominante Rolle des Dollars und der US-Zentralbank. In den USA wurden die wichtigsten US-Banken im September 2008 gezwungen, staatliche Finanzhilfen anzunehmen, wofür der Staat ihre Schulden garantierte. Und es waren die Zentralbanken, allen voran die Fed, die ausreichend Liquidität bereitstellten, um einen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Die amerikanische Fed hat Billionen von Dollar auf beiden Seiten des Atlantiks verteilt und später in großem Stil Anleihen aufgekauft. Das Programm firmiert unter dem Namen Quantitative Easing.

Es bleibt also nicht zu unterschätzen, wie die amerikanische Fed nach 2008 den eingefrorenen Interbanken-Kreditmarkt ersetzten, indem sie die Funktion der Liquiditätsbeschaffung nicht nur für die amerikanischen Banken, sondern gemeinsam mit der EZB auch für das europäische Bankensystem übernahm. Im Jahr 2008 wurden circa 30 Prozent der risikoreichsten US-Mortgage Backed Securities (MBS) von ausländischen Investoren gehalten, was darauf zurückzuführen war, dass die Banken auf einem einzigen integrierten Weltmarkt operierten. Als das kurzfristige Kreditfinanzierungsgeschäft zwischen den Banken, der Wholesale-Refinanzierungsmarkt, zusammenbrach, befanden sich die europäischen Banken gegenüber den amerikanischen Banken in einem noch schlechteren Zustand, da ihre Assets in Dollar denominiert waren und die europäischen Zentralbanken nicht genug Dollarbestände besaßen, um die Zahlungsausfälle ihrer Banken kurzfristig zu kompensieren. Mit allen Mitteln, insbesondere mit Swap-Lines1(Devisen-Tauschgeschäfte), musste die Fed das globale und auf den Dollar gestützte Finanzsystem retten und in Schwung gehalten werden. Damit hatte die Fed gleichzeitig die Funktion des Dollars als wichtigste Reservewährung auf dem Weltmarkt gestärkt und sich als einen dominanten Knotenpunkt des internationalen Finanznetzwerks noch einmal verstärkt etabliert. Eine weitere Stärkung erfuhr der Dollar durch den sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach US-Staatsanleihen. So waren zwar die Fed und der Staat nach der Krise als Kreditgeber der letzten Instanz aufgetreten, indem der Staat die Kapitalaufstockungen der Banken finanzierte und die Fed Liquidität in epischen Dimensionen (Billionen von Dollars) für das globale Bankensystem bereitstellte, aber dies führte eben nicht zu einer umfassenden Regulierung des Finanzsystems.

Aber kommen wir noch einmal auf einige prinzipielle Anmerkungen zurück. Die Referenz auf die generell negativen Charakteristiken des Finanzsystems (übertriebene Spekulation) oder auf seine sich immer wiederholenden Fehler (die Ausgabe von zu vielen Hypothekenkrediten, fehlerhaftes Risikomanagement, asymmetrische Informationen etc.) wirft wenig Licht auf die wirklichen Ursachen der globalen Krisenprozesse des Kapitals in den letzten Jahrzehnten. Von den Mainstream-Ökonomen wurden im Wesentlichen vier Krisenursachen ausgemacht: die hohen Schulden, die globalen Ungleichgewichte, die Finanzialisierung und die Ausgabe von Zahlungsversprechen, auf die man nicht vorbereitet war. Man verweist zudem immer wieder auf die Fehler in der Regulation der Finanzmärkte, beispielsweise dass die Bewertungen der Unternehmen durch die Rating-Agenturen, die natürlich mit ihren eigenen Interessen zusammenhingen, ab dem Jahr 2000 nicht korrekt vorgenommen wurden, man benennt den gefährlichen Einsatz der CDS durch die Banken, die zur Reduktion ihrer Kapitalreserven geführt hätten, man erwähnt die fehlende Transparenz der OCT-Märkte und das Faktum, dass Investmentbanken ab dem Jahr 2004 ihre eigenen Modelle zur Einschätzung der Marktrisiken und der notwendigen Reserven für riskante Investitionen einsetzen konnten und so weiter. Weitere Faktoren waren dann der schnelle Anstieg der Hauspreise, die Ausgabe von Suprime-Krediten und deren Verbriefung, die falsche Bewertung der Sicherheiten, die opake Beziehung zwischen SPVs und Geldmärkten (dies insbesondere in den USA) – aber all dies sind nicht die realen Gründe der sog. Subprime Krise von 2007f., sondern allenfalls Erscheinungsformen der krisenhaften Entwicklung der globalen Kapital-Ökonomie, die heute nach wir durch das neoliberale Modell repräsentiert wird, das heißt durch die spezielle Organisation der kapitalistischen sozialen Formationen seit den 1980er Jahren. Im übrigen bestehen viele dieser Sachverhalte auch nach der Finanzkrise von 2008 weiter, man denke an die konzentrierte Macht der drei großen Rating-Agenturen, an die zaghaften Regulierungsversuche durch die Regierungen, die die Finanzindustrie durch die Schaffung von neuen »Schlupflöchern« und durch die Ausnutzung von Leerstellen locker umgeht, an die Erfindung von neuen Derivatformen und die komplementären Risikomodelle, deren Erfolg jedoch von der fragilen und krisenhaften Kapitalakkumulation abhängig bleibt.

Die Vertiefung des Finanzsystems in dem Sinne, dass heute zumindest in den entwickelten Ökonomien potenziell jede existierende Geldsumme kapitalisiert und als Zahlungsversprechen profitabel angelegt werden kann, ist ein wichtiges Moment der internationalen Expansion des Kapitals, i. e. der globalen Mobilisierung bestimmter monetärer Potenziale für den kapitalistischen Modus der Produktion, um die Profitabilität des Kapitals weiter zu steigern oder zumindest beizubehalten. An den Weltmarkt treten seit einiger Zeit bspw. durch die Privatisierung der staatlichen Versicherungssysteme zusätzliche Player und damit kommt es zu einer weiteren Mobilisierung von Geldsummen, die nicht unbedingt direkt in die Produktion investiert werden müssen, sondern eher Teil der Kapitalisierung zukünftiger Einkommensströme und Zahlungsversprechen sind. Dazu wird ein immer größerer Nicht-Banken-Sektor innerhalb des Finanzsystems selbst benötigt. Zugleich nimmt der Druck auf die sog. risikofreien Profite zu, was wiederum zur Ausgabe neuer finanzieller Sicherheiten führt, sodass bisher noch unentdeckte Märkte in die Welt des Kredits integriert werden, womit sich wiederum die Risiken erhöhen, die nun ständig fluktuieren und über die ganze Welt wandern.

Ein wichtiges Moment des neoliberalen Modells besteht also in seinem internationalen Charakter, insofern de Weltmarkt in der Tendenz in einen einzigen Profitchart transformiert wird. Der internationale Charakter des Kapitals in Verbindung mit der Ausbreitung neuer Märkte und der Generalisierung der Techniken des Risikomanagements, mit denen man sich gegen Risiken jedweder Art zu versichern versucht, führte seit den 2000er Jahren zu einer tieferen und breiteren Verteilung der Risiken, aber gerade das Risikomanagement selbst funktionierte, als die ersten Gerüchte über fehlende Sicherheiten der Hypothekenkredite in den USA aufkamen, eben nicht mehr, sondern zeigte eher die planetarische Proliferation der Risiken an. Die vielbeschworene »Weisheit der Märkte« setzt heute die Bewertung jeder einzelnen Sicherheit durch das Finanzsystem voraus, aber genau dies hat den Verlust des Vertrauens zwischen den großen Playern erst erzeugt.

Die Kapitalakkumulation gerät auch in eine Krise, wenn fungierendes Kapital auch aufgrund der Kreditfinanzierung überakkumuliert wird, wobei die daraus entspringende Produktion schwächer wachsenden Nachfrage nicht mehr profitabel realisiert werden kann und sich als Überproduktion anzeigt. Eine Überakkumulationskrise kann mit dem Platzen einer Kreditblase beginnen. Dabei verringert sich die Produktion von Mehrwert und/oder dessen Rückverwandlung in zusätzliches konstantes und variables Kapital, verlangsamt sich die Investitionen und die Beschäftigung von Lohnarbeitern. In der Krise werden überakkumuliertes Kapital und Warenkapital solange vernichtet und entwertet, bis die Kapazitätsauslastung nicht weiter sinkt und die Investitionsprozesse sich wieder stabilisieren.

Manchmal eröffnen finanzielle Krisen eine Periode der Überakkumulation von Kapital, manchmal markieren sie aber auch das Ende einer Überakkumulationskrise und manchmal manifestieren sich finanzielle Krisen relativ unabhängig von den real-ökonomischen Konjunkturen, das heißt, sie haben dann keinen signifikanten Effekt auf die Bewegung der industriellen Profitraten und auf die Beschäftigung. Auf jeden Fall lassen sich die krisenhaften Bewegungen des finanziellen Kapitals nicht mit den Zyklen der industriellen Profitraten vollkommen synchronisieren, wie dies die traditionelle marxistische Theorie oft genug versucht, vielmehr besitzt die Entwicklung der Finanzkrisen und ihrer Bubbles immer eine gewisse Eigenständigkeit. Carlota Perez hat einen Versuch unternommen, die Zusammenhänge zu erklären: In den Expansionsphasen haben innovative Unternehmen Probleme sich zu finanzieren, weil die Firmen, die die schon etablierten Technologien anwenden, das verfügbare Kapital absorbieren, während, wenn diese Technologien ihre höchste Effizienz erreicht haben und die profitablen Anlagemöglichkeiten fehlen, genügend Geldkapital vorhanden ist. In der Abschwungphase kann das finanzielle Kapital intervenieren, indem es neue innovative Projekte oder die Modernisierung von existierenden Sektoren finanziert,währende unrentabel Branchen liquidiert werden. Die Etablierung neuer technologisch-ökonomischer Paradigmen und Produktivkräfte bleibt jedoch ein instabiler Prozess, da die Realisierung der neuen Projekte kontingent ist, ungeachtet der Etablierung neuer institutioneller Rahmenbedingungen, die die neuen Entwicklungen unterstützen. Technologische Innovation bleibt in die Kapitalbewegung eingeschrieben.

Finanzielle Krisen manifestieren sich in einer drastischen Reduzierung der Liquidität, da die Käufer für Wertpapiere fehlen, wobei die beiden einzigen Mittel zur Beendigung der Krise im Refinanzierungspotenzial der Zentralbanken und der Ausgabe neuer Staatsanleihen besteht, die als Sicherheit für neue Kredite dienen und so einen weiteren Anstieg der Kreditvergaben initiieren. Man muss dabei von einer nicht-fraktalen Verkettung wandernder Blasen ausgehen, wobei eine neue Blase sich nie dort entwickelt, wo zuvor die alte geplatzt ist.

Oft wird auch angenommen, dass aufgrund der fehlenden Nachfrage oder der Unmöglichkeit des Kapitals neue Investitionsmöglichkeiten zu finden, das überschüssige Surpluskapital einfach in den Finanzsektor abwandert, wo sich mit der Zeit Blasen bilden oder dort unproduktive Politiken der rein monetären Akkumulation stattfinden, die auf Verschuldung basieren. Aber ganz im Gegensatz dazu ist mit Samir Amin darauf zu bestehen:»Finanzialisierung bietet daher nicht nur die einzige Möglichkeit, um überschüssiges Kapital aufzufangen, sondern ist auch der einzige Stimulus für das seit den 1970er-Jahren schwächelnde Wachstum in den USA, Europa und Japan. Ein Zurückdrängen der Finanzialisierung würde das Wachstum der »Realwirtschaft« folglich nur noch weiter schwächen«. Hinsichtlich der von der Finanzindustrie betriebenen Operationen und Strategien gilt es also anzumerken, dass sie ihre stärksten Effekte gerade nicht in der Zirkulationssphäre und auf den Konsum, sondern auf die Investitionen besitzen. Man denke etwa an den Dot.Com Boom und den entsprechenden Hype an den internationalen Aktienmärkten. Dabei vervielfachten sich eben nicht nur die Finanzinvestitionen, sondern es nahmen auch die realen Investitionen in die Computer- und Telekommunikationsindustrie zu. Als dann der Crash am Aktienmarkt erfolgte, gingen die Investitionen gerade auch in diese Industrien wieder zurück, sodass es zur Rezession kam.2 Die Rolle der Derivate in der folgenden Finanzkrise bestand unter anderem darin, ab einer bestimmten Phase den spekulativen Boom massiv anzuheizen, wobei die Deals mit ihnen sich weit über die USA hinaus ausdehnten und alle lokalen Barrieren überwanden. Dennoch waren die Derivate nicht der alleinige Grund für die Krise, sie gaben ihr aber eine spezielle Intensität und eine spezifische finanzielle Form.

Wirtschaftliches Wachstum benötigt zum einen ausreichendes Geldkapital und zum anderen eine höhere Beschäftigung und/oder steigende Arbeitsproduktivität, die stets an einen wachsenden und qualitativ verbesserten Kapitalstock (Bruttoanlagevermögen) gebunden ist. Die produzierte Wertmasse ist die Summe aus dem übertragenem Wert der Produktionsmittel (konstantem Kapital), dem Wert der beschäftigten Arbeitskräfte (variables Kapital ) und dem produzierten Mehrwert. Die Verlangsamung des Investitionswachstums und das Sinken der Investitionsquote sowie der Akkumulationsrate (Wachstumsrate des Kapitals) sind als wichtige Kriterien einer stagnierenden Kapitalakkumulation und schwindende Investitionsmöglichkeiten zu verstehen. Vom Standpunkt des Einzelkapitals aus ist es gleichgültig, ob die Verwertung des Kapitals aus einer Investition in fungierendes Realkapital oder in Finanzanlagen entspringt. Um die Tendenzen der Akkumulation einschätzen zu können, muss man alle Kapitalformen zu untersuchen. Da für das Unternehmen der Gewinn insgesamt und nicht etwa die Deckung der Güternachfrage zählt, ist es für das Einzelkapital letztlich egal, ob es diesen Gewinn mit Realinvestitionen oder mit Finanzanlagen erzielt Der sinkenden Investitionsquote entsprach eine sinkende gesamtwirtschaftliche Sparquote. In Deutschland hat sich die volkswirtschaftliche Sparquote seit 1970 bis heute von 20 auf rund 10 Prozent verringert. Dieser Rückgang geht weitgehend auf das Konto des sich zunehmend verschuldenden Staates (negatives Sparen) und der privaten Haushalte , während sich die Sparquote des gesamten Unternehmenssektors, darunter auch der nicht -finanziellen Kapitalgesellschaften, erhöhte. Das veränderte Anlageverhalten der Unternehmen der produktiven Sphäre ist daraus zu erklären, dass die Renditen aus Finanzanlagen im Vergleich zu denen im produktiven Bereich relativ kurzfristig sehr viel höher ausfallen können. Damit werden die Erwartungen der Shareholder und institutionellen Anleger, aber auch des Managements auf schnelle Gewinn und Boni besser befriedigt als bei Investitionen mit ihren langen und damit auch unsicheren Realisierungszeiten. Die Ursache dafür liegt zu einem guten Teil im wachsenden globalen Kapitalbedarf der Schwellenländer und der Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte auf der einen und einer über zyklischen Überakkumulation an produktivem Kapital in den hochentwickelten Ländern auf der anderen Seite. weitere Ursache sinkender Investitionsquoten ist die Ökonomisierung der Investitionen. Die Investitionsquote ist der Quotient aus Investitionen und Bruttoinlandsprodukt. Ihre Verringerung kann sowohl im Nenner wie im Zähler begründet liegen. Betrachtet man die Bruttoanlageinvestitionen im Zähler, so ist keine säkulare Verlangsamung zu erkennen. Seit Anfang der 1950er Jahre haben sie sich – mit Ausnahme der Krisen – linear erhöht. Das heißt, der Rückgang der Quote beruht darauf, dass der jährliche absolute Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt größer als bei den Investitionen war. In wichtigen Bereichen der Volkswirtschaft hat sich das Verhältnis von Produktionsoutput zu Sachkapitalinput verbessert, das heißt der Investitionsbedarf je Einheit Output-Zuwachs ging infolge kapitalsparenden technischen Fortschritts sowie steigender Skalenerträge in manchen Bereichen leicht zurück. Diese Entwicklung zeigt sich in einem im Vergleich zu früher stagnierenden , teilweise sogar sinkenden Kapitalkoeffizienten (Verhältnis von Bruttoanlagevermögen zu Bruttowertschöpfung) vor allem im verarbeitenden Gewerbe, in der Informations- und Kommunikationsbranche und in der Landwirtschaft. Gesamtwirtschaftlich wurde damit das Wachstum des Kapitalkoeffizienten abgebremst, was dämpfend auf die Investitionsquote wirkt Schließlich erhöhten die Unternehmen ihre Investitionen im Ausland stärker als im Inland, sodass sich der deutsche Bestand im Ausland zwischen 1990 und 2012 von 8 auf 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht

Das generell niedrige Wachstum der Ökonomie und die niedrige Profitabilität ihrer verschiedenen Sektoren waren zudem wichtige Gründe für den Boom des Derivatehandels und für den Aufstieg der finanziellen Innovationen, wobei umgekehrt die Derivate zusammen mit anderen Aspekten des Kreditsystems wiederum die Kapitalakkumulation stimulierten, indem sie die Transaktionskosten der Unternehmen verringerten, die Risiken erweiterten und Geldmittel und Zahlungsversprechen für die Generierung von Profiten freisetzten. Wenn aber in großem Umfang die Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden können, wobei hinter ihnen Myriaden von anderen finanziellen Geschäften stehen, dann kann dies der Auslöser eines finanziellen Kollaps werden. Daraufhin kommt es auch zu einem sich selbst verstärkenden fehlenden Vertrauen an den Finanzmärkten bis hin zur kollektiven Furcht, dass die erwarteten Gewinne illusorisch bleiben, und insofern stehen die Finanzkrisen dann immer auch in Relation zur »Realökonomie«.

Im Gegensatz zu den Thesen der Unterkonsumtionstheorie muss man unbedingt darauf hinweisen, dass der Kausalitätspfeil von der Reproduktion des Kapitals zur Nachfrage verläuft und nicht umgekehrt. Es gilt also auf der Gültigkeit der Marxschen These zu bestehen, dass »die Größe der Akkumulation die unabhängige Variable, die Lohngröße die abhängige ist, nicht umgekehrt« (MEW 23, 648). Die Dynamik der Kapitalakkumulation bestimmt letztendlich die effektive Nachfrage und das jeweilige Beschäftingungsniveau, wobei die Marxsche Kritik des Sayschen Gesetz nicht darin besteht, dass es im Kapitalismus immer ein Angebotsüberschuss geben muss, vielmehr gibt es selten ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu verzeichnen, und dies gerade aufgrund der zyklenhaften Entwicklung der Kapitalakkumulation. Krisen sind natürlich immer auch Symptome dieser Tendenz zum Ungleichgewicht, allerdings sind die wesentlichen Merkmale der ökonomischen Krise einerseits Prozesse der Überakkumulation von industriellem Kapital und der mit ihnen verknüpfte tendenzielle Fall der allgemeinen Profitrate, und andererseits die Überakkumulation von fiktivem und spekulativem Kapital, das dann ziellos um den finanzialisierten Globus zirkuliert.

1Mit den Swap-Lines bot die Fed anderen großen Zentralbanken eine temporäre wechselseitige Währungsvereinbarung an. Die Fed erklärte sich damit einverstanden, ein Angebot an Dollars für den Handel mit einer anderen Zentralbank zu einem bestimmten Wechselkurs verfügbar zu halten. Dafür erhielt die Fed einen Zinsaufschlag, sodass die Swap-Lines nur dann in Anspruch genommen wurden, wenn an den Märkten keinerlei Liquidität mehr vorhanden war. Die Dollarbeträge, welche andere Zentralbanken von der Fed erhielten, wurden von diesen an einheimische illiquide Banken weitergereicht (die auch die Kostender Swap-Line zu tragen hatten). Am 3.Oktober 2008 gewährte die Fed der EZB, Bank of England, Bank of Japan und der Schweizerischen Nationalbank Zugang zur Dollarliquidität in unbegrenzter Höhe. Innerhalb von drei Jahren wuchs der Betrag der unter Swap-Fazialität vergebenen Kredite auf die sagenhafte Höhe von 10 Billionen Dollar an.

2 Allerdings kann man den Einfluss des Finanzsektors auf die Nachfrage natürlich nicht ignorieren. Seit den 1990er Jahren sind die USA der weltweit größte Kapitalimporteur, wobei die Kapitalimportströme das wachsende Außenhandels- und Leistungsbilanzdefizit der USA mitfinanzieren. Dieser Zufluss von Kapital diente lange Zeit auch der Finanzierung des Konsums der US-Bürger, deren Lohneinkommen stagnierten und die zur Kompensation einen wachsenden Anteil ihres laufenden Konsums mit steigender Verschuldung finanzierten. Aufgrund dessen war dann auch das ökonomische Wachstum in den USA höher als in Europa oder in Japan. Da der Konsum in der Volkswirtschaft der USA ein Gewicht von 70 Prozent besitzt und die US-Wirtschaft mit etwa 30 Prozent des Weltsozialprodukts immer noch die global größte Volkswirtschaft ist, wirkte sich die durch Verschuldung angetriebene Nachfrage eben auch positiv auf die Weltwirtschaft aus. Während China seine Exportindustrie von Konsumgütern stark auf die USA ausrichtete, lieferten Japan und Deutschland vorwiegend Investitionsgüter in alle Welt und blieben aber indirekt auch von der stetig steigenden Konsumgüternachfrage der USA abhängig. Knapp zusammengefasst haben die Spekulationen an den Finanzmärkten die Verschuldung der USA unterstützt und damit auf globaler Ebene der Tendenz zur wirtschaftlichen Stagnation entgegengewirkt. Als die Finanzkrise im Sommer 2007 ausbrach, hörte das internationale Kapital auf, den Konsum der US-Haushalte zu finanzieren. Aufgrund der nachlassenden Nachfrage glitt die US-Volkswirtschaft Ende 2007 in die Rezession. Es dauerte etwa neun Monate, bis sich die schwach werdende Nachfrage auch in den Aufträgen der deutschen Exportwirtschaft niederschlug.

Nick Dyer-Witheford geht in seinem Buch Cyber-Proletariat auf das Problem ein, dass die Senkung oder die Stagnation der Lohnkosten, die u.a durch die Automation und das Outsourcing möglich wurde, die Frage aufwirft, wer die Produkte, die aus den globalen Lieferketten strömen, denn nun eigentlich kaufen soll, ein Problem, das in den USA seit den 1980er Jahren eben immer stärker mit der Vergabe von Konsumentenkrediten beantwortet wurde. Man kann zudem die Nachfrage steigern, wenn man bei fallenden oder stagnierenden Reallöhnen die Zahl der Arbeiter erhöht, wie dies in China der Fall gewesen ist, oder indem man, wie dies in den USA auch geschehen ist, den Luxuskonsum steigert und neue soziale Schichten aufbaut, die über erhebliche Kaufkraft verfügen, und zudem noch die Anzahl der Akteure, die im Vorfeld für die Realisierung der Waren zuständig sind, erhöht (Makler, Handelskapital, Immobilen etc.). Gelöst wird damit aber weder das Realisierungsproblem noch das der Überakkumulation. Letztere kann durch überhöhte Preise und Gebühren, höhere Steuern und eine radikale Austeritätspolitik zeitlich verschoben werden, was aber die Überproduktion und den Mangel an profitablen Investitionsmöglichkeiten und damit die Überakkumulation des Kapitals nicht aufhebt. Im Kontext der Überakkumulation von Kapital sind gerade auch die steigenden Kosten für technologische Investments in komplexe und aufwändige kybernetische Systeme und Infrastrukturen ein Faktor, der die dem Fall der Profitrate entgegenwirkenden Tendenzen, die auf den technologischen Innovationen der Kybernetik beruhen (Mikrochips), zum Teil kompensiert hat. Und der Immobiliensektor zeigt, was passieren kann, wenn dem Bausektor hohe Geldsummen von Banken geliehen wird, und gleichzeitig den Verbrauchern Hypotheken gewährt werden, damit diese die von Bauunternehmen gebauten Reihenhäuser kaufen können. In diesem Kontext ist das finanzielle Kapital ein überaus wichtiger Jongleur, um die jeweiligen Krisen zu verschieben oder zu kompensieren (und nicht allein deren Verursacher). Das finanzielle Kapital, das heute mit den besten integrierten kybernetischen Systemen ausgestattet ist, operiert ständig in einem Feld von Unsicherheit, das zyklisch auch Turbulenzen hervorruft, wobei die von Teilen des Proletariats neu hinzugewonnenen Lebensvorteile in Sekundenschnelle verdampfen können.

Foto: Bernhard Weber

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