Die Marx´sche Werttheorie (1)

  1. Das Problem der Wertform

Im Rahmen der Wertformanalyse geht es Marx nicht darum, die Tauschverhältnisse von Waren zu analysieren, seien sie als historische oder logische oder als historisch-logische Tauschformen begrifflich fundiert, da bei der Analyse von der einfachen Wertform über die entfaltete bis hin zur allgemeinen Wertform je schon kapitalistische Tauschverhältnisse mit ihren quantifizierten Einheiten und Relationen unterstellt sind, die dazugehörigen Mengenbestimmungen und -maße und in erster Linie eben das unkörperliche Maß Geld, symbolisches kapitalistisches Geld, mit dessen Existenz Waren realiter erst in quantifizierbare Relationen eintreten können. Nach Auffassung von Peter Ruben lässt sich im Rahmen der Marx’schen Illustration des kapitalistischen Reichtums als »ungeheure Warensammlung« diese rein formallogisch als intensionale Menge definieren (eine intensionale Menge ist dadurch charakterisiert, dass ihre Elemente durch eine einzige ihnen gemeinsam zukommende Eigenschaft bestimmt sind). Und die einzelne Ware – weder empirisch noch idealtypisch definierbar – stellt ein Element dieser Menge dar, womit die Marx’schen Bestimmungen – Warensammlung und »Elementarform« Ware – von den mengentheoretischen Definitionen »Menge und Element« zunächst nicht wesentlich verschieden sind, bis eben auf den Umstand, dass Marx mit »Menge« immer auch eine ganz spezifische Menge im Auge hat, nämlich eine jeweils empirisch gegebene Menge von Produkten als potenzielle Waren. (Vgl. Ruben 1998: 17) Warensammlungen im Kapitalismus, die Marx in ihrer historisch-singulären Realität vorfindet, und zwar als Resultate von kapitalistischen Produktionsprozessen, stellen eine gegebene Voraussetzung für die begriffliche Explikation des Kapitals und seiner Formen dar. Eine aktuell gegebene Menge von Produkten im Kapitalismus lässt sich damit zugleich als (potenzielle) Realisation des (kapitalistischen) Waren-Reichtums bezeichnen. (Ebd.) (Man sollte allerdings hinzufügen, dass es im Kapitalismus auch eine große Anzahl von Materialisierungen des Reichtums als Nicht-Waren gibt, bspw. Institutionen wie Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse etc., wie sie von Foucault ausführlich beschrieben worden sind.) Wir haben es bei der Marx also mit einer objektiven Werttheorie zu tun, insofern zuallererst Objekte – die zunächst nur potenziell Waren sind, weil sie in der Zirkulation vom Geld realisiert werden müssen, um Warenstatus zu erlangen (»Waren sind nicht«) – im Kontext objektiver Relationen/Strukturen der kapitalistischen Verwertung thematisiert werden –, und damit eben keine Subjekte etwa als Exekutoren einer Rational-Choice-Theorie, deren Referenzeinheit der im Zuge der Affirmation von Strategien der Optimierung seinen Nutzen rational kalkulierende Aktant ist. Marxens objektive Werttheorie entkoppelt sich an diesem Punkt nicht nur von den subjektivistischen bzw. neoklassisch orientierten Werttheorien, sondern auch von den klassischen Arbeitswerttheorien von Ricardo und Smith. Gleichermaßen ist ein radikaler Schnitt gegenüber den immer noch reflexionslogisch argumentierenden Positionen vorzunehmen, die Marx an den Hegel’schen Diskurs binden wollen, wie das durch die sog. kapitallogische Marxlektüre z. T. forciert wurde, von den zahlreichen Versuchen, Hegels absoluten Geist und Marx’ problematisches Verfahren in ein wie immer geartetes Korrespondenzverhältnis zu bringen, einmal abgesehen.

Eine der ersten wichtigen Thesen von Marx lautet, dass die Begriffe Wert und Gebrauchswert gegensätzliche Bestimmungen eines Dings – Ware – implizieren, wobei im gleichen Atemzug die sonderbare Beziehung zwischen mindestens zwei Waren angesprochen ist, sonderbar insofern, als vor allem die zweite Ware in dieser Relation eine ganz bestimmte Rolle spielt. Wir werden das noch sehen. Betrachtet man nämlich eine Ware vollkommen isoliert, so unterscheidet sie zunächst rein gar nichts von einem bloßen Gebrauchs-Objekt, wovon dann möglicherweise ein verschiedener, ein unsichtbarer Wert ausgedrückt werden könnte. Ein Objekt kann nicht an sich wertvoll sein, es benötigt dazu den Bezug auf ein anderes Objekt. Dennoch sind jene gegensätzlichen Bestimmungen von Gebrauchswert und Wert zunächst nicht auf zwei Waren verteilt, sondern auf eine einzige Ware konzentriert, sie stellen zwei in einem Objekt konzentrierte Strukturmomente (Form) dar, die als gegensätzliche Bestimmungen natürlich in einer Ware kein Wechselwirkungsverhältnis eingehen können. Ware als Elementarform des gesellschaftlichen Reichtums heißt, dass etwas Seiendes (Ware) ihn unmittelbar darstellt, doch muss der Reichtum in eine Form auseinandergelegt und als Verhältnis von zwei Waren bestimmt werden. Marx schreibt bezüglich der Ware: »Sie sind jedoch nur Waren, weil Doppeltes, Gebrauchsgegenstände und zugleich Wertträger. Sie erscheinen daher nur als Waren oder besitzen nur die Form von Waren, sofern sie Doppelform besitzen, Naturalform und Wertform.« (MEW 23: 62) Hierbei stellt sich die Bezeichnung der Ware als Gebrauchsgegenstand (neben der Bezeichnung der Eigenschaft »Wert«) gegenüber dem von Marx oft synonym verwendeten Begriff Gebrauchswert als korrekt heraus, denn schließlich ist mit dem Begriff des Gebrauchswerts zuallererst die Nützlichkeit eines Objekts benannt, während das, was Marx als »Ware« bezeichnet, insofern sie materieller Träger des Werts ist, durch den Gebrauch des Terminus »»Gebrauchsgegenstand«« konformiert wird. (Vgl. Ruben 1998: 18f.) Die Nützlichkeit eines Objekts generiert also den Gebrauchswert und somit hat die Ware einen Gebrauchswert, weil sie irgendeine Art der Bedürfnisbefriedigung gestattet, während die Ware als Gebrauchsgegenstand Träger von Wert ist. So ließe sich dann auch erfassen, dass die Ware als Einheit von Gebrauchsgegenstand und Wert eine merkwürdige Synthesis des Sinnlichen und Übersinnlichen beinhaltet, des Endlichen und des Unendlichen –, genau diese Synthesis kann die Ware an sich selbst nicht darstellen. Und exakt darin sah Marx eine Antinomie. (Marx` Analyse der Wertform geht von einer historisch kontingenten gesellschaftlichen Situation aus, ansonsten hätten wir es nicht mit der Analyse einer singulären Produktionsweise zu tun, sondern etwa mit der Anfangsbestimmung des Hegel’schen Prozesses. Und was wir als Hyper-Objekte der Kritik der politischen Ökonomie oder der Nicht-Ökonomie beschreiben, sind nicht die Dinge an sich, sondern sozusagen immer nur ganz bestimmte »Phänomene«, die durch die kapitalistische Ökonomie konstituiert werden und die man vielleicht als spektrale Objekte bezeichnen könnte; das Ding an sich entzieht sich aber nicht einfach, sondern kann durch eine antinomische Realitätserfahrung hindurch beschrieben werden.)

Schon mit dem Wertbegriff stellt Marx auf ganz bestimmte Verhältnisbegriffe ab. Unter Verhältnisbegriffen sind solche Terme zu verstehen, die nicht für sich, sondern nur wechselseitig durch den jeweils anderen Term bestimmt werden können. Im Unterschied zum mathematischen Begriff der Relation hat Engels die Kategorie »Verhältnis« von vornherein auf zwei Ebenen definiert: a) »Darin, daß es ein Verhältnis ist, liegt schon, daß es zwei Seiten hat, die sich zueinander verhalten.«(MEW 13: 475), (b) »Verhältnisse sind aber stets an Dinge gebunden und erscheinen als Dinge.« (Ebd.: 476) Nach Auffassung von Engels unterscheiden sich binäre Verhältnisse (welche stets eine Wechselwirkung von Begriffen aufeinander enthalten) sowohl von Handlungen als auch von Sachverhalten und sie unterscheiden sich zudem von der mathematischen Relation, insofern Verhältnisse nicht ohne Objekte oder Dinge existieren. Man könnte nun daran anschließend den Prozess der Kommodifizierung als die Art und Weise beschreiben, wie differente, unabhängige Objekte auf äquivalente Einheiten (Waren) reduziert bzw. homogenisiert werden, womit Objekte mit ihren verschiedenen Materien und verschiedenen Relationen, welche u. U. ein plurales Feld eröffnen, in die infinite Selbstähnlichkeit von Waren übersetzt werden, was sich schließlich nur von einem nicht-repräsentationalen Dritten erfassen lässt. Mittels der Geltung des Geldes werden Objekte, die potenziell Waren sind, in einen gesellschaftlichen Zusammenhang integriert, womit ihre Singularität und ihre Nuancen, das Unwahrscheinliche an ihnen selbst ausradiert ist. So ergibt sich die Schlussfolgerung, dass Waren in erster Linie für Geld sind, indem sie ihre Werte in ihm darstellen – als Waren damit in gewisser Weise nicht sind, womit sie so etwas wie eine dynamei darstellen, insofern sie im Tausch gegen Geld erst als solche realisiert werden müssen. Waren fristen deshalb keine unabhängige Existenz, was Marx mit der Metapher »sinnlich-übersinnliches Ding« auch konzentriert zum Ausdruck gebracht hat. Es gibt hier keinerlei Tiefe oder Entzug mehr, und das unterscheidet die Ware von intentionalen oder materiellen Objekten, die eine unabhängige Existenz besitzen, wenn sie auch nicht als vakuumverpackt (Graham Harman) zu verstehen sind und Relationen eingehen (müssen). Der Wissenschaftstheoretiker Roy Bhaskar behauptet, dass manche Ereignisse nicht existent seien oder manche Objekte dunkel blieben, und dies selbst, wenn sie eine Tendenz besäßen, an die Oberfläche zu dringen oder »heiß« zu werden, weil es u. U. Kräfte gäbe, die extrem gegen diese Objekte arbeiten würden. Auf der anderen Seite könnte man auch sagen, das bestimmte Ereignisse oder helle Objekte persistieren, gerade weil es soziale Kräfte und Umstände gibt, die diese Art von Objekten als ewige Positivitäten zu determinieren scheinen. Nun wäre die Kommodifizierung selbst als solch ein Prozess der Strukturierung von Objekten aufzufassen, und dies aufgrund der Tatsache, dass hier eine Abstraktion der Objekte auf eine Un-Eigenschaft stattfindet, indem externe Relationen, die den Relata/Objekten äußerlich sind, permanent in interne Relationen transformiert werden, insofern Relata/Waren eben eine einzige seltsame Un-Eigenschaft gemeinsam haben, die sie scheinbar auf ewig aneinander bindet: Wert – womit in erster Linie die durch diese Un-Eigenschaft konstituierten Relationen von Objekten als sozial relevant gelten. Gleichzeitig gilt es davon auszugehen, dass die in die Relation eintretenden Waren ihrer Relationierung nicht vorausgehen. Die Ware ist in erster Linie als Preis relevant. Allerdings bedarf diese spezifische Formierung des Sozialen unweigerlich der Prozeduren, die wir an dieser Stelle nicht nur als Aktualisierung, sondern zudem noch als den immanenten Terrorismus der kapitalistischen Kommodifizierung bezeichnen wollen, der mittels einer tautologischen Repetition arbeitet, die sich mit den (begrifflichen) Figuren der Selbstähnlichkeit und Reflexivität der Wertformen erfassen lässt. Und dies hat mit derjenigen Art von Wiederholung, die z. B. der Soziologe Gabriel Tarde in seiner Konstruktion einer Mikrosoziologie als Invention bezeichnet hat, rein gar nichts zu tun, insoweit es sich bei Letzterer um die Erfindung von wirklich Neuem durch die den Unterschied wiederholende Kombination von jeweils Existentem handelt. Paradoxerweise ist es aber gerade der immanente Terrorismus der Kommodifizierung, der selbst gegenüber der Invention noch ein starkes Moment der Aktivität akzentuiert, insofern er es gerade schafft, die Inventionen, ihre konfligierenden Kreationen, Affektionen und Impulse innerhalb des sozialen Hologramms, das wir möglicherweise Gesellschaft nennen (ohne diese als Allquantor, Behälter oder ursprüngliche Objektivität vorzustellen), entweder zu homogenisieren, oder, wie wir später noch sehen werden, mit außerordentlichen Dissonanzen (synthetische Finance) zu durchdringen. So verwandelt sich heute die Warenform in den Prozessen der Wertbildung zunehmend in einen kybernetischen Code, i.e. die Warenform ist eine Zeichenform. Arthur Kroker spricht hier von einer rekombinanten Warenform, mit der die Geschwindigkeit der Zirkulation von der Transformation des Gebrauchswerts in eine Ökonomie der Geschwindigkeit und des Virtuellen abhängig wird (vgl. Kroker 2004); und schließlich spricht Kroker im Gleichklang mit Baudrillard von einem »rationalen Terrorismus des Codes« als einer entscheidenden Form der kapitalistischen Axiomatik. Andererseits schlägt sich der arbiträre Reduktionismus, welcher der Kommodifizierung inhärent ist, gerade auch in den mangelhaften Konzeptionen der subjektorientierten ökonomischen Wissenschaften nieder: Schließlich dürfte eine wissenschaftliche Disziplin niemals abschließend von sich behaupten, sie könne so etwas wie universelle Geltung für alle Differenzierungen, Nuancen und Facetten ihres (ökonomischen) Objekts oder Gegenstandes beanspruchen, wie auch eine Epistemologie (set of concepts, axioms, definitions) niemals die Totalität eines Feldes innerhalb einer Disziplin darzustellen oder abzustecken vermag (hier der Ökonomie). In diesem Rahmen lässt sich das Prinzip jeder suffizienten Ökonomiewissenschaft, die etwa beansprucht den zureichenden Grund für jedes einzelne ökonomische Phänomen zu bewirtschaften, mit diesen Worten umschreiben: Jede Ökonomie besitzt dieselbe Form, welche die Vorlage für jede Art von empirisch-ökonomischer Wissenschaft ist.

 

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