Die Oktoberrevolution und das Scheitern der Sowjetunion als sozialistisches Projekt

 

Für H., ohne die dieser Text nie entstanden wäre

I Vorbemerkungen

Im linken Diskurs über Oktoberevolution und Sowjetunion gibt es verschiedenen Strömungen: eine orthodoxe, die die Sowjetunion bis 1991 als sozialistisch ansieht und als solche verteidigt, eine maoistische, die das Scheitern auf das Jahr 1956 festlegt, sowie eine trotzkistische, die früher ansetzt, die UdSSR aber als „degenerierten Arbeiterstaat“ betrachtet. All diesen Variationen des Marxismus-Leninismus (ML) ist unserer Auffassung nach jedoch gemeinsam, dass ihnen die grundlegende Analyse der Organisationsformen des Kapitals und der ökonomischen Struktur mit der Beziehung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Teil der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie aus dem Blick gerät. Oft fehlt auch die Rückbesinnung auf eine wirklich materialistische Staatsanalyse. Des weiteren existiert eine anarchistische Sicht, die aus herrschaftskritischer Perspektive das bolschewistische Revolutionsmodell insgesamt und unabhängig von der historischen Ausgangslage als falsch ansieht, aber kaum politökonomische Überlegungen dazu anstellt. Weitgehend verschüttet ist hingegen die Tradition, an die wir hier anschließen möchten: die links-kommunistische. Das sie vergessen ist, hat spezifische historische Gründe, und diese Gründe hängen mit dem Gegenstand, dem Revolutionsverlauf in der UdSSR sowie den Verhältnissen in den anderen kommunistischen Parteien Europas, eng zusammen. Diese Richtung wurde gewaltsam unterdrückt, und die Unterdrückung von Alternativen oder Korrekturen ist ein wesentliches Moment des Scheiterns des revolutionären Prozesses im Gesamten. Positionen, die sich nach wie vor positiv auf diese Unterdrückung beziehen, die unkritisch die Herrschaftsverhältnisse der UdSSR beschreiben, dies sogar noch aus den Schriften Stalins ableiten und damit weiter an der Verflachung des Marxismus als plumper Legitimationsideologie arbeiten, sind aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht ernstzunehmen, denn nichts kann ihren ideologischen Kern besser enthüllen als gerade die übertrieben bemühte Betonung der „Wissenschaftlichkeit“ ihres „Sozialismus“. Sie sind jedoch ein politisches Problem für die Linke, deren Stigmatisierung sie begünstigen.

Wir haben den hundertsten Jahrestag der Oktoberrevolution zum Anlass genommen, um verbreitete Sichtweisen einer kritischen Revision zu unterziehen, darunter auch diejenige, die UdSSR sei zumindest noch bis 1956 sozialistisch gewesen. Dabei positionieren wir uns gleichermaßen jenseits von blinder Apologie und bürgerlichen Antikommunismus und verstehen dies als Sowjetunion-Kritik von links. Einige theoretische Vorannahmen auch der progressiveren heutigen ML-Gruppierungen, mit denen wir nicht einverstanden sind, ergeben sich daraus, dass dort jeweils eine Seite des historischen Revisionismusstreits1 herangezogen wird, der sich letztlich in der Form der Konkurrenz zweier Staaten (Sowjetunion versus China) ausgedrückt hat, und welche unter Rechtfertigungszwang stand, das bessere Modell und die Führungsrolle des realsozialistischen Lagers gegen einen wie auch immer gearteten Revisionismus zu verteidigen. Diesen Zwängen unterliegen wir heute nicht mehr. Letztlich haben beide Konfliktparteien zu existieren aufgehört bzw. sind kapitalistisch geworden. Deshalb wollen wir den Marxismus aus seiner von staatlichen und herrschaftlichen Interessen durchsetzten Form lösen und, ohne Rücksicht auf Identifikationen aus der Vergangenheit, anhand der Erfordernisse hier und heute ausrichten. Seine Übertragung und Anwendung als Methode muss dabei ständiger Weiterentwicklung unterliegen. Dies ist notwendig wenn wir nicht überhistorisch, sondern konkret analysieren möchten, um dem Geschichtsverlauf, unseren Erfahrungen und der heutigen Realität gerecht zu werden. Eine linkskommunistische Traditionslinie heißt für uns, die Oktoberrevolution zu verteidigen, aber auf der Offenheit der Geschichte zu beharren – bei allen strukturellen und situativen Zwängen wie auch determinierenden Faktoren der ökonomischen Entwicklung selbst – und damit aufzuzeigen, dass Alternativen prinzipiell möglich waren und sind, das Veränderung machbar ist. Das bedeutet in diesem Kontext auch, den Verlauf der Revolution sequenziell und kritisch zu untersuchen und insbesondere, die offiziellen Quellen der Geschichtsschreibung der kommunistischen Bewegung in Frage zu stellen, mit denen immer auch politische Absichten, vor allem solche der Rechtfertigung des Bestehenden, verbunden waren. Unsere Ansichten zum Thema werden wir im Folgenden kurz vorstellen und begründen. Dazu möchten wir zunächst eine grobe Entwicklung der Oktoberrevolution skizzieren, bevor wir einzelne, in diesem Zusammenhang wichtige Aspekte diskutieren und der Frage nachgehen, inwiefern diese eine „Revision“ bzw. Aufgabe revolutionärer Kernprinzipien darstellen – wobei uns vor allem die Kriterien einer sozialistischen Wirtschaftsordnung wichtig sind -, und kommen zuletzt zu einigen abschließenden Bemerkungen über Geschichtsbetrachtung und heutige Politik.

II Über die Entwicklung der russischen Revolution2

Russland unter dem Zarentum war ein Land, das sich durch einen despotischen politischen Überbau samt starker Bürokratie und das Fehlen einer entwickelten bürgerlichen Gesellschaft auszeichnete, weshalb der marode Staatsapparat verhältnismäßig schnell erobert werden konnte.3 Ökonomisch im Gegensatz zu Westeuropa äußerst „rückständig“, also ohne entwickelte kapitalistische Produktivkräfte in größerem Maßstab4 und durch einen scharfen Stadt-Land-Gegensatz gekennzeichnet, war die Klassenstruktur im Wesentlichen agrarisch-bäuerlich geprägt. Die Oktoberrevolution war deshalb auch nur in wenigen Städten eine proletarische und in der Hauptsache, auf dem Land, eine anti-aristokratische.5 Aufgrund der Klassenverhältnisse hatte Lenin genau erkannt, dass dies ein Bündnis mit der Bauernschaft erforderlich machte.6 Dessen politischer Ausdruck nach der Periode des „Kriegskommunismus“, während der „weiße“ und ausländische Konterrevolutionen abgewehrt und die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden mussten, war die „Neue Ökonomische Politik“, in gewisser Weise eine Art Staatskapitalismus,7 die Handelsfreiheit, unternehmerische Perspektive und ausländisches Kapital unter der politischen Kommando dem Bolschewiki gewähren ließ. Lenin bekämpfte mit Marx zwar die etatistischen Vorstelllungen der deutschen Sozialdemokratie,8 also der primären „Revisionisten“ in allgemeinen politischen Fragen, behielt aber eine starke Stellung des nachrevolutionären Staates in wirtschaftlichen Fragen bei, eben als eine Art „Staatskapitalismus“ bzw. „Sozialismus als staatskapitalistisches Monopol zum Nutzen des Volkes“.9 Dieses Modell ließe sich selbst bereits als eine „Revision“ verstehen, war aber die Anerkennung der Realität, dass die Bolschewiki objektiv auch eine nachholende, „bürgerliche“ Revolution vollzogen hatten und daher, wollten sie nicht gegen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung agieren, ein Bündnis mit den Bauern eingehen mussten.10 Dennoch hielt dieser „Rückzug“ noch Möglichkeiten offen, durch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Intensivierung der Klassenauseinandersetzung die Revolution weiter fortzuführen. Die Arbeiterklasse sollte sozusagen erst hegemonial werden. Genau diese Möglichkeit wurde, sofern sie unter den einschränkenden Bedingungen einer Modernisierungsnotwendigkeit vorlag, allerspätestens mit dem Frontalangriff auf die Bauern durch Zwangsproletarisierung, Industrialisierung und Kollektivierung endgültig und brachial beendet. War Lenins Konzeption an der Oberfläche bürgerlich, in der Tiefe aber „proletarisch“, auch wenn sie bereits die Entwicklung der Produktivkräfte einseitig gegenüber den ihnen dialektisch verbundenen Produktionsverhältnissen begünstigt,11 so wurde unter Stalin eine im Kern bürgerliche Politik mit einer proletarischen Oberfläche gewaltsam durchgesetzt. Der erste große Prozess dabei, die Zwangskollektivierung, setzte eine Enteignung der Bauern von ihrem Produktionsmittel, dem Grund und Boden, ins Werk, unterwarf diese in den Kolchosen unterschiedslos einer Art Staatssklaverei und revidierte die demokratischen Ergebnisse der Revolution auf dem Land.12 Da die Partei im ländlichen Raum ohnehin schlecht verankert war, konnte durch eine solche gewalttätige und aufgezwungene Umwälzung dieser Zustand und somit die Möglichkeit der Initiative der Massen nur schlechter werden. Hier ist allerdings die Frage aufzuwerfen, inwieweit die Entmachtung anderer linker Strömungen, vor allem der Sozialrevolutionäre als Vertreter der Bauernschaft, diese Lage schon viel früher selbst mitverursacht hatte,13 gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Bolschewiki allein die Vermittlung und den Ausgleich zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen kaum leisten konnten.14 Auch muss, aus heutiger Sicht, bereits der Angriff auf die Kronstädter Matrosen als „Menetekel“ des Abwürgens der Initiative von unten gesehen werden.15 Denn die revolutionären politischen Organisationen, die Räteorgane (Sowjets), verloren ihre Macht schon sehr früh und erlebten ihren schrittweisen Niedergang aufgrund der Krise der Revolution bereits zwischen 1918 und 1921.16 Zudem wurde in der Sowjetunion bereits seit dem X. Parteitag 1921 die innerparteiliche Diskussion erschwert (durch das „Beschluss über die Einheit der Partei“17 genannte Fraktionsverbot), ab 1929/30 war öffentlicher Widerspruch dann praktisch ganz unmöglich. Der zweite große Prozess, die Industrialisierung, führte dann zu einer Proletarisierung breiter Schichten, sowie zum Zuwachs derjenigen Schichten, die die Produktion leiteten (Direktoren, Ingenieure, Techniker, Verwaltung). Diese traten den Arbeitern als äußerliche, fremde Macht gegenüber, da die Produzenten selbst die Produktionsprozesse in keiner Weise, weder politisch-gesamtgesellschaftlich, noch sozial, mitbestimmen konnten: Die praktische Arbeiterkontrolle auf Fabrikebene geriet unweigerlich mit der Zentralisierung in Konflikt. Hatte die Parteibürokratie sich vorher den Arbeitern bereits entfremdet, über die sie herrschte, so verloren diese auch ihre soziale Organisation durch die frühzeitige Abschaffung der Arbeiterkontrolle18 und die Integration der Gewerkschaften in den vom alten Regime übernommenen Staats– und Verwaltungsapparat (Unterordnung unter das Volkskommisariat Narkomtrud).19 Als Interessenvertretungen des Proletariats hätten sie jeweils die Vermittlung des Produzenteninteresses leisten können und wären zugleich Ausdruck wirklicher Vergesellschaftung gewesen.20 Auch die Kontrollgremien behielten nicht lange ihren proletarischen Charakter. Zwar wurde 1920 die Zentrale Kontrollkommission (ZKK) gegründet und konnte bis 1922 erfolgreich als Beschwerdestelle fungieren, anschließend aber, mit der auf dem XI. Parteitag 1922 verabschiedeten Resolution über die Vereinheitlichung, wurde sie eine Abteilung des Verwaltungsapparates und damit faktisch in ihr Gegenteil umgewandelt – in eine Sammelstelle für Denunziantentum.21 Die Verschmelzung der Repressionsorgane, der Geheimpolizei Tscheka bzw. GPU ab dem X. Parteitag ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen: Hier ging es um die Disziplinierung von – durch willkürliche und je nach Herrschaftsinteresse neu festgelegte Kriterien – „Abweichlern“ innerhalb der Partei, statt um unabhängige Kontrolle, also eine repressive Behandlung sozialer und politischer Auseinandersetzungen. Die in den Fünfjahresplänen und immer neuen Produktionsnormen geforderte Erhöhung der Produktivität aber bedeutete dann nichts anderes als die Intensivierung der Ausbeutung bei gleichzeitiger Machtlosigkeit der Arbeiterklasse, die dem Angriff der staatlichen Apparate schutzlos, ohne authentische Kampforganisationen und ohne entsprechend verbürgte Rechte, der man sie wieder beraubt hatte, gegenüberstand.22 Die Industrialisierung, die die Akkumulation aller abgepressten Mittel aus der Landwirtschaft erforderte, genoss absolute Priorität, wodurch sich in der Folge auch der Lebensstandard verschlechterte.23 Die Reallöhne der Arbeiter sanken und die Wohnungsverhältnisse wurden insgesamt prekärer. Für die Bauern bedeutete der Export von konfisziertem Getreide (für Devisen) eine massive Not, die unzählige Hungertote forderte. Rigide Disziplinarstrafen, das repressive Arbeitsrecht, Zwang und Despotismus verhindern sie jede Initiative von unten. Zusammen mit den neu entwickelten kapitalistischen Anreizmechanismen (Konkurrenz und Gratifikation) zeugten sie von tiefen gesellschaftlichen Widersprüchen, die sie befrieden sollten, also von einer massiven Nichtübereinstimmung der Planvorgaben der Partei mit dem Interessen der Produzenten. Die rücksichtslose Umwälzung von oben, die bereits ohne proletarische Partizipation keine proletarische Revolution sein konnte, wurde über und gegen das Klasseninteresse der Arbeiter verhängt und ist zu begreifen als hoch verdichteter Prozess einer staatlich induzierten ursprünglichen Akkumulation24 der Sowjetunion mit all den bekannten inneren Begleiterscheinungen.25 Lässt sich bereits für die 1920er Jahre eine relative Verselbständigung der Bürokratie feststellen,26 so wurde diese mit der Industrialisierung massiv gestärkt. In den 1930er Jahren wurde die Partei, und insbesondere deren Führung, zum unangefochtenem Machtzentrum. Der Hintergrund dieser Entwicklung war aber die weitgehende Auswechslung der alten Mitglieder der Partei27 und die Aufnahme neuer Mitglieder, die aus dem Apparat stammten, sowie der ab dem Mord an Kirow 1934 folgende große Terror, der die physische Ausschaltung nahezu aller alten Revolutionäre von 1917, und damit, sozial wie politisch, des revolutionären Gehalts der Partei, durchsetzte. Gleichzeitig lag die Logik der Moskauer Prozesse darin, die eigenen, nach offizieller Lesart nicht (mehr) existierenden Missstände und Widersprüche zu vernebeln, nach außen zu projizieren und als Agententätigkeiten zu unterstellen – es sollte dann nur noch Abweichungen und Verrat, aber keine innergesellschaftlichen Probleme mehr geben. Damit sollte auch jede vergangene wie künftige Alternative unmöglich gemacht und, als äußerer Feind denunziert, physisch und politisch ausgelöscht werden, um sie aus dem kollektiven Bewusstsein des Proletariats zu verbannen. Der große Terror der 1930er Jahre war keine revolutionäre Gewalt, keine Gewaltanwendung gegen eine herrschende Klasse von unten, sondern vielmehr eine des herrschenden Apparats gegen die Beherrschten sowie parteiinterne Gegner.28 In Artikel I der sowjetischen Verfassung von 1936 stand: “Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist ein Sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern.“29 Schauen wir uns also an, was mit Arbeitern, Bauern und Sozialisten in der Sowjetunion geschah: Die erzeugte Atmosphäre der Angst diente einerseits zur Ausschaltung politischer Konkurrenten und insofern um Machtkonsolidierung von Partei und Bürokratie, als der Terror in seiner Dimension und irrationalen Seite durch die Liquidierung der Kader in Wirtschaft, Verwaltung, Partei und Militär auch eine Desorganisation und Schwächung der Sowjetunion darstellte) sowie der Entdemokratisierung, der Absicherung der Enteignung der Bauern und der Entrechtung der Arbeiter, die nur noch als Produktivkraft vorgesehen waren. Anderseits stellte die Massenrepression durch das geschaffene Lagersystem von immensen Ausmaß selbst eine Produktivkraft dar,30 wurde dadurch doch eine beträchtliche Anzahl von Arbeitern einem Regime der Zwangsarbeit und der massiv verschärften Ausbeutung unterworfen, ohne welches Tempo und Umsetzung der Industrialisierungsvorhaben nicht realisierbar gewesen wären. Die breite Spreizung der Löhne,31 die Entwicklung von Leistungslohn und Lohndifferenzierung, wurde ab 1931 ideologisch mit dem Kampf gegen die „linkslerische Gleichmacherei“32 flankiert – ein direkter Angriff auf das Klassenbewusstsein der Arbeiter. Zudem wurde unter Stalin der Akkord- bzw. Stücklohn eingeführt, von dem Marx annahm, er sei die dem Kapitalismus adäquate Form der Entlohnung.33 Unter Stalin wurde somit die Arbeiterschaft fragmentiert, individualisiert, zu mehr Wettbewerb genötigt und zunehmend auch in ihrer Bewegungs- und Wahlfreiheit eingeschränkt (an die Produktionsmittel gefesselt). Abgesehen von der bleibenden Warenförmigkeit der Arbeitskräfte als Lohnempfänger ging damit hier selbst das letzte Mittel, zu dem die Sowjetapparat in seiner bestehenden Verfasstheit in der Lage gewesen wäre, die annähernd gleiche materielle Teilhabe am Gesamteinkommen, also eine distributive Verteilung im Sinne einer nur reformistischen Politik, verloren.34 Ideologisch schafften „Proletkult“ und Arbeitsfetischisierung dazu das Bild einer Arbeiterklasse, die sich widerstandslos in das vorgeblich sozialistische System einfügt und kritiklos immer neuen Produktionsanstrengungen unterwirft.35 Unter Stalin wurde schließlich ein Großteil des Mehrprodukts zur Akkumulation verwendet, um die Industrialisierung voranzutreiben. Dieser von oben verfügte Zwang war aber für die Beherrschten nichts wesentlich anderes als ein privatkapitalistischer Akkumulationszwang unter staatlicher Regie.

III Zur Diskussion der Kriterien einer sozialistischen Wirtschaftsordnung

Zwar können Arbeiter nicht den gesamten Gegenwert ihrer Arbeit erhalten und selbst verbrauchen, denn statt kleinbürgerlichem Egoismus benötigt der Sozialismus ein Gemeinwesen, in dem kollektiv über den Inhalt der Produktion und das Mehrprodukt entschieden wird, also darüber, was zur eigenen Reproduktion und was für den gemeinsamen gesellschaftlichen Bedarf zu verwenden ist. Erst die Selbstaufhebung des Proletariats in der klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus fällt dann zusammen mit der Kongruenz des allgemeinen und unmittelbaren Interesses. Die alles entscheiden Frage des Sozialismus ist also: Wer entscheidet über Produktion und Mehrprodukt? In einer widerspruchsbehafteten Gesellschaft bedarf es, gerade auch um eine Vermittlung zwischen dem unmittelbaren und dem allgemeinen Produzenteninteresse, zwischen Autonomie und bewusster Planung, zu leisten, Modi und Organe der Klassenorganisierung. Bürgerliche Praxis kann eine rückständige Ökonomie nicht negativ aufheben. Zwar existierte es in der Sowjetunion kein Privat-, sondern Staatseigentum, aber diese (juristische) Überführung hat noch nichts mit der Umwälzung der Produktion zu tun. Ein Expertengremium wie Gosplan unter der Ägide der Parteiführung war es, das als dem Produktionsprozess äußerliche Instanz über die Planvorgaben, nach denen produziert werden sollte, entschied. Statt der Anarchie des Marktes wurde „bewusst“ geplant und organisiert, aber eben politisch und nicht gesellschaftlich. Ebenso war es die Parteiführung, die über die Verwendung der verstaatlichten Produktionsmittel und das erwirtschaftete Mehrprodukt zu entscheiden hatte, während die Produzenten weiterhin gezwungen waren, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die Partei übernahm also in den 1930er Jahren sozusagen die Rolle der Kapital-Eigentümer – und verfügte zugleich über die zentralisierten Machtmittel und die politische Führung – während die Techniker und Direktoren die operative Leitung innehatten, also als fungierendes Kapital auftraten (analog den Managern im Kapitalismus). Diese Entscheidungen waren aber in der Sowjetunion also bereits frühzeitig undemokratisch und unter Ausschluss der Werktätigen geregelt. Eine solche Form schließt die kooperative Assoziation der Produzenten und die Aufhebung entfremdeter Arbeit prinzipiell aus.36 Abgesehen davon, dass dies hochgradig ausschließend ist, können solch zentralisierte Vorgaben auch kaum ökonomisch zweckmässig sein, weil sie an Fähigkeiten und Wissen der Produzenten vorbei agieren. Findet Verstaatlichung ohne gleichzeitige Selbstverwaltung bzw. zumindest Partizipationsmöglichkeit statt, führt sie lediglich zu einer Konzentration zusätzlicher, ökonomischer Machtmittel im Staat. Die Beziehung der Arbeiter zu Staat und Partei war in der Sowjetunion folglich nur als Unterwerfung möglich, und die Produktion wurde nicht vom Wohl der Produzenten bestimmt. Fehlt eine gesellschaftliche Kontrolle auch im Nachhinein, wird die Beibehaltung der Arbeitsteilung zur Herrschaft und führt über die Lenkung des Arbeitsprozesses hinaus zur Abpressung von Mehrarbeit, also zur Ausbeutung37 (Und damit sind bestenfalls noch distributive Veränderungen der Einkommen im Sinne sozialdemokratischer Politik möglich). Die Stellung der Produzenten in der Gesellschaft aber gibt wesentlich Auskunft über deren Verfasstheit. Die Arbeiterklasse in der Sowjetunion war in einer nachholenden Modernisierungsdiktatur ohne jedes Mitspracherecht, ohne Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeit entfremdet, entrechtet und überausgebeutet. Von den Bauern ganz zu schweigen, die in den Kolchosen quasi auf Sklavenniveau herabgedrückt wurden. Eine Form der Planwirtschaft, die den Arbeitern alle Mittel (und Rechte) entzieht, kann aber nicht sozialistisch sein. Aus diesen Gründen folgt: Sozialismus hat es in der Sowjetunion der 1930er Jahre und danach nicht gegeben. Es handelt sich vielmehr um ein nachholendes, etatistisches Ausbeutungssystem neuen Typs.38

IV Das Jahr 1956: Bruch oder Kontinuität

Der von vielen in maoistischer Tradition stehenden Kommunisten genannte Bruch von 1956 erscheint willkürlich und nicht materialistisch erklärbar. Es ist insbesondere nicht verständlich, woher die „Verräter“ plötzlich gekommen sein sollen, sollte es sich nicht um Emporkömmlinge und Profiteure eben jener Verhältnisse der Stalinzeit gehandelt haben.39 Diejenigen, die angeblich Verrat begingen, hatten sich im Sinne des Systems bewährt, wie sollten sonst gerade sie die „Säuberungen“ überstanden haben? Sie tauchten nicht aus dem Nichts aus, sondern aus der Mitte dieses Systems, dem sie vorstanden und dessen Nutznießer sie waren. Die Denunzierung des Personenkults auf dem XX. Parteitag diente dazu, Stalin allein die Schuld zu geben und die eigene Verantwortung der anderen Parteiführer, Apparatschiks und Beamten zu verschleiern. Eine Konzentration auf einzelne Personen ist jedoch, ob im positiven wie im negativen Bezugsrahmen, irreführend und daher strikt abzulehnen.40 So ist der Wandel in der Sowjetunion seit 1956 auch eher in einigen untergeordneten Bereichen oder in ihrer Funktionsweise zu suchen.41 Es ist für die Zeit danach ein leichter Rückgang des Terrors, der etwas selektiver wird, sowie der Bedeutung der Repressionsorgane zu verzeichnen. Es entstand wieder eine etwas kollektivere Führung, aber die Partei blieb allein führend, was erneut auch ausdrücklich bestätigt wurde. Was die Ökonomie betrifft, kann man sogar feststellen, dass der „Revisionismus“ ab 1956 einen größeren Teil des Mehrprodukts in die Konsumtion zu stecken beabsichtigte und den Westen an Konsumgütern nicht nur ein- sondern überholen wollte (ohne natürlich die kapitalistische Bedürfnisstruktur in Frage zu stellen). Aber auch diese Vorstellung der Überholung des Kapitalismus geht auf Stalin zurück, ist dem Produktivismus geschuldet und basiert ihrerseits bereits auf der vorangegangenen Industrialisierung..42 Davon abgesehen, waren möglicherweise die Reformen der 1960er Jahre ein sehr viel größerer Umbruch als der Führungswechsel 1953/56, was von kontemporären marxistischen Ökonomen in Westeuropa auch entsprechend diskutiert wurde.43 Auch die Funktion der herrschenden Ideologie44 blieb gleich. Es handelte sich bei der sowjetischen Gesellschaftslehre um eine formelhafte Sammlung, die im Kern anti-dialektisch war, eine schematische und fortschrittsoptimistisch-teleologische Geschichtsauffassung besaß und mittels mechanistischer Ableitungen begründete. Sie war der Ursprung aller legitimen Entscheidungen, die Partei deren unfehlbares Organ, das die Erkenntnis der Geschichte besitzen sollte und zugleich mit dem Volk identifiziert wurde (in Wahrheit aber über es herrschte). Abschließend lässt sich sagen, dass eine Annahme wie die, es habe 1956 einen entscheidenden Bruch gegeben, ein Mythos ist, weil es sich um einen reinen Machtwechsel innerhalb der Führungsriege gehandelt hat und ein Machtwechsel eben kein Formationswechsel ist. Es gab 1956 also weder einen ökonomischen, noch einen politischen und auch keinen ideologischen Bruch, der die Schlüsselstellung dieses Jahres wirklich begründen könnte. Im Gegenteil zeichnete sich die Sowjetunion gerade durch erstaunliche Wandlungsunfähigkeit und schließlich ausbleibende Dynamiken aus: Die Bevormundung von oben und die Angst vor den Ergebnissen freier Forschung und Diskussion musste unter diesen Bedingungen zu einer Fesselung der Produktivkräfte werden, die der Terror allein nicht ausgleichen konnte.45 Wir als Kommunisten müssen uns aber vor allem die Veränderung der Produktionsverhältnisse in ihrer Gesamtheit ansehen und können uns nicht mit den ideologischen Formen allein begnügen.

V Klassenverhältnisse, Arbeit und Produktivkraftentwicklung

Vor allem der Unterschied zwischen vermeintlichen ideologischen „Abweichungen“ der Jahre nach 1956 und den Aussagen Stalins ist in keiner Weise erkennen. 1934 sollen nur noch befreundete Klassen existieren und 1936 soll die Liquidierung der Ausbeuterklasse abgeschlossen sein.46 Die Aussage von 1936 bedeutet nichts anderes, als dass die Revolution der Vergangenheit angehört. Nach dem XXII. Parteitag war zu vernehmen, die Klassenwidersprüche seien verschwunden und die Partei die des ganzen Volkes geworden – der Sozialismus in einem Land soll nun verwirklicht sein.47 Wo bitte soll hier der Unterschied sein? Ein weiterer, nachhaltiger „Revisionismus“ Stalins war der, den Faktor der Produktivkräfte (und damit den Klassenkampf) aus seinem dialektischen Zusammenhang mit den Produktionsverhältnissen in ganz herauszulösen und die Produktivkraftentwicklung (als technisches Mittel) als Motor der Geschichte über den Klassenkampf und die daraus folgende Umwälzung von Produktion und Reproduktion zu stellen, eine nach unserem Ermessen bürgerlich-rationalistische Vorstellung.48 Hieraus folgt eine Ontologisierung der Arbeit statt einer Analyse ihres Doppelcharakters, der ihre Verallgemeinerung statt eine Kritik „abstrakter“ Arbeit beinhaltet, welche erforderlich ist, um zur Aufhebung kommandierter (Lohn-)Arbeit zu gelangen.49 Damit einher geht auch ein soziologistisch verkürztes Bild einer Arbeiterklasse, welches aus politischem Interesse heraus zusätzlich mythologisch aufgeladen wird, woraus das fehlende Verständnis von Klassenkämpfen als verändernder Praxis, die einzig in der Lage ist, Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammengang umzuwälzen, folgt. Der ML wird so zur Legitimationsideologie von fetischisierter Arbeit samt deren Ausbeutung. Denn die Intensivierung der Klassenkämpfe kann sich nur entfalten durch proletarische Praktiken, durch revolutionäre Tätigkeit der Massen, nicht von oben. Stalins Lehre von der Verschärfung der Klassenkämpfe50 widersprach dem nicht, denn erstens ordnete er sie auch da dem Fortschritt unter, und zweitens meinte er eine staatliche Politik samt der Verfolgung innenpolitischer „Abweichler“, und folglich eine Apologie der eigenen Politik, also das exakte Gegenteil. Solcherlei Ansätze wurzeln im Ökonomismus der Revisionisten der II. Internationale und wurden mit der staatlich forcierten Industrialisierung auf die Spitze getrieben. So ebnen sie wiederum den „Revisionisten“ der 1950er Jahre den Weg. Dass die Sowjetunion sozialistisch war, kann deshalb auch nur glauben, wer Eigentum, als den formaljuristischen Ausdruck an der Oberfläche, für die eigentlichen Produktionsverhältnisse hält. Aus der Gleichsetzung juristischer Oberflächenformen mit den Produktionsverhältnissen,51 erwächst der kategoriale und fundamentale Fehlschluss, mit der Verwandlung von Privat- in Staatseigentum sei eine Abschaffung der Klassen verbunden; und dies allein versperrt schon jeden Weg für das Proletariat, in der Analyse wie auch der Aktion, für eine selbstbestimmte Arbeitsorganisation und das Verständnis der sozialen Formen und Verhältnisse, die es nicht nur zu modernisieren, sondern aufhebend zu überwinden gilt.

VI Staat und Bürokratie

Unmittelbar damit verbunden ist eine ganz entscheidende „Revision“, die Stalin in der Staatsfrage gegenüber Marx, Engels und Lenin vollzogen hatte: Die absolute Verstärkung des Staates52 gegenüber dem „Absterben des Staates“.53 Zwar hatte bereits Lenin ein stark instrumentalistisches Staatsverständnis, indem er den Staat als reinen Gewaltapparat und Werkzeug der herrschenden Klasse betrachtete,54 allerdings beharrte er theoretisch auf dessen Zerschlagung55 und kritisierte in seinen späten Schriften, dass genau dies nicht getan worden sei. In einer der explizitesten Stellen spricht Lenin gar von der Ersetzung des „militärischen, junkerlichen, bürgerlichen, imperialistischen Staates“ durch einen „proletarischen Staat“,56 womit sich das Problem der Revolutionierung auf die Auswechslung der Führung zu reduzieren scheint. In diesem Zusammenhang ist seine spätere Kritik an der Übernahme des alten zaristischen Staatsapparats bemerkenswert: Lenin sprach vom „Unglück“ der Staatsübernahme und von der UdSSR als „mit Sowjetöl leicht gesalbtem“ Zarismus.57 Stalin setzte Verstaatlichung mit Sozialismus gleich und der Staat nahm die vorgesehene Rolle als Organisator der Veränderung ein. Stalin war auch in dieser Frage direkter Nachfolger des Etatismus der revisionistischen Vorkriegs-Sozialdemokratie (Veränderung über den Staat statt über die Massen). Überhaupt erscheinen Sozialdemokratie und Stalinismus als zwei Varianten etatistischer Modernisierungspolitik, die sich lediglich in ihrer Taktik unterscheiden, in den Mitteln, ob die Eroberung der Macht, verstanden als die politischen Kommandohöhen, über Wahlen oder gewaltsam erfolgen soll. Als Kommunisten sind wir hingegen der Meinung, dass staatliche Apparate allein keine revolutionären Errungenschaften im emanzipatorischen Sinn herbeiführen, sondern allenfalls bei ihrer Verteidigung helfen können. Diese sind zudem in den sozialen Verhältnissen zu suchen, deren Änderung schon allein deswegen nicht unter Ausschluss der Massen herbeizuführen ist. Zuweilen wird auch behauptet, dass die Tendenz der Bürokratisierung seitens Stalin scharf kritisiert worden sei. Allerdings stand Stalin mehr als 30 Jahre lang (seit 1922 und seit 1934 unangefochten) an der Spitze der Partei und damit derjenigen, die vom System profitieren. Er war schon Anfang der 1920er Jahre der konsequenteste Ausdruck der Interessen der Bürokratie im Parteiapparat, die er hinter sich hatte und die er begünstigte. Wie sonst ist zu erklären, dass gerade er sich in den Machtkämpfen der 1920er Jahre gegen Trotzki und alle anderen hat durchsetzen können? Als Zentrist lag sein Fokus folgerichtig auf dem Ausbau der Staatsapparate, deren Interesse er vertrat und die er zugleich, wie auch den Parteiapparat, dafür einzusetzen verstand. Seine „Kritik“ diente dabei als Ersatz für eine Klassenanalyse und zur Rechtfertigung von „Säuberungen“, also der Ausschaltung seiner innenpolitischen Gegner.

VII Außenpolitik und Koexistenz

In der Sowjetunion hingegen bedingten und verstärkten sich die Ideologie, die Parteibürokratie und der Akkumulationszwang wechselseitig. Die Verschärfung des letztgenannten hatte verschiedene Ursachen. Die Sowjetunion war direkt der äußeren Konkurrenz auf dem Weltmarkt unterworfen, hatte dabei eine verspätete Modernisierung im Zeitraffer nachzuholen und außerdem keine äußeren Kolonien, denen die Mittel hätten abgepresst werden können. Schon deshalb ist die sowjetische Außenpolitik nicht allein aus innersowjetischen Prozessen heraus zu erklären, sondern sie resultierte auch der nationalstaatlichen Form als solcher, dem Verhältnis zu anderen (kapitalistischen) Staaten, dem Ausbleiben der Revolution in eben diesen Staaten und dem kapitalistischen Weltmarkt.58 Das ist ein wichtiger Aspekt, bei dem es ebenfalls wenig Sinn macht, den „Revisionismus“ in den 1950er Jahren zu suchen. Die Koexistenz war zunächst ein Fakt, der durch das Ausbleiben der Revolutionen im Westen seit spätestens 1923 bestätigt wurde. Für die friedliche Variante hatte Lenin den Begriff der „Atempause“59 gewählt – auch aufgrund der Erfahrung mit Bürgerkrieg und Intervention. Prinzipiell lässt sich analytisch trennen zwischen 1. der staatlichen Außen- und Sicherheitspolitik, der Diplomatie mit anderen Regierungen und 2. den Beziehungen zu anderen kommunistischen Parteien und sonstigen revolutionären Bewegungen, also der Klassenpolitik. Erstere ist per definitionem bewahrend, also konservativ, letztere revolutionär. Die Frage ist dann, welche Auswirkungen erstere auf letztere hat, ob erstere letztere fördert, hemmt, sich vollständig unterordnet und gar benutzt. Objektive Widersprüche bestanden zwischen ökonomischer Abhängigkeit von ausländischem Kapital und staatlichen, also nationalen, Interessen auf der einen, und internationalistischen auf der anderen Seite, dessen Vermittlung von den Bolschewiki zugunsten ersterer einseitig aufgelöst wurde.60 Dies geschah mittels Umkehrung, indem nicht mehr die Ausdehnung der Revolution zur Weltrevolution, sondern die Erhaltung des russischen Status quo zum Zweck und damit zur Grundlage der sowjetischen Außenpolitik wurde, diese also eine konservative Ausrichtung erhielt. Dadurch wurden die kommunistischen Parteien der anderen Länder über die Komintern zunehmend zu externen Organen dieser Außenpolitik degradiert.61 Entscheidend vorgeprägt, wenn nicht bereits zu einer Lehre systematisiert, wurde die „friedliche Koexistenz“ mit Stalins Konzeption des „Sozialismus in einem Land“.62 Aus den Interessen spezifisch sowjetischer Außenpolitik und zur Kriegsvermeidung suchte Stalin einen Ausgleich mit den Westmächten. Aus dieser innen- und außenpolitischen Verfasstheit der Sowjetunion der 1930er Jahre folgte ein Verzicht der Förderung von Revolutionen von unten, selbst (oder gerade) wenn diese bereits autochthon entwickelt waren.63 Gerade die Verständigung mit den Regierungen kapitalistischer Staaten statt einer Förderung dortiger revolutionärer Bewegungen schwächte die internationale Klassenposition des kämpfenden Proletariats und stärkte wiederum die Bürokratie in der Sowjetunion. Stalin bestätigte in einem Interview von 1936, dass die Sowjetunion keine Revolutionsförderung beabsichtige (und begründete dies ironischerweise mit der plausiblen Ablehnung der Revolutionierung von oben).64 Wohl aber blieb die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg expansionsorientiert im Sinne bürgerlicher Machtpolitik,65 war weiterhin dominant gegenüber den Satellitenstaaten des Ostblocks und betrieb weiter Hegemoniepolitik im „sozialistischen“ Lager.66 Bucharin schrieb 1927, das Eintreten für das sozialistische nationale Ganze sei die Pflicht des internationalen proletarischen Revolutionärs, und setzte damit den revolutionären Internationalismus mit der Sowjetunion gleich alle Kommunisten sollten diese verteidigen. Der Pakt mit dem Todfeind aller Kommunisten, dem faschistischen Deutschland,67 war 1939 zugleich jedoch die weitestmögliche Abkehr vom Klasseninteresse des Proletariats. Nicht nur sind unzählige Kommunisten aus diversen Ländern in der Sowjetunion umgekommen, auch wurden in der Folge des Pakts inhaftierte Kommunisten vom sowjetischen NKWD direkt an die Gestapo übergeben.68 Die Liquidierung eines Großteils der internationalen kommunistischen Bewegung fand genau diesem Land, das sich das „Vaterland“ aller Kommunisten nannte, statt.

VIII Schlussbemerkungen

Eine Revolution als ein langwieriger Prozess der Revolutionierung aller Verhältnisse und Formen – politisch und sozial, und die Klassenkämpfe als deren aktionistische Seite gehen nach der Überführung des Eigentums weiter. Wir hoffen, gezeigt haben zu können, dass dem gegenüber der Ursprung aller wesentlichen „Revisionen“ bereits in einem weitaus früheren Stadium zu veranschlagen ist, in dem die Sowjetunion als sozialistisches Projekt bereits gescheitert war, jene aber zur Verschleierung dieser Tatsache notwendig waren Deren Verklärung als revolutionäre Tat widerspricht dem realen Geschichtsverlauf ebenso wie den Prinzipien des Marxismus und steht heutigen Revolutionären im Wege. So bleiben in der Etikettierung der Sowjetunion ab den 1930er Jahren als sozialistisch Orthodoxe und Bürgerliche aufeinander bezogen, einmal in identifizierender, einmal in diskreditierender Absicht. Als Kommunisten stehen wir aber auf der Seite dieser Klasse, der Ausgebeuteten und Unterdrückten, nicht der Herrschaft, egal in wessen Gewand sie auftritt und unter welchem Namen sie errichtet wird. Die sowjetischen Verhältnisse entsprachen jedoch in keiner Weise dem Interesse des Proletariats als Klasse. Sozialismus meint die real mögliche Befreiung der Arbeiterklasse von Ausbeutung, entfremdeter Arbeit und politischer Herrschaft. Eine Voraussetzung dafür ist möglicherweise auch die Freisetzung von Arbeitskraft durch die gewesenen Produktivkraftentwicklung, die die Herrschaft der Produzenten einerseits erst ermöglicht und anderseits dann tendenziell überflüssig macht, die in Russland nach dem Ersten Weltkrieg aber alles andere gegeben war.69 Eine Konzeption aber kann niemals sozialistisch sein, wenn weder die Mittel, noch die Methoden, noch die unmittelbaren Zwecke es sind. Wir beharren ohne Relativierung auf dem Marxschen „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“70 Dabei gilt es zu beachten, dass Produktivkräfte auch Destruktivkräfte sein können und dass die Inhalte der Produktivkraft (Arbeitsorganisation, Technik, Maschinerie) nicht neutral und der Form des Privateigentums einfach gegenüberzustellen, sondern selbst kapitalistisch durchdrungen und geformt und durch ein soziales Verhältnis bestimmt sind.71 Heutige Kommunisten dürfen jedoch nicht hinter die Erkenntnisse zeitgenössischer Kritiker zurückfallen, die immer wieder Alternativen aufgezeigt, Hinweise gegeben und Vorschläge entwickelt hatten,72 sondern müssen in die Zukunft weisen. Sie können sich dabei auf die Forschungen der letzten Jahre stützen, die die Kämpfe und Bedingungen beleuchtet haben. Mit der Rezeption, Diskussion und vor allem Anwendung dieser vorliegenden Ergebnisse in der praktischen kommunistischen Bewegung aber heute stehen wir erst am Anfang. Ohne die Interessen der Arbeiter in der jeweiligen geschichtlichen Situation mit den zur Verfügung stehenden Quellen und Erkenntnissen73 zu untersuchen, ohne ideologische, noch dazu geschichtlich überholte Glättung der gesellschaftlichen Widersprüche,74 können wir nicht die für unsere heutigen Kämpfe notwendigen Schlüsse daraus ziehen und somit nicht zu einer korrekten Einschätzung der Lage und zu einer gegenwärtig richtigen Linie der Politik finden. Das Wesen der Produktionsweise, also die Formen der Produktionsverhältnisse und der Produktivkräfte sind entscheidend, und nicht von der politischen und sozialen Mitbestimmung zu trennen – diesen Gedanken müssen wir konsequent anwenden. Uns Kommunisten kann es deshalb heute nicht darum gehen, an der Reproduktion einer unkritischen Verklärung des Falschen, dem Potjomkinschen Dorf einer sozialistischen Fassade festzuhalten, sondern darum, „…Halbwahrheiten der Konterrevolution zu überlassen und in der konkreten Wahrheit die breiteste Unterstützung und Absicherung der Massen zu erhalten“.75

1Was nicht heißt, dass deren Annahmen zwangsläufig falsch sein müssen, nur sollte man die zugrunde liegende Position im Sinne der Quellenkritik miteinbeziehen.

2Vgl.: Charles Bettelheim: Klassenkämpfe in der UDSSR, Band I, Berlin 1975. Diese, noch konsequent leninistische Darstellung beinhaltet eine Analyse des historischen Prozesses, der Klassen, der Interventionen der Akteure sowie deren theoretischer Analysen in ihrer wechselseitigen Interdependenz.

3Vgl. Antonio Gramsci: Gefängnishefte, Band 4, Heft 7, Hamburg 2012: 874. Marx hingegen ging noch davon aus, dass die Revolution in den fortgeschrittensten kapitalistischen Staaten siegen würde, dort, wo Produktivkräfte und Widersprüche am weitesten entwickelt sind (vgl. MEW 23, MEW 7: 98)

4Ob es sich um ein Land der der asiatischen Produktionsweise handelt ist umstritten. Vgl. Carsten Prien: Dutschkismus, Seedorf 2015; Rudolf Bahro: Die Alternative, Berlin 1990; Eine Gegenposition nimmt dieser Beitrag ein: Reinhard Kössler: Zur Kritik des Mythos vom “asiatischen” Rußland, in: Prokla, Heft 35, Berlin 1979, S. 105-131. Asiatisch ist weder normativ-abwertend noch geographisch gemeint, sondern ein ökonomischer Begriff bei Marx (vgl. Karl Marx: Der Zirkulationsprozeß des Kapitals, MEW 42, Berlin 1983). Wir können hier auf diese Diskussion nicht näher eingehen, allerdings ist es bezeichnend, dass in sowjetischen Lehrbüchern (z. B. Politische Ökonomie. Lehrbuch, Moskau/Berlin 1959) ein Fünf-Stadienmodell als Geschichtsauffassung vorgeschrieben wird, was eine unilineare und zugleich ungemein (west-)eurozentristische Sichtweise ist.

5Vgl. Bettelheim 1975: 363, Vgl. Lenin, LW 33:93

6Vgl. LW 32: 185, 217, 228

7Vgl. LW 33: 38, 81f, Bettelheim 1975: 371, 382-391.

8LW 25: 393-507

9Vgl. LW 25: 369, LW 26: 89, LW 27: 342, LW 32: 340ff. Der Inhalt von „Staat und Revolution“ wurde jedenfalls in der Sowjetunion nicht zur Wirklichkeit. Vgl. Bettelheim 1975: 388.

10Vgl. LW 32: 7.

11Vgl. Bettelheim 1975: 390.

12Stalin: „Zerschlagung des Kulakentums“, in: SW 12: 95ff. Natürlich trifft diese Politik alle Bauern, Kulaken ebenso wie Klein- und Mittelbauern. Und selbst nach der Zwangskollektivierung fürchtet Stalin noch, die Kolchosen könnten eine Interessenorganisation der Bauern werden, vgl. SW 13: 131.

13Detlef Hartmann: Soziale Revolution und das Kommando der Akkumulation. Zur Aktualität der russischen Revolution, in: Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 4/1992 / Das Ende des sowjetischen Entwicklungsmodells, Berlin und Göttingen 1992, 9-87, materialien.org/texte/materialien/mat4/mat_4_Hartmann_ganz2.pdf; Peter Boman: Materialien zur Russischen Revolution 1912-1918, in: Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 10 / 2017, materialien1917.org/wp-content/uploads/2017/05/Mat_10_2017_RussRev_gesamt.pdf

14Dies kann als „genetische Fehler“ des politischen Modells von Anbeginn verstanden werden, vgl. Karl-Heinz Gräfe: Kriegskommunismus und Alternativen 1921, in: „Helle Panke“ (Hrsg.): Das Menetekel: Kronstadt 1921. Kriegskommunismus und Alternativen, Pankower Vorträge, Heft 161, Berlin 2011: 21-41 (hier 33f)

15Vgl.: Frits Kool/Erwin Oberländer (Hrsg.): Arbeiter-Demokratie oder Parteidiktatur. Band 2: Kronstadt. München 1972; Klaus Gietinger: Die Kommune von Kronstadt, Berlin 2015; Johannes Agnoli, Johannes/Cajo Brendel/Ida Mett: Die revolutionären Aktionen der russischen Arbeiter und Bauern. Die Kommune von Kronstadt, Berlin 1974; Helmut Bock: Das Menetekel: Kronstadt 1921, in „Helle Panke“ (Hrsg.): Das Menetekel: Kronstadt 1921. Kriegskommunismus und Alternativen, Pankower Vorträge, Heft 161, Berlin 2011: 5-20.

16Vgl. Bettelheim 1975: 211ff, vgl. auch Maurice Brinton: Die Bolschewiki und Arbeiterkontrolle. Der Staat und die Konterrevolution, Hamburg 1976.

17Vgl. LW 32: 245ff; vgl. Helmut Bock: a.a.O.: 16f; Karl-Heinz Gräfe, a.a.O.: 40f

18Vgl: Bettelheim 1975: 127f

19Vgl: Bettelheim 1975: 157ff, 324, 331

20Vgl.: LW 26: 88

21Vgl.: Bettelheim 1975: 230, 243, 256; LW 33: 19-21

22In Opposition dazu Lenin, LW 32: 5

23Vgl. Charles Bettelheim: Die Klassenkämpfe in der UdSSR, Band 3 und 4, Berlin 2016: 172ff.

24Im Marxschen Sinne, vgl.: Karl Marx: Das Kapital. Zur Kritik der politischen Ökonomie, Band 1: MEW 23: 741ff.

25Auf die in sowjetoffiziellen BuchKurzer Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ (Berlin 1945: 350f) auch selbst in rechtfertigender Weise hingewiesen wird

26Vgl.: LW 33: 275

27Zu den quantitativen Aspekten der „Säuberungen“ siehe Bettelheim 2016: 216ff, 233ff, 244ff, 427ff, 445ff. Neue Kader wurden von oben ernannt, so dass Kaderpolitik und Nomenklatura das bestehende System absichern, vgl. Bettelheim 2016: 454-518

28Eine theoretische Einordnung der nachrevolutionären Gewalt nimmt Detlev Claussen vor, in:List der Gewalt, Frankfurt 1982: 126-200.

29Zitiert nach: verfassungen.net/su/udssr36-index.htm

30Das Lagersystem umfasst einen numerisch nicht unbedeutenden Teil der Arbeiterklasse und leistet selbst bei vorsichtigen Schätzungen aufgrund der niedrigeren Produktivität einen erheblichen Beitrag zur Sowjetökonomie, vgl. Bettelheim 2016: 249ff, hier 255.

31Vgl. Bettelheim 2016: 170ff

32Vgl: SW 13: 41, 53, 59, vgl. Bettelheim 2016: 164ff. Vgl. Seminar-AG – KB (Nord): Sowjetunion 1921-1939 – von Lenin zu Stalin, 1989, files/SU/1989kbUdssrIV.html

33Vgl. MEW 23: 580

34Zu den Vorrechten und Privilegien vgl. den Erfahrungsbericht des Kommunisten Ante Ciliga: Land der verwirrenden Lüge, Berlin 2010.

35 Zu Stachanow-Bewegung und Arbeiterkult vgl. Bettelheim 2016: 183ff. Vgl. auch Angelika Ebbinghaus: Taylor in Russland, in: „Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft“ Nr. 10/1975, Trikont-Verlag, München 1975, grundrisse.net/grundrisse26/TaylorinRussland.htm.

36Entfremdung ist ein Aspekt, der bereits bei Lenin zu kurz kommt, vgl.: Ulrich Heidt/ Elisabeth Mangeng: Parteivergesellschafttung in: Peter W. Schulze: Übergangsgesellschaft: Herrschaftsform und Praxis am Beispiel der Sowjetunion, Frankfurt 1974: 89-112.

37Vgl. Marcel van der Linden: Einleitung, in: ders. (Hrsg.): Was war die Sowjetunion?, Wien 200: 31,39.

38Es handelt sich um eine Übergangsgesellschaft, die, wie wir heute wissen, nicht nach- sondern vorkapitalistisch war, also nicht den Übergang zum Sozialismus, sondern in den Jahren nach 1991 zum Kapitalismus ermöglicht hat. Noch heute ist der Unterschied im stärker staatlich-politisch gelenkten Kapitalismus zum westlich-liberalen erkennbar. Ob es sich rein um eine Übergangsgesellschaft mit spezifischen Produktionsverhältnissen oder überhaupt um eine eigene Produktionsweise gehandelt hat, ist bei heterodoxen Marxisten umstritten, vgl. Marcel van der Linden (Hrsg.): Was war die Sowjetunion?, Wien 2007

39Vgl. exemplarisch die Biographie von Chruschtschow: 1934 ZK, 1935 erster Sekretär der Moskauer Partei, dort an „Säuberung“ beteiligt, 1938 Kandidat des Politbüros, 1938 erster Sekretär der Partei in der Ukraine, dort an „Säuberungen“ und Liquidierungen beteiligt

40Es wäre höchst fragwürdig und auch wenig materialistisch, dies allein aus der Persönlichkeit Stalin zu erklären, so wie es idealistisch ist, die Entwicklung der Sowjetunion aus seinen Schriften herzuleiten. Seine Schriften sind immer im Gesamtzusammenhang der realhistorischen Entwicklung zu lesen.

41Vgl. Bettelheim:2016: 578ff

42Stalin 1970: 698: „Es ist also erforderlich die wichtigsten kapitalistischen Länder ökonomisch zu überholen“. Vgl. Marcuse 1964: 80

43Vgl.: Bettelheim / Dobb / Foa / Huberman / Robinson / Mandel / Sweezy u.a.: Zur Kritik der Sowjetökonomie, Berlin 1969; Antonio Carlo: Politische und ökonomische Struktur der UdSSR (1917-1975), Berlin 1972.

44vgl. dazu Herbert Marcuse: Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus, Darmstadt/Neuwied 1964. Das bestechende an Marcuses Ansatz liegt darin, dass er den Sowjetideologie als Marxismus ernst nimmt, diese also nicht von einem ihr äußerlichen Standpunkt kritisiert, sondern sie einer immanenten Analyse auf dieser Grundlage sowie der in der Sowjetunion herrschenden Verhältnisse unterzieht.

45Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien, in: Palaver. Politische Überlegungen, Frankfurt 1974, 91-129 (hier: 96).

46SW 14: 105, 121; Stalin: Fragen des Leninismus, Berlin 1970: 674

47Zitiert nach: Nils Holmberg: Friedliche Konterrevolution, Berlin 1974, 41.

48„Zuerst verändern und entwickeln sich die Produktivkräfte der Gesellschaft und dann, in Abhängigkeit von diesen Veränderungen und in Übereinstimmung mit ihnen, verändern sich die Produktionsverhältnisse der Menschen, ihre ökonomischen Beziehungen, Stalin 1970: 668.

49Bereits 1974 wurde eine „distributionstheoretische Verkürzung“ bei Lenin moniert, die die gesellschaftliche Arbeit nur die private Aneignung in den Focus genommen habe. In einer solchen Sichtweise reduziere sich die Problemstellung dann auf die Liquidierung der „parasitären“ Klasse der Eigentümer, die die Produktivkraftentwicklung hemme, die es gemäß dem Dogma des Produktivismus weiter voranzutreiben gelte, anstatt den „Zwangscharakter der Produktion“ in den Blick zu nehmen, vgl. Dazu: Ulrich Heidt/ Elisabeth Mangeng: a.a.O.. Ähnlich argumentieren Santamaria und Manville 1977, vgl: Ulysses Santamaria / Alain Manville: Lenin und das Problem der Übergangsgesellschaft, in: Claudio Pozzoli (Hrsg.): Jahrbuch der Arbeiterbewegung, Band 5, Kritik des Leninismus, Frankfurt 1977, 54-76; vgl. auch Rudi Dutschke: Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen, Berlin 1974: 160.

50SW 12: 25

51Stalin 1970: 617ff., vgl. Marcuse 1964: 84f.

52 Vgl. Stalin SW 12: 186, vgl. Marcuse 1964: 101ff

53Vgl. MEW 19: 28, 224ff, MEW: 17: 624, MEW 20: 262, MEW 36: 199, , vgl LW 25, LW 31:416

54LW 25: 403ff,

55LW 25: 418: „ Alle früheren Revolutionen haben die Staatsmaschinerie vervollkommnet, man muß sie aber zerschlagen, zerbrechen.“

56LW 27: 332, LW 32: 346, vgl. Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie, Frankfurt 1991, 44f. Eine Verbindung von Bolschewiki und Preußentum sieht auch Gietinger, a.a.O.

57Vgl. LW 33:414, LW 36:591. Vgl. Bettelheim 1975: 262, 272.

58Zur Außenpolitik vgl. den Aufsatz: Ulrike Schmiederer: Aspekte sowjetischer Außenpolitik, in: Peter W. Schulze: a.a.O.: 151-200

59LW 30: 479.

60Vgl. Peter W. Schulze: Weltmarkt und Revolution, in: Schulze: a.a.O.: 201-292. Stalin (SW 11: 77ff) spricht zwar von gegenseitigen Verpflichtungen, ordnet diese aber der Verteidigung der Sowjetunion unter. Vgl. auch Marcuse 1964: 97ff. Auch was den Handel mit Westen angeht, so enthalten schon die ersten Verträge von 1919 bis 1923 eine Nichteinmischungsklausel und den Verzicht auf revolutionäre Propaganda.

61Vgl. Daniel Bratanovic: Positiver Universalismus – Oktoberrevolution, nationale Frage und Antiimperialismus , in: 100 Jahre Oktoberrevolution. Irrweg oder Ausweg? , Berlin 2017: 70-102, besonders 77ff.

62Vgl. SW 6:191ff, vgl. SW 10: 143: „Die Grundlage unserer Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern besteht darin, dass wir ein Nebeneinanderbestehen der beiden entgegengesetzten Systeme für möglich halten.“. Eugen Varga hat auf eine friedliche Koexistenz durch Handel und Revolutionsverzicht bereits 1921(!) hingewiesen, in: Sozialismus und Kapitalismus in der Sowjetunion, Leipzig 1921: 43.

63Hier sind zu nennen: China 1927, Spanien 1937ff, Italien 1945, Griechenland 1945ff. Und die vorsichtig-passive Haltung zum italienischen Überfall auf Abessinien kann als Abkehr vom Antiimperialismus interpretiert werden, der während des Zweiten Weltkrieges dann fortgesetzte wurde durch die Weisung der Komintern an die britischen, niederländischen, portugiesischen, indischen, indochinesischen oder ceylonesischen Kommunisten, den Kampf für eine völlige Unabhängigkeit der Kolonien nicht mehr zu unterstützen, vgl: Bernhard H. Bayerlein Deutscher Kommunismus und globaler Stalinismus – Komintern, KPD und die Sowjetunion (1929–1943), in: Hermann Weber, Jakov Drabkin, Bernhard H. Bayerlein (Hrsg.): Deutschland, Russland, Komintern. I. Überblicke, Analysen, Diskussionen, Berlin/Boston 2014, 325ff, 395f. In diesem Buch werden auch andere „strategische Weichenstellungen“, die auf den „Paradigmenwechsel sowjetischer Politik und den fundamentalen antirevolutionären Systemwandel“, also eine Abkehr von revolutionärer Politik verweisen, nicht erst für die 1960er Jahre, sondern bereits sehr viel früher durch neue Quellen belegt (326).

64Zitiert nach: marxists.org/reference/archive/stalin/works/1936/03/01.htm. Ein doppelter Widerspruch, denn drei Jahre später einverleibt sich die Sowjetunion sehr wohl andere Gebiete, nur werden diese nicht „revolutioniert“, und zudem hätte die Komintern ja eine von außen gestützte Revolutionierung von unten vorantreiben können, wie es ihrer anfänglichen Konzeption entsprach. Der Bedeutungsverlust der Komintern als revolutionäre Agentur zog sich durch ihre Geschichte bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1943.

65DDR 1953, Ungarn 1956 und CSSR 1968 gehen auf die Beibehaltung des von Stalin mit ausgehandelten europäischen Nachkriegs-Gleichgewichts von 1945 zurück, hinzu kommt auf Seiten der „Revisionisten“ noch der Einmarsch in Afghanistan 1979, gegenüber der Annektion Ostpolens 1939, der drei Länder des Baltikums 1940, den Interventionen in Finnland 1940 und in Teilen Rumäniens ebenfalls 1940 unter Stalin. Unter Stalin wird also der eigene Machtbereich besonders weit ausgedehnt durch die Eroberungen 1939/49 und die Nachkriegsordnung in Osteuropa 1945. Zunehmend weniger lässt sich der konterrevolutionäre Charakter der Interventionen verleugnen. Das natürlich nicht uneigenützige, aber außenpolitisch progressivste Moment, die Unterstützung von antikolonialen Befreiungskämpfen im Trikont, fällt wiederum in die spätere Phase des „Revisionismus”.

66Etwa gegen Jugoslawien, Albanien, China usw.

67Der Faschismus wird von Bucharin schon früh korrekt als „Bestie“ erkannt und von Trotzki ebenso wie von Thalheimer in Funktion und Klassenbasis richtig bestimmt. Vgl. Trotzki: Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen? Schriften über Deutschland, Frankfurt 1973, vgl. Arbeiterpolitik (Hrsg.): Der Faschismus in Deutschland, Frankfurt 1973, vgl. Marcel Bois: Kommunisten gegen Stalin und Hitler, Essen 2014: 365ff

68Vgl: Bernhard H. Beyerlein: Der Verräter Stalin bist du, Berlin 2008, vgl. Willi Münzenberg: Der russische Dolchstoß / her zu uns!, in: ders.: Propaganda als Waffe, Frankfurt 1972: 330-335.

69Robert Kurz: a.a.O.

70MEW 1: 385

71LW, 27: 331ff, Vgl. Mario Tronti, Arbeiter und Kapital, Frankfurt 1974, Santamaria / Manville: a.a.O.: 65, 72ff.

72Vgl. selbst die späte Kritik Lenins, aber vor allem auch die der Linkskommunisten und der Arbeiteropposition, welche in diesem Band versammelt ist: Frits Kool/Erwin Oberländer (Hrsg.): Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur. Opposition innerhalb der Partei, Band 1, München 1972, besonders A. Kollontaj: Die Arbeiteropposition, in: Ebd.: 182-239; Karl Korsch: 10 Jahre Klassenkämpfe in Sowjetrussland, in: Politische Texte, Wien o.J.:180-194; Frits Kool (Hrsg.): Die Linke gegen die Parteiherrschaft. Dokumente der Weltrevolution, Freiburg 1970; Rosa Luxemburg: Schriften zur Theorie der Spontaneität, hrsg. Von Susanne Hillman,, Reinbek 1970; Günter Hillmann (Hrsg.): Die Rätebewegung I und II, Reinbek 1971/72; Gruppe Internationale Kommunisten Hollands: Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, Reinbek 1971; Karl Korsch: Schriften zur Sozialisierung, Frankfurt 1969; Victor Serge: Für eine Erneuerung des Sozialismus, Hamburg 1975; ders.: Die sechzehn Erschossenen, Hamburg 1977.

73Zum Beispiel Hermann Weber, Jakov Drabkin, Bernhard H. Bayerlein (Hrsg.): Deutschland, Russland, Komintern, 2 Bände, 1. Überblicke, Analysen, Diskussionen , 2. Dokumente (1918 – 1943), Berlin/München/Boston 2015; Bernhard H. Beyerlein: Der Verräter Stalin bist du, Berlin 2008.

74Neben den bereits genannten Verklärungen durch Stalin ist die „Geschichte der kommunistischen Partei der Sowjetunion. (Kurzer Lehrgang)“ von 1938 (Berlin 1945) ein besonders prägnantes Beispiel für Mythologisierungen und Geschichtsfälschungen, um die Diskrepanz zwischen Ideologie und Wirklichkeit zum Verschwinden zu bringen.

75Rudi Dutschke: Geschichte ist machbar, Berlin 1980: 152

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