Die Rolle der Polizei in den gegenwärtigen Prozessen der Staatsfaschisierung

Der Einsatz der US-Bundespolizei in Portland und deren Übernahme von Exekutivfunktionen ist nur das letzte Beispiel dieser Prozesse. Hier einige weitere Überlegungen:

Man schaue sich einige der aktuellen Polizeistrategien an. Mit dem Einsatz spezifischer Software lassen sich heute dauerhafte Risikoprognosen erstellen, wobei die Präventionsmaßnahmen im Rahmen der Polizeiarbeit durch die Digitalisierung immer weiter perfektioniert werden. Aber es ist auch die Politik der Sicherheitsbehörden, die diese Maßnahmen aktiv vorantreiben. Es geht nun weniger um die Aufklärung bereits begangener Verbrechen durch die Polizei, sondern diese soll vor allem zukünftige Verbrechen verhindern, wofür sie zum einen den entsprechenden technologischen Apparat und zum anderen immer mehr Eingriffsrechte bekommt. Schon seit den 1980er Jahren werden polizeiliche Befugnisse, die in der Strafprozessordnung fixiert sind, in die Polizeigesetze hinein verlagert, was seinen Grund im Zuge der neuen Präventionspolitiken darin findet, dass die Strafprozessordnung die begangene Straftat behandelt und die Polizeigesetze die (die drohenden, aber bevorstehenden Gefahren). Entsprechend soll die Polizei, ganz der Präventivlogik folgend, immer mehr Maßnahmen selbst ergreifen und Techniken wie beispielsweise die biometrische Gesichtserkennung einsetzen, um drohende Gefahren abzuwehren, ja sie soll, gerade wenn man mit dem Wort »drohend« eine negativ bewertete Zukunft imaginiert, unbedingt aktiv werden, bevor eine als Verbrechen gelabelte Handlung überhaupt begangen wird. Dabei gleicht sich die Arbeit der Polizei immer mehr der Praxis des Inlandsgeheimdienstes an, das heißt, das organisatorische Gefüge der staatlichen Sicherheitsbehörden bzw. die Sicherheitsarchitektur selbst wird umgebaut, indem die Trennung von Nachrichtendienst und Polizei nach und nach aufgehoben wird. Die Konstruktion des präventiven Verdachts sowie seine Materialisierung in der Polizei inkludiert eine Art der Rechtswillkür (vgl. Autonomie Magazin 2018), das heißt, dass hier der Aktivismus der Prävention genau das generiert, was er vorgeblich bekämpfen will; er folgt der Logik der Politik im Konjunktiv und geht meistens vom Schlimmstmöglichen aus. Und wenn es dann eben gilt, das Schlimmste zu vermeiden, dann erscheint fast alles erlaubt.

Es verwundert auch nicht, dass beispielsweise das US-Militär schon im Jahr 2009 das System »Gorgon Stare« entwickelt hat, das mittels Drohnen Städte und insbesondere deren gefährliche Bezirke aus der Luft überwacht. Wenn irgendwo in diesen Bezirken eine Autobombe detoniert, so ist das auf Videoaufnahmen festgehalten und man braucht nur zurückzuspulen, um Annäherungen an das Auto beobachten und Bewegungsmuster ausmachen zu können, um dann auf den Täter zu schließen. Manche dieser neuen Überwachungstechnologien für den urbanen Raum wurden zuerst im Sport entwickelt, wie etwa die Analyse-Software des Unternehmens Harris Corporation, die als »Full-Motion Video Asset Management Engine« bezeichnet wird und Metadaten analysiert, um spezielle Details wie Zeit, Datum und Kameraposition in jedem Videoframe zu decodieren. Die aufwändige manuelle Sichtung von Videomaterial wird durch Algorithmen ersetzt, die jenes in Metadaten aufteilen und es an einen Server senden, wo diese wiederum von einem maschinell lernenden Algorithmus analysiert und in gestückelte und damit leichter analysierbare Informationen zerlegt werden. Gibt man einen Begriff ein, dann durchsucht die Software automatisch das Videomaterial und identifiziert per Objekterkennung den gesuchten Gegenstand. Fahndungsfotos lassen sich ohne Weiteres in eine biometrische Datenbank hochladen und Algorithmen suchen dann im Stream nach dem gewünschten Videomaterial. Akustische Überwachungssysteme, sogenannte ShotSpotter, lokalisieren Schüsse und alarmieren automatisch die Polizei, wobei nicht immer klar ist, ob nur akustisches Material zur Kriminalitätsbekämpfung aufgenommen wird. Das Data Mining, das Informationen aus verschiedenen Quellen zusammenführt, soll derzeit mit Hilfe der Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) weiter vorangetrieben werden. Erwähnenswert ist der Zugriff der staatlichen Behörden auf Bilder, die via Sattelit aus dem Weltall stammen.

All diese politischen Narrative des Präventivstaates operieren auch über die mediale Konstruktion von inneren und äußeren Feinden: Russland und China werden beispielsweise von den privaten Medien sowie den Staatsmedien als besonders autoritäre Staaten eingestuft, die den »Westen« bedrohen, inzwischen auch durch ihre Kapitalmacht bedrohen, während ihr Autoritarismus nach wie vor durch ihren (Ex-)Sozialismus begründet wird. Der daraus resultierende mögliche Krieg ist ein irregulärer Krieg, der keine Fronten mehr kennt und letztendlich dann doch wieder die Bevölkerung einkreisen und treffen muss.

Diese Ausrichtung der sozialen Polizei auf Präventionspolitik setzte schon vor dem 11. September 2011 ein, aber sie beschleunigte sich nach 9/11 mit dem »Krieg gegen den Terror« zunehmend. Gerade im Zuge des Terrorbekämpfung, der Produktion des inneren und äußeren Feindes, wurden »Precautionary Principles« eingeführt, die von Worst-Case-Scenarien ausgehen und verschiedene Bedrohungen imaginieren, um diese dann auszuforschen, weiter zu projektieren und schließlich zu bekämpfen. Im Namen der Terrorismusbekämpfung werden Lager für die »Orientalen« errichtet und die Frage des Islam wird mit der der Geflüchteten kurzgeschlossen. Der Feind ist hier weniger ein fremder Staat, sondern es geht um die Einkreisung eines unspezifischen und nicht sichtbaren Feindes, eines nicht beschreibbaren Feindes, der inmitten der Bevölkerung agiert. Oder, um es anders zu sagen, es geht um Interventionen gegen einen irregulären Gegner, der insbesondere in den Milieus und Umgebungen globalisierter Armut vermutet wird, im bedrohlichen Terrain der Ghettos, Banlieues und Vorstädte der Surplus-Bevölkerung.1

1Die Definition eines diffusen, zerstreuten und ausschwärmenden Feindes taucht in der militärischen Literatur schon kurz nach den Ereignissen des Jahres 1968 auf.

Die neuartige strukturelle Staatsfaschisierung entsteht aber längst nicht ausschließlich als eine Reaktion auf ökonomische Krisenprozesse und Konjunkturzyklen, sondern sie verweist auf die Antizipation möglicherweise kommender sozialer Trends, der kommenden ökonomischen, sozialen und politischen Krisen und Konfliktpotenziale, denen heute schon vorgebeugt werden soll, was in entsprechenden offiziellen Verlautbarungen stets auch klar benannt wird.1 Dazu entwickelt der Staat eine Reihe von Techniken, wie etwa neue Kontroll- und Überwachungsinstrumente, die Daten aufzeichnen, akkumulieren und auswerten, Techniken zur weiteren Quantifizierung und Vermessung der Bevölkerung und solche polizeilicher und militärischer Art. Dabei ergibt sich die Transformation des gewöhnlichen Kapital-Staates zu einem faschisierten Staat nicht unbedingt durch einen spektakulären Bruch, sondern durch die schleichende, aber beständig vorangetriebene Akkumulation, die Verschiebung, Verdichtung und Verschärfung restriktiver polizeilicher Operationen, die einer Präventiv-Logik folgen. Alles in allem durch Umbauten und Maßnahmen der sozialen Polizei, die nicht zwangsläufig zu einem faschistischen Staat führen müssen, aber einen Bruch mit dem gegenwärtigen Staatsgebilde auch nicht ausschließen. Es erfolgt die schleichende Infiltration des Staates durch die Kriegsmaschine des Kapitals. Zu den staatseigenen Kriegsmaschinen wiederum zählt vor allem die umfassende Militarisierung und Zugriffserweiterung der Polizeibehörden (diese erhalten permanent weitere technische Mittel, rechtliche Möglichkeiten und exekutive Kompetenzen) im Rahmen eines sich immer stärker entfaltenden Sicherheitsstaates bei gleichzeitiger Einschränkung der Grundrechte. Zu den weiteren Maßnahmen gehören die Verschmelzung von Polizei und Militär, von Polizei und Geheimdiensten und auch von zivilen und bewaffneten Behörden; darauf aufbauend die flächendeckende Überwachung, Datensammlung und -speicherung durch die staatlichen Dienste, außerdem die zunehmende Integration der Massenmedien in die ideologischen Staatsapparate, die Beibehaltung und Kriminalisierung der Armut bei gleichzeitiger Senkung des Reproduktionsniveaus weiterer Bevölkerungsanteile, die Kooperation von »Sicherheitsbehörden« mit faschistischen und terroristischen Netzwerken im Inland (und ebensolchen Milizen im Ausland) und eine zunehmend aggressiver werdende Außen, Geo- und Militärpolitik. Evident sind die Verschärfungen von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien bis hin zur Etablierung eines Feindstrafrechts und rechtlich verankerten Zugriffsbefugnissen weit im Vorfeld konkreter Straftaten – bis hin zur Vorbeugehaft. Anderseits aber eilt die Exekutive dieser Entwicklung stetig voran und antizipiert sie: So forschen beispielsweise Pentagon und CIA seit Jahrzehnten an der Verwissenschaftlichung der Folter, und die sogenannte »weiße Folter« und andere Methoden wurden exzessiv bereits in den 1970er Jahren umfassend erprobt, während das Folterverbot weiterhin noch existiert. In den USA ist seit 2001 eine exorbitante Zunahme extralegaler Hinrichtungen im Ausland, meist durch Drohnenangriffe, aber auch durch Spezialtruppen bekannt geworden, denen keinerlei Gerichtsverfahren vorausgeht. Wird eine rechtswidrige Praxis bekannt, führt das meist nicht zu ihrer Einstellung, sondern zu ihrer nachträglichen Legalisierung oder ihrer stillschweigenden Duldung. Zunehmend verschwimmen dabei die Grenzen von Krieg, Polizeioperation und verdeckter Tätigkeit. (Vgl. Szepanski/Weiler 2018: 240ff.)

Den neuen Kriegsmaschinen des Kapitals korreliert das Zusammenspiel von ziviler und repressiver Macht im Staat, wobei die beiden Komponenten im Staat tendenziell ununterscheidbar werden, sodass man schon von ihrer Kondensation in der sozialen Polizei sprechen kann. Der Staat tendiert längst zur Privilegierung der Exekutivmacht und zu einer tiefen Transformation seiner administrativen und juridischen Funktionen, wobei letztere durch die fast tägliche stattfindende Produktion von Gesetzen, Dekreten und Direktiven redundant werden, während sie zugleich doch weiter die Funktionen der sozialen Polizei befeuern. Schon Carl Schmitt hat den Staat als einen »motorisierten Gesetzgeber« bezeichnet und insbesondere die wachsende Motorisierung der exekutiven Maschinerie konstatiert. (Schmitt 2003: 407) Gerade auch die Transaktionen und Risikoproduktionen des finanziellen Kapitals gehen heute mit Geschwindigkeiten einher, die es erfordern, dass insbesondere die die Ökonomie betreffenden Gesetze, die früher noch der parlamentarischen Untersuchung und Absegnung bedurften, durch schnelle Dekrete ersetzt werden müssen. Diese Anforderungen werden also durch die Beschleunigungen der »Marktgesetze« selbst produziert. Nach den Dekreten drücken die Direktiven die nächste Stufe der strukturellen Anpassung der politischen Repräsentation an die Exekutive aus. Während das Dekret als ein motorisiertes Gesetz gilt, ist das Direktiv ein motorisiertes Dekret. So wird die allgemeine Rationalität des Gesetzes durch eine instrumentelle, die technische Rationalität der Dekrete und Direktiven ersetzt. Somit werden Räume für Verfahren und Projekte, die durch Rechtswillkür gekennzeichnet sind, weit geöffnet, insofern das, was die politischen und juridischen Fragmentierungsprozesse bisher zusammenhielt, nämlich das Recht, eben durch eine Vielzahl von Direktiven, Normen, Rechtsprechungen und Regeln beständiger Transformation unterliegt. Das exzessive Wuchern der Regelungen, der Direktiven und Dekrete sowie die Umschreibungen der Gesetze anlässlich politischer Ereignisse, bestimmter Konjunkturen und Situationen ist Teil der Aufhebung des Rechts, oder, um es anders zusagen, es konstituiert ein neues exzessives Verfahren der Rechtsprechung, das untrennbar von der Aufhebung des klassischen Rechts ist. Wolfgang Pohrt hat dies folgendermaßen zusammengefasst: »Der organisierte Kapitalismus beseitigt nicht die Gesetzlosigkeit, die man irrtümlich immer der liberalen Ära zuschreibt, sondern er macht diese zu seinem Gesetz« (Pohrt 1976: 197). Geltende Gesetze werden je nach aktuellen Erfordernissen angepasst oder geschleift und bisher gültige Rechtsgarantien werden nivelliert oder so angepasst, dass sie den Zustand der Prekären nur noch weiter verschärfen. Hier sei an Sondergesetze, die Zerschlagung von Rechten, die Spezialisierung der Gerichte und die Vorverlagerung des Strafrechts, neue Polizeigesetze, Techniken der Gesichtserkennung, der Datenüberwachung und Biometrik, Pathologisierungen im Bereich der Forensik etc. erinnert.

1Beispielsweise im vom Verteidigungsministerium herausgegebenen Weissbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr.

Entnommen dem Buch:

Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals

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