Die Undercommons – Flüchtige Planung und schwarzes Studium

Stefano Harney / Fred Moten

Aus dem Englischen von Birgit Mennel und Gerald Raunig, hg. von Isabell Lorey
transversal texts, Januar 2016
ISBN: 978-3-903046-07-8
123 Seiten, broschiert, € 10,00

 

Zwischen Black Radical Tradition und ökonomischer Theorie, zwischen Poesie und Philosophie, zwischen Ethiko-Ästhetik und politischer Theorie – die Undercommons entfalten ihre soziopoetische Kraft in einem weiten Feld: Unter der neoliberalen Verwaltung der Universität, vor der ökonomischen Police neuester Logistik, um die schuldengetriebenen Governance herum suchen und finden Stefano Harney und Fred Moten den Reichtum sozialen Lebens gerade in den scheinbar unmöglichsten Lagen: als „Umgebung“, „flüchtige Planung“ oder „schwarzes Studium“. Der Sound, der Rhythmus, die Grooves und die Hook-Lines von Undercommons treiben den antikolonialen Aufstand an, fort und weiter, die Marronage, die queeren Schulden, die Fluchtlinien, das Schwarz-Sein, die Haptikalität und die Logistikalität, die Liebe.

 

 

… Die Containerisierung selbst steht für das, was die erste Welle einer regulierenden Innovation als Logistik genannt werden sollte, die zusammen mit der ersten Welle der Finanzialisierung auftrat, neben der gewalttätigen Repression die zweite Antwort des Kapitalismus auf diese Aufstände. Logistik und Finanzialisierung arbeiteten in beiden Phasen der Innovation tatsächlich zusammen,wobei erstere grob gesagt an der Produktion quer durch die Körper hindurch arbeitete, und zweitere das Subjekt der Produktion erneuerte. Die Finanzialisierung ist vielleicht die besser bekannte der beiden Widerstandsstrategien gegen die Rebellion, mit einer ersten Phase des Ausverkaufs von Fabriken und Staatseigentum,´und einer zweiten des Verkaufs von Wohnungen und Banken, nur um sie in beiden Fällen in einerArt globalem Pfandleihgeschäft auf Kredit wieder zurück zu mieten. Dies hatte den gewünschten Effekt, dass alle Subjekte, die an diesen verpfändeten Objekten hingen, in wandelnde und sprechende Kreditauskünfte reorganisiert wurden, die sich, wie Randy Martin und Angela Mitropoulos auf verschiedene Weise nahelegen,  mit ihrer eigenen finanziellen Ansteckung vertraglich binden und letztlich eine Entität produzieren, die derart mit finanziellen Affekten verhakt ist, dass sie eher zum logistischen Objekt als zum strategischen Subjekt wird.

Die Logistik selbst hatte allerdings niemals ein bleibendes Interesse an diesem finanzialisierten Subjekt oder seiner Umgestaltung. Sie stellte einer größeren Beute nach, von der sie immer schon heimgesucht worden war, die jedoch greifbarer wurde in der doppelten Welle der Produktion logistischer Bevölkerungen, als der Container die Wellen, die Straßen und die Schienen zu beherrschen begann, mit Information, Affekt und Bedeutung, die durch Fleisch wie durch andere Objekt hindurch geschossen wurden, und auch das in einem Ausmaß und einer Form, die unmöglich ignoriert werden konnten. Die Beute schien fast schon in Reichweite. Diese Phantasie vom automatischen Subjekt, wie Marx es nannte, diese Phantasie, das Kapital könne ohne Arbeit existieren, ist freilich nichts Neues, sie wird ständig an der Schnittstelle von Finanzkapital, Logistik und dem Terror jenes staatlich geförderten Person-Seins erkundet, das in den vielfachen Spektakeln von Zuteilung und Vorenthaltung eingesetzt wird. Heute wird es mit dem Begriff des Humankapitals bezeichnet. Humankapital erscheint gewöhnlich als strategische Kategorie, die, wie Michel Feher vorschlägt, mit einer Strategie der Investition in das Selbst und der Spekulation mit ihm zu tun hat. Doch Maria Vishmidt ruft uns in Erinnerung, dass es sich beim automatischen Subjekt des Kapitals, das das Humankapital nachzubilden versucht, um ein hohles Subjekt handelt, ein Subjekt, das sich seiner eigenen Aushöhlung verschreibt, gerade dadurch, dass es die Negativität der Arbeit ausstößt und diejenigen ins Exil treibt, die, weil sie weniger und mehr als eins sind, zugleich seine Gestalt, sein Anderes, sein Doppel sind, die Träger_innen einer vorbehaltlosen Generativität. Das Humankapital tritt nun an die Stelle des automatischen Subjekts und engagiert sich mit den Fertigkeiten der täglichen Finanzialisierung und Logistik, die beide auf es einwirken, als wäre es ein Hindernis der Bewegung und kein Vehikel in Bewegung. Anders gesagt geht das Humankapital vom strategischen Subjekt des Neoliberalismus aus, es verallgemeinert den Abschied, den dieses Subjekt seinem exilierten Inneren selbst zufügt und rituell aufzwingt, es macht aus sich selbst ein poröses Objekt, das immer noch spricht wie ein Subjekt, wie in einer Art burlesker Aufführung des philosophischen Traums von der letzten Aussöhnung. Aus diesem Grund lässt sich das Humankapital nicht im traditionellen Sinn als Strategie denken oder wirklich managen, und im Gegenzug erleben wir mithin die Aushöhlung des Felds der Unternehmensstrategie, die auch den Niedergang des MBA-Abschlusses und den Aufstieg der „Leadership Studies“ mit sich bringt. Heute belasten Leadership Studies Buchhandlungsregale wie Business-Studierende, aber Leadership kann nicht managen. Das strategische Management wird evakuiert, in einem verzweifelten Versuch, die Kontrolle über den privaten Gewinn aus einer Form der sozialen Produktionunter dem Kapital aufrecht zu erhalten, das automatisch wird, und damit nicht zwingend nicht zu managen ist, sondern sich selbst managt. Was sich hier auftut, ist ein Kurs in allgemeiner Logistik, ein Kurs auf sie hin. Logistik zu deuten bedeutet, das ausgesprochene Begehren danach zu deuten, das loszuwerden, was die Logistik den „Steueragenten“ nennt, es bedeutet, den Güterfluss von „menschlicher Zeit“ und „menschlichem Fehler“ zu befreien. Der gierige Algorithmus des Handlungsreisenden braucht immer noch eine strategische Intervention, da er sich nicht entwickeln kann, wenn neue Probleme auftauchen, es sei denn, die Fähigkeit zur Zerstörung oder die Unfähigkeit, die die Selbstzerstörung der Erfassten ermöglicht, zählt als Entwicklung. Er kann zum Beispiel das Canadian-Traveller-Problem nicht lösen, wo Straßen im Schnee verschwinden und für die effizienteste Bewegung der Lastwägen neue Probleme aufwerfen. Die evolutionären und genetischen Algorithmen treten hier oft in eher Lamarck’schem denn in darwinistischem Gewand auf. Aber in einem sind sich alle einig. Die Strategie blockiert die Straße jetzt genauso gewiss, wie der Schnee die Straße nach Sudbury blockiert. Für die Logistik muss das beliebige Subjekt, wie Michael Hardt es nennt, das Feld räumen für das beliebige Objekt. Es werden logistische Populationen geschaffen werden, die ohne Denken auskommen, ohne Emotionen fühlen, sich ohne Reibung bewegen, sich ohne Frage anpassen, ohne Pause übersetzen, ohne Unterbrechung verbinden, oder sie werden als Körper zerlegt und ihrer Fähigkeiten entfähigt    werden, genauso wie sie zusammengesetzt wurden durch das, was Patricia Clough Bevölkerungsrassismus nennt. Von jetzt an ist die Logistik die Herrin all dessen, was sie misst …

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