Die ungeliebten Stimmen gegen den Krieg in der Ukraine

Vielen Linken in Deutschland kommen pazifistische Erklärungen aus der Ukraine ungelegen. Sie suchen anlässlich des Krieges wieder Anschluss an Staat und Nation. Ihr Traum: eine woke, bis an die Zähne bewaffnete Bundeswehr.

Wir Anarchosyndikalisten betrachten uns nicht als Pazifisten, sondern als Antimilitaristen. Wir teilen keine Illusionen des guten Willens oder der Fähigkeit von Staaten oder der UN, Träger von Frieden und Harmonie zu sein. In dieser Stunde des Blutes, des Hasses und der Bedrohung durch einen militärischen Flächenbrand halten wir es jedoch für notwendig, Solidarität mit all jenen auszudrücken, die nicht den Verstand verloren haben und nicht für die Macht und den Profit von Herren und Meistern töten und sterben wollen.

Bei dieser Einleitung handelt es sich nicht um die Worte deutscher Linker, die der Ukraine wieder mal erklären wollen, dass sie sich nicht militärisch verteidigen soll, wie eine weit verbreitete Kritik von Bellizisten bis ins linke Milieu hinein in letzter Zeit unterstellt.

Mit diesen Sätzen wird auf dem Portal A-Infos lediglich erklärt, warum die Verfasser es wichtig fanden, eine Erklärung der kleinen Ukrainischen Pazifistischen Bewegung zu übersetzen, die gerade in Kriegszeiten den Kampf gegen Militarismus und Krieg nicht vergessen hat. Sie fordert, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch in der Ukraine zu schützen.

Gegen die Rhetorik des totalen Sieges

Besonders wenden sich die ukrainischen Kriegsgegner gegen die Rhetorik des totalen Sieges:

Nach der Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine forderte die UN-Generalversammlung eine sofortige friedliche Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine und betonte, dass die Konfliktparteien die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht respektieren müssen. Wir teilen diese Position.

Die derzeitige Kriegspolitik bis zum absoluten Sieg und die abweisende Haltung gegenüber Kritik von Menschenrechtsaktivisten sind inakzeptabel und müssen geändert werden. Ein Waffenstillstand, Friedensgespräche und ernsthafte Arbeit sind erforderlich, um die tragischen Fehler zu korrigieren, die auf beiden Seiten des Konflikts begangen wurden.
Aus der Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung

Mit dieser Position befindet sich die Initiative auf der Linie des großen Sozialistenkongresses vor dem 1. Weltkrieg. Die Beteiligten riefen dazu auf, den Krieg durch Massenstreiks zu verhindern. Wenn aber das nicht gelänge, sollten die Sozialisten aller Länder alles tun, um den Krieg so schnell wie möglich auf allen Seiten zu beenden.

Genau auf dieser Linie liegt die besagte aktuelle Erklärung aus der Ukraine. Sie könnte auch ein Bezugspunkt für Linke und Antimilitaristen in Deutschland sein, die ja immer betonen, dass sie in der Ukraine für eine Anti-Kriegsposition keine Ansprechpartner finden. Doch das liegt eher an den Gruppen und Personen, die als Gesprächspartner ausgewählt wurden.

Die ignorierten Kriegsgegner in der Ukraine

Hätte man im Ersten Weltkrieg in Deutschland die Mehrheits-SPD und nicht die kleine Gruppe der linken Kriegsgegner besucht, hätte man ähnliche Positionen gehört wie von den ukrainischen Vaterlandsverteidigern. Sie hätten vor allen die Pazifisten als unbedeutend abgekanzelt.

Das ist nicht verwunderlich. Erstaunlicher ist schon, dass sich Linke aus verschiedenen europäischen Ländern nicht selbst auf der Suche nach den ukrainischen Kriegsgegnern gemacht haben. Denn die sind gar nicht so wenige und bräuchten mehr Unterstützung, wie eine Reportage in der taz kürzlich dokumentierte.

Dort wird berichtet, unter welchen Repressalien Kriegsgegner in der Ukraine zu leiden haben. “Zwar sind die ukrainischen Männer, die nicht kämpfen wollen, in der Unterzahl”, heißt es in dem Artikel, “doch sie gewinnen zunehmend an Präsenz. Nicht zuletzt wegen einer Online-Petition, in der sich ein Rechtsanwalt gegen die aktuelle Praxis der Mobilisierung aussprach: Innerhalb weniger Tage wurde sie 27.000 Mal unterzeichnet.” Die Ukrainische Pazifistische Bewegung nimmt in ihrer Erklärung darauf Bezug, wenn sie schreibt:

Der Staat und die Gesellschaft müssen dem Despotismus und Rechtsnihilismus der Streitkräfte der Ukraine ein Ende bereiten, der sich in der Politik der Schikanen und strafrechtlichen Sanktionen für die Weigerung der Teilnahme an Feindseligkeiten und der gewaltsamen Umwandlung von Zivilisten in Soldaten manifestiert, aufgrund derer Zivilisten dies nicht können, sich innerhalb des Landes frei bewegen und ins Ausland reisen, auch wenn sie lebenswichtige Bedürfnisse nach Rettung vor Gefahren, Bildung, Existenzfindung, beruflicher und kreativer Selbstverwirklichung usw. haben.
Aus der Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung

Es ist schon erstaunlich, dass die besagte Petition in Deutschland genauso wenig bekannt ist wie die Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung oder der seit Jahren von ukrainischen Rechten und der Justiz verfolgte christliche ukrainische Pazifist Ruslan Kotsaba. Dieses Desinteresse bei großen Teilen der Linken in Deutschland erstaunt nur auf den ersten Blick, weil doch immer betont wird, man könne hierzulande keine Antikriegsposition einnehmen, die sich in der Ukraine nicht wiederfinde.

Gefühlslinke Bellizisten suchen Anschluss an Staat und Nation

Teilen der Linken in Deutschland kommen pazifistische Erklärungen aus der Ukraine genauso ungelegen, wie AKW-Gegnern Ratschläge der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die Kernkraftwerke übergangsweise länger in Betrieb zu lassen, statt auf die klimaschädlicheren Energieträger Kohle und Gas zurückzugreifen.

Aktuell ist zu beobachten, wie ein Teil der ehemals radikalen Linken den Ukraine-Krieg nutzt, um seinen Frieden mit Deutschland und der Nato zu machen. Da werden auch linke Erkenntnisse über Bord geworden, beispielsweise die, dass sich eine Relativierung der Naziverbrechen an den Juden verbietet.

Dann findet sich ausgerechnet in der einst deutschlandkritischen und antisemitismus-sensiblen Wochenzeitung Jungle World ein Interview mit einem Kiewer Kurator, der sich dieser Relativierung ständig bedient, den Pazifismus verdammt und für mehr Waffen wirbt. Eine kritische Nachfrage der beiden Interviewer sucht man vergeblich.

Im Ukraine-Krieg lernt ein Teil des linken Milieus, das vor einigen Jahren noch “Deutsche Waffen – deutsches Geld morden mit in aller Welt” skandierte, genau diese deutschen Waffen zu lieben. Es ist nicht das erste Mal, dass Kriege die beste Gelegenheit für Gefühlslinke sind, sich als verlorene Söhne und Töchter wieder in die “eigene Nation” einzugemeinden.

Schon im Ersten Weltkrieg waren es einst militante Anarchisten, die sich freiwillig meldeten, um die einst verhasste Nation im Schützengraben zu verteidigen. Und die meisten Sozialdemokraten aller Welt inszenierten sich 1914 als verlorene Söhne, die ihre Heimat verteidigen wollten.

Die wenigen Ausnahmen wie die bulgarischen Sozialisten, die russische Bolschewiki und linke Minderheit in allen sozialistischen Parteien fanden so viel Aufmerksamkeit, weil sie eben so selten waren. Ein großer Teil der Ex-Linken vor allem aus dem grünen Milieu hat schon den Irak-Krieg vor mehr als 30 Jahren und dann vor allem den Jugoslawien-Krieg 1999 genutzt, um deutlich zu machen, dass mit ihnen nicht nur Staat zu machen ist, sondern auch Kriege geführt werden können.

Man braucht nur das 2010 im Suhrkamp-Verlag erschienene Buch “Kosovo – Geschichte eines Konflikts” von Erich Rathfelder zu lesen und wird viele der Mechanismen erkennen, die auch im Ukraine-Konflikt dazu dienen, Menschen für die Positionierung auf einer Seite zu konditionieren.

Dort stand der serbische Nationalismus dem kosovarischen Ethnonationalismus gegenüber, beide zutiefst reaktionär, was eigentlich allen Freunden von Fortschritt und Vernunft hätte verbieten müssen, hier Partei zu ergreifen. Der einzige positive Bezug wäre das Konzept der Vereinigten Balkan-Staaten, der in Jugoslawien teilweise verwirklicht wurde. Der serbische Nationalist Slobodan Milosevic war ebenso ein großer Feind dieses Jugoslawien-Konzepts, wie der russische Nationalist Wladimir Putin heute die Negation der Idee der Sowjetunion ist.

Doch das war nicht Rathfelders Thema. Er ist der Prototyp eines eingebetteten Journalisten, der im Kosovo mit Militärs und Politikern per Du war und schon sehr früh deutlich machte, dass die Nato in dem Konflikt auf Seiten des kosovarischen Ethnonationalismus intervenieren müsse. Dabei zog er alle Register, wie man im Buch nachlesen kann.

Die ethnonationalistische kosovarische Bewegung wurde von ihm lange verteidigt, die Nazikollaboration ihrer Vorgänger hingehen wurde bei ihm ebenso verschwiegen, wie heute die Bandera-Bewegung in der Ukraine oft kein Thema ist. Real existierende Morde und Gräuel des Krieges wurden so präsentiert, dass sie nicht etwa den Ruf für ein Schweigen der Waffen zur Folge hatten, sondern zur Forderung führte, jetzt endlich mit Nato-Waffen einzugreifen.

as können wir im Ukraine-Konflikt genau so erleben. Zudem wurden alle Versuche, den Konflikt ohne Waffen zu regeln, systematisch diskreditiert. Im Kosovo stand der gewaltfreie Nationalist Ibrahim Rugova für diese Linie. Er war ein Gegner des Nato-Krieges und wurde einfach von den selbsternannten Freunden des kosovarischen “Volkes” ignoriert.

Ihnen war auch egal, dass die realen Gräuel auch an der kosovarischen Zivilbevölkerung erst massiv zunahmen, als der Nato-Krieg begann. Das schreibt Rathfelder sogar, für ihn aber ist das nur ein Argument, gegen diejenigen zu polemisieren, die nicht früher zu einem militärischen Eingriff bereit waren.

Es blieb damals aber eine kleine Restlinke, die sich dieser Vervolkungsgemeinschaft verweigerte. Ein Teil dieser Szene holt das jetzt im Ukraine-Krieg nach. Noch vor einigen Jahren waren ihnen fast alle Nationalfahnen ein Gräuel, jetzt können sie sich an den Ukraine-Bannern nicht sattsehen.

Traum von der woken, bis an die Zähne bewaffneten Bundeswehr

Ehemalige Kriegsdienstverweigerer werden zu Fans einer woken Bundeswehr. Im taz-Interview erklärt der Politikwissenschaftler der Bundeswehruniversität München, Carlo Masala: “Ich will eine Bundeswehr, die woke im besten Sinne des Wortes ist, wehrhaft und bis an die Zähne bewaffnet.” Damit hat er ausgesprochen, wovon bellizistische Linke träumen.

Deshalb kommt ihnen nichts ungelegener als ukrainische Kriegsgegner und Antimilitaristen. Letztere werden daher einfach ignoriert. Eine antimilitaristische Linke sollte daher weniger auf das linksliberale Milieu zählen als vielmehr auf Gewerkschaften und Beschäftigte, die sich gegen die Zumutungen der Inflation und der Verarmung wehren, beispielsweise im Bündnis “Genug ist genug”.

Sie erkennen, dass es auch beim Ukraine-Krieg um einen innerkapitalistischen Konflikt handelt, bei dem die Rüstungskonzerne auf allen Seiten die einzigen Gewinner sind. Hier liegt das Potenzial für eine Bewegung, die Druck macht, dass die Forderungen der ukrainischen Pazifisten umgesetzt werden und endlich Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges beginnen.

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