Ein Beitrag zu den derzeitigen Unterbrechungen in Frankreich

„Ich werde am Ende Kommunist werden“

Brigitte Bardot, Interview mit Le Parisien, 1. Dezember 2018

 „Schönwie ein unkeuscher Aufstand”

Graffiti an einer Gebäudefassade auf den Champs-Elysées

Zersetzungen

Auch wenn sie sich letztendlich als zerbrechlich erweisen sollte, so ist es doch eine der Hauptverdienste der gegenwärtigen Mobilisierung, die Rhetorik und das taktische Repertoire der linken Bewegungen des vergangenen Jahrhunderts an das Grévin-Museum geschickt zu haben – und zwar mit den Forderungen nach mehr Gerechtigkeit und Gleichheit und ohne die Anti-Steuer-Rhetorik der rechten und extremen Rechten der Nachkriegszeit zu reproduzieren. Nach dem fast völligen Verschwinden der Sozialdemokraten, was in Frankreich durch die Wahl von Macron gekennzeichnet war, erleben wir nun den Niedergang der Kommunisten, des “Unbeugsamen Frankreich”, der Linken, der Anarchisten, der “Ultra- Linken” und all der anderen Klassenkampf-Profis oder selbsternannten Sprecher mit radikaler Attitüde. Und eine Mehrheit von ihnen rast nun mit voller Geschwindigkeit, samt ihrer Fraktionen, Vereinigungen, Parteien, Medienberichten und Blog-Einträgen dieser Bewegung hinterher, über die sie anfänglich nur die Nase gerümpft und gespöttelt haben.

Imit ihrem Zu-spät zu-kommen ist offensichtlich: Der bloße Protest ist endgültig zu Grabe getragen worden. Jeder kann die Aufrufe, Leitartikel, Anträge, Petitionen, die von der Präfektur genehmigte Route vom Place de la République zur Bastille, ihre Protest-Anführer und deren schwarzen Block, diese Ausschüsse, die zwischen Vertretern und Herrschern koordinieren und verhandeln, das ganze Schauspiel der Repräsentanz zwischen den Führern oder Delegierten und der “Basis”, die durch die Presse oder in den Vollversammlungen kolportiert werden, voraussehen.
Kurz gesagt, die letzten Überbleibsel des Wohlfahrtsstaates, oder besser gesagt, seine ihm immanenten Formen des Protestes, sind in Rauch aufgegangen. Sie sind nicht nur nutzlos, sondern vor allem veraltet und erbärmlich, die Begrifflichkeiten einer völlig toten Syntax, einer toten Sprache, die aber noch lange von den Geistern, die sie einst benutzt hatten, am Leben gehalten werden. Man kann sich immer noch auf all die Bürokraten, die Fachleute und Trainer, auf die Armee der immer und ständig nachwachsenden ‘Intellektuellen der Leere’ verlassen. Sie werden den Bauchredner geben, das große Spiel der Partei spielen, die sich immer und immer wieder in ihren Träumen als Avantgarde einer Bewegung vorstellen, während sie in Wirklichkeit nur traurige Straßenkehrer sind, die hinter dem Zug auskehren.
Nun also schlagen sie Schlagworte vor, die bald schon konstitutionell sein sollen, erlassen Regeln des angemessenen kollektiven Verhaltens, ermahnen die Machtfrage nicht jetzt zu stellen, gehen dabei gekonnt über die vorrevolutionären Charakteristika der Situation hinweg, infiltrieren Proteste und Treffen und fordern die Konvergenz von Kämpfen.
Diese Praktiken, diese Reden waren bereits während der Bewegungen der Eisenbahner und der Studenten im vergangenen Jahr hohle Beschwörungen – sie sind heute hohler denn je. Die Beharrlichkeit der ersten Erfolge der “gelben Westen” illuminieren auf grausame Art und Weise die Reihe der geradezu systematischen Niederlagen, die sich in den letzten Jahren in Frankreich ereignet haben, und die allgemeine Auflösung, in die alle Strömungen der Linken, die ach so stolz auf ihr Erbe und ihre Einzigartigkeit sind, die immer so dümmlich heroisch in ihrer Haltung sind und die nach und nach über den Zeitraum eines halbes Jahrhundert immer bedeutungsloser geworden sind.

Weit davon entfernt, ein Stolperstein zu sein, ist es gerade die zu vernachlässigte “ideologische Uneindeutigkeit” der Bewegung, die es ihr ermöglicht, all die vereinnahmenden “Dienstleistungen” von spezialisierten Organisationen und Aktivisten hinfällig werden zu lassen. Für die “Fachleute” der linken Ordnung und der aufständischen Unordnung bietet die Bewegung der “gelben Westen” nun eine Einladung zu einer Reise, zu einer Teilnahme, die endlich frei sein wird von den etablierten Kollektivitäten, von all dem Gewicht der ideologischen und materiellen Mühlsteine der Vergangenheit.

Wendepunkt

Die laufende Mobilisierung braucht nicht aufgebauscht zu werden – oder besser gesagt, in Konkurrenz zu bestehenden oder parallelen Bewegungen gesetzt zu werden, wie man es zwischen den Zeilen in den revanchistischen Erklärungen der abgesetzten kleinen Häuptlinge liest. In den Kreisverkehren und auf den Straßen, durch Blockaden oder puren Aufruhr bringt sie bereits Kräfte zusammen, die heterogen, politisch vielfältig oder sogar widersprüchlich (wenn auch oft soziologisch gesehen nahe) sind, um sich zu begegnen und zu begegnen. Anstatt bereits bestehende Ideen oder ein gemeinsames Klassenbewusstsein oder gar Videos und Botschaften, die in sozialen Netzwerken ausgetauscht werden, zu nutzen, klammert sich die Bewegung an die lokale Geselligkeit, alt und alltäglich, an Interaktionen außerhalb des Arbeitsplatzes, in den Cafés, Gruppen, Sportclubs, Gebäuden, Nachbarschaften.

Da ihnen der nahezu religiöse Charakter der progressiven Ideologie mit all ihren abgedroschenen Mythen und leeren Ritualen völlig fremd ist, scherten sich die “Gelben Westen” in den ersten zwei Wochen der Bewegung nicht um Zusicherungen oder Interpretationen ihres gemeinsamen Elends. Mit Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit, der Gefahr von Spaltung und Auflösung bewusst, gehen sie auf die Straße, besetzen Kreuzungen und Mautstellen frei von Vorurteilen, ohne auferlegte Gewissheit, frei vom pathologischen Intellektualismus und Idealismus der Linken und ihren Phantasmen über das Proletariat, das historische Subjekt und die universelle Klasse.

Die Bewegung befindet sich am Wendepunkt zwischen zwei Perioden des Kapitalismus und den damit verbundenen Regierungsformen. Sie trägt in ihrem Inhalt mehr als in ihrer Form die Spuren der Vergangenheit, gibt aber Einblicke in eine mögliche Zukunft von Kämpfen oder Aufständen. Die Kritik an der Steuer, die Forderung nach Umverteilung, die Korrektur von Ungleichheiten – all das richtet sich an einen weitgehend verschwundenen Regulierungsstaat. Gleichzeitig will die Bewegung weniger Steuern und mehr Staat. Sie greift den Staat nur in dem Maße an, in dem er sich aus den städtischen und semi-ländlichen Zonen zurückgezogen hat. Und obwohl es sich bis vor kurzem um eine Frage der Kaufkraft handelte, war dies nur eine Folge der Ignorierung der Gehälter, die das allgemeine Kaufkraftniveau größtenteils noch stärker bestimmen als die Besteuerung. Ein bemerkenswertes Merkmal der aktuellen Periode ist, dass niemand in der Regierung daran gedacht hat, die Chefs für ihre Lohnpolitik verantwortlich zu machen. Diese taktisch unverständliche Einschränkung des Fokus zeigt besser als jeder Diskurs, was die Interessen der führenden Politiker des gegenwärtigen Regimes sind, auch wenn sie selber dadurch letztendlich in Gefahr geraten.

Da sie sich den Parteien widersetzt und sich außerhalb von Gewerkschaften – und sogar zu Beginn gegen sie – ausdrückt, konfrontiert die Bewegung auch das gesamte System der Interessenvertretung, das aus dem Zweiten Weltkrieg und der Fünften Republik stammt: Eine Reihe von Delegationsmechanismen, die an die keynesianische Verwaltung des Kapitalismus gebunden sind. Mit dem Hinter-sich-lassen der Linken der alten Tradition, oder besser gesagt, ihrer Verstoffwechselung, vervollständigen die „gelben Westen” für einige die seit Mai 1968 erhobenen Forderungen nach Autonomie. Aber aus dem gleichen Grund stehen sie auch im Einklang mit dem Programm zur Zerstörung von Gewerkschaftsorganisationen und demokratischen Institutionen, das seit den 1970er Jahren im fortgeschrittenen Kapitalismus umgesetzt wird. Oder besser gesagt, sie sind sein irreduzibler Rest, dessen Entstehung einige prophezeit hatten. Keynesianisch, liberal und neoliberal abwechselnd oder auf einmal bringt die Bewegung in ihrem Verhältnis zu Staat, Wirtschaft und Geschichte die Stigmata dieser aussterbenden politischen Ideen und die Ambivalenzen unserer Zeit mit sich.

Dennoch stellt die Bewegung, wenn auch in noch paradoxer Form, die erste Massenpolitisierung der ökologischen Frage in Frankreich dar. Deshalb wäre es falsch, die Mobilisierung nur auf die Bedingungen von Klasse, Status und Beruf zu beziehen und einen zu vereinfachten Gegensatz zwischen den Problemen am Monatsende und der Frage nach dem Ende der Welt zu schaffen. Dieser alte Reflex ist auch ein Überrest des alten Regimes von Regulierung und Protest. In der Bewegung der „gelben Westen” ist die Arbeit nicht mehr das Epizentrum, weil es letztendlich wirklich die Kaufkraft ist.
Wogegen die Bewegung protestiert, jenseits ökologischer Ungerechtigkeiten (die Reichen zerstören viel mehr vom Planeten als die Armen, auch wenn sie Bio essen und ihren Müll sortieren, aber die Armen sind diejenigen, die die Kosten des „ökologischen Übergangs” tragen müssen), sind vor allem die enormen Unterschiede in Bezug auf die Bedingungen der Zirkulation, die bisher kaum politisiert wurden. Anstatt sich im Namen einer sozialen Position auszudrücken, macht die Bewegung in diesem Sinne die Mobilität (und ihre verschiedenen Regime: eingeschränkt oder gewählt, diffus oder konzentriert) zum Hauptfokus der Mobilisierungen und bei der Blockade des Verkehrs zum wichtigsten Instrument des Konflikts.

Die drei Westen

Auf der Ebene der konkreten Mobilisierung wird die Hauptqualität der Bewegung darin bestehen, eine neue Taktik und eine neue Dramaturgie des sozialen Kampfes erfunden zu haben. Schwache Resourcen, die perfekt eingesetzt werden, werden ausgereichcne, um ein Krisenniveau zu schaffen, das in Frankreich in den letzten Jahrzehnten politisch selten erreicht wurde. Die Logik der Zahlen und der Konvergenz, die Teil der Mobilisierungen der keynesianischen Zeit war, ist nicht mehr der entscheidende Faktor: Es muss nicht mehr mit Gymnasiasten und Studenten, mit Arbeitslosen und Rentnern, mit ihrer Verfügbarkeit und ihrer Zeit gerechnet werden, noch muss ein zentraler, mediatisierter Pariser Resonanzkörper gesucht werden, um der Bewegung ihre Stärke und Legitimität zu verleihen.
Die einzigartige Kombination aus der Vermehrung kleiner Gruppen in den geographischen Räumen, die ohne ein spontanes politisches Leben seit mehr als einem halben Jahrhundert existieren, die Praxis von Blockaden und der offensichtliche, natürliche, angestammte Rückgriff auf den Aufstand, der bis in die Herzen der lokalen, regionalen und nationalen Stadtzentren reicht, hat das Repertoire des Streiks mit seiner imposanten und gut etablierten Figur zumindest vorübergehend verdrängt.

Über diesen gemeinsamen Charakterzug hinaus scheinen derzeit drei praktische und taktische Tendenzen die Bewegung zu spalten und ihre Zukunft zu bestimmen: Der erste ist Wähler in seinem Herzen, der „Bürger”. Er fordert bereits die Bildung einer völlig neuen politischen Bewegung, die Konstituierung von Kandidaturen für die nächsten Europawahlen, und er träumt zweifellos von einem Schicksal, das mit dem der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, der Podemos in Spanien oder der Tea Party in den USA vergleichbar ist. Dabei geht es darum, das bestehende politische Spiel über Vertreter abzuwägen, deren soziale Merkmale den Merkmalen ihrer Wähler so ähnlich wie möglich sind. Die Radikalsten in diesem Lager sind mit den gegenwärtigen politischen Institutionen nicht zufrieden und fordern, dass diese sofort vollständig zu verändern sind: Sie wollen ihr Referendum oder ihre „Nuit Debout”, aber in den riesigen Fußballstadien, wo sie sich vorstellen, dass eine neue deliberative Demokratie erfunden und umgesetzt wird.
Eine zweite Polarität innerhalb der Bewegung ist offen für Verhandlungen. Sie hat sich am vergangenen Sonntag in der Presse geäußert, indem sie zu Gesprächen mit der Regierung aufgerufen und ihre Einladungen angenommen hat, bevor sie zurückgepfiffen wurde. Eine mehr oder weniger rebellische Fraktion der Parlamentsabgeordneten und Mehrheitspolitiker antwortete mit Vertretern der Opposition, der Gewerkschaften und der Parteivorsitzenden, indem sie einen Kurswechsel forderte: vollständige Umgestaltung der Stände General [gesetzgebende Versammlungen], Steuern, Ökologie, Ungleichheiten und andere brennende Themen. Dieser Pol dominierte die Debatten in der dritten Woche, aber er ist innerhalb der Bewegung ziemlich umstritten, die nicht sieht, wie ein neues Grenelle-Abkommen a fortiori ohne Gewerkschaften oder legitime Vertreter und wahrscheinlich mit der Zeit verwässert, die Wut möglicherweise bekämpfen könnte. Nach ihrem Fehlstart ist der Hauptvorteil der Regierung nun die Jahreszeit, sie hoffen, die Opposition in den Feiern am Jahresende zu ertränken und die Diskussion über Monate verschleppen zu können. Wir wissen aber auch aus der Vergangenheit, dass die Ständeversammlung bei ähnlicher Angelegenheit nicht in der Lage war, die blutenden gesellschaftlichen Wunden zu verbinden.
Der dritte Fraktion der Bewegung ist fundamental oppositionell und an ihren Rändern aufständisch oder sogar revolutionär. Sie manifestierte sich an diesem Wochenende in Paris und in den Präfekturen und forderte den sofortigen Rücktritt von Macron ohne weitere Forderungen zu stellen.
Sie erzielte Erfolge, die in Frankreich seit Jahrzehnten beispiellos sind, indem sie die reichen Viertel im westlichen Teil der Hauptstadt erreichte und trotz der polizeilichen Unterdrückung, der zahlreichen Opfer von Gewalt, der abgerissenen Hände und der geschlagenen Gesichter mit einer beispiellosen Entschlossenheit auf die Ordnungskräfte losging. Einige Statistiken geben einen Eindruck von der Gewalt, die im Gange ist: Am 1. Dezember schoss die Polizei in Paris so viele Granaten wie in Frankreich während des gesamten Jahres 2017. Es ist möglich, dass der sehr scharfe Charakter dieser Konfrontationen zum Teil das Ergebnis einer Kalkulation der regierung war, die darauf abzielte, die aufrührerischen Teile der Bewegung zu diskretitieren. Diese Strategie ist letzte Woche gescheitert. Sie war trotzdem auch diese Woche wieder Gegenstand der Berichterstattung in den Massenmedien. Wie auch immer, die besten Aussichten für dieses Segment der Bewegung erinnern an die arabischen Revolten von 2011, als eine sehr heterogene politische Mobilisierung mehrere autoritäre Regime zum Einsturz brachte, ohne dass es jedoch gelang, weiter zu gehen und eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln.
Dieses Porträt wäre nicht vollständig, ohne daran zu erinnern, dass die neofaschistische Tendenz die drei Lager der Bewegung umfasst. Die extreme Rechte ist in allen von ihnen präsent. Die identitäre und autoritäre Spannung ist auch ein mögliches Szenario für alle Tendenzen: Im Bündnis mit (wie in Italien) oder durch ein Einsickern in die mögliche Wahlbeteiligungen; durch Empörung darüber oder dem Gegenteil davon, wenn die Verhandlungsführer am Wahltag gewinnen; durch einen Gegenschlag oder Konterrevolution, wenn die Putschisten der Linken oder die Aufständischen siegen. Die extreme Rechte liegt auf der Lauer!
Alle guten Geister sind demoralisiert. Reicht das aus, um die Bewegung zu diffamieren?
In Wirklichkeit ist die neofaschistische Möglichkeit in Frankreich seit der Wahl von Macron gegeben: Sie ist ihre notwendige doppelte und wahrscheinlichste Folge. Die Entstehung der extremen Rechten geschieht heute überall als logische Folge der Aufrechterhaltung der neoliberalen Wirtschafts- und Polizeistaatlichkeit in Verbindung mit der sozialen Krise, die durch die autoritäre Wende in vielen Ländern seit 2008 belegt ist. Das Bestehen dieser Gefahr ist nicht aufbauend, aber es ist der offensichtliche Beweis dafür, dass wir in Frankreich, in Europa und darüber hinaus an einem Scheideweg stehen. In kritischen Zeiten ist die Geschichte immer unsicher und amalgan, die Puristen und Hygieniker des Geistes und der Politik sind ratlos. Wenn sie noch nicht illiberal sind, sind die „gelben Westen” bereits antiliberal. Aber wer kann sagen, ob sie sich neue Freiheiten wünschen?

Schwäche Links

In diesem Sinne ist der aufständische Riot nichts wert, auch wenn die Riots, die am 24. November und 1. Dezember in Paris und in einigen Städten der Provinzen stattfanden, von historischem Ausmaß waren. Manchmal vergessen wir allerdings, dass die Franzosen seit fast vier Jahrhunderten immer wieder gewaltsam aufgestanden sind, meist gegen Steuern und Machtkonzentration. In den letzten hundert Jahren hat das Verständnis für Zerstörung und Straßengewalt allerdings erheblich abgenommen. Seit 2016 und dem neuen, fragilen Verhältnis zwischen dem „schwarzen Block” und dem Rest der Demonstranten ist die Dämonisierung der Unruhen jedoch zurückgegangen. Dieser Trend wurde in den letzten Tagen durch die Konfrontation der einfachen Bürger mit verschärfter Polizeibrutalität noch verstärkt. Eine taktische Vorgehensweise könnte dies, vielleicht vorläufig, nutzen, um das Herzstück der Bewegung zu gewinnen und die Präzision zu erhöhen, mit der sie auf die Ziele abzielt.
„Die Erstürmung des Palastes“ der Republik wird nicht stattfinden. Im Moment gibt es noch zu viele Mechanismen in der Reserve, um die Situation zu entschärfen: die Entlassung der Regierung, die Verhängung des Ausnahmezustands, die Armee, usw. Beenden wir die Trauer um die Linke: Die Revolution selbst, verstanden als Ereignis, ist weder eine Notwendigkeit noch ein absoluter Horizont. Von nun an kann der Kampf nur noch ununterbrochen stattfinden, d. h. indem man je nach Priorität die schwächsten Teile der strategischen Systeme der herrschenden Macht angreift. Zunächst einmal die Medien und die Polizei.

Die Medien sind auf diese Bewegung effektiv verteilt. Einige Medien unterstützen die Anti-Steuerposition der »gelben Westen”, um die Klasseninteressen ihrer Besitzer zu erhöhen, während sie gleichzeitig die Gewalt der Bevölkerung fürchten. Andere Medien, ideologisch näher an der Regierung, in sozialer Affinität zu der Figur, die Macron verkörpert, werden dennoch von ihren Konsumenten zur Rechenschaft gezogen, die die „gelben Westen”; unterstützen, auch wenn sie nicht teilnehmen. In einer fließenden Situation ist die Repräsentation eine der entscheidenden Kriegsarmeen. Soziale Netzwerke und verschiedene Protestplätze korrigieren jedoch nur teilweise die monopolistische Tendenz der traditionellen audiovisuellen Medien, wenn sie selbst nicht von schamlosen Gegenwahrheiten überzeugt werden. Wir stellen uns gerne vor, dass ein Teil der „gelben Westen”; so schnell wie möglich einen oder mehrere Radio- und Fernsehsender stört, wenn möglich nationale Sender, sich mit abtrünnigen Journalisten verbindet und so die laufenden historischen Entwicklungen deutlicher sichtbar werden lässt. Zumindest müssen wir die bereits vorhandenen Instrumente der Gegeninformation unverzüglich erweitern.
Die Polizeipräsenz ist paradoxerweise das andere schwache Glied im Präsidialsystem. Es ist eine verbrauchte, überfischte Maschine, voller rostiger Teile und Waffen, deren menschliche Zahnräder sozioökonomische Bedingungen ausgesetzt sind, die denen der „gelben Westen”; sehr ähnlich sind. Diese Nähe könnte es sein, die Reihen der Polizei und ihrer Gewerkschaften zu teilen, wenn sie dorthin geschoben werden, wo sich ihre Leiden angesammelt haben, was wiederum ihre Basis schwächen würde. Diese Aufgabe erscheint hart, schwierig, vielleicht unmöglich, aber ohne einen zumindest teilweisen Überlaufen des Repressionsapparates findet kein Aufstand statt. Das Zeitfenster dafür ist eng.

Wir können nicht sicher sein, dass der vom Innenminister beschlossene Plan an diesem Samstag nicht noch heimtückischer sein wird, um frontale Konflikte zugunsten gezielter Verhaftungen zu vermeiden (so wie es in Deutschland der Fall war) (G20HH), um die Spannungen bis hin zur Atemnot zu treiben. Aber wird das funktionieren, wenn in den letzten zwei Wochen eine Massenradikalisierung gegen die üblichen Praktiken der Polizei stattgefunden hat? Am 1. Dezember inahm die CRS vor den Demonstranten ihre Helme ab. Hat nicht schon eine Polizeigewerkschaft (Vigi) nach Samstag zu einem unbefristeten Streik aufgerufen? Andere Gewerkschaften wie die der Beamten (Lehrer, Feuerwehr und Rettungsdienste, die gesamte öffentliche Verwaltung) haben ähnliche Forderungen für die nächsten Tage und die nächste Woche formuliert. Der Staatsapparat reißt langsam auf.
Zielt gut, aber beharrt vor allem auch darauf: Paris ist ein Aufstand, aber Paris ist auch eine Falle. Ein spektakuläres Schaufenster. Der Maßstab der Bewegung ist lokal. Wir hoffen, dass es lokal bleibt und die existentiellen Situationen sowie die dort abgehaltenen Treffen sich vervielfachen.
Die Verallgemeinerung der Perspektive lokaler „populärer” Versammlungen, wie in Saint-Nazare oder in Commercy, die über die bereits mobilisierten „gelben Westen” hinaus andere Gruppen zusammenbringen können, würde in diese Richtung gehen. Dies würde Ressourcen, Energie, Kraft und gegenseitige Hilfe erfordern. Es könnten Mittel für Blockaden organisiert werden – einschließlich materieller Ressourcen und sogar Online-Fundraising. Politisch muss die Rolle der unterstützenden Verbände und sogar der sympathisierenden lokalen Mandatsträger noch festgelegt werden, ebenso wie die Rolle des Silvesters, dem Tag, an dem es landesweit zu Unruhen kommt.
All diese ohnehin schon übertriebenen Überlegungen sind angesichts der Fragen, mit denen die Bewegung in Zukunft konfrontiert sein wird, dennoch gering, wie die nach der Wirtschaft und der Ökologie, die größtenteils am Rande des Diskurses der aktuellen Unruhen geblieben sind, während sie doch im Mittelpunkt aller Forderungen stehen. Wir werden zu ihnen zurückkehren müssen. Der 8. Dezember ist erst der vierte Akt der Mobilisierung. Die besten Tragödien haben fünf.

Entlassene Agenten der Imaginären Partei

  1. Dezember 2018

Anmerkungen: Diese Übersetzung kann, ja muss dem ursprünglichen Text der Imaginären Partei geradezu zwangsläufig nicht gerecht werden, weil dies angesichts der komplexen und mit Subtexten behafteten Sprache der Autoren eine absolut professionelle Übersetzung erfordern würde, zu der sich der Übersetzer nicht in der Lage sieht. In diesem Sinne bitte ich um Nachsicht. Der Text erschien am 7. Dez 2018 auf Lundi Matin: https://lundi.am/Contribution-a-la-rupture-en-cours

 Sebastian Lotzer 12.12.2018

Foto: Stefan Paulus

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