Für eine „Giletsjaunisierung“ der derzeitigen sozialen Bewegung in Frankreich

Der Kampf gegen die Pläne der französischen Regierung, das Rentensystem umfassend zu Lasten der abhängig Beschäftigten umzustrukturieren, stößt dieser Tage (wie nicht anders zu erwarten) an seine Grenzen. Endete schon der Kampf gegen das ‘loi travail’ 2016 mit einer krachenden Niederlage, so war bei der Beibehaltung der gewerkschaftlichen Strategien und Taktiken nichts anders zu erwarten gewesen. Darüber kann auch die Länge der Streiks nicht hinwegtäuschen, zu wenige Sektoren (ausschließlich aus dem öffentlichen Dienst, bzw. staatlichen Unternehmen) beteiligen sich an den Arbeitsniederlegungen. Auch brachte die Mobilisierung zu den landesweiten Demonstrationen in der vorletzten Januarwoche deutlich weniger Leute auf die Straße, auch wenn die CGT für Paris völlig unrealistische 350.000 Teilnehmer*innen heraus posaunte. Spannender dürfte daher eher das Ineinandergreifen der Bewegung der Gilets Jaunes und der Gewerkschaftsbewegung, bzw. die Ansätze dazu zu analysieren sein. Oder anders gesagt, auf welchem Terrain sich die soziale Konfliktualität dieser Tage bewegt, wie sich die kämpfenden Sektoren der Klasse aufeinander beziehen und sich miteinander organisieren. Mit genau diesen Fragen beschäftigt sich der folgende Text, der am 22. Januar auf ‘acta zone’ erschien und nun in einer sinngemäßen Übersetzung vorliegt.

Seit dem 5. Dezember mobilisiert die soziale Bewegung gegen die Rentenreform viele Berufsgruppen in der Hoffnung, den neoliberalen Zerstörungsprozess zu stoppen. Diese Massenbewegung war der Beginn eines Begegnens zwischen der Welt der Gewerkschaften und der Welt der gelben Westen – ein Aufeinandertreffen, das sowohl eine Quelle der Widersprüche als auch ein Versprechen für die kommenden Kämpfe darstellt.

Die Hypothese eines Generalstreiks, der in der Lage wäre, die Verluste der Kapitalisten in die Höhe zu treiben und den Block an der Macht in wirkliche Schwierigkeiten zu bringen, verschwindet am Horizont, während unterdessen der seit anderthalb Monaten andauernde Streik bei der SNCF und der RATP deutlich an Unterstützung verliert. Die Streikenden stellen mit Bitterkeit fest, und wir mit ihnen, dass die Mehrheit der Berufsgruppen sich ihnen nicht angeschlossen hat. Es ist jedoch notwendig, die Situation pragmatisch zu analysieren und eine erste Einschätzung der Situation zu erstellen, um die positiven Entwicklungen hervorzuheben.

Innerhalb der kämpfenden Sektoren wurden zahlreiche Verbindungen zwischen verschiedenen Sektoren sowie mit den Gelben Westen geknüpft, insbesondere während der Blockaden von Busbahnhöfen und durch den gemeinsamen Widerstand gegen Übergriffe und Polizeiangriffe gegen den cortège de tête. Sie sind vermutlich noch nicht ausreichend. Eine Gruppe von gelben Westen war tatsächlich an der Spitze der Dienstags und Donnerstags stattfindenden gewerkschaftsübergreifenden Demonstrationen anwesend, aber wir konnten nur ein paar Hundert zählen, während es während der zahlreichen Aktionen, die das Land im vergangenen Jahr erschütterten, Zehntausende waren.

Umgekehrt beobachteten wir während der Mobilisierung der gelben Westen an den Samstagen, dass die Intersyndicale dreimal zur Teilnahme aufrief und auch wenn das dann immer wieder zum Schauplatz eines erneuten politischen Konflikts wurde und mit Erwartungen überfrachtet war, erlebten wir doch auch eine zaghafte Verbindung mit den Gewerkschaften.

Obwohl diese Verbindungen zu begrüßen sind, ist es dennoch notwendig, taktische Vorschläge für ihre Zukunft zu formulieren. An diesem Punkt der Bewegung besteht die Herausforderung darin, den Kampf gegen die Rentenreform langfristig zu verankern. Die gelben Westen haben gezeigt, dass ein Konflikt nur durch einen Angriff auf die gesamte soziale Reproduktion gewonnen werden kann und dass es unerlässlich ist, gleichzeitig die politische Natur des Regimes anzugreifen.


VERKNÜPFUNGEN UND PRAXIS

Die konkrete Analyse setzt voraus, dass man von der Realität der heutigen politischen Intervention ausgeht: Nämlich von der Summe der politischen und konfliktuellen Praktiken, die sich einer reformistischen Vermittlung verweigern.

Blockaden

Von einer Bewegung zur anderen sind die Blockaden die Räume, in denen sich die entschlossensten Subjektivitäten treffen, .h. diejenigen, die schnell und effektiv handeln wollen. Seit 2016 haben Blockaden und Besetzungen die Mobilisierungen befruchtet und den Konflikt oft verschärft. Aber wir können keine fließende Kontinuität zwischen beispielsweise der Art und Funktion einer Kreisverkehrsblockade einerseits und der Blockade eines Busdepots andererseits konstatieren. Es ist daher unerlässlich, die politischen und organisatorischen Besonderheiten jeder Form des Kampfes zu analysieren.

Die Kreisverkehrsbesetzungen der gelben Westen in den Jahren 2018 und 2019 sollten nicht nur die (Zirkulation der Waren)Ströme blockieren – im Gegensatz zu den wiederholten Besetzungen von Einkaufszentren, die explizit von einer heftigen Opposition gegen die Konsumsphäre zeugten -, sondern auch Räume für Begegnung und Diskussion schaffen: Kurz gesagt, den Wunsch, sich einen Ort der Passage und der sozialen Atomisierung wieder anzueignen, um ihn zu einem politischen Ort zu machen.

Andererseits haben die Besetzungen und Blockaden von Busdepots, Logistikzentren (vor allem im Energiebereich) und Raffinerien, die die letzten Wochen des Kampfes gekennzeichnet haben, eine direkte gewerkschaftliche Praxis wiederbelebt, die den „Stubenhocker“- Reformismus und den sakrosankten “sozialen Dialog”, der von den Machthabenden gefördert wird, beinahe vergessen gemacht hätte und die auf den traditionellen antagonistischen Raum schlechthin abzielt: Den der Arbeit.

In Île-de-France (Großraum Paris, d.Ü.) bildeten diese Initiativen eine doppelte Möglichkeit. Einerseits trugen sie dazu bei, die tatsächlichen Auswirkungen des Streiks durch die Blockierung oder Verzögerung von Transportleistungen zu verstärken. Andererseits trafen sich jeden Morgen um 4.30 Uhr Hunderte von Menschen in den vier Ecken der Region, um die Streikenden zu unterstützen und Bündnisse um gemeinsame politische Praktiken herum zu bilden, die die Sozialisierung widerspiegeln könnten, die durch die Besetzung der Kreisverkehre im letzten Jahr entstanden ist.

Es ist sicher nicht unerheblich, dass Personen von außerhalb eines Unternehmens auf einen Aufruf zur Solidarität angesichts der Repression durch die Chefs reagieren oder die Initiative ergreifen, um strategische Punkte für das Funktionieren des Unternehmens zu blockieren. Dennoch muss man zugeben, dass die Rückkehr zu den offensiven Praktiken der Gewerkschaftsbewegung von Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts nicht ausreicht. Die Arbeitswelt ist umstrukturiert worden, während die Gewerkschaftsbewegung mehr denn je zersplittert ist. Die diffuse Prekarität konzentriert sich auf mehrere Bereiche der Gesellschaft, den verschiedenen atomisierten Berufsgruppen entsprechend, deren Logiken und Interessen voneinander getrennt sind.

Die Bewegung der gelben Westen war eine populäre Antwort auf das Scheitern der traditionellen Mobilisierungen und den Zusammenbruch der „zwischengeschalteten Stellen“ (gemeint sind hier die traditionellen Gewerkschaften, d.Ü.), indem sie all jene zusammenbrachte, die von dieser Umstrukturierung der Arbeitsorganisation hart getroffen wurden: Bewohner der städtischen und ländlichen Peripherie, Teilzeitbeschäftigte, Arbeitslose, alleinstehende Mütter, prekäre Selbständige usw..

Die derzeitige Bewegung ihrerseits hat sich weitgehend um die Zentren der Angestellten bei den großen öffentlichen Unternehmen der Pariser Region organisiert, d.h. in den letzten großen Bastionen einer kurzatmigen Gewerkschaftsbewegung. Es muss jedoch auch gesagt werden, dass der Streik nur durch die Fähigkeit zur Organisierung an der Basis, jenseits der Sphäre der Gewerkschaftsführung, aufrechterhalten wurde, während diese die Mobilisierung im strikten Rahmen einer harmlosen Legalität aufrechterhalten wollte und in einigen Fällen sogar ein Ende der Streiks befürwortete. Dennoch kann diese positive Feststellung nicht davon ablenken, dass die Gewerkschaftsdachverbände nicht völlig von ihrer Basis übernommen wurden und dass sie aufgrund ihrer Präferenzen bezüglich des sozialen Dialogs gegenüber dem Klassenkampf noch immer einen erheblichen Einfluss haben und eine erhebliche Rolle bei der Befriedung sozialer Konflikte spielen.

Demonstrationen

Analog dazu: Während die Entwicklung der Repression mit dem Auftreten der Brigades de Répression de l’Action Violente (BRAV) (ein Wortspiel der Autor*innen mit der Abkürzung der polizeilichen Sondereinheit, d. Ü.) dem cortège de tête bei den ersten Demonstrationen gegen die Rentenreform scheinbar den Garaus gemacht hat, trugen der Einfallsreichtum und die Entschlossenheit der gelben Westen dazu bei, die daraus entstandene Apathie zu durchbrechen: Wie z.B. bei den gewerkschaftsübergreifenden Demonstrationen an den Samstagen während der Weihnachtsfeiertage (denen sich die gelben Westen anschlossen), am Samstag, dem 11. Januar (Verbindung zwischen der GJ-Demonstration und der Gewerkschaftsdemonstration) und am letzten Samstag beim ‘Acte 62’, dem sich im Gegenzug mehrere Gewerkschaftsgruppen und der Gewerkschaftsbund ‘Solidaires’ anschlossen.

Der cortège de tête war „in gelbe Gewänder gekleidet“, was die übliche Vorgehensweise der Repressionskräfte im Zusammenhang mit Gewerkschaftsdemonstrationen durchkreuzte. Die ‘schwarzen Jacken’ sammelten sich scheinbar in einem homogenen Block – der als Orientierungspunkt diente, auf den sich die Ordnungskräfte dann sofort konzentrierten – und verteilten sich doch in Wirklichkeit in verstreuten und heterogenen Demoblöcken. Die Feindseligkeit gegenüber der Polizei an mehreren Stellen des Demonstration überraschte die Präfektur. Sie verstand nicht die Tatsache, dass die Diffusion Vorrang vor der Zentralisierung in einem Block haben könnte.

Die Intelligenz der gelben Westen sollte wie Wasser sein, flüssig und schwer fassbar, sodass es möglich ist, die Fähigkeit zur Konfrontation wiederzuerlangen und praktische Wege zu finden, um den neuen Rahmen der Demonstrationen zu nutzen – ohne dass der Polizeiapparat Zugriff auf die Situation bekommt.

Wir dürfen jedoch folgende Beobachtung nicht übersehen: Die Intensität des Antagonismus, den der cortège de tête im Jahr 2016 oder die Revolte der gelben Westen im vergangenen Jahr repräsentierte, hat an Kraft verloren. Es geht bei dieser Einschätzung nicht darum, Zensuren zu verteilen, sondern konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die Demonstration wird nicht nach der Anzahl der teilnehmenden gelben Westen beurteilt, sondern nach den Prozessen, die ihre Organisation bestimmen. So ist die Anmeldung von Demonstrationen und Versammlungsorten bei der Präfektur, die Auferlegung einer vorweggenommenen und gradlinigen Route durch die Repressionskräfte, die allwöchentliche Festlegung von Mobilisierungen auf Dienstag oder Donnerstag, ausgehend von der selbstverständlichen Annahme des Fortdauerns der Streiks – all dies ist viel zu vorhersehbar geworden

Die Prämissen einer „Giletsjaunisierung“ der Demonstrationen“ und einer „Radikalisierung des Streiks“ werden daher nicht ausreichen. Es geht darum, einen qualitativen Sprung zu machen, indem die „Giletsjaunisierung“ auf die soziale Bewegung selbst ausgedehnt wird: Auf ihre Parolen und ihre Fähigkeit zur Offensive. Die Rückkehr zur Normalität zu vereiteln und den Konflikt zuzuspitzen, so dass er dauerhaft und endemisch wird.

DEN STREIK RECHTZEITIG VERANKERN

Der Generalstreik wird immer als ein maximaler Horizont betrachtet, um das Konfliktniveau zu erhöhen und den Konflikt mit einer Summe von Forderungen zu gewinnen, die sehr oft von den Gewerkschaftsdachverbänden aufgestellt werden. Als wäre er eine entscheidende Karte, die zum richtigen Zeitpunkt herausgezogen werden könne und die Kapitalisten genug Geld verlieren lassen könne, um den Staat als Kommandostab des Kapitals zum Rückzug zu zwingen.

Ein Jahr nach dem Beginn der Revolte der gelben Westen ist diese Positionierung nicht mehr zu halten. Zunächst einmal, weil der Streik nicht weit verbreitet ist und in seinem gegenwärtigen Zustand weder einen finanziellen Preis darstellt, der ausreicht, um das Kapital zu beugen, noch einen politischen Preis, der ausreicht, um die Regierung zu beugen.

Zweitens, weil ein paar tausend Menschen an einigen Wochenenden des Kampfes mehr erreicht haben als Hunderttausende von Gewerkschaftern, die seit fast zwei Monaten streiken, während Letztere wiederum der Wirtschaft einen viel härteren Schlag versetzt haben.

Konflikte lassen sich nicht auf die wirtschaftlichen Auswirkungen reduzieren. Auf die Champs-Élysées vorzudringen, Orte der Macht ins Visier zu nehmen, die Institutionen des Regimes direkt zu bedrohen – das ist es, was den Staat im vergangenen Winter erschüttert hat.

Um den Streik wirklich langfristig zu verankern, scheint es uns daher notwendig zu sein, seinen politischen Charakter zu betonen, d.h. unmittelbare Forderungen wie die Rücknahme der Reform (und so viele andere je nach Sektor) mit einer grundlegenden Kritik am kapitalistischen Regime (und seiner “demokratischen” Fassade) sowie der Bekräftigung eines alternativen strategischen Weges zu verbinden.

Verankerung dieses Prozesses in einem imaginären und in einem erreichbaren Raum

Dazu ist es notwendig, die ruinöse Dichotomie zwischen wirtschaftlichem und politischem Kampf aufzulösen, indem die Frage der Veränderungsmöglichkeiten aus einem anderen Blickwinkel als dem der Wahlen oder Forderungen gestellt wird. Mit anderen Worten, es ist notwendig, eine Verbindung zwischen Taktik und Strategie herzustellen, um uns die Möglichkeit zu geben, den Kampf als die unmittelbare Ausarbeitung einer anderen sozialen Beziehung zu betrachten, in der der Konflikt zwischen ihnen und uns nicht mehr in einer Neujustierung gelöst werden kann, weil die Erfahrung der Vergangenheit eine Quelle von Konflikten war.

Die soziale Bewegung der Gilets Jaunes sollte einerseits den Druck aufrechterhalten, indem sie Streiks über einen langen Zeitraum hinweg unterstützt, aber auch die konfliktträchtigen Aktivitäten am Arbeitsplatz fortsetzen und versuchen, die Arbeitnehmer in allen Sektoren davon zu überzeugen, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Basisorganisierung zu erreichen, Orte für Diskussionen und Entscheidungen zu schaffen, usw.

Es bedeutet auch, sich selbst zu zwingen, Taktiken und Unvorhersehbarkeiten zu erfinden:

  • die Vervielfachung der Tage der Mobilisierung in einem anderen Zeitrahmen als dem des traditionellen Streiks (z.B. abends und am Wochenende) unter Beibehaltung der Häufigkeit von Gewerkschaftsdemonstrationen an bestimmten Streiktagen.
  • sich nicht mit traditionellen Demonstrationen zufrieden geben und erneut unvorhersehbare, nicht angemeldete Aktionen in Vierteln organisieren, in denen die wirtschaftliche und politische Macht konzentriert ist.
  • die Konflikebenen außerhalb des Rahmens der Demonstrationen und der Räume der Lohnarbeit zu vervielfachen, indem sie das, was bereits getan wird, fortführen und intensivieren, um Menschen außerhalb der Arbeitswelt zusammenzubringen.

Unter diesem Gesichtspunkt müssen mehrere Wege beschritten werden:

  • breit angelegte Aktionen, die mehrere Sektoren im Kampf zusammenbringen, ob Gewerkschaftler oder nicht, wie die Blockaden in Géodis, die Besetzung der Bahnhöfe durch EisenbahnerInnen, StudentInnen und AktivistInnen im Jahr 2018, die mehrfachen Blockaden des Großmarkts von Rungis im Jahr 2019 und oder der Logistikszentren und – Depots in den letzten Wochen.
  • Schlagkräftige oder spontanere Aktionen wie das Eindringen in die Räumlichkeiten des CFDT oder das Theaters Bouffes du Nord, wo sich Emmanuel Macron vor einigen Abenden in aller Ruhe amüsiert hat: Wir beschränken unseren Ärger nicht auf die rein wirtschaftliche Blockade, sondern laden uns an die Orte ein, wo die Repräsentanten der Macht hingehen, um den Druck auf sie zu erhöhen und unsere Entschlossenheit angesichts ihrer Versuche, uns zu zermalmen, zu zeigen (wie 2016 beim “Aperitif bei Valls”) (abendliche Spontandemos in Paris in Richtung der Vergnügungsaktivitäten des Premierministers, d.Ü.).
  • das Wiederauftauchen von Sabotageakten, wie sie in bestimmten Tätigkeitsbereichen bereits stattgefunden haben (man denke an die Gewerkschafter des Energiesektors, die die Stromzufuhr zu bestimmten Polizeistationen, die CFDT usw. unterbrachen, man denke an die Sabotage von Straßenbahnlinien oder Bussen durch streikende RATP-Beschäftigte usw.) – durch die Rückkehr zu ihrem gewerkschaftlichen Ursprung, für den Émile Pouget, stellvertretender Sekretär der CGT zu Beginn des 20. Jahrhunderts, damals stand.

Durch die Vervielfachung von Formen der politischen Intervention und der kollektiven Intelligenz werden wir gewinnen können

Die Streikenden der RATP zeigten durch ihre Hartnäckigkeit und Kühnheit, dass der Streik allein ihnen gehörte, so wie die gelben Westen zeigten, dass die Bewegung nicht auf traditionelle Repräsentationsformen reduziert werden konnte. Es ist daher möglich, der institutionellen Vereinnahmung zu entkommen und innerhalb unseres Lagers einen Kampf zu führen, um die reformistischen Führer dazu zu zwingen, zu akzeptieren, dass der Streik nicht aufhört, zumindest aber in einer anderen und konfrontativen Form fortgesetzt wird. Wir können sagen, dass die Dringlichkeit darin besteht, über die Zeitlichkeit der sozialen Bewegung gegen die Rentenreform anders nachzudenken, sie als Stützpunkt zu nutzen, um den Rahmen des Streiks zu verändern, so wie der cortège de tête und die gelben Westen den Rahmen der Demonstrationen verändert haben.

AUSBLICK

Die Hoffnung auf eine andere Welt bringt uns immer weiter zusammen, und der Untergang dieser Welt zeichnet die Konturen einer gemeinsamen Flugbahn. Aber sie wird nicht spontan erscheinen und nicht auf antagonistische Praktiken wie Blockaden oder Zusammenstöße mit der Polizei reduziert sein. Es fehlt uns sehr an Räumen für die gemeinsame Analyse, in denen wir gemeinsam voranschreiten und politisch bestimmen können, um gemeinsame Hypothesen zu bilden, durch und trotz der Widersprüche, die unter uns auch herrschen.

Wir müssen daher die Dringlichkeit einer Solidarität berücksichtigen, die über den Rahmen der Bedingungen der Lohnarbeit hinausgeht (obwohl dies notwendig ist). Dies hat auch die Bewegung der gelben Westen geprägt: Eine wachsende Solidarität angesichts von Repressionen, Verstümmelungen und Gefängnisstrafen.

Einerseits müssen wir die Solidaritätspraktiken angesichts der polizeilichen Repression und der sozialen Kontrolle (durch Führungsebene der Unternehmen, berufliche Sanktionen, etc.) vertiefen – um nur ein Beispiel zu nennen: Denken wir an Adama Cissé, den Müllwerker, der entlassen wurde, weil er ein Nickerchen gemacht hatte, das Video über den Fall dass sich dann schnell verbreitete und eine sofortige Welle der Unterstützung auslöste.

Andererseits ist es auch notwendig, dass diese Solidarität über den Rahmen der Belegschaften der Unternehmen hinausgeht, in einer Zeit, in der die Arbeit in verschiedene Sektoren mit widersprüchlichen Logiken und heterogener Prekarität aufgeteilt ist. Es ist nicht mehr möglich, die Arbeit zum einzigen zentralen Element zu machen: Wir müssen die Solidarität zwischen den Sektoren ausweiten (was, wie das Beispiel der Nicht-Generalisierung des gegenwärtigen Streiks zeigt, noch nicht der Fall ist), sie vor allem auf das gesamte Lager ausdehnen, das heute eine entschlossene Opposition zur bestehenden Gesellschaftsordnung in sich trägt.

Es war zudem die große Stärke der Gelben Westen, dass sie Bereiche der Begegnung (die undeutliche Räume des Kampfes waren) schufen, die über den Rahmen der Arbeit allein hinausgingen und die von breiteren Bevölkerungsschichten genutzt werden konnten. Zu dieser Art von transversalen Solidaritäten ruft uns die folgende Sequenz auf.

Im Grunde werden beide Seiten benannt. Auf der einen Seite gibt es den Staat und seine Polizei, seinen Stellvertreter, und die Kapitalisten und ihre Stellvertreter. Zum anderen gibt es eine heterogene soziale Zusammensetzung: gelbe Westen, entschlossene Basisewerkschaftler, Arbeiter und prekäre Arbeitnehmer, Arbeitslose, Bewohner von Arbeitervierteln, Studenten und Gymnasiasten, Militante der Linken, außerparlamentarisch oder nicht. Leider kommunizieren all diese Realitäten nicht oder nur selten. Sie treffen sich nur bei Demonstrationen oder in Aktion, wenn sie sich nicht damit zufrieden geben, an denselben Facebook-Veranstaltungen teilzunehmen oder den immer größer werdenden Raum zu teilen, der den cortège de tête darstellt. Zweifellos sind viele von uns der Meinung, dass dies nicht ausreicht und dass mehr Diskussionen notwendig sind.

Es liegt uns fern, kollektive Diskussionen, geschweige denn Versammlungen, zu mytifisieren, aber es geht immer noch darum, die Grenzen der digitalen Agora, die das Internet bietet, auszuloten. Es reicht nicht aus, einen Rubikon zu überschreiten. Wenn die gelben Westen so lange überdauert haben, dann liegt das daran, dass die meisten von ihnen sowohl im Internet als auch physisch täglich offen organisiert waren. Täuscht Euch nicht, Versammlungen an der Basis und am Arbeitsplatz sind unverzichtbar – die Entscheidungen über die Durchführung des Streiks liegen bei ihnen – aber sie reichen nicht aus. Seit 2016 wird das Bedürfnis, sich zu treffen, geteilt. Oftmals haben wir diese Chancen vertan, indem wir uns nicht um die uns zur Verfügung stehenden Räume gekümmert haben. Heute jedoch tendiert die Situation dazu, eine Sequenz zu eröffnen, in der die Krise der Repräsentation und die Abwendung von der dominanten Ordnung so stark sind, dass die Möglichkeit einer Vereinigung um gemeinsame Parolen möglich wird.

Um es klar zu sagen: Zu denken, dass die Gelbe Westen Bewegung heute die aufständische Intensität von vor einem Jahr beibehält, ist eine grobe analytische Illusion und kann nur in eine politische Sackgasse führen. Das Bewusstsein für die Stagnation ist eine notwendige Voraussetzung.

Die Parole der „Giletsjaunisierung“ bezieht sich daher nicht so sehr (oder nicht nur) auf die gelben Westen als solche, sondern vielmehr auf den Geist, der sie getragen hat: auf ihre Aktionsformen, auf ihre Kampfweise, auf ihre Kühnheit und ihren Initiativgeist, auf ihre Fähigkeit, sich auf ihre eigene Stärke zu verlassen. Es ist dieser Geist, der heute die gesamte soziale Bewegung befruchten muss, den sich alle anderen Zentren des Kampfes wieder aneignen müssen.

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