Gesellschaftskritik und imaginäre Institution. Zur Aktualität von Cornelius Castoriadis

Gesellschaftskritik ist heute wieder an der Zeit. Vor dem Hintergrund der gesellschtlichen „Vielfachkrise“ (Demirovic et al. 2011) und einer Protestwelle von Kairo bis New York ist der Ruf nach „Wiederbelebung“ und „Rückkehr der Kritik“ (Dörre et al. 2009: 12f.) lauter geworden. Durch Wiederaneignung und Zusammenführung der Traditionslinien kritischer Teorie, so wird gefordert, soll Gesellschaftskritik reanimiert und zu einer Hauptaufgabe der Soziologie gemacht werden (ebd.). Auch Gesellschaftskritik selbst ist zum intensiv bearbeiteten soziologischen und philosophischen Forschungsfeld avanciert, das vermessen, kartiert und evaluiert wird (Jaeggi/Wesche 2009; Iser 2011a). Und die systemstabilisierende Funktion einer vereinnahmten Kritik ist – wie in der Diskussion über den neuen Geist des Kapitalismus (Boltanski/Chiapello 1999) – ebenfalls ein wichtiger Topos.

Der Name Castoriadis taucht bei solchen Wiederbelebungen, Vermessungen und Funktionsbestimmungen von Kritik – verglichen mit sozialtheoretischen Galionsfguren wie Habermas oder Honneth, Foucault oder Bourdieu – so gut wie nicht auf. Wird er einmal am Rande) flüchtig erwähnt, dann meist in wenig erhellender Weise. Der vorliegende Aufsatz versucht hingegen die Aktualität von Castoriadis zu demonstrieren, indem er auf Aspekte seines Werks inweist, die für die Diskussionen über die Rolle von Kritik „anschlussfähig“ sind und zugleich Schwachstellen dieser Diskussionen kenntlich machen. Die Hinweise sollen zugleich zeigen, dass Castoriadis einen wertvollen Beitrag zur Neuorientierung kritischen Denkens und emanzipatorischen Handelns leistet, der mehr Aufmerksamkeit verdient und dabei helfen könnte, sich im Labyrinth von „Vielfachkrise“ und Kritik nicht wieder in alten Blindgängen linker Theorie und Politik zu verirren.

pdf Wolf_Gesellschaftskritik_Prokla_167_2012(1)

 

taken from here

Foto: Bernhard Weber

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