Gibt es einen maschinellen Mehrwert?

Nicht das Problem um die Übertragung des Werts bzw. der Reproduktion des Wertanteils des fixen Kapitals, das Marazzi in seinem Essay Die Amortisation der Körper-Maschine (Marazzi 2012: 35ff.) behandelt (dem zufolge das konstante Kapital durch die Operation der Übertragung zweimal produziert wird), steht hier im Vordergrund, sondern unter anderen Gesichtspunkten noch einmal das Phänomen der Verdichtung von Funktions- und Arbeitszeiten in der kapitalistischen Produktion und damit der Potenzierung der Wertproduktion durch den Einsatz neuer Technologien und Maschinen, mit dem die Produktivität und Rentabilität eines industriellen Unternehmens gegenüber anderen Unternehmen sowie anderen Formen des Kapitals (Handels- und Finanzkapital) gesteigert werden kann. Ein Unternehmen erzielt unter Wertgesichtspunkten genau dann einen temporären Wettbewerbsvorteil/Extraprofit gegenüber den Konkurrenzunternehmen, wenn es ihm gelingt, seine Waren, die aufgrund der Anwendung neuer Technologien im Wert pro Stück gesunken sind, über ihrem individuellen Wert, aber möglichst auch unter dem zu einem gegebenen Zeitpunkt gültigen Standard-Wert in der jeweiligen Branche bzw. billiger als die anderer Unternehmen zu verkaufen. Insofern mit der Erhöhung der Produktivität sowohl die Arbeitszeit als auch die Funktionszeit (der Maschinen) pro Produkteinheit sich verringert bzw. der Output pro jeweiliger Zeiteinheit sich erhöht, steigert das Unternehmen seinen Anteil an der Gesamtwertmasse an den Märkten, d. h., es bekommt u. U. mehr Arbeitszeit und/oder Funktionszeit zurück als es selbst eingesetzt hat. Dementsprechend wird von diesem Unternehmen in der Zirkulation zum Zeitpunkt t1 mehr Arbeitszeit/Funktionszeit aktualisiert als es in seinen eigenen Produktionsprozessen zum Zeitpunkt t0 tatsächlich operationalisiert und vergegenständlicht hat, denn der gültige Standard der gesamten Warenwerte – die spezifisch zeitliche Norm in einer Ökonomie – wird ja nicht durch die in einem bestimmten Unternehmen angewandte Arbeits- und Funktionszeit, sondern durch die »gesellschaftlich« gültige Arbeits- und Funktionszeit auf der Ebene des Gesamtkapitals bestimmt. Der erfolgreiche Einsatz von Innovationen erlaubt es dem dominanten Unternehmen, seine Produkte in kürzerer Zeit (kürzere Arbeits- und Funktionszeit), d. h., mit weniger oder effektiveren Inputs als die mit durchschnittlicher Produktivität produzierenden Unternehmen herzustellen, sodass seine Stückkosten bei u. U. höheren Outputs pro Zeiteinheit sinken, womit nicht nur seine Profitrate und seine absolute Profitmasse überdimensional ansteigt, sondern das Unternehmen wird zugleich über die Prozesse der Durchschnittsbildungen (Durchschnittsprofitrate) höhere Anteile eines gesellschaftlichen Zeit- und Geldpakets absorbieren bzw. einkassieren. Steigerung der Produktivität im Kontext eines Einzelkapitals heißt dann, dass Investitionen sich auf eine relativ größere Anzahl von Produkten streuen, deren Wert pro Stück sinkt, sodass der Preis pro Stück eigentlich auch sinken müsste. Es bleibt jedoch fraglich, ob das Unternehmen diese Kostensenkung pro Stück, die einer Beschleunigung und Effektivierung der Produktionsprozesse entspricht, bis zu einem gewissen Grad an die Kunden weitergibt oder ob es zum alten Preis (Durchschnitt) verkauft und damit sehr hohe Extraprofite realisiert oder ob es etwa die Preise in erster Linie senkt, um Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Of course muss das Unternehmen überhaupt einen Marktpreis realisieren. Es ist hier zunächst nur angezeigt, dass das dominante Einzelkapital über Produktivitätssteigerungen zumindest temporär einen Extraprofit realisiert. (MEW 25: 209) Und damit ist die Notwendigkeit der vorrangigen Darstellung von relativen bzw. relationalen gegenüber absoluten Maßen angesprochen, ohne eben letztere unberücksichtigt zu lassen. Wir kommen auf die Problematik des Verhältnisses von Profitrate und Profitmasse noch zurück. Gleichzeitig scheint es zwingend geboten, den Fokus nicht nur auf die Profitmaximierung des Einzelkapitals, sondern insbesondere auf die Erklärung des universellen Antriebs/Movens des Kapitals im Rahmen der differenziellen Akkumulation pluraler Kapitale zu legen, die, wie schon gesehen, um ihre Wertanteile an der Gesamtwertmasse in Form realisierter Preise kämpfen, wobei vor allem die dominanten Kapitale in den Blick geraten, welche u. U. in der Lage sind, die Konkurrenzmechanismen an den Märkten zu nutzen, um über ihren individuellen Arbeits- und Produktionsaufwand hinaus höhere Wertanteile an der Gesamtproduktion zu absorbieren. Nicht in der Profitmaximierung an sich, sondern in der strukturellen, der strukturierenden und strukturierten Motivation den »Durchschnitt zu schlagen« und damit die durchschnittliche Rendite zu überbieten (wie das auch Bichler/Nitzan betonen; siehe Bichler/Nitzan 2009: 19), liegt einer der wichtigen »Beweggründe« der kapitalistischen (dominanten) Unternehmen, denen wiederum über die Korrekturmechanismen der Konkurrenz hindurch die Notwendigkeit zum Outperformen aufgezwungen wird. Dahinter verbirgt sich der Imperativ, nicht nur die Vermehrung absoluter, sondern vor allem der relativen Größen im Rahmen differenzieller Akkumulation in die eigenen symbolischen Berechnungen und Buchungen miteinzubeziehen. Andererseits gilt es immer zu berücksichtigen, dass gerade die Anerkennung des »Gesetzes« der Durchschnittsbildungen von Profitraten es paradoxerweise erst erlaubt, die Vision, den Durchschnitt zu schlagen, in den Blick zu nehmen, insofern Produkte als Waren zumindest idealiter zu Durchschnittspreisen realisiert werden. In diesem Sinne sind selbst die Gruppen der mächtigsten oligopolistischen Koalitionen des Kapitals kompetitiven Zwängen ausgesetzt (nach Bichler/Nitzan bezieht sich das nicht nur auf die sog. Marktmacht, sondern vor allem auf die breit angelegte strategische Kapazität der dominanten Unternehmen sog. Sabotage im Business mit den Methoden der Kapitalisierung zu verbinden; vgl. Bichler/Nitzan 2009: 231f.)

Schließlich dauert der Vorteil des Extraprofits/Extramehrwerts in den Prozessen differenzieller Akkumulation für ein Unternehmen nur solange an, bis die Mehrheit der Mitkonkurrenten in einer Branche mit ihren eigenen Produktivitätsstandards aufschließen, womit das Produktivitätsniveau des führenden Unternehmens sich quasi verallgemeinert hat und sich damit ein neues Basisniveau der Produktionszeit zumindest innerhalb einer Branche eingestellt hat, das sich rein stofflich in einer größeren Gesamtmenge pro Zeiteinheit hergestellter Produkte darstellt. Und es kommt normalerweise zu einer allgemeinen Erhöhung der Mehrwertrate, wobei die Steigerung des relativen Mehrwerts der subdominanten Unternehmen zur Liquidierung des Extramehrwerts des dominanten Unternehmens führt. Es gilt also zu berücksichtigen, dass die jeweiligen Proportionen der einzelnen Warenanteile in den stets fluktuierenden »Gesamtfonds des Gesamtkapitals« fließen, wobei Marx zufolge die zu einem gegebenen Zeitpunkt realisierten Preise der Einzelkapitale einem bestimmten Quantum der »absoluten« Wertmasse entsprechen sollen. (Vgl. Kurz 2012: 204) Dies anzunehmen entspräche einer begrifflichen Darstellung, die immer im Auge zu haben hat, dass die (unmögliche) quantitative Festlegung eines Gesamtwertvolumens eine Simulation ex post darstellt, die davon ausgeht, dass exakt dieses Wertquantum seiner Aktualisierung vorausgegangen sei. (Strauß 2013: 296) Wir werden noch sehen, dass auf dieser begrifflichen Ebene nicht nur die Umverteilung von sog. Wertquanten im Rahmen von Durchschnittsbildungen zu berücksichtigen ist, sondern schlichtweg das Faktum, dass in der Zirkulation Wert gesetzt wird, obgleich Wertschöpfung in ihr nicht stattfindet. Zudem gilt zu es zu erklären, warum diese Prozesse stets über die Bildung von Durchschnittsprofitraten als Tendenz zu erfolgen haben.

Mit der Steigerung der Produktivität innerhalb eines Unternehmen wird, sollte sich dieses tatsächlich realhistorisch als marktdominant erweisen, eine spezifische zeitliche Norm in einem Zeitintervall neu definiert: Es werden z. B. in einer Arbeitsstunde anstatt 1 Million Bonbons 2 Millionen hergestellt, d. h. der Preis für ein Bonbon könnte nun um die Hälfte fallen, allerdings bleibt der gesamte Produktionswert pro Stunde gemessen in Geldeinheiten zunächst gleich, er stellt sich jetzt aber in 2 Millionen Bonbons anstatt in 1 Million dar, wobei sich hier die Halbierung nur auf den in der Produktion neu hinzu gesetzten Wert bezieht. Andere Wertbestandteile, die auf das Produkt übertragen werden (Rohstoffe, Vorprodukte und operativer Produktionsmittelverbrauch), sind höchstwahrscheinlich mit der Produktivitätssteigerung auch reduziert, aber eben nicht in der gleichen Dimension. Das einzelne Produkt, dessen »individueller Wert« aufgrund der Steigerung der Produktivität in einem bestimmten Unternehmen der Branche X gesunken ist, absorbiert, wird es sich denn zum Durchschnittspreis an Märkten verkaufen lässt, der stets auf den gegenwärtig gültigen Kapital-Standard der Produktivität bezogen ist, einen höheren Anteil gesellschaftlich gültiger, abstrakter Arbeits- und Funktionszeit. In der Zirkulation bedeutet die Realisierung dieser Waren in Relation zur kapital-notwendigen abstrakten Arbeits- und Funktionszeit auf der Ebene des Gesamtkapitals eine Aktualisierung zugunsten des produktiveren Kapitals. Mit ihrer Realisierung ziehen diese Produkte tatsächlich einen höheren Anteil an gesellschaftlich notwendiger Arbeit im Vergleich zu Produkten auf sich, die mit niedrigeren Produktivitätsstandards hergestellt wurden. Die Wachstumsraten (Mengenwachstum pro Zeiteinheit) übersteigen dabei oft die temporalen Beschleunigungsraten in der Produktion, womit die (sozialen) Zeitressourcen trotz technischen Fortschritts in der Tendenz immer knapper werden, sodass die Zeit selbst zu einem unter Effizienzgesichtspunkten äußerst wichtigen Parameter der Kapitalisierung gerinnt, und diese Prozesse vollziehen sich nicht nur in der Produktion, sondern, wie dies auch historisch der Fall war, in der Zirkulation, den Transport- und Kommunikationsindustrien, mit deren Akzeleration der Waren- und Kapitalumschlag, generell die Transaktionsgeschwindigkeiten des Kapitals erheblich gesteigert werden konnten. Vor allem wäre jetzt zu fragen, warum dominante Kapitale im Zuge der ubiquitären Beschleunigungsmechanismen nicht unentwegt der Konkurrenz davon ziehen – wenn deren nach wie vor an die (Uhr)zeit gebundene Akkumulation nicht an diverse Geschwindigkeitsgrenzen stößt – und nach wie vor Prozessen der Durchschnittsbildungen von Profitraten unterliegen, die permanent durch die Korrekturmechanismen der Konkurrenz reguliert werden, wie diese sich selbst an den Durchschnittsbildungen orientieren.

Mit der allgemeinen Durchsetzung von neuen Technologien, und man muss in diesem Zusammenhang Innovation immer auch als einen internen ökonomischen Faktor begreifen, der die Beschleunigung und das Wachstum eines Einzelkapitals initiiert und forciert, verdichten sich also die gesellschaftlich notwendigen und gültigen Arbeits- und Funktionszeiten; es pendelt sich dabei Marx zufolge zumindest kurzfristig eine sektorale Durchschnittsprofitrate auf einem neuen Niveau ein, wobei die jeweiligen Niveaus durch neue Wellenbewegungen, die von weiteren technologische Innovationen und den sie begleitenden Geschwindigkeitseffekten hervorgerufen werden, einer beständigen Verschiebung unterliegen. (MEW 25: 164ff.) Ungleiche Dynamiken bestimmen also die für die einzelnen Unternehmen notwendige Motivation zum Einsatz weiterer produktivitätssteigernder Innovationen, wobei Marx annimmt, dass die Konkurrenz zwischen den Einzelkapitalen immer wieder zu einem tendenziellen Ausgleich der divergierenden intersektorellen Profitraten führt. Mit Marx müsste man dann schließlich von einem tendenziellen Ausgleich der allgemeinen Profitrate sprechen, der eins mit den verschiedenen Wellenbewegungen der differenziellen Akkumulation ist. Virtualisierung wäre an dieser Stelle als Strategien bzw. als Eingriffe von Einzelkapitalen auf der Grundlage der Quasi-Transzendentalität des Kapitals zu verstehen, um stets neue quantitative Dimensionierungen zu aktualisieren, und dies zeigt sich als je schon verspätete Fixierung vergangener Akkumulation und zugleich als Adaption, Steuerung und Projektion laufender Produktionsprozesse an. Harald Strauß formuliert das so: »Die vergangene Produktion als Wertquantum, d. h. als Kapital, realisiert sich nur als Reflexion, zugleich unterzieht diese Maß-Nahme die laufende Produktion einer Flexion, indem die Produktionsbedingungen entsprechend der aktualisierten Durchschnittsbildungen angepasst wird. Es handelt sich um eine doppelte Aktualisierungsbewegung, die der Durchschnittsbildungen und die Ausrichtung der laufenden Produktion.« (Strauß 2013: 193) Und es gibt keinerlei Maß, dass diese Prozesse exakt spiegeln könnte. Im Begriff des Kapitals als Gesamtkomplexion ist der Begriff der Akkumulation integriert, und zwar als die Brücke zwischen virtuell zirkulierender Kapitalstruktur und virtuell fixierbarer Kapitalzirkulation (vgl. Schwengel 1977: 305) sowie als Verbindung von Vergangenheit und Zukunft, als Brücke zwischen Kapitalstock (Durchschnittsbildung) und Investition (Ausrichtung der laufenden Produktion als Gewinnerwartung).

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