Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals. Drei Essays

Achim Szepanski

Imperialismus, Staatsfaschisierung und Kriegsmaschinen des Kapitals
Drei Essays

Laika://Non.Derivate 003

ISBN: 978-3-944233-92-5

Erscheint jetzt

 

Die hier publizierten Essays stehen in einem untergründigen Zusammenhang. Im ersten Essay wird mit der Zeichnung von wenigen abstrakten und weitläufigen Linien versucht, jenes eigentümliche Objekt »Staat« zu konstruieren, ohne dabei der Versuchung zu unterliegen, auch nur im Ansatz diejenigen Diskurse zu reproduzieren, die in endloser Wiederholung vom Staat selbst hervorgebracht werden. Der Staat, der seine Doxa, seine Benennungsprivilegien längst sakralisiert hat und wie ein Zeichen seiner Auserwählung vor sich her trägt, als sei er der Standpunkt aller Standpunkte, sodass jede Frage nach der Legitimität seines Standpunktes sich bereits erübrigt habe, hat sich in für die Bevölkerungen qualvollen Jahrhunderten als eine säkularisierte Hyper-Kirche etabliert. Aber man darf nie vergessen, dass ohne die Vereinnahmung des allgemeinen Reichtums durch das sich selbst reproduzierende Kapital der Staat niemals in der Lage wäre, seine exekutiven, administrativen und gouvernementalen Funktionen auszuüben. Diese Gemengelage führt uns direkt in den zweiten Essay hinein.

Ab einem gewissen Zeitraum in der Historie des Kapitalismus war das Kapital nicht mehr zufrieden damit, mit dem Staat und seinen Kriegsmaschinen eine gleichberechtigte Allianz aufrechtzuerhalten. Die Konstruktion einer eigenen Kriegsmaschine durch das Kapital integrierte den Staat, seine politische, militärische und symbolische Souveränität und all seine administrativen Apparate und modifizierte sie unter den Imperativen des finanziellen Kapitals. Die Ausdehnung der Kapitalisierung auf den ganzen Planeten, leichtgläubig »Globalisierung« genannt, tendiert heute zum Zusammenbruch der staatlichen Souveränität, sie drängt zumindest zu einer globalen Governance ohne Souveränität, ohne dass die Staaten von der Bildfläche verschwinden würden. Auf internationaler Ebene können die USA ihre Funktion des globalen Sheriffs, des globalen Bankers und des Treibers der Kapitalakkumulation nur zum Teil noch wahrnehmen. Auf nationaler Ebene muss der Staat, der zwischen den Funktionen eines teils auch gegenüber den Bevölkerungen großzügigen ideellen Gesamtkapitalisten und der stärker repressiven sozialen Polizei oszilliert, letztgenannte Funktionsweise ausbauen, indem er – seit der Finanzkrise des Jahres 2008 – einerseits die Austeritätspolitik weiter verschärft, andererseits die Interventionsbreite seiner sozialen Polizeien erheblich ausweitet. Damit gelangen wir zum dritten Essay.

Der kommende Faschismus, der als solcher in Anführungszeichen zu setzen ist, wird durch die staatliche Politik des präemptiven Krisen- und Risikomanagements forciert, das, angetrieben von Präventionspolitiken und hypertechnologisierten Paranoia-Aggregaten, das Chaos oder einen Systemfeind überall und nirgends vermutet und deshalb mit immer drastischeren Mitteln eingreifen muss, um das – nach Ansicht des Staates Schlimmste – zu verhindern. In Engführung mit den globalen Kriegsmaschinen des Kapitals adressiert der Staat längst nicht nur die Terroristen als Feinde, vielmehr sichtet er überall und nirgends Feinde, und das heißt, in der Gestalt eines Unternehmens sowie einer motorisierten Exekutivmaschine von Direktiven fungiert er als ein Instrument der Ausbeutung, der Kontrolle und der Disziplinierung einer längst globalisierten Arbeitskraft. Und es kommt, was kommen musste: Die nach der Finanzkrise von 2008 von den Staaten selbst institutionalisierte Klaviatur der Rassismen und Nationalismen wird heute immer stärker von den rechtspopulistischen Bewegungen bespielt, welche die Staatsfaschisierung in Richtung eines offenen Bürgerkrieges treiben wollen, der als seine primären Feinde Flüchtlinge, Muslime und die Fremden im Generellen definiert, um schließlich, im engen Schulterschluss mit dem Staat, einen derart hochexplosiven Zustand zu erreichen, an dem die Politik der Gefühle um des eigenen Glücks willen den Genozid an der Surplus-Bevölkerung im globalen Süden einfordert.

Staatstheorie und Finanzialisierung

1) Zur Frage der allgemeinen Bestimmung des Staates

2) Das staatliche Gewaltmonopol

3) Die Prozesse der Monopolisierung im Staat und die symbolische Macht

4) Staat, Feld und Staatsapparate

5) Der ökonomische Staatsapparat

6) Staat, Recht und Gesetz

7) Über Demokratie

Imperialismus und die neuen Kriegsmaschinen des finanziellen Kapitals

1) Das finanzielle Kapital und der Weltmarkt

2) Der internationale Kapital-Staat-Nexus

3) Multinationale Unternehmen und finanzielles Kapital

4) Krise, Imperialismus und die gegenwärtige Weltordnung

5) Globale Lagerpolitiken

Staatsfaschisierung und Rechtspopulismus

1) Neue staatliche Governance

2) Logik und Politik der Prävention

3) Zur Frage der Staatsfaschisierung

4) Permanente Regierung und Tiefer Staat

5) Autoritärer Etatismus?

6) Staatliche Paranoia-Maschinen

7) Faschismus und rechter Populismus

8) Die quantifizierte Masse

Pressestimmen:

Staatsformanalyse unter veränderten Vorzeichen
Achim Szepanski schreibt über Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals
Von Axel Gehring

Was haben die definitorischen Unterscheidungen, die Derivaten zu Grunde liegen, mit Faschisierungsprozessen zu tun? In seinem im Oktober im Laika-Verlag erschienenen Buch widmet sich Achim Szepanski dieser Frage: »Der kommende Faschismus, der als solcher in Anführungszeichen zu setzen ist, wird durch die staatliche Politik des präemptiven Krisen- und Risikomanagements forciert, das, angetrieben von Präventionspolitiken und hypertechnologisierten Paranoia-Aggregaten, das Chaos oder einen Systemfeind überall und nirgends vermutet und deshalb mit immer drastischeren Mitteln eingreifen muss, um das – nach Ansicht des Staates Schlimmste – zu verhindern.«

In Anlehnung an den marxistischen Staatstheoretiker Nikos Poulantzas sieht Achim Szepanski den »Staat als die (relativ autonome und nicht reflexive) Reproduktion der Arbeitsteilung innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in einer konkreten Gesellschaftsformation«. Allerdings wirft er Poulantzas eine Überbetonung der Klassenkämpfe vor, die daraus resultiere, dass er keinen »logischen Begriff vom Kapital« besitze, womit er den inneren »Zusammenhang zwischen Zirkulation und Produktion in der Kapitalform nicht erfasst« und folglich »das Verhältnis von Ökonomie und Staat ungeklärt bleibt«. Diese Kritik ist typisch für seinen eigenen stark formanalytischen Zugang zum Staat, demnach der Staat jene Rechtsform garantiert, auf der die warenförmige kapitalistische Produktionsweise basiert, aber zugleich von deren Struktur- und Funktionslogik abhängig bleibt.

Der Staat fällt aus der alten Rolle

Beim Lesen stellt sich zunächst eine gewisse Irritation darüber ein, wie denn – von einem derart hohen Abstraktionsniveau aus kommend – ein Faschisierungsprozess analysiert werden soll. Seine Kritik an Staatsableitungstheorien, denen er einen verkürzten Begriff von der Zirkulation vorwirft, versprechen zudem lange und detaillierte Abhandlungen zur Kapitalzirkulation. Doch für Achim Szepanski entspringt der gegenwärtige Faschisierungsprozess sehr wesentlich der Restrukturierung des Zirkulationsprozesses, die über die letzten Jahrzehnte der Neoliberalisierung hinweg vollzogen wurde. Stellte im Fordismus das Industriekapital die dominante Kapitalfraktion dar, so ist es im Neoliberalismus das spekulative Kapital. Während der kapitalistische Staat auf Grund seiner Einnahmequellen Steuern und Anleihen grundsätzlich immer von einem fluiden Zirkulationsprozess abhängig ist, kam es im Zuge der neoliberalen Finanzialisierung zu einem Umbau des Steuerstaates zum Schuldenstaat. Dieser geriet gegenüber multinationalem Kapital und dessen global agierenden »Kriegsmaschinen« zunehmend in die Defensive. Durch die Schwächung des Staates gegenüber dem Kapital konnte der Staat kaum mehr Kompromisse zwischen den Klassen formulieren und so die Rolle des ideellen Gesamtkapitalisten spielen.

Der gegenüber dem Kapital geschwächte Staat wird allerdings gegenüber der Bevölkerung zu einem starken Sicherheitsstaat ausgebaut. Die Errichtung des heutigen Grenzdispositivs – also der erweiterten (Staats-)Grenzen unserer Zeit – ist eng mit temporären staatlichen Ausnahmezuständen verbunden. Dieses Grenzdispositiv stellt weniger eine feste geografische Linie als vielmehr einen differenzierten Apparat dar, der Ein- und Ausschlüsse prozessiert. Die Praxen der Kontrolle und die Regulation des Widerspruchs »zwischen der Bewegungsfreiheit der Geldströme und Zahlungsversprechen« und »der begrenzten und regulierten Mobilität der Bevölkerungsströme« sind dabei ein wichtiges Moment des gegenwärtigen Faschisierungsprozesses. Große Teile der Weltbevölkerung sitzen als Surplusbevölkerung im Süden schlicht fest. Vegetierend sind sie dort dem »Klimagenozid« ausgesetzt.

Zugleich vermutet Szepanski in der Surplusbevölkerung das größte Potenzial für eine revolutionäre Transformation. Die Frage des politischen und sozialen Vermittlungsverhältnisses von Kapitalherrschaft, die für jede Revolutionstheorie unabdingbar ist, wird dabei aber nicht einmal angerissen. Allzu häufig – dies mag auch der Kürze des Buches, die zur Verdichtung mittels Abstraktion zwingt, geschuldet sein – treffen der Kapitalprozess und die atomisierten Subjekte nahezu unvermittelt auf einander.

Finanzmärkte und Präventionslogik

Dennoch macht gerade die trennscharfe Analyse des Kapitalisierungsprozesses und seiner staatstheoretischen Implikationen eine der unbestreitbaren Stärken seines Ansatzes aus: Unter dem Titel »Die Logik und die Politik der Prävention« rekonstruiert Szepanski eine weitere Triebfeder des Faschisierungsprozesses, und womöglich handelt es sich hier um den originellsten und theoretisch anspruchsvollesten Teil des Buches. Unter Rückgriff auf die Systemtheoretiker Dirk Baecker und Niklas Luhmann rekonstruiert er den Wandel der Unterscheidung Risiko/Sicherheit, wobei Risiko negativ und Sicherheit positiv bewertet werden, hin zu Risiko/Gefahr. Risiko wird nunmehr positiv bewertet – da quantifizierbar und in Gestalt von Derivaten kapitalisierbar. Die Produktion und Kapitalisierung von Risiko in Gestalt von Derivaten ist eine wichtige Praxis der Finanzialisierung – sie treibt den Prozess der Neoliberalisierung und der Faschisierung vorwärts: »Da jeder zukünftige Renditestrom unbekannt ist, kann ohne die Kalkulation, wie das jeweilige konkrete Risiko (…) zu bewerten ist, keine finanzielle Kapitalisierung stattfinden. Letztendlich kann (…) aber durchaus der Logik der Kapitalisierung folgend, so ziemlich alles zum Risikosignal werden (…) An dieser Stelle überlappen sich das Finanzsystem und die präventive Verpolizeilichung sozialer Situationen«.

Der »Hyperrationalismus antizipierender Vernunft« ist als eine dezisionistische, das heißt Freund und Feind unterscheidende, Praxis aufzufassen, die den Faschisierungsprozess befeuert: »Auf jeden Fall benötigt diese Art der Prävention eine umfassende staatliche Datenerhebung …, um die Bevölkerung zu konstituieren und zugleich zu kontrollieren, und Unsicherheiten jeglicher Art in kalkulierbare wahrscheinliche Risiken zu übersetzen, sodass sich darauf spezifische Apparate des Sicherheitsstaates errichten lassen.« Dieses »Regime der Prävention« kreise weiter um das Problem des staatlichen Ausnahmezustands, der aktiv hergestellt und natürlich auch auf Dauer verankert werden soll.

Derweil vollzieht sich die Aushöhlung des Rechtsstaates in Form einer permanenten Neuschreibung von Gesetzen, häufig an der Legislative vorbei – zum Beispiel in supranationalen Exekutivgremien oder in Form von Verordnungen.

Zwar arbeitet der Autor das Verhältnis von Kapital und Staat präzise heraus – ein hegemonietheoretischer Zugang fehlt jedoch, sodass der destruktive Kapitalprozess in gewisser Weise selbst als Hegemonieproduzent erscheint. Die verschuldeten, von Algorithmen überwachten und in sozialen Netzwerken »deviduierten« Subjekte sublimieren ihre Furcht »in einen politischen Sadismus, der sich gegen die Armen und Fremden richtet«. Sobald sich Szepanski argumentativ auf das Feld des Politischen begibt, werden die Subjekte schnell zu Anhängseln des prozessualen Wirkens von Kapital und Staat. Das ist eine Form von Ableitungsmarxismus. Mag Achim Szepanski einigen klassenanalytischen Zugängen zu Recht vorwerfen, keinen Begriff von Kapital zu haben und damit das Verhältnis Kapital-Staat nicht adäquat fassen zu können, so bleibt bei ihm der Begriff des Politischen unterentwickelt. Das aber schmälert den Eindruck nicht, dass sein formanalytischer Zugang zum Staat, der das Niveau der gegenwärtigen Produktiv- und Desktruktivkraftentwicklung integral einbezieht, für die Analyse gegenwärtiger Faschisierungsprozesse notwendig ist – wenngleich nicht hinreichend. Aber hinreichende Zugänge zum Thema sind uns ohnehin noch nicht begegnet.

Axel Gehring ist Politikwissenschaftler und arbeitet zu politischer Ökonomie, Hegemonie- und Staatstheorie sowie der Geschichte und Gegenwart des türkischen Staates.

Erschienen im neuen ak

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