Inhuman Power / Review (1)

Das Autorenteam Dyer-Whiteford, Kjösen, Steinhoff hat mit Inhuman Power ein verdienstvolles Buch zur AI (Artificial Intelligence; AI) aus marxistischer Sicht vorgelegt. AI definieren die Autoren als die Fähigkeit in einem bestimmten Zeitraum angemessene Generalisierungen auf Grundlage von limitierten Daten zu machen. Je weiter der Spielraum für Applikationen ist und je schneller Schlüsse aus minimalen Informationen gezogen werden können, desto intelligenter ist das maschinelle Verhalten. AI hat wohlgemerkt nichts mit Robotern zu tun, diese Konfusion, die vor allem der POP-Kultur immer wieder vorkommt, gilt es hier auszuräumen. Roboter zeichnen sich als artifizielle Tools aus, die ihre Umwelt durch Sensoren erkennen und entsprechend handeln, einen Körper besitzen und als Maschinen gelten, die autonom Arbeit verrichten können. AI hingegen ist Software und muss aber durch die Hardware integriert sein, um zu funktionieren. AI unterteilen die Autoren in drei Bereiche: Enge AI, Artifical General Intelligence (AGI) und Artificial Superintelligence (ASI).

Die Forschung behandelt bis heute meistens nur kommerzielle AI-Apps, welche die Konsumenten täglich benutzen, i.e. aufgabenorientierte Tools. Letztere besitzen lediglich die Fähigkeit in ihrer partikularen Domain zu handeln, während AGI-Systeme die Kapazität für cross-domain-Aktionen besitzen, das heißt zu lernen, um von einer Domain zur anderen zu wechseln. ASI ist noch spekulativer und bleibt bis heute meistens noch eine Angelegenheit der SciFI Autoren. Eine weitere Unterscheidung ist die zwischen starker und schwacher AI, wobei erstere in drei Schulen eingeteilt wird: Good ol fashioned AI (Gofai), maschinelles Lernen (ML) und situated, embodied and dynamic framework (SED). ML vollzieht Lernen in drei Schritten: Daten aufnehmen, aus diesen Daten ein Modell konstruieren und dieses Modell benutzen, um Vorhersagen für neue Daten zu machen. ML kreiert also eigene Modelle der Interferenz.

Seit 2010 basiert die AI vor allem auf artificial neural networks (ANN), die jedoch in ihrere Struktur weit vom menschlichen Gehirn entfernt sind, obwohl Inspirationen vom Brain-Research kommen. Dabei werden die artifiziellen Synapsen, die die Schichtungen von Neuronen verbinden, mit numerischen Werten gewichtet, um die Stärke der Verbindungen zu repräsentieren. ML ist ein System, ein fixed template mit differierenden Parametern. Auch hier kann man drei Unterscheidungen vornehmen: ANS-Systeme beziehen sich auf Datenmengen, die Bilder, Gesichter oder Videos darstellen können, wobei im Training dem Netzwerk eine Menge von Daten vorgelegt werden, während das Gewicht der Synapsen einen Algorithmus kreiert, sodass das Netzwerk lernt, richtige Antworten zu geben, indem es bspw. Gesichter erkennt oder im richtigen Augenblick Hallo sagt. Oder man legt einem System genug Fotos mit roten hexagonalen Zeichen mit dem Wort STOP aus verschiedenen Perspektiven vor, sodass ein AI-System das Konzept des STOP Zeichens lernt.

Dies bedarf noch viel menschlicher Arbeit, sodass man zunehmend Netzwerke konstruiert, die das Lernen operationalisieren, um autonom Kategorien und Sektoren zu generieren. Das System lernt dabei extrem komplexe Verbindungen aus einem Datenset zu identifizieren. Es geht um die Extraktion von Patterns von Daten, einem bottom up-System und im besten Fall schreiben die Systeme ihre Algorithmen schon selbst, um autonome Lösungen und Datensets vorzulegen. Die größte Herausforderung für kommerzielle Mls sind selbstfahrende Autos und Lastwagen, in deren Entwicklung Google und Baidu engagiert sind, aber auch die großen Automobilfirmen wie Daimler, Ford, General Motors. Die AI-Industrie produziert heute Produktionsmittel für Unternehmen und Waren für die individuelle Konsumtion, wobei die Produktion der AI von großen Oligopolen dominiert wird. Die Gehälter in dieser Industrie sind hoch, sodass man schon von ML Experten als den neuen Investmentbankern spricht.

Die Analyse der Maschinerie ist ein wichtiger Baustein der Marxschen Theorie, i.e. die Maschinerie ist ein Supplement der menschlichen Arbeit, die für Marx der einzige Kreator von Mehrwert ist. Marx war allerdings damals schon nicht entgangen, dass die Maschinerie zunehmend zu einem autonomen Faktor wird, das heißt zu konstantem fixem Kapital, welches zudem Rohmaterialien, Gebäude und weiteres Equipment umfasst. Dem steht das variable Kapital gegenüber, das auf lebendiger bezahlter Arbeit beruht. Die organische Zusammensetzung des Kapitals, das Verhältnis von toter zu lebendiger Arbeit, steigt für Marx mit jeder Innovation an. Die soziale Funktion des fixen Kapitals besteht darin, relativen Mehrwert hervorzubringen, die für die Reproduktion der Arbeiter notwendige Arbeitszeit zu verkürzen und den Anteil der für den Kapitalisten kostenlosen Mehrarbeitszeit zu vergrößern. Der Anstieg in der Produktivität impliziert, dass Arbeiter mehr Waren in weniger Zeit produzieren, sodass der Wert der einzelnen Ware sinkt.

Die voll entwickelte Maschinerie besteht für Marx aus drei Maschinen: Antriebs-, Transformations- und Werkzeugmaschine (vgl. folgenden Text). Marx bezeichnet im Kapital die Maschinerie auch schon als einen Automaten, was allerdings Klassenkonflikte nicht ausschließt, da die Einführung neuer Maschinen meistens die Arbeit intensiviert. Marx bezeichnet die Maschinerie zudem als einen für den Arbeiter stärkeren Konkurrenten, der jenen überflüssig macht. Wenn der Kapitalist durch Einführung neuer Technologien die Arbeitszeit, für die er zahlt, verringern kann, aber zum am Markt bestehenden Preis Produkte verkauft, dann erzielt er gegenüber seinen Konkurrenten einen Extraprofit. Die Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Unternehmen führt dazu, dass es immer neue Schübe der Innovation und Automatisierung gibt, mit denen sich die organische Zusammensetzung des Kapitals erhöht, wobei es aber auch zu einem Fall in der Profitrate kommt, der wiederum für eine gewisse Zeit durch die Masse des Profits bzw. wegen einer Erhöhung des Outputs kompensiert werden kann. Die Automation degradiert den Arbeiter, macht seine Bewegungen monoton, weil sie sich permanent wiederholen, sodass er mit seiner Arbeit eher auf die Maschine antwortet als sie zu gebrauchen.

In den Grundrissen hat Marx im Fragment zu den Maschinen seine bekannteste Version zur kapitalistischen Technologie dargelegt. Das Kapital macht technologische Fortschritte, indem es den »General Intellect« mobilisiert, was den Kapitalisten ermöglicht, wenn nicht den Arbeiter ganz zu eliminieren, ihn doch zu einem peripheren Subjekt zu degradieren, das den maschinellen Prozessen folgen muss, wobei aber die Abschaffung der lebendigen Arbeit zu einem Fall der Profitrate bzw. zur Krise führen kann.

Im Kapital spricht Marx an dieser Stelle von der reellen Subsumtion unter das Kapital, das heißt, dieses absorbiert das technologische Wissen seinen Zielen gemäß, i.e. die Automation der Produktion und die Erhöhung der Zirkulationsgeschwindigkeit der Produkte. Hier wird die absolute Ausbeutung der Arbeiter durch die Produktion relativen Mehrwerts, die auf der Steigerung der Produktivität durch die Intensivierung des Arbeitsprozesses basiert, ersetzt. Der Arbeiter sieht sich nun mit einer »alien power« konfrontiert, die eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber ihm besitzt.

Weitergehend zu dem dreigliedrigen Begriff der Maschinerie ist die menschliche Kontrollfunktion hinzuzufügen, die auf Intelligenz und Sinnlichkeit basiert, wobei auch letztere durch maschinelle Sensoren ersetzt werden kann. Auch die Kontrollfunktion wird im Zuge der Weiterentwicklung des kybernetischen Feedback zunehmend durch Maschinen ersetzt, wobei die Trennung von Hardware und Software die Flexibilität der maschinellen Applikationen erhöht wird, sodass die maschinellen Operationen durch die Programme verändert werden können und die maschinellen Variationen, die man bisher der menschlichen Arbeit vorbehalten hat, gesteigert werden. Dies alles muss aber nicht zu ständig steigender Arbeitslosigkeit führen, so zumindest Caffentzis, weil seit den 1980er Jahren sich die Arbeitsplätze im Service-und Dienstleistungssektor stark erhöht hätten. Nach diesem Autor führt eine Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals in einem Sektor immer zu einer Verringerung der Zusammensetzung in einem anderen Sektor.

Einige Autoren nehmen heute an, dass es sich bei der AI um generelle Bedingungen der Produktion handelt, i.e. Technologien, Praktiken und Institutionen, die das Umfeld kapitalistischer Produktionen zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum hervorbringen. Marx sprach hier von Infrastruktur, die die Maschinen der Kommunikation und des Transports als signifikante Komponenten der allgemeinen Bedingungen der Produktion umfasst. Wenn AI als Technologie die neue Elektrizität wird, dann geht es nicht nur um die Automation in der Produktion, sondern um die Schaffung neuer Infrastrukturen, einer intensiven Reorganisation der kapitalistischen Ökonomie, die als allgemeine Bedingung der Produktionsprozesse und die Umwelt für die Unternehmen zu gelten hat. Für Marx steht allgemein/generell immer im Gegensatz zu partikularen Bedingungen, die sich auf ein einzelnes Unternehmen beziehen. In den Grundrissen sieht Marx die Relation zwischen einem Unternehmen und den allgemeinen Bedingungen der Produktion als eine spezifische Bedingung sozialer Produktion, von der alle Kapitalisten profitieren. Die Infrastruktur ist beispielgebend für die allgemeinen Bedingungen, da Straßen, Transport, Kanäle und Eisenbahnen von allen Kapitalisten genutzt werden. Für Transport und Kommunikation, bspw. Container-Shipping oder die Hardware, die man braucht um das Internet zu verbinden, müssen alle Kapitalisten zahlen. Sei es auch nur durch Steuern. Die Infrastruktur ist ein Element der allgemienen Bedingungen der Produktion, zu der Produktionsmittel für den Transport und die Kommunikation, allgemeine Nutzung von Gebäuden, Prozesse in der Zirkulation, der Stand der Wissenschaft und Technologie und die politische Ordnung gehören, die Produktion von Maschinen durch Maschinen sowie der Grad der Automation in der Industrie. Die allgemeinen Bedingungen der Produktion betreffen auch die Zirkulation und die Produktivkräfte,. Die Steigerung der Geschwindigkeit in der Zirkulation erhöht die Möglichkeit zur Extraktion des Mehrwerts in der Produktion und die Realisierung der Produkte auf dem Markt. Auch die AI kann zur Steigerung der Intensität von allgemeinen Bedingungen und denm Modus beitragen,

Die AI Industrie ist international aufgestellt; um die Marktführung konkurrieren China und die USA. Baidu und Alibaba sind die führenden Unternehmen auf chinesischer Seite, Google, Facebook, Alphabet, IBM, Apple, Microsoft und Amazon auf amerikanischer Seite. Alle Unternehmen werden von staatlichen Forschungseinrichtungen unterstützt, gleichzeitig nutzt der Staat AI für seine Droneneinsätze oder für semi-autonome Waffen (USA): Es scheint so zu sein, dass bis zum 2030 China der Marktführer der AI sein und die meisten Software-Entwickler haben wird, sodass man von einem Duopol in der A-Industrie ausgehen kann.

Essentiell für die AI-Industrie sind die hohen Kosten für die Hardware. Das betrifft insbesondere die Cloud, energieintensive Datenzentren, zu denen auch User Zugang über dass Internet erhalten, obgleich die Cloud sich in der Hand von wenigen Tech-Giganten befindet. AI-Tools senden Daten an die Cloud, wo das AI proceessing stattfindet. Die Cloud wird heute durch eine Technologie ergänzt, die man Edge Computing nennt, bei dem das Processing nicht in der Cloud, sondern auf lokalen Devices stattfindet. Die Kontrolle des Cloud Computings, das Eigentum über große Daten Sets und die hohe Anzahl der qualifiziertesten AI-Fachleute zeichnet die großen Tech-Firmen aus. Ganz im Marxschen Sinn handelt es hier um die Konzentration und Zentralisation kapitalistischer Macht.

Wenn es Branchen gibt, die eng miteinander verknüpft sind, sodass Sprünge in der Technologie und im Wissen Fortschritte in einer Branche Sprünge in anderen Branchen verursachen, i.e. in der Produktivität und im Output, dann kann man von Kettenreaktionen sprechen, die eventuell auch zu einer Revolution in den Produktionsverhältnissen führen. Und wenn Maschinen andere Teile von Maschinen produzieren, kann die Maschinerie den Status der allgemeinen Bedingungen der Produktion erlangen, das heißt in adäquater Menge für alle Einzelkapitale verfügbar sein. Seit Marxens Zeiten ist der kapitalistische Modus der Produktion mindestens durch zwei Perioden gegangen, den Fordismus mit allen Vorzügen des Taylorismus für das Kapital, und die folgende Periode, die durch Logistik und ICTS gekennzeichnet ist und als Post-Fordismus beschrieben wird.

Über den Post-Fordismus hinaus referieren Dyer-Whiteford & Co in dieser Schrift auf einen aktuell schon existierenden AI-Kapitalismus, der als mittlere Phase eines längerfristig währenden kybernetischen Kapitalismus verstanden wird, ein voll entwickelter AI-Kapitalismus. Kevin Kelly propagiert einen ubiquitären AI-Kapitalismus, für den die AI so essentiell ist wie in früheren Perioden die Elektrizität oder das Internet. Die Grundlage dafür ist die infrastrukturelle AI als ein Mittel der Kognition. Die großen Tech-Firmen sprechen hier von einer Demokratisierung der AI, insofern alle Unternehmen ein Teil ihres AI-Materials als Open Source zur Verfügung stellen. In diesen Open Source Communities werden Tools und Templates kostenlos verteilt, Projekte werden von Online-Kollektiven gekreiert und Produkte gratis an die User verteilt. Fast alle AI-Projekte basieren gegenwärtig auf open source-toolkits. So beruht auch Googles Android auf Open Source, operiert aber in letzter Konsequenz als ein Annex für Googles große Projekte der Daten-Extraktion, die zu hohen Werbeeinnahmen und dem intensien Training der ML Syteme führen. Die freie Software ist ein gutes Business für die großen Tech-Firmen, da es einer hohen Anzahl von Experten möglich ist, die AI weiterzuentwickeln. Paolo Virno spricht an dieser Stelle von »Kommunismus des Kapitalismus«, insofern bottom-up und die freie Verteilung von Gütern unterstützt werden, um diese dann zu kapitalisieren.

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