Internationalistische Bewegungen? Klimakrise, Arbeiter*innenklasse und Produktionsmittel

Bereits in den frühen 2000er Jahren wurde die Klimakrise als die größte Herausforderung angesehen, der sich die Menschheit im 21. Jahrhundert stellen müsse. Und die große Mehrheit der Wissenschaftler*innen und Politiker*innen hat die Schlussfolgerung der Forscher*innen unterstützt, die darauf bestehen, dass die massive Nutzung von Kohlenwasserstoffbrennstoffen die Hauptursache für die Erderwärmung sei.

Zwar gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinde eine Minderheit, die diese Schlussfolgerung anzweifelt. Der “Klimawandel” findet jedoch so oder so statt. Und es gibt allen Grund, das Problem ernst zu nehmen. Denn selbst wenn wir den Standpunkt der Skeptiker*innen akzeptieren, die auf Ursachen für die Erderwärmung hinweisen, die nichts mit menschlicher Aktivität zu tun haben, wird dadurch das Problem der Umweltverschmutzung und Naturvernutzung ebenso wenig beseitigt wie das Problem der nicht nachhaltigen Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen.

Die Diskussionen über die gesellschaftlich dringenden Veränderungen, die durch die Umwelt- und Klimakrise hervorgerufen werden, sind jedoch schnell in eine Sackgasse geraten: Es geht nicht um sozioökonomische Transformationen, sondern um Technologie und wissenschaftliche Theorien, und sie werden von Laien diskutiert, die wenig bis gar nichts über Wissenschaft und Technologie wissen.

Unabhängig davon, welche Klimatheorien objektiv richtig sind, geht es in jedem Fall darum, die Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft zu verändern. Wie Eve Croeser darlegt, sind linke Aktivist*innen gespalten in diejenigen, die glauben, dass “der Kapitalismus nicht so reformiert werden kann, dass die Klimakrise überwunden wird”, und diejenigen, die gemäßigter sind, die glauben, dass Teilreformen noch möglich sind, und die versuchen, “solche Reformen als Plattform zu nutzen, von der aus radikalere und tiefgreifendere Veränderungen eingeleitet werden können.”

Aber genau das ist die Krux: Das Hauptproblem ist nicht das Klima, sondern die wirtschaftlichen Interessen, die auf die eine oder andere Weise von der Umweltagenda betroffen sind. Unabhängig davon, welche technologischen Entscheidungen getroffen werden, stellt sich die offensichtliche Frage: “Wer wird für das Bankett bezahlen?”

Der Neustart des Kapitalismus

Mitte der 2010er Jahre zeigte der rasche Wandel des vorherrschenden Diskurses von der Leugnung des Klimawandels zu einem Thema der internationalen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, dass die herrschende Klasse ihre Agenda mehr oder weniger neu ausgerichtet hatte. Der Kern dieses Ansatzes besteht darin, die öffentliche Meinung zugunsten von Maßnahmen zu mobilisieren, die darauf abzielen, Umweltprobleme durch eine drastische Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe zu lösen, d. h. Probleme im Zusammenhang mit dem strukturellen Umbau der Wirtschaft im Interesse des Unternehmenskapitals zu lösen.

In den 2000er Jahren kam es zu einer allmählichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums, einem langsameren Produktivitätswachstum und einer erhöhten Marktvolatilität. All dies zusammengenommen deutet auf die Erschöpfung des bestehenden Entwicklungsmodells hin. Dies bezieht sich sowohl auf die sozioökonomische Politik des Neoliberalismus, die zu einer allmählichen Verengung der Nachfrage und einem Anstieg der Kreditverschuldung von Bevölkerungen aufgrund niedrigerer Löhne geführt hat, als auch auf die Erschöpfung der Möglichkeiten des vorherrschenden produktionstechnischen Modells.

Das Problem, vor dem die politischen und unternehmerischen Vertreter*innen der herrschenden Klasse stehen, ist dies: Sie wollen das Wirtschaftswachstum wieder ankurbeln, ohne die Grundprinzipien des Neoliberalismus zu opfern, insbesondere ohne das Machtgleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital zu verändern. Es ist notwendig, stark in technologische Projekte zu investieren, aber es ist wichtig, dass dies, wo immer möglich, auf Kosten der Gesellschaft und nicht auf Kosten der Unternehmen geschieht. Und es ist auch wichtig, dass das Wachstum der Wirtschaft nicht zu einem starken Anstieg der Löhne und einer Stärkung der Gewerkschaften führt und dass die staatliche Regulierung und Stimulierung der Wirtschaft nicht mit einem System der öffentlichen Kontrolle über die getroffenen Entscheidungen einhergeht.

Die Vorbereitung und Verabschiedung von Beschlüssen muss ein völlig geschlossenes Verfahren bleiben, dessen Sinn nur von Spezialist*innen verstanden wird (eigentlich von Vertreter*innen der herrschenden Klasse, die den Spezialist*innen Aufgaben übertragen), aber gleichzeitig muss die öffentliche Unterstützung für diese Beschlüsse erhalten bleiben und der Prozess selbst als legitim wahrgenommen werden. Die Formulierung eines Ziels, das von der öffentlichen Meinung und sogar von radikalen Systemkritiker*innen unterstützt wird, ist zu diesem Zweck sehr wichtig.

Vergesellschaftung der Kosten

Mit Blick auf die Umweltagenda, wie sie von Greta Thunberg und anderen populären Aktivist*innen präsentiert wird, kommt der Wirtschaftsjournalist Nikolai Protsenko zu dem Schluss, dass diese Bewegung “ganz organisch in die neuen Ziele der Konzerne eingebunden ist”. Die Einführung neuer Technologien, die nicht nur zur Lösung von Umweltproblemen, sondern auch zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums im Rahmen einer solchen Agenda erforderlich sind, soll auf Kosten öffentlicher Mittel und im Interesse des Großkapitals erfolgen. Wie Protsenko feststellt, reduzieren die Öl- und Gaskonzerne bereitwillig und ganz freiwillig ihre Investitionen in rentable Projekte zur Förderung und Raffinierung fossiler Brennstoffe, während sie gleichzeitig enorme staatliche Subventionen für unrentable Programme für saubere Energie fordern.

Wo die Regierungen nicht in der Lage sind, die Last zu tragen, springen die globalen Finanzmärkte ein. So hat sich beispielsweise das 2020 geschaffene Konjunkturprogramm der Europäischen Union verpflichtet, Investitionen in Höhe von 750 Milliarden Euro zu finanzieren, die für die sogenannte Energiewende erforderlich sind, unter der Bedingung, dass die Mittel durch Anleihen auf den internationalen Finanzmärkten beschafft werden. Wie Protsenko anmerkt, hat Greta Thunbergs Generation diese Agenda mit Begeisterung unterstützt, ist aber nicht in die Diskussion über die finanzielle Komponente einbezogen worden und wird am Ende die Rechnung bezahlen müssen.

Es ist kein Zufall, dass die scharfe Hinwendung der herrschenden Kapitalistenklasse zu Klimafragen parallel zur Verschärfung der systemischen Probleme erfolgt. Doch jede Umgestaltung des Systems, selbst wenn sie auf die Erhaltung seiner grundlegenden Parameter abzielt, geht zwangsläufig mit Kämpfen zwischen Interessengruppen einher. Einige Unternehmen und Branchen verlieren an Boden, während andere stärker werden. Der konservative Widerstand gegen die Klimaagenda ist nicht auf die Einschränkungen von Menschen zurückzuführen, die nicht an die einschlägigen Theorien glauben wollen, sondern auf die Bedenken von Unternehmer*innen, die ernsthafte Probleme fürchten oder unnötige Kosten vermeiden wollen.

Je größer jedoch der Widerstand innerhalb der Unternehmen ist, desto logischer wird es, die Probleme auf die breite Bevölkerung abzuwälzen und so den Konflikt zwischen innerhalb der herrschenden Klasse zu entschärfen. Somit setzt die Umweltagenda der Unternehmen nicht zuletzt voraus, dass die Arbeiter*innenklasse Opfer bringt, um die Effizienz des Kapitals zu erhalten. Kurz gesagt: Enteignung der Mittelschicht und verstärkte Ausbeutung der Arbeiter*innen im Namen der “Rettung des Planeten”.

Abwälzung der Kosten auf die Peripherie

Die Länder der kapitalistischen Peripherie, insbesondere diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten die Industrialisierung vorangetrieben haben, erhalten ebenfalls ihren Anteil an der zusätzlichen sozialen und ökonomischen Belastung. Das Wachstum der Produktion in diesen Ländern ist in erster Linie auf Kosten “billiger Arbeitskräfte” und schwacher Umweltvorschriften erfolgt, die die Kosten der Investor*innen stark reduzierten. Gleichzeitig blieb die Abhängigkeit von den Märkten in den Ländern des kapitalistischen Zentrums weitgehend intakt. Der Anstieg der Löhne, verbunden mit den Erfolgen der Industrialisierung, hat die Binnenmärkte der Peripherieländer aber auch Chinas (das allerdings nicht mehr als klassische Peripherie eingestuft werden kann) etwas gestärkt, aber auch die Waren verteuert und die Exportmöglichkeiten verringert, so dass einige Länder des Globalen Südens nun indirekt den Konsum im Westen subventionieren.

Ein wichtiger Aspekt der Dekarbonisierungspolitik ist die Einführung einer Kohlenstoffsteuer bzw. von Strafzöllen auf Waren und Dienstleistungen, die in die Europäische Union importiert werden, abhängig von der Größe ihres Kohlenstoff-Fußabdrucks. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben die westlichen Länder ihr Umweltbewusstsein gestärkt und die Unternehmen in der EU und den USA haben systematisch schmutzige Produktion in ärmere Länder verlagert, die nun auch die Kosten der neuen Klimaagenda tragen müssen. Indirekt kann diese Politik dazu beitragen, dass ein Teil der industriellen Produktion – auf einem neuen technologischen und ökologischen Niveau – in die historisch weiter entwickelten Länder zurückkehrt. In jedem Fall werden die globalen Ungleichheiten reproduziert und verschärft.

“Offensichtlich”, so Protsenko, “reproduziert dieser Ansatz lediglich die übliche Beziehung zwischen dem Zentrum und der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems und spiegelt die Ungleichheit der Chancen im kapitalistischen Akkumulationsprozess wider.”

Ein neuer Zyklus der “schöpferischen Zerstörung”

Unter den neuen Bedingungen, unter denen die westlichen Regierungen den Weg des ökologischen (Klima-)Protektionismus einschlagen, stehen die peripheren Volkswirtschaften vor einem äußerst schwierigen Dilemma. Die Erhaltung externer Märkte kann nur durch die Akzeptanz der neuen Regeln erreicht werden. Das bedeutet, dass Ressourcen, die zur Erhöhung des Lebensstandards der eigenen Bevölkerung und zur Schaffung zumindest von Elementen eines Wohlfahrtsstaates hätten eingesetzt werden können, zur Deckung der Kosten für die Anpassung an die veränderten Bedingungen verwendet werden. Gleichzeitig wird es zu einer teilweisen Rückverlagerung der Produktion in die alten Industrieländer kommen, die über die notwendige Technologie und das Personal verfügen. Dadurch wird sich der Arbeitsmarkt in den peripheren Ländern weiter anspannen.

Natürlich werden die fortschrittliche westliche Öffentlichkeit und die linken Bewegungen fordern, dass die reicheren Länder einen Teil der finanziellen Mittel und der Technologie, die für einen solchen Übergang erforderlich sind, mit den ärmeren Ländern teilen. Und vermutlich werden diese Forderungen nach einigem Ringen teilweise erfüllt werden. Aber erstens werden diese Subventionen nur einen Teil der Kosten abdecken, die der Peripherie auferlegt werden, und zwar in ungleicher Weise, so dass es innerhalb des Globalen Südens Verlierer*innen und Gewinner*innen geben wird, das Kräfteverhältnis sich ändern wird und neue Widersprüche und Konflikte entstehen dürften. Und zweitens wird diese globale Wohltätigkeit wieder aus den Staatshaushalten bezahlt werden. Mit anderen Worten, wieder auf Kosten der Arbeiter*innen, auf Kosten der Gesellschaft.

All dies bedeutet natürlich nicht, dass die Linke die Sorge um die Ökologie aufgeben muss. “Das Problem dabei ist jedoch”, so Protsenko, “dass diese Art von Zielsetzung dem Wesen des Kapitalismus widerspricht, einem dynamischen Nicht-Gleichgewichtssystem, das in ständiger ‘schöpferischer Zerstörung’ begriffen ist und auf dem Prinzip der endlosen Akkumulation beruht, die ungleichmäßig zwischen seinem Zentrum und seiner Peripherie verteilt ist. Die berüchtigte Energiewende ist ein neuer Zyklus der schöpferischen Zerstörung. Um dem Kapitalismus einen neuen Impuls zu geben, muss seine bisherige, auf fossilen Brennstoffen basierende technologische Plattform beseitigt und durch “grüne” Technologien ersetzt werden, wobei alle Verluste routinemäßig vom Staat (und letztlich von Steuerzahler*innen) getragen und die Gewinne von den Unternehmen privatisiert werden.”

Soziale Bewegungen mit Arbeiter*innenbewegungen verbinden

Es sind also die ärmsten und schwächsten Teile der Weltbevölkerung, die nicht nur zu Opfern des strukturellen Umbaus werden, sondern auch als “schuldig” erscheinen, weil sie sich ökologisch unverantwortlich verhalten, während ihr Widerstand als unmoralisch angesehen wird. Die “Gelbwesten-Bewegung” in Frankreich wäre als ein von vielen Symptomen für diese Schieflage zu nennen: Als die Einführung einer weiteren “ökologischen” Steuer auf Kohlenstoffbrennstoffe die Budgets der ärmsten Familien in der Provinz schwer belastete, kam es, wenig überraschend, zu landesweiten Massenprotesten.

Der Umweltdiskurs, wie er von der herrschenden Klasse und den von ihr finanzierten Nichtregierungsorganisationen, die Greta Thunbergs leidenschaftliche Reden freundschaftlich unterstützt haben, gefördert wird, unterstüzt eine Strategie der kapitalistischen Erneuerung, die weit davon entfernt ist, den sozialen Schichten ernsthafte Zugeständnisse zu machen, und stattdessen zu einer noch radikaleren Segregation und Spaltung der Gesellschaft führt, sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene. Ob diese Strategie im Prinzip durchführbar ist, sowohl sozial als auch organisatorisch und technologisch, bleibt eine große Frage. Aber es ist klar, dass die Umweltagenda keine Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist, sondern lediglich ein Vorwand für die Entfesselung einer neuen und gewaltsamen Weiterentwicklung des Systems, bei der alle seine Widersprüche in vollem Umfang zutage treten werden.

Ökologische Reformen im Interesse der Mehrheit der Menschheit sind prinzipiell unmöglich, solange die kapitalistische Ordnung so bleibt, wie sie ist. Daher sind die umweltbewussten sozialen Bewegungen der Generation Greta Thunberg gefordert, eine tiefgreifende Neuorientierung vorzunehmen und sich mit den Arbeiter*innenbewegungen im Globalen Norden und im Globalen Süden zu verbinden. Letztlich bedeutet dies den Aufbau neuer internationalistischer Bewegungen, die von der potenziellen Macht derjenigen inspiriert und angetrieben werden, die sich der Produktionsmittel bemächtigen und die kapitalistische Ordnung als solche herausfordern könnten.

Dieser Essay ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette. Die englische Version ist im Berliner Gazette-Blog auf Mediapart verfügbar. Weitere Informationen über das Projekt “Allied Grounds” finden Sie hier: https://allied-grounds.berlinergazette.de

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Foto: Stefan Paulus

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