Keiner mag sie

Meine Damen und Herren,

wohl in der Absicht, daß es herausfordernd oder trotzig klinge, hat der Veranstalter für diese Diskussion den theatralischen Titel gewählt: „Nein, wir lieben dieses Land und diese Leute nicht“.

Aber wer tut das schon. Wir sind keine japanischen Touristen in Neu-Schwanstein oder Alt-Heidelberg. Wir sind auch keine Asylbewerber kurz nach der Ankunft. Und das sind nun mal die einzigen Gruppen, denen Deutschland wirklich gefällt. (2) Sie verstehen die Sprache nicht, sie kennen die Leute nicht. Sie fühlen sich wie im Kino oder im Schlaraffenland. Deshalb genießen sie es, hier zu sein. Und deshalb, aus Neid, werden sie von den Deutschen gehaßt.

Die FAZ kündigte neulich den Allensbacher Monatsbericht an mit dem Satz: „Im dritten Jahr der Einheit sind sich die Deutschen so fremd wie noch nie seit dem Fall der Mauer.“ Natürlich ist das „noch nie“ eine Übertreibung. Die Deutschen sind aus der DDR weggerannt, weil sie es unter ihresgleichen nicht ausgehalten haben. Sie kamen vom Regen in die Traufe, und wir mit ihnen.

Die Zeiten, wo man sich auf die Abneigung gegen Land und Leute noch was einbilden konnte, sind also mittlerweile auch vorbei. Keiner mag sie, weil sie keinen mögen.

Die vermeintlich kleine radikale Minderheit ist in Wahrheit die überwältigende Mehrheit. Nur deshalb warnte die Süddeutsche Zeitung vom 28./29.11.1993 unter dem Titel „Ganz schön häßlich. Zehn Anmerkungen zur neuen deutschen Sucht der Selbstgeißelung“:

„Wer ständig auf das Volk schlägt, sagt der unverdächtige Rupert Neudeck, der beleidigt damit gerade jene Leute, deren >große Integrationsleistungen< es zu loben gälte. Wenn die Deutschen dauernd hören, wie furchtbar sie sind, werden sie es am Ende wirklich sein.“

Doch jeder weiß, wie das mit der Zuneigung ist. Nichts schadet ihr mehr als der Versuch, sich mittels Vernunftgründen welche einzureden. Wenn einem dauernd eingetrichtert wird, man müßte ein Ekel eigentlich mögen, haßt man es erst recht.

Auch der Kollege Held rafft sich – in Konkret Extra – zu keiner überzeugenden Liebeserklärung an die Landsleute auf, er behauptet nicht, sie wären viel netter als häufig in Konkret geschildert. Das Spiel geht anders, nämlich so: Der eine zieht über die Deutschen her. Dann kontert der andere: „Und am allerdeutschesten bist Du“.

Also: Wer die Deutschen Rassisten nennt, ist selber einer von den Schlimmsten. Eigentlich steht er dem Antisemiten in nichts nach. Rücksichtslos diffamiert er ein ganzes Volk. Und das ist es doch, was die Nazis bei den Juden taten, oder was die Rechtsradikalen heute bei den Asylbewerbern tun. Vorurteile gegen Völker oder Volksgruppen sind immer falsch, handele es sich bei den Betroffenen um Juden, Ausländer, Zigeuner oder Deutsche.

Früher hatten die Linken auf diese Argumentation das Monopol, neuerdings haben auch die Rechten ihre Vorzüge entdeckt. Sie ist eine erstaunliche Mischung aus Realitätsverlust, Larmoyanz und Frechheit, und sie zeigt, wie stark sich die Deutschen schon wieder fühlen. Nur wenn man sich stark fühlt, wird man unverschämt. Und es ist reichlich unverschämt, wenn die Deutschen sich über die Schärfe der Kritik an ihnen beschweren. Wundern müßten sie sich, daß sie überhaupt existieren dürfen. Warum, müßten sie sich fragen, hat man 1945 nicht statt der Juden sie selber in die Lager gesperrt. Warum hält die Welt die Deutschen nicht für eine mindere Rasse, obgleich zwischen 1933 und 1945 der Augenschein dafür sprach, daß sie eine waren.

Dergleichen Fragen stellen die Landsleute sich natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Eine ihrer unangenehmsten Eigenschaften ist, daß sie immer im falschen Moment in den Tiefsinn verfallen. Strikt weisen sie dann jede praktische Vernunft zurück. Andernfalls müßte der gesunde Menschenverstand ihnen sagen, daß es im Leben ohne ausgleichende Gerechtigkeit nun mal nicht geht.

Wenn ich meinem Nachbarn auf dem Podium eine Ohrfeige gebe, darf ich von ihm keine freundliche Belehrung erwarten. Wahrscheinlich zahlt er erstmal mit gleicher Münze zurück. Im Interesse des Erkenntnisfortschritts ist das auch richtig. Denn erst wenn ich den gleichen Schmerz auf meiner Wange spüre, den er auf seiner spürt, ist die Verständigungsgrundlage da, um gemeinsam über die Vorteile des Gewaltverzichts zu reden, nicht bloß so daher, sondern aus tief empfundener Überzeugung.

Solche Gedanken aber kommen den Landsleuten nicht, stets im falschen Moment und aus falschem Anlaß werden sie prinzipiell. Wenn es um sie selber geht, sind sie grundsätzlich und rigoros gegen alles, was auch nur im Entfertesten an Rassismus erinnern könnte. Am klügsten und humansten argumentieren sie immer dann, wenn sie sich herausmogeln wollen, weil sie in der Klemme stecken. Das ist einer der Gründe dafür, daß die klugen und humanen Sprüche hier stets etwas Verlogenes, Tückisches an sich haben und man sie irgendwann nicht mehr hören will.

Nehmen wir einen völkischen Nationalisten: Eben hat er noch „Wir sind ein Volk“ gegrölt. „Ok“, antwortet man ihm, „meinetwegen“. Also: „Sechs Millionen Juden habt Ihr Deutschen umgebracht. Scheinbar könnt Ihr es nicht mehr lassen.“ Auf einmal wird der Mann verständig. Vom deutschen Volk zu reden, erklärt er, sei eine unzulässige Pauschalisierung. „Die Deutschen“ – die gebe es doch gar nicht. Man könne die Menschen nicht alle über einen Kamm scheren; da müsse man ganz fein differenzieren. Das alte Spiel: Wenn irgend so Legastheniker sich mit Goethe verbunden glaubt, dann ist das seine nationale Identität. Aber wenn ich ihn mit Hitler in Verbindung bringe, dann bin ich ein Rassist.

Nicht anders verhalten sich die Linken. Es ist doch noch gar nicht so lange her, daß die ihr Selbst entdecken wollten, ihre nationale Identität. Wir haben die Leute vor diesem Schritt stets händeringend gewarnt. Man muß nicht jede Mülltonne beschnüffeln. Davon wird man nicht klüger. Davon wird einem schlecht. Aber alle Warnungen helfen nichts, und irgendwann gibt man nach. Man ist ja kein Unmensch. Wenn die Leute unbedingt wissen wollen, wer sie sind, dann verraten wir ihnen halt ihr süßes kleines Geheimnis. Also, liebe Deutsche, an Eurer Identität braucht Ihr nicht zweifeln. Ihr seid noch immer die Gleichen, die Eure Eltern gewesen sind – siehe Hoyerswerda, siehe Rostock.

Und jetzt erlebt man ein Wunder: Die frisch gebackenen Nationalisten verwandeln sich ganz flink in Internationalisten zurück: Es sein ein bornierter Standpunkt, dauernd auf den Deutschen rumzuhacken; Verfolgung von Ausländern gebe es schließlich überall; das hinge nicht mit nationalen Besonderheiten zusammen, sondern mit der ökonomischen und sozialen Entwicklung; die wiederum sei europäischer, wenn nicht globaler Natur.

So reden sie alle. Wenn sie selber am Pranger stehen, kennen sie plötzlich keine Nationen mehr, nur noch das Kapital, die menschliche Grausamkeit im Allgemeinen, die Schlechtigkeit der Welt. Der müsse man sich widersetzen, auch rassistische Diskriminierung der Deutschen dürfe man nicht dulden, schon den Anfängen sei zu wehren, usw.

Dabei haben diese fanatischen Humanisten eben noch die Verfolgung anderer entweder geduldet oder dabei sogar mitgemacht. Tatsache ist zum Beispiel, daß wir alle derzeit die Verfolgung von Ausländern dulden. Ob wir diese Verfolgung mißbilligen, verurteilen, verabscheuen und so weiter spielt dabei nicht die geringste Rolle, weil die Verfolgten sich nicht für unseren Seelenzustand interessieren müssen, sondern ganz allein für ihre eigene Haut. Sie haben ein Recht darauf, Resultate sehen zu wollen. Sie sind nicht verpflichtet, sich von uns belabern lassen zu müssen, wieviel guten Willen wir doch hätten, wie uns das alles schmerzen würde, etc.

Gerade die Linken begreifen das nicht. Sie meinen, andere mit Darlegungen ihrer höchst belanglosen Gemütslage belästigen zu dürfen, mit dieser ewigen Intellektuellen-Schnulze, wie man selber unter den deutschen Untaten am meisten litte und sich dafür schäme etc. Sie meinen, die Neigung zum Kitsch weise sie aus als die besseren Menschen. Das ist aber ein Irrtum.

Wichtig ist nur, daß die Verfolgung geschieht, und daß sie wir sie nicht verhindern. Ob aus Ohnmacht, Feigheit, Apathie ist wieder ganz egal. Es ist egal für die Verfolgten. Die wollen nicht unsere Entschuldigungen hören, sondern die wollen ihre Ruhe. Deshalb sind die Szenen so ekelhaft, wo Deutsche zu niedergebrannten Häusern türkischer Familien pilgern, um sich dort kräftig auszuflennen.

Kommt nun der Augenblick, wo die Deutschen dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnten, was sie anderen zufügten, berufen sie sich plötzlich auf die Humanität. Und sie tun das mit der gleichen Unverfrorenheit, mit der sie eben noch andere quälten. Zahlten die Türken den Deutschen Erlittenes heim, heißt es dann, würde doch alles nur noch schlimmer. Wie könne jemand Rache fordern, schließlich lebten wir im zivilisierten 20. Jahrhundert. Die Bestrafung der Deutschen habe gefälligst zu unterbleiben, weil die Welt sich nicht dadurch bessere, daß man Gleiches mit Gleichem vergelte. Dies Verhalten sei atavistisch, es verewige und steigere doch nur Unrecht, Gewalt und Leid. Schlechte Behandlung habe noch aus keinem einen guten Menschen gemacht – sieht man ja im Knast. Würden die Deutschen immer nur angegiftet und ausgeschimpft, sei dies ihrer Entwicklung nicht förderlich. Lob, Zuspruch, Verständnis und öfter mal ein nettes Wort seien doch bekanntermaßen die effizientere Sozialtherapie.

Eben noch haben also diese Irren sich selber einen Dreck um die minimalsten Regeln der Menschlichkeit geschert, um vom anderen nun zu verlangen, daß er sie behandelt wie der gütige liebe Gott aus dem Märchenbuch. Unbekümmert um die eigene Praxis führen sie sich als Experten auf. Sie belehren die anderen und ihre Kritiker darüber, wie mit ihnen umzugehen sei. Jede ihrer Schandtaten beweise doch nur, daß sie arme Teufel sind. Je mehr Ausländer sie totschlagen, desto netter soll man zu ihnen sein. Wer ein Asylbewerberheim anzündet, kriegt zur Belohnung von Frau Merkel ein Jugendhaus spendiert. Wer „Deutschland den Deutschen“ grölt, wird für urlaubsreif erklärt. Drei Wochen auf Mallorca, alles gratis, sollen ihm zeigen, daß den Deutschen viel mehr als bloß Deutschland gehört.
Überhaupt nicht kommt den Deutschen in den Sinn, daß dem anderen ihre moralische Befindlichkeit und ihre moralische Entwicklung absolut egal sein könnte; daß der andere an dieser Bande nur erlittenes Unrecht sühnen möchte und dann nicht mehr von ihr behelligt werden will. Größenwahnsinnig noch im Jammern. Setzen diese verblendeten Narzißten voraus, daß der Rest der Welt für ihre Resozialisierung verantwortlich sei und an ihren Fortschritten oder deren Ausbleiben großen Anteil nehme.

Noch gesteigert ist dies Syndrom bei denen, die uns Rassismus vorwerfen, wenn wir die Deutschen Rassisten nennen. Eigentlich meinen sie nur, daß man nicht aus der Schule plaudern, keine schmutzige Wäsche waschen soll. Andernfalls könnten sie den Vergleich gar nicht ziehen. Ihn als abwegig und unsinnig zu durchschauen muß man wirklich nicht besonders schlau sein.

Nenne ich mich selber einen Hornochsen, kann ich keinen wegen Beleidigung verklagen. Müßte ich als Täter Schadensersatz leisten, käme ich als Opfer in dessen Genuß. Jeder kann die eigene Nation solange diffamieren wie er will, auch wenn alle Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sind. Das ist der eine Unterschied.
Der andere betrifft die möglichen Folgen. Als gegen mich selber aufgehetzter Deutscher muß ich vors Haus gehen und einen Brandsatz bei mir ins Fenster schmeißen. Dann muß ich schneller in die Wohnung flitzen, als der Brandsatz fliegt, damit das Geschoß mich auch trifft. So schnell huscht keiner die Treppen hoch. Das war der zweite Unterschied.

Der dritte und wichtigste liegt in den Mehrheitsverhältnissen und im Addressaten der Schuldzuweisung. Den Deutschen Rassismus vorzuwerfen heißt gerade nicht, der großen, starken Partei zu erklären, eine andere, schwächere, kleinere sei schuld. Das aber ist das Funktionsprinzip aller rassistischen Demagogie. Sie redet den Deutschen ein, an ihrem Unglück und allen Unpäßlickeiten wären die Juden, die Ausländer, die Asylbewerber schuld, ersatzweise auch Sozialbetrüger, Linksradikale, Skinheads.

Den Deutschen Rassismus vorzuwerfen heißt, die Schuld bei der Mehrheit zu suchen statt bei irgendwelchen Minderheiten oder kleinen Randgruppen. Wenn 16jährige sich wie alte Stammtischbrüder vollaufen lassen, statt hinter den Mädchen her zu sein; wenn sie im Suff dann nicht etwa die Kontrolle über die Motorik dergestalt verlieren, daß die Hand landet, wo sie nicht hingehört, wobei die Hand zur Faust geballt sein kann oder nicht; wenn also der Alkohol ganz andere Wünsche offenbart als die, die Freundin etwas fester zu drücken oder dem Rivalen ein blaues Auge zu verpassen; wenn die Enthemmung stattdessen zu planvollem Handeln führt; wenn die Enthemmten, statt auf den unmittelbaren Lustgewinn erpicht zu sein, weder Aufwand noch Mühe scheuen; wenn sie sich dann, besoffen, wie sie sind, an die Arbeit machen; und wenn diese Arbeit darin besteht, mit List und Fleiß ein Mietshaus in ein Krematorium zu verwandeln – dann stimmt mit diesen Deutschen etwas nicht. Dann muß die Bevölkerung einen schweren Webfehler haben, unter der diese 16jährigen aufgewachsen sind.

Nicht, daß diese Menschen von Natur aus Engel wären. Aber so wie diese 16jährigen sind sie von Natur aus auch wieder nicht. Um so, wie diese 16jährigen zu werden, bedarf es einer Abrichtung, Konditionierung, die zu leisten nur die Mehrheit die Macht besitzt. Und es stand nicht irgendwo, sondern es stand in der Frankfurter Allgemeinen, Untertitel: Zeitung für Deutschland am 28. Mai: „Insgesamt aber haben es die Bürger mit erstaunlichem Langmut ertragen, daß die Politiker über Jahre hin nicht in der Lage oder willens waren, angesichts einer mehr oder minder außer Kontrolle geratenen Zuwanderung zu handeln.“ Der Wink mit dem Zaunpfahl wurde übrigens verstanden, der Brandanschlag von Solingen geschah in der folgenden Nacht.

Nicht, weil das so ist, sondern weil das so klar ist, so einfach, so trivial, werfe ich denen, die Kritik an den Deutschen unter Rassismusverdacht stellen, nicht bloß Unwissenheit vor. Ich glaube auch nicht, daß sie sich durch überzeugende Argumente wirklich belehren lassen. Die Ursache ihrer Begriffsstutzigkeit ist nicht Unvermögen, sondern ein dumpfes chauvinistisches Ressentiment.
Aus ihm speist sich auch der Haupteinwand gegen den Verdacht, die Deutschen könnten es wieder machen, also den Faschismus. Er besteht darin, daß man einfach auf die Realität verweist: Schau doch hin; die Landsleute sind doch normalerweise ganz anders als das Bild, das man in Hoyerswerda oder Rostock von ihnen bekommen hat.

Unausgesprochen unterstellt wird dabei, die Landsleute hätten in der Nazizeit den ganzen Tag am offenen Fenster gestanden und „Heil Hitler!“ gebrüllt, während sie in Wahrheit zur Arbeit gingen, Kinder kriegten, das Finanzamt betrogen etc. Tatsache ist, daß Mörder selten die Tätigkeit auüben, nach der man sie benennt. Und ein Verrückter ist nicht 24 Stunden am Tag verrückt. Manchmal schläft er. Das ist vernünftig. Manchmal ißt er. Das ist ebenfalls vernünftig. Und dann denkt man eben gern: Richtig verrückt ist der eigentlich nicht.

Man nimmt das Alltägliche als Beweis für Normalität, und allen voran tut dies der Kanzler, wenn er trotz Hoyerswerda und Rostock, trotz Mölln und Solingen erklärt, daß die Deutschen in der überwältigenden Mehrheit ausländerfreundlich seien. Die Fakten, so scheint es, geben ihm insofern recht, als in der Tat nur ein verschwindend geringer Anteil der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer ermordet worden ist. Aber spielen wir das doch mal durch:

Fall a): Die Diskussion hier wird hitzig. Mir rutscht die Hand aus, ich haue jemandem auf die Nase und brülle: Mit seinem Geschwätz bringt dieser Esel mich zur Weißglut. Ich muß ihm einfach das Maul stopfen. – Unbeherrschter, gewalttätiger Flegel, werden Sie dann von mir denken, und mich rausschmeißen.

Fall b): Wir unterhalten uns ganz freundlich. Plötzlich haue ich jemandem auf die Nase. Danach spreche ich ruhig und freundlich weiter. Wutausbrüche Ihrerseits machen mich betroffen: Was haben Sie denn bloß gegen mich? Wir unterhalten uns doch so nett. Wir sind doch die besten Freunde. Wie können Sie die ganze Person verurteilen, bloß weil ihr für einen Sekundenbruchteil mal die Hand ausrutscht. Jeder sieht, daß ich friedfertig und verträglich bin. Zwei Stunden lang sitzen wir hier zusammen. In dieser Zeit hätte ich 432.000mal jemandem auf die Nase hauen können. Ich habe es nur ein einziges Mal getan, d.h. In 0,0000023 Prozent der möglichen Fälle. In 99, 999977 Prozent der Fälle habe ich es unterlassen. Warum reiten Sie so verbissen aif dem einen einzigen Ausrutscher herum? Seien Sie doch gerecht.

Wenn ich so spreche, werden Sie mich nicht für einen Flegel halten, sondern für einen gemeingefährlichen Psychopathen.
Es ist also ziemlich egal, ob die Deutschen sich fremdenfeindlich oder ausländerfreundlich nennen. Im einen Fall geben sie zu, daß sie unausstehlich sind, im anderen bescheinigen sie sich selbst die Unzurechnungsfähigkeit. Jeder kriegt lieber Prügel von einem, der es auch so meint, als von einem, der darin einen Freundschaftsbeweis sieht.

Oder, wenn ich den niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder zitieren darf: „>Die jugendlichen Gewalttäter sind keine Faschisten. Ihre Naziparolen sind in Wahrheit Hilfeschreie< , die auf familiäre, schulische und soziale Nöte hinweisen.“ (FAZ vom 10.12.92).

Das hört sich nach Verständnis für andere an, ist aber Selbstverständigung. Denn wenn ich mich als Deutscher begreife, gehören die rassistischen Menschenschinder und Brandstifter zu mir. Sie sind nicht ich, aber sie sind ein Teil von mir. Auch ein Räuber ist ja nicht nur Räuber, sondern außerdem vielleicht treusorgender Familienvater. Wenn Schröder über die rechtsradikalen Schläger räsonniert, mit denen er in Nationalunion lebt, ist das ungefähr so, wie wenn der Familienvater über den Räuber räsonniert, mit dem er eine Personalunion bildet. Das Motiv für diese Art von Charakterstudium ist Narzißmus, der gleiche übrigens, der im Advent 1992 zu den Lichterketten führte. In Hamburg liefen damals angeblich 400.000 Menschen mit brennenden Kerzen herum. Das ist ein Rekord, aber diesen Rekord hat niemand von den Deutschen verlangt. Um in Rostock die Brandstifter zu vertreiben, hätten ein paar hundert Bürger gereicht. Kein einziger kam, um zu helfen. Erst beim Selbstdarstellungstheater machten alle mit.

 

(1) Vortrag für die Eröffnungsveranstaltung beim Konkret-Kongreß “Was tun?” vom 11. bis 13. Juni 1993.
(2) Das wurde bestätigt, als Berlin mit seiner Bewerbung für die Olympischen Spiele durchfiel. Die Bild-Schlagzeile vom 25.9.1993: “Warum sind wir Deutschen so unbeliebt?” Im Bericht hieß es: “Von den 89 IOC-Mitgliedern stimmten nur 9 für Berlin, 2 davon Deutsche. Also: nur 7 Ausländer! Ein Zeichen, daß die Deutschen zur Zeit in der Welt unbeliebt sind? >Ja< , sagt der deutsche Olympia-Präsident Walter Tröger, >Deutschland besitzt keine Lobby. Man liebt uns nicht in der Welt.< ” – Und die Deutschen selber? “Nichts wie weg”, betitelte die FAZ vom 27.12.1993 einen Kommentar über die Reiselust der Landsleute und schrieb: “Merkwürdig nur, daß viele Deutsche offenbar nichts Besseres zu tun haben, als ihrem >Besitzstandwahrerland< , wann immer es geht, möglichst weit zu entfliehen.“

Der Text entstammt dem Buch „Harte Zeiten“ von Wolfgang Pohrt, erschienen 1993 bei Edition TIAMAT.

 

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