Krisenleuchten

“Die Prognosen der OECD sind nicht vielversprechend. Für den Zeitraum von 2020 bis 2030 rechnet der Klub der Industrieländer nur mit geringen Wachstumsraten”, schreibt Daniel Stelter in seinem Blog. Hinzu kommt die Inflation, die die MMT wie erwartet unterschätzt hat, aber sich wohl in den nächsten Monaten bereinigen lässt. Was aber über die Stagnation hinaus eine erhebliche Belastungsprobe für das System darstellt und von Stelter nicht erwähnt wird, ist das Leuchten am Krisenhorizont.

Die Technokraten der Zentralbanken heben derzeit die Zinssätze trotz Rezessionsängsten weiter an und führen den Verkauf von Anleihen (quantitative Straffung) fort, was als »Nachfragezerstörung« bezeichnet wird. Auch die EZB hat die monetären Bedingungen »gestrafft«, indem sie im Jahr 2022 die Leitzinsen um 75 Basispunkte auf 1,25 % anhob. Im Moment, so Ann Pettifor, trampeln die Elefanten der Zentralbanken auf den Lebensgrundlagen der Bevölkerungen auf der ganzen Welt herum, indem sie sie in die Märkte eingreifen, die Zinsen erhöhen und das ökonomische System destabilisier

Am Anfang des Jahres 2023 sieht man bereits die Auswirkungen jeder Zinserhöhung der Fed um 0,5 % auf den US-Immobilienmarkt. Die Zinserhöhungen haben die Hypothekenzinsen in die Höhe getrieben, was den Immobilienmarkt unter Druck setzt. Doch während die Stimmung der Hauskäufer auf einem historischen Tiefstand ist, bleibt die Stimmung der Hausbauer relativ hoch – was bestätigt, dass es keine komplementäre Korrelation mehr zwischen den realen wirtschaftlichen Bedingungen und der Spekulation mit Vermögenspreisen gibt; denn schließlich war es die Fed, die durch den Kauf von hypothekarisch gesicherten Wertpapieren die Immobilienblase weiter ansteigen ließ, auch wenn nun die Nachfrage sinkt.

Im März 2023 wird die Silicon Valley Bank, das sechzehnt größte Bankinstitut mit intensiven Verbindungen zu Tech-Unternehmen von den US-Aufsichtsbehörden geschlossen. Insbesondere aber kleinere US-Banken verzeichnen derzeit Verluste, die in die Milliarden gehen und sich auf Anleihen in ihren Portfolios beziehen. Nach der Finanzkrise von 2008 hatten die US-Aufsichtsbehörden den Banken auferlegt, mehr Staatsanleihen, das heißt liquide Vermögensgegenstände, in ihren Portfolios zu halten, deren Kurse nun infolge der Erhöhungen Leitzinsen durch die Fed fielen und nun für (bisher nicht realisierte) Verluste in den Bilanzen der Banken verantwortlich sind. Auch in China sind die kleinen Banken in Gefahr und einige stehen bereits am Rande des Zusammenbruchs, so Analysten. In China liegt das wiederum an der Finanzierungsknappheit im Wettbewerb um Einlagen mit größeren Banken und an hohen Zahlungsausfällen bei lokalen Kreditnehmern aufgrund der wirtschaftlichen Abschwächung Chinas in den letzten Jahren.

Die Frage, die die Märkte zu Beginn des Jahres 2023 beschäftigt, ist, was passiert, wenn die Zentralbanken die Zinsen als Reaktion auf den Inflationsanstieg weiter erhöhen und Staatsanleihen verkaufen. Das Risiko besteht nicht darin, dass Staatsanleihen plötzlich wertlos werden, weil die US-Regierung zahlungsunfähig wird oder eine Hyperinflation entsteht, vielmehr vor allem darin, dass die Finanzmärkte nicht mehr funktionieren, da die Preise und Renditen anormal werden und Billionen von Dollars in den Portfolios umwälzen, was eine Krise auslösen kann, da Hedge-Fonds, Banken und andere Anleger nun um Bargeld konkurrieren.


[1] Fabio Vighi wirft an dieser Stelle ein, dass das Spiel von Angebot und Nachfrage auf den Märkten keineswegs funktioniert: Diesem Gesetz zufolge steigt der Kurs einer Anleihe, wenn sie stark nachgefragt wird, während die Rendite sinkt; umgekehrt sinkt der Kurs, wenn die Nachfrage nach Anleihen sinkt, und die Rendite steigt. Höhere Anleihezinsen sollten in jeder Vermögensblase für ein Ablassen von »heißer« Luft sorgen, denn weniger erschwingliche Anleihen führen zu einem Liquiditätsabfluss. Dem Anleihemarkt soll mit hohen Anleihezinsen der Druck genommen und so soll eine Überhitzung der Wirtschaft verhindert werden. Das Finanzsystem wird jedoch, so Vighi, systematisch von den Zentralbanken verzerrt, die durch die massiven Liquiditätsspritzen der letzten Jahrzehnte ein Monster namens spekulatives Kapital befördert haben, das nicht mehr zu kontrollieren ist. Die derzeitigen heftigen Turbulenzen auf den Anleihemärkten in aller Welt, deren Renditen Anzeichen struktureller Instabilität aufweisen, deuten darauf hin, dass den Zentralbanken die Mittel ausgehen, um die Risse im Finanzsystem zu kitten.

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