Kuba: Das Ende des sozialen Zaubers der „Revolution“

Der folgende Text wurde vor Kurzem von der Alfredo López Libertarian Workshop veröffentlicht.

Der repressive soziale Bann, der die internationale Linke museal beschwichtigt hielt, ist gebrochen. Unter der „kubanischen Revolution“ ist der „kubanische Staat“ in all seiner Rohheit öffentlich in Erscheinung getreten. Derselbe kubanische Staat, der, um dem US-Imperialismus die Stirn zu bieten, eine omnipräsente politische Polizei geschaffen hat, um die von ihm kontrollierte Gesellschaft zu bekämpfen. Derselbe kubanische Staat, der im Namen des Sozialismus alle Basis- und Arbeiter_innenorganisationen zerstört hat, die dieses Wort zu einer täglichen Realität machten. Derselbe kubanische Staat, der Solidarität in eine internationale Marke verwandelt hat, während er uns in einem ständigen Zustand des Misstrauens und der Angst zwischen Nachbar_innen hält. Derselbe kubanische Staat, der inmitten der Verschärfung der US-Blockade mehr Hotels für ausländische Tourist_innen baut als Infrastrukturen zur Produktion von Milch und Obst. Derselbe kubanische Staat, der den einzigen Impfstoff in Lateinamerika gegen COVID-19 hergestellt hat, aber sein Gesundheitspersonal grundsätzlich als unbezahlte Hilfskräfte der politische Polizei sieht. Jener kubanische Staat, der in diesen Tagen des Juli 2021 bewiesen hat, was er ist: eine mafiöse Oligarchie in Reinkultur, eine vulgäre Kleptokratie mit dem Anschein von Humanismus und Erleuchtung. Eine Machtpyramide, die so massiv und überdimensioniert ist wie die einsamen Megalithen der Osterinsel.

Jetzt geopolitische Argumente aufrechtzuerhalten, über Kubas Platz in der imperialen globalen Strategie; zu argumentieren, dass die Anti-Regierungs-Proteste in Kuba zwangsläufig von der kubanischen Rechten in Miami bezahlt werden; zu argumentieren, dass die Protestierenden einfach Kriminelle sind, die auf Plünderungen aus sind, dass die wirklichen revolutionären Leute bei der Regierung sind, sind alles Argumente, die einen bedeutenden Teil der Realität beschreiben, aber einen Punkt nicht berücksichtigen: das Volk von Kuba hat genauso ein Recht und eine Pflicht zum Protest wie das kolumbianische und chilenische — wo ist der Unterschied? Dass es Oligarchien mit unterschiedlichen Ursprüngen sind? Mit Praktiken, die mehr oder weniger brutal sind? Mit mehr oder weniger unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen? Mit mehr oder weniger unterwürfigen Haltungen gegenüber der US-Regierung? Mit mehr oder weniger mächtigen Idealen, um ihre Privilegien zu rechtfertigen? All diese massiven Unterschiede zwischen den kolumbianischen, chilenischen und kubanischen Oligarchien reduzieren sich auf ein Nichts, wenn du an einem schönen Sonntagmorgen entdeckst, dass ebenso wie die mafiösen Oligarchien in Kolumbien und Chile auch die kubanische Oligarchie bis an die Zähne bewaffnet ist, ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger, um dich und deine Geschwister, deinen Körper und deinen Geist zu zerquetschen, wenn du auch nur in Erwägung ziehst, die von ihnen kontrollierte Normalität in Frage zu stellen.

Alles, was der kubanische Staat getan hat, um den nationalen Impfstoff gegen COVID-19 herzustellen, all die Arbeitssubventionen, all die Gehaltsverbesserungen, die vielen Sektoren des kubanischen Staates mitten in der Pandemie angeboten wurden, haben sich plötzlich verflüchtigt, nicht nur wegen der Inflationsspirale und der endemischen Lebensmittelknappheit in Kuba, sondern auch, weil alles, was Teil des makaberen Rahmens der „repressiven Toleranz“ war, ans Licht kam, was jeder anständige Mensch herausfinden kann, ohne irgendwelche großartigen Bücher über Gegenkultur zu lesen. Wir können diejenigen, die jetzt ankommen, um die repressive Toleranz in diesem Land zu versüßen und das Trugbild einer militarisierten Harmonie darüber zu errichten, ruhig als das neue Gesicht dessen bezeichnen, was in unserer Zukunft keinen Platz hat. Diejenigen, die im Namen einer zukünftigen Demokratie oder des reibungslosen Funktionierens der Wirtschaft die Sympathien, die Gemeinschaft und die Energie, die in den Protesten aufblühten, in Misskredit bringen oder die Geschehnisse jener Tage auf „einfachen Vandalismus durch soziale Degenerierte“ reduzieren wollen, sprechen im Namen und in der Sprache der verkommenen Oligarchien, die in diesem Land wieder einmal schamlos ihre Stimme erheben.

Die „Massen“ sind wieder zu einem „Volk“ geworden, als sie aufhörten zu gehorchen und wieder anfingen, den Gefühlen, den Affinitäten und den grundlegenden Fähigkeiten zu vertrauen, gemeinsam zu tun und zu denken, die im Ungehorsam und der Solidarität unter Gleichen inmitten der Spirale der Pandemie und des Mangels wieder aufgetaucht sind. Das ist die neue Realität, die in Kuba in diesen Tagen im Juli 2021 geboren wurde und die neue Realität, von der wir als Anarchist_innen in Kuba ein Teil sein wollen.

[1] Sowohl der neoliberale Kapitalismus als auch die sozialistischen Regierungen, die auf ihn reagieren, machen uns alle zunehmend verwundbar gegenüber den Unbeständigkeiten der Märkte und globalen Lieferketten. In einem landwirtschaftlich produktiven Land wie Kuba ist der Mangel an erschwinglichen Lebensmitteln eine vom Kapitalismus geschaffene Absurdität, vermittelt durch eine sozialistische Regierung, die der Integration in die globale Wirtschaft Vorrang vor einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion gegeben hat.

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