Laruelle und das Wesen der Technik

Für Laruelle muss hinsichtlich der Beurteilung der Technikwissenschaften eine erste Unterscheidung vorgenommen werden, nämlich die zwischen Technik und Technologie. Unter Technik versteht Laruelle im weitesten Sinne das von Simondon in seinen Schriften aufgeworfene technische Objekt, das der Wissenschaft zur Analyse dient, während der Begriff der Technologie der Ordnung des Diskurses und des naturwissenschaftlichen Wissens inklusive des humanwissenschaftlichen Wissens angehört. Die Philosophie hat im Rahmen ihrer ontologischen Hierarchien auch den Techno-Logos oder die techno-logische Differenz etabliert. Laruelle hingegen versucht mit den Mitteln der Nicht-Philosophie eine »Uni-lyse« des Nicht-Technischen anzuvisieren. Die Nicht-Standard-Philosophie bzw. die generische Wissenschaft (zwei Begriffe, die Laruelle gegenüber dem Begriff der Nicht-Philosophie neuerdings präferiert) werden aufgefordert, im Zuge ihrer spezifischen theoretischen Praxis eine neue Beschreibung des Wesens der Technik bereitzustellen – und dies heißt, das Nicht-Technische gerade nicht mehr mit den Mitteln, Ontologien und Methoden der abendländischen Philosophie, sondern durch etwas zu denken, das radikal nicht-techno-logisch ist. Es geht Laruelle darum, eine »Kraft-des-Denkens« zu entwickeln, die danach fragt, was das Nicht-Technische ist und was es wie transformieren kann. (Vgl. Laruelle 2014: 12) Der Gebrauch des Technischen im Hinblick auf eine nicht-technische Aktivität stellt also auf die Beschreibung des Wesens des Technischen ab, das aber selbst nicht technisch ist, zumindest nicht im onto-techno-logischen Sinne. Laruelle versucht das reale Objekt der Technik als das Wesen der Technik zu erfassen, um zugleich eine generisch-wissenschaftliche Beschreibung der technischen Phänomene zu leisten, die die generische Kausalität in einer neuen »Techno-Fiction« ansiedelt und somit die Objektform (Maschine) löscht, und damit geht es Laruelle auch nicht mehr um das technische Objekt im Sinne von Simondon. Zunächst bekräftigt Laruelle zwar, dass, wenn es denn technische Objekte überhaupt gäbe, es definitiv diejenigen seien, wie sie Simondon beschrieben hat, aber Laruelle denkt nicht, dass Simondons technische Objekte letztendlich als wissenschaftliche Objektivität bestehen können und wirklich das Wesen des Technischen ausmachen. Mit Simondon glaubt Laruelle allerdings, dass sich das Ensemble der Aktionen, Operationen, Funktionalitäten und Kausalitäten, das das jeweilige technische Phänomen zusammensetzt, in der Vielfalt von Maschinen, ihren materiellen Gestalten und Wirkungen kondensiere.1

Wenn Laruelle vom technischen Phänomen spricht, dann subtrahiert er gleichzeitig die Subjekt-Objekt-Form der Philosophie, die meistens ein transzendentales Subjekt setzt, das ständig ihr Objekt spiegeln will, indem sie dessen »An-Sich« doubelt. (Ebd.: 83) Mit den bisher geschaffenen Arbeitsmitteln der Nicht-Standard-Philosophie versucht Laruelle in diesem Zusammenhang insbesondere die philosophischen Texte von Simondon und Heidegger auf reines Material zu reduzieren, womit der hermeneutischen Interpretation sofort ein Riegel vorgeschoben und stattdessen an dieser Stelle der nicht-philosophische Gebrauch einer techno-logischen Interpretation der Technik anvisiert wird, um schließlich das Wesen (des) Technischen als »Techno-Fiction« neu zu erfinden. Letztendlich gehören für Laruelle selbst noch die Ausführungen von Heidegger und Simondon bezüglich der Technik eindeutig der Philosophie, dem Genre der onto-techno-logischen Differenz, an. 2

Sowohl die technischen Objekte von Simondon als auch die instrumentellen Kreisläufe von Heidegger (Gestell) existieren nicht in sich selbst, sondern bleiben insgeheim techno-logische Universalien, die das Immanent-Sein der real-formalen technischen Phänomene glatt verfehlen, das heißt die Art und Weise, in der diese die Welt manifestieren. Das, was das technische Wesen der Technik ausmacht, das ist für Laruelle, der sich zumindest an diesem Punkt Heidegger anschließt, selbst nicht technisch. Allerdings behandelt Heidegger die Technik weiterhin unter der Dominanz oder eingehüllt in einen meta-technologischen, philosophischen Diskurs, der zwar über das Wesen der Technik nachdenkt, dies aber in einem illusorischen begrifflichen Modus, insofern es für Heidegger eben nur der Philosophie zusteht, der téchne (im Gegensatz zur Technik) die Aufgabe des Entbergens der Wahrheit anzuvertrauen. Was Heidegger der westlichen Philosophie allerdings vorwirft, das ist ihr andauernder Versuch, das Sein durch das Denken zu determinieren, um schließlich zu einem Begriff der Wahrheit zu gelangen, während sein Begriff der »aletheia« eine Weise des Entbergens einführt. Der philosophische Diskurs über das Technische kulminiert Mitte des 20. Jahrhunderts in Heideggers Feststellung, dass im Technischen, das der Sicherung des Bestandes diene, das Sein des Seienden sich eher verberge als lichte. Heidegger bedient sich bei der Bestimmung der Technik einem ontologisierten Schematismus, mit dem die Erfahrung als Resultat der technologisierten Zweck-Mittel-Kausalität von der reichen konkreten Erfahrung der besonderen Dinge abgeschnitten wird, die somit nicht mehr als sich ereignende Wesenhaftigkeiten erfahren werden können. Und dies vollzieht sich eben über die Schematisierung der Erfahrung durch die Technik, ohne dass Heidegger allerdings je auf die dynamische »Logik » des Kapitals Bezug nimmt.

Jedes Festhalten an der Onto-Techno-Logie (Heideggers inklusive) kann als ein metaphysisches Programm zur philosophischen Fundierung der Technik verstanden werden, als eine Meta-Technik, die selbst noch die téchne an einen ontologischen Grund bindet. Wenn aber die téchne mit dem ontologisches Fundament vernäht bleibt, dann wird laut Guattari eine prozessuale Öffnung der téchne mit Hilfe der Erfindung neuer Strategeme geradezu verhindert. (Vgl. Guattari 2014: 48) Ähnlich wie Guattari und Laruelle merkt Michel Serres an dieser Stelle an, dass man den philosophischen Diskurs nicht dadurch »knacken« könne, dass man immer nur weitere philosophische Begriffe erfinde, weil es sich dann natürlich auch um weitere philosophische Entscheidungen handele, und eben nicht um den Versuch, die Analyse einer (generischen) Wissenschaft zu betreiben. (Serres 1994: 92) Dazu bedarf es einer neuen Strenge bei der generischen Beschreibung der technischen Objekte, so übersetzen wir an dieser Stelle Serres in Laruelle. Beispielsweise haben sich Topologie und nicht-euklidische Wissenschaften als neue strenge Techno-Ästhetiken zu etablieren. So kann es zu einer neuen Pluralisierung der apriori gegebenen Formen kommen.

Laruelle ist mit seiner Erfindung der generischen Wissenschaft darum bemüht, die hegemonialen Ansprüche der Philosophie auch im Hinblick auf ihren Zugriff auf das Technische zu begrenzen. Wenn nämlich die Philosophie dem technischen Objekt sich zuwendet, so will sie im Rahmen ihres onto-techno-logischen Diskurses weiterhin ihre Dominanz als Königswissenschaft ausüben (auch hier kommt es zu einer beständigen, Spiegelung, Konfusion und Reflexion zwischen Realem und Ideellem). Laruelle zufolge muss man aber das technische Wesen radikal als nicht-techno-logisch verstehen. In diesem Kontext besteht das Ziel von Laruelles Reduktion der Philosophie darin, die Amphibolie aufzulösen, durch die Philosophie und Humanwissenschaft ihr hinterhältiges Spiel mit dem Wesen des Technischen betreiben und dadurch geradezu aufblühen. Darüber hinaus kommt es auch noch zu einer permanenten Konfusionierung des Wesens des Technischen mit seinen regionalen, materiellen und ökonomischen Bedingungen, und dies aufgrund der Idee, dass es eine ursprüngliche Kontinuität zwischen technischer Erfahrung und dem Wesen des Technischen geben müsse.

Die Technik ist für Laruelle keineswegs als ein synkretistisches Resultat der Naturwissenschaft zu verstehen, und diese Feststellung zieht die Forderung nach sich, maschinelle Verfahren jenseits der Analyse und der Kritik der Technik zu erfinden, indem man den Gefügen der Maschinen (Objekte und Aussagen) ihre eigenen Rhythmiken, ihren eigenen Stil und zudem ihre Aufschübe zugesteht (jenseits einer Subordination unter das philosophische Subjekt), um die Maschinen eventuell in ihren Evidenzen sogar zu verstärken, insofern ihre Prozesse auf das Reale bezogen bleiben. Laruelle postuliert eine Verstärkung der Evidenzen des Technischen durch einen transzendentalen Automaten, der weder reflektiert noch argumentiert, sondern die intelligible Identität des Technischen in schierer Unabhängigkeit von den Technowissenschaften ansiedelt, nämlich im Kontext eines Wesens des Technischen, das nur das Resultat einer neuen generischen Wissenschaft sein kann. Das Technische steht hier je schon in Beziehung zum Realen, wobei man, wenn man die Determination des Realen in der letzten Instanz nicht anerkennt, die tatsächlichen Existenzbedingungen des Technischen (Ökonomie, Kultur, Politik), die es ja durchaus gibt, stets übergewichtet. (Laruelle 2014: 35) Laruelle will zudem damit aufhören, die technische Kausalität entweder mit Hilfe des physikalischen Modells der Inertia/Trägheit oder der Mechanik, mit Hilfe des techno-philosophischen Modells der Produktion oder mit den maßvollen Modellen des Rades, des Motors oder des Computers zu denken (die hier alle transzendente Ensembles bleiben). In all diesen Diskursen imaginiert man immer noch ein allzu simples Wesen der Maschine bzw. des Technischen, das sich angeblich aus sich selbst heraus entfalten kann, ohne auf die Gunst der jeweiligen technischen Situation angewiesen zu sein. Indem die Erscheinung hier wieder ganz dem Wesen angemessen wird, verliert das Mannigfaltige unbedingt seinen sozialen Ort (der Faltenreichtum wird zum Ornamentalen). Jedes technische Objekt soll sich so zu seiner Verknappung bekennen, insofern es nichts weiter als ein Beispiel für die als Metaphysik konzipierte Essenz des Technischen ist. Dem ist hingegen ein formales oder ein Immanent-Sein des technischen Phänomens entgegenzusetzen, indem man zeigt, dass dieses zwar die Welt manifestiert, sie aber nicht repräsentiert. (Ebd.: 23)

Für Laruelle können die verschiedenen Diskurse, welche zuweilen extensiv die Reproduktion der philosophischen Universalien, die jeweils gerade en vogue sind, betreiben, das Wesen der Technik überhaupt nicht erklären. Dennoch können diese Diskurse zumindest als objektive Daten bzw. als Material dienen, um mit ihrer Transformation das Wesen der Technik in einer dem zirkulären Zusammenspiel von Wissenschaft und Philosophie entgegengesetzten Art und Weise neu zu erfinden. Es geht darum, die Technik durch eine radikal abstrakte Theorie (ohne Abstraktion) intelligibel zu machen, ohne das technische Phänomen in einer intuitiven oder mehrdeutigen Weise zu deduzieren oder zu induzieren. Stattdessen hält Laruelle die Beschreibung des Wesens des Technischen für eine rein unterdeterminierte Allgemeinheit, die auf das Reale in der letzten Instanz bezogen bleibt, und in diesem Kontext ist das techno-logische Schema eben nur als ein Index oder als schieres Material zu gebrauchen. Und keinesfalls kann es gelingen, eine mächtigere Technik als die schon bestehenden Techniken zu erfinden, oder eine neue philosophische Konzeption der Technik zu entwickeln, welche die Wissenschaft dominiert, oder gar eine Konversion von Technik und Philosophie (ein techno-logisches Investment der Technik) herzustellen – vielmehr zeichnet sich die generische Wissenschaft durch die Produktion eines rigorosen, nicht-interpretativen Wissens des Technischen aus. Hier ist ein generisches Wissen gefragt, das einen radikal anderen Gebrauch von der Technik macht und neue technische Erfindungen anders als die Technik, aber dank ihrer Existenz einsetzt.

Laruelle sucht nicht nach den gemeinsamen Merkmalen des Rades, des Motors und des Computers, ob als Abstraktion oder als Autoposition von Eigenschaften verstanden, die man je schon als die von technischen Objekten voraussetzt. Vielmehr erfordert die Beschreibung (Hypothese, Deduktion und Experiment) des Wesens des Technischen die Erfindung eines neuen theoretischen Typus von technischem Objekt, mit dem man nicht länger auf einen philosophisch imaginierten Ursprung oder auf eine spekulative Kontinuität rekurriert, wie sie etwa von den Theorien der Spiegelprojektion und der Nachahmung, aber zum Teil auch von der theoretischen Mechanik und der kybernetischen Systemtheorie vorgeführt werden. Philosophie und Humanwissenschaften haben dank ihrer gemeinsamen Affirmation des Kapitals das Monstrum eines techno-logischen Diskurses geschaffen, eine wahre Amphibolie um das Wesen der Technik, eine Reziprozität und Vermischung der Erkenntnis (technologische Diskurse als onto-techno-logische Form) mit dem technischen Objekt, der Realität und der Objektivität (und schließlich mit dem Realen selbst). Es wäre eben ein großer Fehler, zu sagen, dass es gar keine singulären technischen Phänomene, sondern nur ihre techno-logischen Interpretationen gebe, weil gerade mit dieser Behauptung eine generalisierte Techno-Logie als allgemeine Form imaginiert und suggeriert würde, ganz simultan zu Herstellung der jeweiligen philosophischen Maschinen und ihren Produktionen: Der Mythos um das unbekannte technische Objekt, der komplett philosophisch bleibt. Heiner Mühlmann argumentiert an dieser Stelle nicht ganz unähnlich, wenn er aufzuzeigen versucht, dass das týche-technische Denken (Týchetechnik als das Handwerk, das den Rohstoff Zufall (týche) bearbeitet) die Denkinhalte der Transzendentalphilosophie erklären, umgekehrt aber diese nicht die Týche-Technik deuten könne. (Mühlmann 2013: 23) Es gibt týche-technische Effekte, die genau dann eintreten, wenn Resultate des Zufalls und der Technik so aufeinander einwirken, dass etwas Neues entsteht, das wiederum dafür Sorge zu tragen hat, dass zukünftige Zufälle zumindest partiell eine gewisse Ausrichtung bekommen. (Ebd.: 15) So kann sich die Technik von der Welt und ihren Objekten unterscheiden.

Die theoretische Beschreibung, im Sinne einer generischen Wissenschaft, die eine neue Form des Wissens ist, klont die physikalischen und technischen Wissenschaften, wobei von Seiten der Nicht-Standard-Philosophie nicht länger auf die philosophische oder ontologische Transzendenz zurückgegriffen wird. Was Laruelle zur Nicht-Photographie schreibt, das gilt eben auch für das Nicht-Technische: Es gibt ein Denken in der Technik und ein Denken der Technik, letzteres funktioniert als die radikale Beschreibung der ideellen Bedingungen oder des Wesens der Technik, indem die techno-perzeptiven Bedingungen zur Beschreibung des Technischen reduziert werden und damit erst auf die Identität des Realen bezogen werden können. (Laruelle 2014: 39) Das Wesen der Technik besteht weder allein im technischen Phänomen noch im technischen Objekt, weder im technologischen Denken noch in den technologischen Mitteln, vielmehr wird von Laruelle bezüglich des Technischen eine intransitive Ursache in der letzten Instanz eingefordert, i. e. die radikale Immanenz einer Identität in der letzten Instanz, also das Reale.3 Die Technik als solche ist die Wirkung des Realen, indem sie das Reale manifestiert, wobei das Reale die Technik bestehen lässt, weil von Seiten des Realen keinerlei Reversibilität oder Konvertierbarkeit mit der Technik, der Wissenschaft oder der Philosophie angezeigt ist. Es geht nicht um das Sein der Technik, sondern um das Technik-Sein der Technik. Es geht darum, wie Laruelle schreibt, die Erblindung des Lichtes des Logos durch das wirklich blinde Denken des Nicht-Technischen zu ersetzen. (Ebd.: 55) Denken wird hier verstanden als »Kraft-des-Denkens« oder als »Arbeitskraft-des-Denkens«.

Es sind mindestens zwei Subtraktionen notwendig, um die Beschreibung des Wesens der Technik von der philosophischen Kontemplation und ihren Doubles radikal abzutrennen: 1) Die nicht-ontologische Subtraktion von den technischen Erscheinungen, welche bisher unter die techno-logische Differenz subordiniert wurde. Auch die regionalen oder ontischen Erscheinungen der Technik, von denen die Humanwissenschaften sich beständig ernähren, sind zu subtrahieren. 2) Die Subtraktion der Perspektiven des Ingenieurs, Arbeiters, Soziologen, Anthropologen, Ökonomen, Psychologen etc. Und dies auch dann, wenn diese nicht der Perspektive der Philosophie der »Techno-Logie« und ihrem Korrelat, der onto-techno-logischen Relation oder der Differenz folgen, auf die sich letztendlich selbst noch die Beschreibungen von Heidegger und Simondon konzentrieren, um ein invariantes techno-logisches Schema einzusetzen, das dazu dient, noch jede regionale Perspektive auf das Technische mit der superioren Perspektive der Philosophie zu synthetisieren. Was im nicht-technologischen Modus erkannt werden soll, ist aber auch nicht das durch die Naturwissenschaften repräsentierte Objekt.

Bezüglich der vier Ursachen (materialis, formalis, finalis und efficiens) versucht man die Maschine oft als absolut verursacht darzustellen.4 Doch schon für die causa materialis ergibt sich das Problem, dass man die Maschinen mit ihren empirischen, materiellen Eigenschaften schwerlich noch als feste Verfügungen beschreiben kann, wobei auch die jeweiligen Formierungen, Gestaltungen und Strukturen der Maschinen (causa formalis) auf kein unifiziertes Zusammenwirken von Ursachen hinweisen. Die causa finalis als ein Prinzip der Differenzierung verweist ihrerseits auf eine Pluralität von Finalitäten (Bahr 1983: 232), wobei der Konflikt zwischen der technischen Realisierbarkeit der Maschinen und ihrer ökonomischen Profitabilität besonders deutlich das Problem einer einheitlichen Finalität umreißt. Hier könnte sich allerdings eine Finalität in der letzten Instanz andeuten, nämlich die des Ökonomischen, während umgekehrt das Ökonomische nicht in der gleichen Art und Weise vom Technischen abhängig ist. Denn ohne die Aussicht, die ökonomische Rentabilität erfolgreich indexieren zu können, werden selbst die vielversprechendsten Innovationen eben nicht in Investitionen umgesetzt.

Schließlich die causa efficiens. Aristoteles ging davon aus, dass man die Figur »Bewegung der Bewegung« nicht denken könne, weil das Anderswerden der Bewegung immer nur das Unveränderliche der Bewegung selbst sein könne, und damit falle jede Veränderung als Schein wieder in sich zusammen. Infolgedessen subsumiert Aristoteles das Ontische unter das Logische, die Aussageform von Grund und Folge, i. e. die Ursache müsse Grund/Bestand haben, weil sonst das Vergehen/Entstehen nicht bestehen könne. (Ebd.: 233) Humes Einwände gegen diese Art der Konstruktion der Kausalität sind bekannt, wie auch Kants Replik, in der er darauf verweist, dass die aleatorische Bewegung der Folgen nicht den Empfindungen, sondern nur der inneren Form der Anschauung zugänglich sei (Zeit), womit er aber den Hume`schen Ansatz nur weiter radikalisiert. Über die Pluralität von Wirkungszusammenhängen im Kontext dialektischer Vernunftschlüsse lässt sich vielerlei aussagen. Damit ist das Empirische auf der Ebene des Verstandes allerdings noch nicht erkannt, wobei sich sofort die Frage stellt, ob die Natur sich der Technologie bzw. der technischen Methode – im Sinne des Umgangs mit ihr – in der Form von Ursache-Wirkungsketten (Nachahmung/Abbildung) überhaupt anbietet. Hier ist erneut die Frage nach der ewigen Konvertabilität von Theorie und Realobjekt zu stellen.

An dieser Stelle führt Kant die Heuristik des »Als-ob« ein, als ob dem Verstand bzw. der Urteilskraft die Natur entspreche. Und dies heißt nichts anderes, als dass sich die Kausalität nur in der diskursiven Darstellung versinnbildlichen kann. Bahr zeigt, dass Kant auf ein ontologisch unlösbares Problem stößt, wenn dieser mit der Intervention der Philosophie des »Als-ob« die Antwort auf die Frage geben will, ob sich die Natur den Naturwissenschaften gemäß deren Kausalitätsprinzipien anbieten kann. Demnach muss der Verstand so verfahren, als ob ihm die Natur entspreche, er muss Simulationen ohne Referenten erfinden. (Vgl. Bahr 1983: 235) Und das heißt, dass Kant den Wahrheitsbegriff zwar verschiebt, wenn er davon spricht, dass der Verstand gleichsam der Natur die Gesetze vorschreibe, er aber immer wieder auf die Wahrheit als Übereinstimmung zwischen Verstand und Natur zurückfällt, sodass er das Spiel von der Reversibilität von Denken und Gegenstand letztendlich nicht verlässt, sondern dieses Spiel, vom Verstand ausgehend, ständig wieder neu betreibt. Und Kant hat sich natürlich überhaupt noch nicht vorstellen können, dass mit der Quantenphysik materiell-diskursive Apparaturen entstanden sein werden, die durch ihre experimentellen maschinellen Anordnungen und Messinstrumente unempirische Phänomene der Natur überhaupt erst produzieren, um sie in einem zweiten Schritt wieder ins Empirische zu übersetzen, und das, bevor sie überhaupt von Subjekten wahrgenommen werden. Und dieser maschinelle Eingriff in das Metaphänomen Natur kann nicht im Nachhinein aus den Ergebnissen der Experimente wieder herausgerechnet werden. (Ebd.: 236) Die Naturwissenschaft bemisst sich jetzt selbst an der Geltung, die zunächst in der Produktion empirisch referenzloser Phänomene besteht, die an sich kontingent sind. Wenn Phänomene insbesondere durch Relationen bestehen, ohne dass es zeitlich vor ihnen existierende Relata gibt, dann sind sie in der experimentellen Naturwissenschaft das Ergebnis vom Messungen, in denen es zu keiner Trennung von Beobachter und Beobachtetem mehr kommt. (Barad 2013: 19) Gleichzeitig wird nun bezüglich der Metaebene von vielen Theoretikern erneut eine spekulative Vernunft eingefordert. Die Krise der Kausalität, die sich jetzt weniger an den Sprengungen der Maschinen, sondern an der Frage des Unbestimmt-Seins der Ursachen anzeigt (wobei letztere auf die Kontingenz der maschinellen Ordnungen verweist – insofern ist Kontingenz die letzte Kategorie der Metaphysik), führt immer wieder zum Versuch, die Kausalität in die logisch-symbolischen Funktionen zu übersetzen. Bahr schreibt: »In der Maschine wird die transzendentale Funktion zum Paradox ihrer eigenen Empirie.« (Bahr 1983: 237)

Die Relation von Ursache und Wirkung ist je schon gerissen, womit der Begriff der Wahrheit oder, wie Derrida richtig bemerkt, die Differenz zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zerfällt. Im Labyrinth oder im Chaosmos des Maschinellen zerfallen noch die letzten Wahrheiten der mathematischen oder physikalischen Wissenschaften. Deshalb spricht Laruelle, um vielleicht dem Chaos, noch stärker als Guattari in seiner Theorie der Chaosmose, zu entkommen, von der Notwendigkeit der Erfindung einer neuen Theorie-Fiktion des Technischen als einer generischen Erweiterung des Dispositivs der Quanten-Physik, welches hier gerade nicht quantitativ-mathematisch verstanden wird. Matheme-ohne-Mathematik und Techniken-ohne-Technologie sind nun freizulegen. Und darin zeige sich, so würde vielleicht Bahr wiederum mit Guattari anschließen, die Maschine tatsächlich als eine »chaosmotische« Sprengmaschine an. Die fröhliche Wissenschaft wäre einerseits eine radikal exakte, andererseits eine blinde Wissenschaft; sie wäre eine Wissenschaft der Sprengung-ohne-Chaos.

Bahr ist sich in diesem Kontext darüber im Klaren, dass Kant sich die Frage nach dem Schein, die eine nach den Labyrinthen ist, nicht ganz verbaut hat. Dem nicht-philosophischen Denken bleibt es auferlegt, eine ganz andere Realität als die Vermischung von Diskursivität und Welt zu denken, nämlich eine Techno-Fiktion, womit die Technik nicht länger als eine Variable der Philosophie gedacht wird. Im Phänomen des Technischen vereinigt sich das universell Mögliche mit der Realität der technischen Objekte, um ein apriorisches Quasi-Feld der Fiktionen zu erzeugen, das vom Realen in der letzten Instanz determiniert wird.

Die generische Wissenschaft muss selbst eine Methode entwickeln, um die Unifizierung oder, wie Laruelle neuerdings sagt, die Superposition (Überlagerung) von Wissenschaft und Philosophie anders als bisher herzustellen, wobei die Ergebnisse dieser methodischen Operation brauchbare Transformationen des wissenschaftlichen und des philosophischen Materials liefern sollen. (Laruelle 2010b: 262) Laruelle bezieht sich in seinen späten Schriften zunächst auf zwei quantenmechanische Prinzipien: Auf die Superposition und Nicht-Kommutativität und zudem auf die Idempotenz. Er betont sofort, dass die algebraischen Operationen der Superposition und der Addition sowie der Idempotenz (mathematische Regel, mit der man die Überlagerung zweier Wellen in einer einzigen beschreibt: 1+1=1) weder als synthetisch noch als analytisch im klassischen Sinne zu verstehen seien, sondern sie vielmehr als offene Analyse und/oder als nicht-abgeschlossene Synthese (synthetisch-ohne-Synthetisierung) angewendet werden müssten. (Laruelle 2014: 148) Dabei behandelt Laruelle die Prinzipien weder als Prinzipien einer ersten Philosophie noch als positive Prinzipien der Quantenphysik, sondern als in der letzten Instanz determinierende (exakter unter-determinierende) Bedingungen, wobei die auf ihnen basierende generische Wissenschaft letztendlich komplexer und zugleich ärmer als ihre Materialien aus Wissenschaft und Philosophie zu sein habe, wenn sie ihre eigene theoretische Praxis entwickeln, das heißt, eine Relation zwischen Wissenschaften und Philosophie in der Immanenz einer unifizierten Verbindung herstellen wolle, die stets vom Einen/Realen determiniert werde, eine Denkfigur, die Laruelle »unilaterale Dualität« nennt. Laruelle mobilisiert für diese Art der theoretischen Praxis also eine Reihe von Modellen aus der Quantenphysik, bei denen er allerdings von ihrer mathematischen Deskription absieht. Wie die Wirtschaftswissenschaften sind für Laruelle auch die technischen Wissenschaften nur noch als fraktale generische Wissenschaften jenseits der Wahrnehmung möglich. Laruelle spricht von einer fraktalen Unregelmäßigkeitskraft, die von sich aus das Gegebene subvertiere

1 Es gibt auf jeden Fall keine vor der Quantelung vorhandenen Objekte mit festgelegten Grenzen, sondern sie werden innerhalb von Phänomenen und Diskursen in Kraft gesetzt, die wiederum als materielle Praktiken zu begreifen sind. Technische Phänomene sind das Mögliche an sich, und jedes Mal ergibt sich ihre Realisierung durch einen Schnitt in das Unbestimmte, durch eine kontigente Konfiguration der Entstehung von Materie (qua Messung) bzw. einer Materialisierung quer durch die Raumzeiten hindurch. (Vgl. Barad 2012: 21)

2 Als erstes muss man festhalten, dass für Heidegger das Wesen des Materialismus im Wesen der Technik verborgen ist, und dass für das Denken des Wesens der Technik — ein Denken, das sich in der Wahrheit des Seins verortet — die ökonomische Dimension nicht zählt. Das Gestell sammelt die zirkulären Bewegungen alles Bestellbaren, zu dem alles Seiende im Zeitalter der Technik wird. Dennoch weist die Sprache des Gestells gewisse Ähnlichkeiten zu der des Marx`schen Kapitals auf.

3 Als »Requisiten« des Realen gelten: a) die Einfügung in die Ursache letzter Instanz, b) die Gelegenheitsursache, die Realisierung der Technik mit Hilfe von ökonomischen Bedingungen, und c) die apriorische theoretische Repräsentation.

4 Das Wesen des Technischen bleibt irreduzibel auf die vier Gründe der Metaphysik. Man sollte heute jedoch nicht allein von einer Krise der Kausalitäten im Kontext eines radikalen Unbestimmtseins der Ursachen sprechen, sondern, wie es Hans-Dieter Bahr oft angedeutet hat, auch im Sinne der Sprengungen, durch die die Maschinen den Bereich der Reversibilität zwischen ideellem Muster und realem Objekt, zwischen Abbildung und Referenz, definitiv verlassen. (Bahr 1983: 237)

5 Unregelmäßigkeitskraft heißt, dass eine Überlagerung erreicht wird, die mehr als eine lineare Additivität im Sinne einer Entwicklungskonkurrenz ist, mit der bestenfalls eine Art von Stabilisierung mittels Rückkopplung der Informationen über das bisher Erreichte erzielt wird. Auch »Selbstähnlichkeit« enthält noch eine Art von »Symmetrie« (in Bezug auf Skaleninvarianz), womit sich der Begriff der Symmetrie als Leitmotiv der modernen Wissenschaft weiterhin in der konservativen Deutung der Fraktalität finden lässt. Wenn bestimmte Brüche – Symmetriebrüche – (Übergänge von einer Ordnung zur anderen) einen wichtigen Vorgang in der Natur darstellen, dann kann man sagen, dass es Wachstumsprozesse als eine Art von kontinuierlicher Entwicklung in verschiedenen Schichten gibt – insbesondere im Sinne einer Weiterentwicklung von fraktalen Teilformen. Wenn man nun versucht, dies quantitativ nachzuvollziehen, so gelangt man eben nicht ausschließlich zu negativ rückgekoppelten Prozessen, sondern zu einem Exponentialgesetz im positiven Sinne (positive Rückkopplung). Wir leben in einer dynamisch von Wachstumsprozessen geprägten Welt, die von formalen Strukturen beherrscht wird, die sich daraus ergeben, dass aus etwas Vorhandenem durch neue Konstruktionen und interne Konkurrenz das nächste Produkt, der nächste Zustand, die nächste Wachstumsphase entsteht und so eine exponentielle, spiralförmige und unter Umständen dem »Goldenen Schnitt« gehorchende Wachstumsentwicklung stattfindet, i. e. eine Fibonacci-Welt.

Foto: Bernhard Weber

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