LE GRAND JEU, Nr. 1 (1928) Vorwort

Das große Spiel ist unheilbar; es spielt sich nur ein einziges Mal. Wir wollen es in jedem Augenblick unseres Lebens spielen. Es geht immer noch um “Wer verliert, gewinnt”. Denn es geht darum, sich zu verlieren. Wir wollen gewinnen. Darüberhinaus ist das Große Spiel ein Glücksspiel, bzw. ein Geschicklichkeitsspiel, oder besser noch ein Spiel der Gnade: der Gnade Gottes und der Gnade der Gesten.

Gnade zu haben ist eine Frage der Haltung und des Talismans. Die günstigste Haltung zu finden und das Zeichen, das die Welten zwingt, das ist unser Ziel. Denn wir glauben an alle Wunder. Haltung: man muß sich in einen Zustand vollständiger Empfänglichkeit versetzen und um das zu machen muß man geklärt sein, muß man in sich die Leere hergestellt haben. Von daher unsere ideelle Ausrichtung, in jedem Moment alles, was ist, in Frage zu stellen. Eine gewisse Gewohnheit der Leere fasziniert unseren Geist von Tag zu Tag. Ein gewaltiger Ansturm von Unvoreingenommenheit hat für uns alle das Gerüst der Zwänge zum Krachen gebracht, die ein soziales Wesen gewohnt ist zu akzeptieren. Wir akzeptieren nicht, weil wir nicht verstehen. Weder die Rechte noch die Pflichten mit deren angeblich vitalen Notwendigkeiten. Angesichts dieser Leichen prophezeien wir nach und nach eine Ethik die auf diesen Seiten entsteht. Unsere künftigen Veränderungen auf der Ebene der Moral des Menschen werden nur das Recht auf das fordern, was sie Charakterlosigkeit nennen. Und das nicht nur, um uns ihrer leichtfertig zu bedienen. Diese Charakterlosigkeit ist in Aufrichtigkeit gemacht. Wir sind ernsthafte Konmödianten. Wenn wir gehen, gibt es in uns Menschen, die sich beobachten, die sich auf die Fersen heften, die unter uns herkriechen, über uns fliegen, vorlaufen, abhauen, sich beklatschen, sich auspfeifen und sich unbewegt ansehen. Aber wir wollen währenddessen nur eins sein, nur die Handlung des Gehens. Und genau darin sind wir ernsthafte Komödianten. Schlimm steht es um die, die sich nicht vollständig ihrer Wahl hingeben. Wir haben einfach nur den Sinn für die Handlung.

Warum schreiben wir? Wir wollen nicht schreiben, wir lassen uns schreiben. Auch um uns selbst und den Anderen wiederzuerkennen: ich betrachte mich jeden Morgen im Spiegel, um mir eine menschliche Gestalt zusammenzustellen, die einer Identität in der Dauer fähig ist. Ohne Spiegel hätte ich die Tiergesichter meiner wechselnden Begierden und an manchen Tagen, wenn das Wunder mich anrührt, hätte ich gar kein Gesicht. Denn, befreit wie wir sind, sind wir sowohl Bestien, die die Amulette ihrer Blut- und Geschlechtstriebe schwingen, wie auch Götter, die durch ihre Verwirrung eine völlige Unendlichkeit zu formen versuchen. Der Kompromiß “homo sapiens” verwischt sich zwischen beiden. Das logisch-rationale Wissen und die Geisteswissenschaften interessieren uns nur soweit, wie sie unseren unmittelbaren Bedürfnissen dienen. Alle großen Mystiker aller Religionen wären unser, wenn sie die Halseisen ihrer Religionen zerbrochen hätten, die wir nicht ertragen können.

Wir werden uns immer mit allen Kräften allen neuen Revolutionen hingeben. Das Auswechseln von Ministerien oder Regierungen bedeutet uns nichts. Wir machen an der Tat selbst der Revolte eine Macht fest, die zu einigen Wundern fähig ist. Ebensowenig sind wir Individualisten. Anstatt uns in unserer Vergangenheit zu verschließen, gehen wir alle zusammen vereint, jeder nimmt seine eigene Leiche auf dem Rücken mit.

Denn wir bilden keine literarische Gruppe, sondern eine Einheit von Menschen, die der gleichen Suche verbunden sind.

Dies ist unsere letzte, gemeinsame Handlung. Kunst und Literatur sind für uns nur Mittel.

Die Gnade, zusammen mit der Haltung, braucht einen Talisman, wie wir sagten, der ihr ihre Macht verleiht, Lebensmittel, die ihr Leben nähren. Einer von uns sagte kürzlich, sein Geist verlange vor allem zu essen. Zwischen seinen Wahrnehmungen sucht er das, was ihn ernähren kann. Vergeblich schleppt sich sein Hunger von Museen zu Bibliotheken. Plötzlich jedoch gibt ihm ein Schauspiel, scheinbar bedeutungslos, sein Futter (ein Bauzaun, eine lebende Auster). Die umwerfende Wahrnehmung eines Moments hat mit einem Schlag seinem unruhigen Leben die unberechenbaren Kräfte wiedergegeben.

Das sind die zeitlosen Momente, die wir überall suchen; und unsere Texte und Zeichnungen werden vielleicht bei Einigen entstehen lassen, was sie ihren Schöpfern oft in dem Anprall ihrer Entdeckungen gegeben haben und wozu unsere Versuche die Mittel suchen.

In solchen Augenblicken werden wir alles aufsaugen, wir werden Gott verschlingen, um bis zum Verschwinden durchsichtig zu werden.

R. Gilbert-Lecomte

In völligem Einverständnis: Hendrick Cramer, René Daumal, Artür Harfaux, Maurice Henry, Pierre Minet, A. Roland de Renéville, Josef Sima, Roger Vailland.

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