Liebe Hoffnung Stammheim

Redetext auf der Veranstaltung: Liebe Hoffnung Stammheim – Kampnagel 22. April 2015. Teilnehmer: Felix Ensslin, Gesine Hindemith, Fabien Kunz-Vitali, Karl-Heinz Dellwo. Moderation: Michaela Ott.

Individuell könnte ich sagen, ich führe diese Diskussionen, weil ich mich dem durchgesetzten derzeitigem Geschichtsbild, in dem die RAF ins Irrationale oder in den individuellen Defekt abgeschoben ist, nicht unterordnen kann.

Die RAF – als Synonym für die Bewaffnung von Linken  – ist weder von der Vorgeschichte der BRD, noch vom 68er-Aufbruch zu trennen.
Aus beiden war sie konsequent.

Sie hatte ein Bewusstsein davon, dass es einen Kontinuitätsbruch der Geschichte geben muss.

Man kann sie kritisieren und man muß sie auch kritisieren und vielleicht war ihre Form auch falsch, aber sie war – ebenso wie alle anderen damaligen revolutionären Bewegungen – immerhin davon bestimmt, dass die Menschheit eine neue Grundlage braucht, auf der das Leben nicht untergeordnet ist für ein sozial immer sinnfreier werdendes Gesellschaftsziel.

Es war ein Versuch, ein Außen zu finden.

Ein Raum zum Abgrenzen zum Luftholen.

Viele Jahre später habe ich von Walter Benjamin den Satz gelesen, dass die Revolution nicht das Vorantreiben des Fortschritts ist, sondern eher der Griff nach der Notbremse, der den Zug zum Halten bringt.

Vielleicht gibt das unsere Situation heute wieder.

Denn die Zeiten zwischen web 01, 02, 03, 04 und was dann weiter kommt, werden immer kürzer.

Die Anzahl derer, die im Mittelmeer ertrinken, wird korrelierend dazu immer größer.

45 Jahre ist der Gründungsakt der RAF her.

14. Mai 1970, die Befreiung von Andreas Bader als Ankündigungsakt für ein neues militärpolitisches Verhältnis zur politisch-ökonomischen Klasse der BRD, zum imperialistischen Kapitalismus.
Das war neu für sie.

Bisher wurde die herrschende Elite so gut wie nie zur Verantwortung gezogen.

Konnten ihre Verbrechen noch so unfassbar sein, sie konnte trotzdem weitermachen.

Wenn man das akzeptiert, dann ist man schwer geschädigt.

Und 45 Jahre ist es her als Entscheidungsakt für die aus 68 kommende Frage: Wie weiter mit der revolutionären Hoffnung?

Was waren ihre Absichten?

Die RAF wollte der Revolutionshoffnung eine Perspektive geben.

Sie wollte solidarisch sein mit den Befreiungsbewegungen und den anderen revolutionären Gruppen in der Welt.

Sie hatte als Absicht, ein Loch in das Gehäuse des Kapitalismus zu sprengen.

Eines, durch das man sieht, dass die Welt noch anderes enthält.

Sie wollte der Angst und dem Selbstzweifel innerhalb der neuen Linken und aller, die gerne dabei gewesen wären, durch ein mutiges Vorangehen die Grundlage nehmen.

Ja, sie wollte auch akzeptiert werden und beachtet sein.

Der Kampf hatte heroische Momente, aber die Menschen darin sind längst auch noch nicht frei.

Ich will hier jetzt nicht die Aktionsgeschichte der RAF diskutieren.

Sie ist wichtig, weil sie die Absicht zur Realität kommen ließ.

Aber an ihr könnte man nur die Unzulänglichkeiten des bis dahin vorhandenen politischen Bewußtseins der Akteure diskutieren.
Aber daran ist ja nichts mehr zu ändern.

Mit dem Vietnamkrieg sind auch die Aktionen zum Vietnamkrieg Geschichte.

Nicht Geschichte ist der Versuch, nach dem Einfrieren der Revolution von 1917 in Stalinismus und Realsozialismus, nach dem Sieg der Barbarei in der Moderne durch die Nazis  und der folgenden Erneuerung des gescheiterten bürgerlichen Systems einen Kampf zu führen,  der nichts weniger vorhatte als mit den anderen neuen revolutionären Bewegungen in der Welt den Kapitalismus zu beenden.
Wenn man diese Absicht negiert, braucht man nicht diskutieren.

Aber dann kann man nicht mehr erklären, warum sich noch so viel auf die RAF bezieht, in Film, in der Literatur, in der Malerei und selbst in der fortdauernden Bekämpfung.

Die Ernsthaftigkeit ihres Versuchs hält die RAF am leben. Deshalb bezieht man sich darauf.

Was war die RAF?

Wenn ich die jüngste Ausstellung in Berlin zum Maßstab nehme, dann war die RAF »Terroristische Gewalt«.
So steht es auf dem Eröffnungsplakat.

Bevor der Besucher bzw. die Besucherin überhaupt die Ausstellungsräume betritt, wird ihm resp. ihr schon das Ergebnis plakativ aufgedrängt.

In Zeiten, zu denen es vor vielen Jahren hieß »anything goes« ist zwar alles möglich aber im Grundsätzlichen nichts eigenes erwünscht.
Für Reemtsma, der 2004 für jene Linke, die nicht mehr an ihre eigenen revolutionären Fantasien erinnert werden wollten, eine politische Wendung in der Betrachtung der RAF vorantrieb, war sie Resultat von »stammelnden Idioten«.

11 Jahre später findet er im Kulturkampf zwischen den Betreibern von Guantanamo und den Betreibern des »Islamischen Staat« in der Denunziationsvokabel »Gesindel« seine Lösung gegen letzteres.

Ich würde mich eher auf Žižek beziehen: Wer vom islamistischen Terror spricht, darf vom Neoliberalismus nicht schweigen.

Man könnte dazu auch sagen: Das Kapital enteignet uns von allem.

Das Leben gehört ihm und seinem Zweck.

Enteignet werden wir auch von unserer Geschichte, die uns dann so vorgesetzt wird, dass wir keine Hoffnung mehr haben können, dass es etwas anderes gibt.

Was war die RAF?

Ab Mitte der siebziger Jahre spätestens war sie politisch eine verlorene Gruppe.

Ulrike Meinhofs Hoffnung, dass sie der kleine Motor ist, der den großen Motor in gang setzt, blieb unerfüllt.

Sie hat einen anderen Zweck erfüllt:

Sie hat die Revolutionsfantasien der neuen Linken zur Wirklichkeit gebracht.

Nachdem diese Wirklichkeit wurden, konnte diese Linke in der Härte der Auseinandersetzung entscheiden, dass sie sie lieber fallen lässt.
Hier war die RAF wirklich Stellvertreter für die gesamte neue Linke.

Ihre politische Hinwendung, dann wenigstens Außenposten der Befreiungskämpfe aus der Peripherie im Zentrum des Systems zu sein, musste sich mittelfristig auch aushöhlen, denn die in Nationalstaaten sich umwandelnden (oder bereits umgewandelten) Befreiungsbewegungen konnten diesen Kampf aus dem Inneren der Metropolen politisch auch nicht mehr tragen.
Sie mussten sich nach ihren Interessen entscheiden.

1975 haben wir versucht, die Gefangenen quasi mit allen Mitteln aus dem Gefängnis rauszuhauen.  Ihre Gefangenschaft – und ihr Tod, wie bei Holger Meins – war unserer und nicht zu ertragen.  Ihre Befreiung war auch unsere und danach hätten wir weiter gesehen.

Nach uns waren mehr bereit, den Kampf fortzusetzen.  Sie haben ihre Operationen entsprechend größer gesetzt.  Ihr Ziel und ihre Bestimmung waren aber gleich.

Die der anderen Seite auch.

Zur Staatsräson der herrschenden Klasse in der BRD gehörte und gehört, jeden grundsätzlichen Widerspruch auszumerzen, am besten durch erzwungenes Abschwören der Akteure, notfalls dabei auch unter Inkaufnahme ihres Todes, wie sie bei Holger Meins gezeigt hatten.

Im Herbst 1977 hat die RAF, die militärisch und politik-taktisch fähig war, während ihre politischen Basis bereits in der Defensive lag, den Kampf um die Befreiung von Gefangenen wieder aufgeworfen, weil die symbolisch für die Frage standen, ob es noch einen Ausbruch aus dem Kapitalismus, ob es noch eine Selbstsetzung des Lebens gibt.

Von allen politischen Bestimmungen blieb das Existenzielle die letzte Kraft.

Es hätte auch eine andere Möglichkeit gegeben im Oktober 1977.

In der zweiten Hälfte Oktober haben die Gefangenen dem Staat die Verhandlung darüber angeboten, nach einer Freilassung nicht wieder bewaffnet in die BRD zurückzukommen.

Es wäre die Einleitung vom Ende des bewaffneten Kampfes gewesen.

Keine relevante Gruppe im Staatsapparat wollte das.

Der Block an der Macht hat in dieser Auseinandersetzung die reale politische Schwäche der RAF gesehen und seine Chance, aus dieser Konfrontation als eigener, quasi neugegründeter Staat herauszukommen.

Es war bis dahin nicht ihr Staat.

Sie hatte ihn geschenkt bekommen von den westlichen Alliierten, die ihn als Frontstaat gegen den sozialistischen Block wollten.  Der Krieg gegen die RAF hat sie aus ihrer subalternen Rolle befreit.

Im Opfern von Hanns-Martin Schleyer raffte sich die herrschende Elite erstmals zu der Bekenntnis auf, dass sie für ihre Stellung im System auch Konsequenzen akzeptieren und den Kopf hinhalten muss.  Die der Bevölkerung auferlegte Opferungspflicht in Gestalt von 90 Flugzeugpassagieren war damit auch legitimiert worden.  Alle sollten am Krieg gegen die RAF beteiligt sein.  Diese Einheit haben wir gefördert und nicht verhindert.  Am Ende standen wir gegen alle.

Im Herbst 77 ging es von Seiten des Staates nicht nur um die Weigerung, Schleyer auszutauschen.

Es ging um das generelle Verweigern jeder politischen Konzession an das nicht-käufliche Andere, das in der RAF verkörpert war und sich nicht unterwerfen wollte.

Das ist der Hintergrund für den Tod der Gefangenen in Stammheim.  Mit dem Scheitern der Flucht nach vorne war auch gescheitert, einen lebbaren Ausweg zu finden, einen, dessen Preis nicht die Selbstaufgabe ist.

Es ist nicht nur das Ende der RAF gewesen. Im Oktober 1977 kam auch die Hoffnung auf Befreiung, die in der 68er Bewegung als Realität kurz aufgeschienen ist, auf lange Zeit um.  Wie lange, wird sich zeigen.

In der Art ihres Todes haben die Gefangen noch die Ablehnung – vielleicht auch die Wut – dessen ausgedrückt, das ihnen kein Ausweg gelassen worden ist.  Es war ihr letzter Widerstandsakt.

Auch das ist mir heute lieber, als wenn sie erschossen worden wären.

Noch lieber aber hätte ich sie befreit.

Danke.

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