Denunziation ist ihr Hobby, ihr Seniorensport ist offene Menschenjagd.

Am Umgang mit den Schwachen erkennt man den Staat. Er schickt sie mit Hartz4 in Siechtum und Depression. Hartz IV leitete eine Entwicklung ein, die nicht nur zur Verstaatlichung der Arbeitskraft führt, sondern auf deren Überflüssigkeit und schließlich Vernichtung zielt, womit dann auch Aneignung der Körper als einer Biomasse durch den Staat, durch die politische Souveränität des Gesamtkapitals überflüssig wird. Die Bevölkerung ist längst keine Gegebenheit mehr, sie ist eine reinen Folgerung geworden, die sich nach den Erfordernissen des Kapitals zu richten hat.

Dass die Bevölkerung im Kapitalismus zum großen Teil Objekt systemischer ökonomischer Prozesse ist, die zur Konzentration von Kapital, Reichtum und Macht kleiner Eliten führen, ist ein unbestreitbarer Sachverhalt. Wenn der die Ökonomie legitimierende Staat Gleichheit und Freiheit aller reklamiert, dann wird allein schon aus der Feststellung des Faktums Kritik. Zwischen 1980 und 2016 ist das Einkommen des reichsten Prozents mehr als doppelt so rasch gewachsen ist wie das der unteren Hälfte der Menschheit. Deutschland befindet sich auf einem Stand der Ungleichverteilung wie zuletzt 1913.

Die Proteste gegen die G-20 Gipfel richten sich gegen die weltweite Zurichtung eines drei Milliarden umfassenden Proletariats, dem die für das Kapital überflüssige Surplusbevölkerung angehört, reiner Menschenmüll. Gegen den G-20 Gipfel in Hamburg hat sich dieser Widerstand erneut artikuliert. Der Staat hat gegen disen nicht, wie lange behauptet, 20.000 Polizisten zusammengezogen, sondern über 31.000, darunter diverse Sondereinsatzgruppen aus Deutschland, GSG9 und MEKs, Sondereinsatzgruppen aus Polen oder wie die Cobra aus Österreich.

Man sieht bis zum heutigen der Tag der sog. Megafahndung, dass der Staat nicht unähnlich die Mafia jeden Angriff mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln rächt. Einige der politischen und rechtlichen Konsequenzen aus den Ereignissen in Hamburg lauten: Die bloße Teilnahme an einer Demonstration kann langjähriges Gefängnisstrafen nach sich ziehen. Die Polizei kann selbst Territorien definieren, in denen ihr eigenes Gesetz gilt. Die Polizei kann jeden als Gefährder einstufen, um ihn ohne Gerichtsentscheidung einzusperren.

Das Wesen der Polizei ist die Gewalt. Die Polizei, so schrieb Lindlau schon 1979, “versucht seit Jahrzehnten die Unterschiede zwischen dem Verhaltenskodex des Mobs und dem eigenen zu ermitteln. Die Übereinstimmungen sind leicht erkennbar: Wie die traditionelle Mafia wertet die Polizei jeden Angriff gegen einen Kollegen als einen Angriff gegen die gesamte Polizei, den Staat und das Abendland. Wie die Mafia rächt die Polizei jeden Angriff mit allen Mitteln. Bei polizeilichem Fehlverhalten findet man eine ähnliche Verschwörung des Schweigens wie beim Mob. Kollegen stellen sich als Entlastungszeugen zur Verfügung, Belastungszeugen werden vom Apparat unter Druck gesetzt: Die Unterschiede zwischen Polizei und Mob sind offensichtlich. Sie sind aber viel schwerere zu beschreiben.“

Die Nationalsozialisten brachten ihre politischen Gegner einfach um oder steckten sie in die KZs. Der Umgang des Staates mit den Studenten von 1968, welche die deutsche Barbarei in den Jahren von 1933 bis 1945 erstmalig wirklich anklagten, war dagegen schon fast zartbesaitet, nichtsdestotrotz waren die Berliner Studenten im Jahr 1968, wie Adorno es formulierte, die „Juden der Stadt“. Auch die systematische Denunziation, zu welche der Staat die Bevölkerung damals aufforderte war geblieben, nur hatten sich die Strafen, die man sich für die Denunzierten ausgedacht hat, verändert. Wurden die Juden gleich in die Gasklammer geschickt, so wurden die konsequenteren Gruppen des studentischen Widerstandes lediglich dem finalen Rettungsschuss, der Putativnotwehr oder dem Hochsicherheitstrakt zugespielt. Und die deutsche Bevölkerung spielte immer mit, prahlte doch die Rentnerin, die mit ihrem Anruf bei der Polizei dafür gesorgt hatte, dass Günter Sonnenberg einen Kopfschuss erlitt, bei einem Interview mit ihrer Beobachtungsgabe und Erfolgsbilanz. Solche Exemplare der Bevölkerung, denen der Staat für ihre aufopferungsbereite Mitarbeit an der Verteidigung von Demokratie am liebsten gleich das Bundesverdienstkreuz verleiht, kann man sich, will man sich aber nicht, in den nächsten Tagen gut vorstellen, wenn die Telefone beim Soko „Schwarzer Block“ nicht stillstehen. “Denunziation ist ihr Hobby, ihr Seniorensport ist verdeckte Menschenjagd“, schreibt Pohrt und meint damit den Staat und Teile der Bevölkerung gleichermaßen.

Als Peter Brückner öffentlich daran erinnerte, dass die Aktionen der RAF in bestimmten Bedingungen, dem Kapitalismus und seiner bundesrepublikanischen Ausprägungen, begründet lagen, wurde er vom deutschen Staat aus der Universität ausgebürgert. Heute braucht sich der Staat solche Mühen nicht mehr zu machen. Es findet sich einfach keiner mehr wie Peter Brückner an den deutschen Universitäten. Restlinke Akademiker hatten denn auch nach den Ereignissen in Hamburg nichts besseres zu tun, als die Denunziationsrhetorik der Bild Zeitung noch zu überbieten, die aufständischen Jugendlichen mit ihrem verbalen Dreck zu bewerfen, Vergleiche mit der SS aufzumachen, um ihr eigenes Gewissen, das stets einen rationalen Anlass für die eigene Unterwerfung sucht, insgeheim zu beruhigen.

Es ist längst ein Irrtum, dass der Verstand uns noch lehren könnte, diese kapitalistische Welt in ihrem Endstadium zu begreifen. Wie die Bild Zeitung ist auch das Soko „Schwarzer Block“ mit den Mitteln der Logik nicht mehr zu begreifen. Warum faulen den Redakteuren nicht die Finger ab, und warum wachsen ihnen keine Hörner aus den Schläfen, fragte sich Wolfgang Pohrt einmal nach einer der vielen verabscheuungswürdigen und zugleich durch und durch lächerlichen Bildzeitungskampagnen. Man müsste sich dasselbe über die Mitarbeiter des Sokos „Schwarzer Block“ fragen, die in ihrer monströsen Archivierungs- und Schnüffelwut zwar ein reichhaltiges Untersuchungsobjekt für eine kafkaeske Erzählung abgeben, aber man kann sich ganz sicher sein, dass Kafka exakt an dieser Erzählung gescheitert wäre. Das Schloss war ein kindlicher Vorläufer für das, was der Staat jetzt hier abwickelt.

Wir leben im Zeitalter der Aufhebung des Rechts. Das Wuchern der Gesetze ist Teil der Aufhebung. Und ein Kennzeichnen aktueller Gesetze ist, dieses oder jenes Unternehmen, diese oder jene Regierung, diese oder jene Macht über das Gesetz zu erheben.

Atombomben und Autos, Fernsehen, Internet und Plastikflaschen, Sprühdosen und Chicken MC Nuggets, Politiker und Kapitalisten, über die verheerenden Konsequenzen seien sich viele in der Bevölkerung einige, so Pohrt einmal, und diese Übereinstimmung sei gerade ein Grund für Sadisten, Realisten und Masochisten nichts dagegen zu tun. Auch das hat sich geändert, man hat nämlich aus der ganzen Scheiße längst Marmelade gemacht, und deshalb macht es jetzt erst richtig Sinn anzunehmen, dass der designte Blick auf die Katastrophe den Leuten die Sache wirklich schmackhaft macht. Und verfällt die Bevölkerung vor dem Fernseher wieder einmal in Tiefschlaf, dann hält man sie mit tausenden Bedrohungen wach, den Terroristen, den Randalieren, den Chaoten, den Migranten, der Arbeitslosigkeit. Vor dem bunten Hintergrund abgewehrter Anschläge und Katastrophen zieht sich der graue Schleim kapitalistischer Normalität weiter, zieht sich wie ganz langsam zerlaufender Käse. Gleichzeitig schraubt die Schaumschlägerei der kommerziellen und der staatlichen Publizistik ständig die Zeitschwelle herauf. Nur der unmittelbar bevorstehende und am eigenen Leibe erfahrbare Weltuntergang soll es noch wert sein, uns zu interessieren. Man soll die Katastrophe genießen und den linken Feind vernichten.

Die Kreativarbeit der Bespitzelung, der Verfolgung und Denunziation kennt hier im Zuge des Datamining keine Grenzen mehr. Der Zeitpunkt für die sog. Megafahndung ist gut gewählt, beschert man den Deutschen doch ein ganz besonderes Geschenk zu Weihnachten, eine Einladung zur Beschäftigungstherapie, die helfen kann, sich durch den qualvollen Zeitbrei, den die Feiertage so mit sich bringen, durchzufressen. Die Inszenierung will von der Bevölkerung vielleicht sogar erlebt werden: Wie wäre es mit einem von Obdachlosen und Hartzlern nachgestellten Riot (mit großartigem Finale, welches das SEK inszeniert), den die Erwachsenen mit ihren Kindern zu Weihnachten besuchen können: Stichwort staatliches Bildungsprogramm. Dabei sind sicherlich eine Reihe von Affizierungen im Spiel, von den der Soziologe folgende aufzuzählen weiß: Leidenschaften und Bewunderungen, Ergriffenheit und Erleuchtungen, ein Gefühl des Aufgehobenseins, der schönen Harmonie und des Stolzes auf Deutschland.

Die Politik hat sich in einen geistlosen Reparaturbetrieb, Krisenmanagement und eine reine Verzögerungstaktik für das Regierungsverwalten verwandelt. Sie kennt längst keine Programme mehr, sondern nur noch Gesetzesinitiativen, Umsetzungen und Singularisierungen, sprich eine Praxeologie, die partout das Hinschwinden der Illusion, der Kapitalismus könne für die Mehrheit ein Anwachsen des Lebensstandards garantieren, verhindern will. Seit die Würfel gefallen sind, spielt man auf Zeit. Blanke Machtbesessenheit inspiriert die Regierenden, die nackte Angst vor der Wahrheit und der Glaube an das Irrationale, das man ja selbst ist. „Warum einer der wie kleine Mann denkt und redet, kein kleiner, sondern ein Staatsmann ist – das lässt sich mit logischen Mitteln nicht mehr klären.“ (Pohrt) Und längst ist paradoxale Phrase, die mit der Lüge eins wird, Konsens im Medienbetrieb: Der Ausnahmezustand ist ein Synonym für den Rechtsstaat, Krieg führt man im Namen des Friedens. Die Kapitalisten bieten Stellungen an. Überwachungskameras sind Einrichtungen zur Videosicherheit. Das Mittelmaß dient als Vorbild.

Eine Welt, deren Positivität sich über so viel materielle und geistige Verwüstung erhebt, verdient, dass das, was darin bejaht wird, die Form der Plünderung, der Zerstörung und der Unruhen annimmt, schreibt das Unsichtbare Komitee.

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