Minsky und die Instabilität der Ökonomie

Himan P. Minsky wird gewöhnlich der post-keynesianischen ökonomischen Theorie zugeordnet, genauer gesagt der amerikanischen “Schule”, zu der Autoren wie Weintraub, Moore, Eichner, Kregel etc. gehören. Diese Schule befasst sich im Gegensatz zur europäischen Schule um Kalecki, Robinson, Kaldor, Harcourt etc. stärker mit den monetären und finanziellen Prozesen der Ökonomie. Für Minsky wird das Investment durch die Profitabilität determiniert, und die sog. animal spirits sind von Variablen wie Profit- und Zinsraten abhängig. Der Schlüsselindikator ist dabei das Verhältnis von Profitrate zur Zinsrate.

Mit Hilfe der Analysen von Minsky (Vgl. Minsky, Himan P. ; 2011: Instabilität und Kapitalismus) kann man zeigen, dass neben der Existenz von Spekulationsblasen an den Finanzmärkten (Phasen der Euphorie inkludieren Phasen radikaler Nachahmung und der Hyperspekulation, darauf Panikphasen, Konsolidierungsphasen und Phasen der Neuordnung) unbedingt weitere Faktoren hinzutreten müssen, damit Krisenprozesse auf der Ebene des Gesamtkapitals ausgelöst werden, die nicht nur die Schulden- und Kreditökonomie, sondern die je schon unsicheren Stabilitätsbedingungen der kapitalistischen Ökonomie insgesamt beeinträchtigen, stören und hemmen, und dies ganz entgegen der Annahmen der neoklassischen Ökonomen, denen zufolge vor allem das Spiel von Angebot und Nachfrage an den Märkten die zur Bildung von Gleichgewichten notwendigen Preissignale setzt und steuert oder etwa über kybernetische Feedbackschleifen sich selbst organisierende Systeme dem optimalen Gleichgewichtszustand zustreben.

So lässt sich der Zyklus der erweiterten Reproduktion des Kapitals nach Minsky folgendermaßen darstellen: In stabilen Produktionsperioden, die positive Langzeiterwartungen der Unternehmen inkludieren, steigt sowohl deren Finanzierungsnachfrage nach Fremdkapital als auch deren Investitionsvolumen, und dies bis zu jenem Punkt, an dem die Unternehmen ihre Risikoscheu vollkommen ablegen und zugleich ihre Bereitschaft steigt, immer neue Schulden aufzunehmen, wobei die in den Unternehmen abgeschöpften Gewinne, die aus Neuinvestitionen resultieren, weniger der Kredittilgung, sondern vor allem der Reinvestition dienen, und u. U. werden fällige Kredite sogar mit neuen Kreditaufnahmen finanziert. Auch die schleichende Verschiebung des Schwankungszentrums der Marktpreise bzw. die Zeitdauer, innerhalb derer sich diese Prozesse durchsetzen (die Dauer eines Konjunkturzyklus, der selbst zu einer allgemeinen Bestimmungsgröße der Beziehung zwischen Produktionspreisen und Marktpreisen wird), ist Teil des sog. Aufschwungs, wobei es in sämtlichen Produktionssektoren zu einer Verschiebung des Gravitationszentrums der Marktpreisbewegung kommt, bis dieses Gravitationszentrum schließlich auch die Angebotspreise bestimmt, mit denen die Einzelkapitale zueinander in Konkurrenz treten.

Es ist der Komplex aus zahlungsfähiger Nachfrage, Preiselastizität und Fremdfinanzierungspotenzial, der die Profitraten und -massen definiert und der über die Kapazitätsauslastung und Investition in den diversen Branchen sowie den einzelnen Unternehmen entscheidet, wobei im Laufe des Booms die Kostpreise aufgrund von Faktoren wie steigende Löhne, erhöhte Preise für Rohstoffe sowie wachsende Zinssätze deutlich anschwellen können. (Sraffa hat in diesem Zusammenhang auf das Problem hingewiesen, dass man Profitraten benötigt, um die Preise zu bestimmen, und umgekehrt wiederum Preise, um die Profitraten festzulegen, ein Problem, das sich bei Marx neu stellt.)
Im Boom kreieren Banken, Hedgefonds und andere Finanzinstitutionen ständig neue Finanzinstrumente bzw. synthetische Wertpapiere, während zugleich die Verschuldung der Unternehmen wächst und auch im schon eskalierenden Aufschwung führen höhere Investitionen immer noch zu steigenden Gewinnen, die freilich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr ausreichen, um den fälligen Teil der Gesamtschuld des Unternehmens abzutragen. Und schließlich wächst die effektive Geldmenge an, während die steigenden Preise des fiktiven und spekulativen Kapitals die Nachfrage nach Wertpapieranlagen weiter erhöhen, die von den Banken auch bedient wird, womit das Geldangebot weiter wächst und der Schuldenumlauf anschwellt, was den Versuch der Unternehmen, Schulden durch riskante Investitionen auszugleichen, immer noch weiter anheizt und den Anstieg der Fremdfinanzierung der Unternehmen forciert.

Ab einem gewissen Zeitpunkt stellt die Refinanzierung der Unternehmen tatsächlich ein Problem dar, denn das kybernetische Feedbacksystem der Ökonomie bleibt trotz des hohen Wachstums der Fremdfinanzierung in den Unternehmen extrem euphorisiert, bis zu eben zu jenem kritischen Punkt, den Minsky als Ponzi-Moment definiert hat, an dem jede weitere Kreditaufnahme eines Unternehmens mit derart hohen Zinszahlungen belastet wird, dass diese aus den Cash-Flow-Gewinnen des Unternehmens nicht mehr bedient werden können, so dass es schließlich zum Verkauf von Vermögenswerten kommt oder neues Fremdkapital aufgenommen werden muss, um rein die Schulden zu bedienen, womit man weitere kaskadenartige Verflechtungen von Verschuldungsketten in Gang setzt. So erscheint die Relation von (erwarteten) Renditen und terminierten Kreditverpflichtungen ab einem bestimmten Punkt wesentlich prekär; sie erfordert entweder die Aufnahme neuer Kredite oder den weiteren Verkauf von Vermögenswerten, weil auch die Banken ihre Liquidität ständig verringern, u. a. wegen der fallenden Preise von Wertpapieren plus der steigenden Kosten ihrer eigenen Fremdfinanzierung. Zwar können Zentralbanken die instabilen & ungleichgewichtigen Märkte weiterhin mit neuer Liquidität versorgen, aber aufgrund der generell begrenzten Wirkung ihrer Geldpolitik kann Minsky zufolge nur noch über das staatliche deficit spending eine Unterstützung und Stabilisierung der effektive Nachfrage erfolgen, was wiederum auch die Unternehmenssituationen entscheidend verbessert.

Es ist der »plötzliche Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals« (Keynes), der zu einem Stau der Kapitalakkumulation führt, und dies umso mehr, als es in der Boomphase durch die exorbitante Steigerung der Spekulationsgeschäfte und der Fremdfinanzierung zu einer künstlich Aufheizung des Wirtschaftswachstums gekommen ist, während im Abschwung dann massive Kapitalentwertungen anstehen, welche vor allem die Umschlagszeiten von Unternehmen mit sog. produktivitätssensiblen Bestandteilen des fixen Kapitals stark beeinflussen, aber gleichzeitig auch die neuen und wichtigen Rationalisierungsprozesse des gesamtwirtschaftlichen Produktionsapparates vorbereiten. Neuralgische Punkte der Theorie Minskys betreffen u. a. die vage Bestimmung des Verhältnisses von Eigen- und Fremdfinanzierung, die starke Konzentration Minskys auf Sachinvestitionen sowie die von ihm unbeachtete, seit den 1990er Jahren jedoch zunehmend stärker realisierte Möglichkeit des Kapitals, die Abhängigkeit der effektiven Nachfrage von Investitionen und dem staatlichen deficit spending durch die Ausweitung des Konsumentenkredites zu umgehen. Letztendlich stellen Minskys unbändiger Glaube an die finanzielle Souveränität des Staates sowie der Verzicht, die Einbindung des Geldkapitals in die strukturelle Bewegung der differenziellen Kapitalakkumulation stärker zu untersuchen, weitere Probleme für diesen Theorieansatz dar.

 

Foto: Bernhard Weber

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